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Drittes Kapitel.

Das elegisch-idyllische Naturgefühl im
augusteischen Zeitalter.

Die Zeit des Augustus bezeichnet einen Wendepunkt in dem römischen Kulturleben wie die Alexanders des Grossen in dem griechischen. Wie allen Übergangsperioden ist auch ihr eine gewisse Unruhe und Unfertigkeit eigen, welche edle, das Alte ungern preisgebende Männer unbehaglich und wehmütig stimmt, so dass sie sich von der Gegenwart zurück flüchten in eine glücklichere Vergangenheit, in der noch echt römische Sittenstrenge und hingebende Vaterlandsliebe, aufopferungsfreudige Selbstlosigkeit im Interesse des Ganzen herrschte und noch nicht das Jagen und Ringen nach Erwerb, Genuss und Ruhm die Gemüter fieberhaft erregte und noch nicht ein unbeschränkter Trieb zur Geltendmachung der Individualität einen krankhaften Ehrgeiz, einen selbstsüchtigen Materialismus erzeugte oder ein Buhlen um die Gunst der Mächtigen an die Stelle freier politischer Arbeit trat. Der Zug der Zeit wird kosmopolitisch, international; die Richtung der republikanischen Epoche war centripetal, die des augusteischen Zeitalters wird centrifugal. Das Kaiserreich bedeutete für Rom den Frieden, der die Wiege für Kunst und Wissenschaft ist. Augustus übte ein mildes Patronat der Geister. und die Poesie trat in den Dienst des Hofes; die Dichter wenden sich nicht ans Volk, sondern an die höchsten

Gesellschaftsklassen, sie werden daher universeller; aber auch die Poesie wird nicht als Gottesgabe weniger Erwählter, sondern als ein Gemeingut betrachtet, das jeder durch Ernst und Studium sich erwerben zu können wähnt. Das Streben nach umfassender, vielseitiger Bildung erwachte mehr und mehr, und da Ruhe, Ordnung und Sicherheit nach den Stürmen der Bürgerkriege eintrat, ward der angeborenen Reise- und Wanderlust ungehindert gehuldigt, und die Anschauung grossartiger und lieblicher Gegenden, sowie die Vertiefung geographischer und botanischer Kenntnisse waren auch für die Weiterentwicklung des Naturgefühls von Bedeutung. Das Homerische: 'Die Erde ist allen gemeinsam' war, wie Aristides in seinem Preislied auf Rom begeistert ausruft, zur Wirklichkeit geworden. Lichtvoll hat Friedländer, Sittengeschichte II S. 3-122 dargethan, wie grossartige Strassensysteme, Wegekarten, Stationenverzeichnisse die Reisen erleichterten, wie nicht blos Geschäfte, Amtspflichten, sondern auch Forschungstrieb und Kunstbedürfnis die Gebildeten über Land und Meer führte, wie aber auch mit allem Raffinement und Luxus der Zeit Erholungs- und Vergnügungsreisen an die schönsten Punkte Italiens und Siciliens unternommen wurden nach Ostia, Astura oder Antium mit seinen prachtvollen, zum Teil ins Meer gebauten Palästen, wo noch jetzt Reste versunkener Herrlichkeit überall aus dem Meere ragen oder durch die durchsichtige Flut vom Boden heraufschimmern (S. 46), oder in die Gebirgsorte wie Tibur, Praeneste, Tusculum, an die 'wildschönen Ufer des Anio', die rings mit Villen dicht besetzt waren, oder nach Neapel und Bajae, diesem ersten Luxusbad der Welt, wo sich Villen teils auf weitschauenden Höhen, teils unmittelbar am Rande des Meeres oder im Meere selbst erhoben. Griechenland lockte schon als Land der Vergangenheit, und 'in der Stille und Einsamkeit, die über Land und Städte gebreitet war, trat das Bild der grossen Vergangenheit nur um so überwältigender vor die Seele des Wanderers'. Aber auch in Ägypten konnte der Reisende sein historisch-ethnographisches

Interesse und die römische Vorliebe an wunderbaren Phänomen befriedigen. Von dem lebhaft sich entfaltenden Natursinne zeugt der Kultus, den man an zahllosen Grotten, Höhlen, Quellen, Hainen und Bäumen pflegte, zu denen man andachtsvoll, das geheimnisvoll waltende numen in der Natur verehrend, pilgerte, zeugen ferner die Trümmer der Villen und Paläste am Meeresgestade oder an See- und Flussufern oder auf hoher Bergeswarte. Gar mancher tiefer oder mit beschaulicher Denkweise Veranlagte flüchtete sich aus den Wirren des grofsstädtischen Lebens, aus der unerquicklichen Sphäre eines verderbten Hofes, aus der Welt des Scheins und der Heuchelei in die ewig reine, ewig freie, grosse Natur, und siehe da, es ward das hellenistische, empfindsame, elegisch - idyllische Naturgefühl geboren, in das sich dann auch von selbst gar bald die Erotik als effektvolles Bindeglied einfügte.

Die Literatur und vor allem ihre höchste und glänzendste Erscheinung dieser Epoche, die Poesie, bekundet einen deutlichen Niederschlag aller dieser kulturhistorischen Momente.

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P. Vergilius Maro ist eine der reinsten Erschei nungen der römischen Literatur, eine kindlich harmlose Natur, eine anima candida, die ‘sich gern aus den Wirren der Gegenwart in idealisierte Naturzustände flüchtete, wodurch seine Dichtung jenen sentimentalen Zug erhielt, der ihn einem folgenden Weltalter so wahlverwandt erscheinen lässt' (Carriere). Wohl bewundern wir die stolze, oft prächtige Diktion im Vergleich zu früheren Dichtern, aber vor einem Theokrit und gar vor einem Homer treten auch seine Dichtungen zurück, wie der Mond und die Sterne vor der flammenden Sonne weichen. 18)

Die Vergilischen Eklogen entbehren jener dramatischen Anschaulichkeit, die jede einzelne des Theokrit zu einem vollendeten Kabinetstück macht, aber sie verraten die Ideenverwandtschaft, die Homogenität der Zeitrichtungen, welche Hellenismus und die römische Literatur unter den Kaisern verbindet. Wehmütige Sehnsucht nach

der unverfälschten Natur, nach dem ländlichen Frieden im Gegensatz zu städtischer Hyperkultur, kurz ein idyllisches Naturgefühl ist der Untergrund dieser 'Bildchen' aus dem Leben der Hirten, die unter dem Dache der breitästigen Buche' (I. 1) oder in der rebenumrankten Grotte (V, 5) die Rohrpfeife um die Wette spielen, Wald und Thal wiederhallen lassen und um die spröden Schönen werben. Wie der verliebte Cyklop bei Theokr. XI, 42 die liebliche Galatea angirrt, so rühmt ihr Möris Ekl. IX, 39 sein herrliches Dasein :

Komm hierher, Galatea, was soll denn dein Spiel in den Wogen?

Hier ist purpurner Lenz, bunt hier um die Borde der Bächlein

Streute Blumen die Flur; hier ragt die silberne

Pappel

Über die Grott', und es flechten geschmeid'ge Reben

ein Laubdach.

Komm hierher, lass tobend zum Strand aufschlagen die Brandung.

Glückselig wird der Greis gepriesen I, 46 ff, dem sein Landgut und somit der Genuss vielfältiger Freuden geblieben ist:

O glückseliger Greis, hier zwischen vertraulichen

Buchen

Und an heiligen Quellen erfrischt dich schattige Kühlung,

Dort der Zaun, der hinab an benachbarter Grenze des Feldes

Stets hybläische Bienen in Weidenblüte bewirtet, Tönt mit leisem Gesumme dich oft in gemächlichen Schlummer:

Hier am hangenden Fels singt hoch der scherende Winzer,

Während indes dein Liebling, die heisere Taube des Waldes,

Rastlos girrt, und die Turtel vom luftigen Wipfel

der Ulme.

Fortunate senex! hic inter flumina nota
Et fontis sacros frigus captabis opacum.
Hinc tibi, quae semper, vicino ab limite saepes
Hyblaeis apibus florem depasta salicti

Saepe levi somnum suadebit inire susurro. Hinc alta sub rupe canet frondator ad auras: Nec tamen interea raucae tua cura palumbes Nec gemere aëria cessabit turtur ab ulmo. Vgl. die reizende Copa und im Culex die idyllische Schilderung der weidenden Herde, v. 69:,,Wer kann glücklicher sein als wer mit reinem Sinn ferne von neiderregenden Schätzen und traurigen Kriegen ein seliges Hirtenleben führt!"

Wie in allen Pastoralien steht auch in den Eklogen die Herde und die leblose Natur dem schlichten Schäfervölkchen innig vertraut, wie eine mitklagende und mitlachende Freundin, gegenüber. Scheidet der Hirte von seinen Äckern, seinen Birnen, Reben und seinen Ziegen, so will ihm das Herz fast vor Weh zerspringen, I, 72; nach dem abwesenden Tityrus sehnen sich I, 38 die Pinien, selbst die Quellen, selbst die Gehölze (ipsae te, Tityre, pinus Ipsi te fontes, ipsa haec arbusta vocabant); den vor Liebe vergehenden Gallus beweinten Lorbeer und Tamariske und der Fichten tragende Maenalus und die Felsen des kalten Lycaeus X, 13.

Als Daphnis in den erbarmungslosen Tod sinkt, sind nicht nur die Haselgebüsche und die Bäche Zeugen der Trauer der Nymphen V, 20 ff, und kostet vor Kummer keines der Tiere den Strom und berührt keines ein Hälmchen des Grases, sondern öde Berge und Wälder bezeugen es, dass selbst die punischen Löwen ihn beseufzten:

Daphni, tuum Poenos etiam ingemuisse leones

Interitum montesque feri silvaeque loquuntur. Mit der Pales und mit Apollo weicht nach dem Tode des herrlichen Hirten die Fruchtbarkeit von den Feldern V, 35, statt der Gerste sprosst unseliger Lolch, statt des lieblichen Veilchens und der purpurnen Narzisse steigt die Distel empor und scharfgenadelter Stechdorn.

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