Abbildungen der Seite
PDF
EPUB

Zweites Kapitel.

Das sympathetische Naturgefühl in Lyrik und Drama.

Ein neues Zeitalter bricht an mit der Lyrik. Ihre Welt ist das subjektive Empfinden des erregten Gemüts; in ihr vor allem kann sich ein lebhaftes Naturgefühl kund geben. Untersuchen wir kurz, in welcher Weise. Das lyrische Gedicht kann eine Naturscene nicht bloss als Rahmen und Randverzierung, als Hintergrund zu einer seelischen Regung verwerten, sie als harmonierendes oder kontrastierendes Gegenbild der Gemütsstimmung gegenüberstellen, wie so oft im deutschen Volksliede, sondern auch Bild und Empfindung in eins wirken, das äussere Ereignis mit dem inneren zusammen rinnen lassen wie z. B. Göthe im Mailied, Herbstgefühl u. v. a. Eine Naturmalerei aber, eine Beschreibung der toten Natur ohne den Bezug auf die Welt des Geistes ist ein Zwitterding von Poesie und Prosa, eine Verirrung des modernen Geistes, welcher der Grieche in seinem ausgeprägten Stilgefühl stets fern bleiben musste. Haller und Brockes geben eine Botanik und Zoologie in Versen, aber diese sind duftlos. Wie das Landschaftsbild des Malers ohne jegliche Staffage, lediglich um der Landschaft willen entworfen, nur schön ist durch die Stimmung, die es atmet, durch die Idee, welche hindurchschimmert, so muss auch der Dichter » den leblos kalten

Stoff der Anschauung mit seiner Empfindung durchströmen, Natürliches mit Geistigem durchdringen, wenn er das wahrhaft Schöne, das auf Ineinsbildung von Stoff und Form beruht, schaffen will; blosse Anschauung, blosse Abzeichnung des realen Objekts ohne Empfindungsinhalt ist ebenso tot, wie die kalte abstrakte Reflexion ohne konkrete Anschauung. Das Weitgehendste wird dasjenige Gedicht leisten, in welchem der Dichter selbst mit seiner eigenen Empfindung völlig zurücktritt und sein Gefühl nur durch ein Naturbild hindurchscheinen lässt; bei dieser tiefsinnigsten Beseelung, durch welche die feinsten Stimmungen des menschlichen Herzens in dem Naturbilde symbolisiert erscheinen, » verliert sich das Objekt ganz in das Subjekt, wie umgekehrt dieses ganz in die Natur aufgelöst wird« 3), wie in Heine's Fichtenbaum, Lotusblume oder in Göthe's Gleich und Gleich u. ä, 35). Ob das Altertum überhaupt diese letzte Konsequenz der poetischen Darstellung des Landschaftlichen gezogen. hat, diese Frage können wir erst, am Ziele unserer Wanderung durch die Poesie der Griechen, beantworten. Aber auch jene Kunst, im lyrischen Liede Aussenwelt und Innenwelt in Harmonie oder Kontrast zu setzen, hat man besonders oft dem Altertum absprechen wollen 36), man hat diese sympathetische Naturauffassung für das deutlichste Kennzeichen modernen Empfindens halten wollen, da das Naturgefühl der Alten nur plastisch gewesen, das unsrige aber malerisch, resp. musikalisch d. h. fähig sei, das landschaftliche Bild stimmungsvoll zu deuten und die Analogieen zwischen Gemüt und Aussenwelt aufzuweisen. Nur der moderne Mensch soll jenes Gefühl kennen, welches »in der Natur ein mit den Saiten der menschlichen Brust gleichgestimmtes und, wenn sie erregt sind, mitklingendes Instrument erkennt.<< Wie jedoch die Ansicht, dass die Griechen keine Landschaftsmalerei besessen haben, als ein verjährter Irrtum gelten darf, so muss es auch der Wahn, sie hätten keine Landschaftsdichtung gehabt; allerdings hat auch diese wie jene sich erst allmählich entwickelt, da der Grieche überhaupt erst nach und nach ein freieres, persönliches Verhältnis zur Natur gewonnen hat.

Es lässt sich nun in der That gemäss der streng organischen Entwicklung des hellenischen Geistes jener. Prozess deutlich verfolgen, der vom schlichten Vergleiche des Geistigen und Natürlichen zu der beides verschmelzenden Metapher, zur poetischen Beseelung und so zum ausgeführteren Stimmungsbilde führt, in dem die Gemütsbewegung in Gegensatz oder in Einklang steht mit der Naturscene, bis endlich im Hellenismus das Landschaftliche, um seiner selbst willen geschildert, den Menschen bloss zum >Figuranten in der Natur« herabdrückt.

3

Die Elegie führt vom ruhigen, objektiven Epos hinüber zu dem von stürmischem Schwunge subjektiven Empfindens getragenen melischen Liede. Mannigfach durchziehen noch Homerische Bilder und Gleichnisse wie Goldfäden die Gewebe der elegischen Dichtungen; so bei Tyrtaios fr. 10 (poëtae lyrici ed. Bergk II Leipz. 66) v. 28 das avdos Bns, und wie Homer in der Form des Gleichnisses das Wogen des Meeres dem Drängen der Kriegerhaufen gegenüberstellte, bietet Tyrtaios die prägnante Metapher vom Gewoge der Schlacht zupa páxns fr. 12, 22. Das wehmütige Gleichnis von den Blättern im Walde sagt besonders dem schwermutvollen Mimnermos zu, er klagt über die Flucht der Stunden, die Vergänglichkeit des Genusses, preist die goldene Zeit der Liebe und der blühenden Jugend fr. 1: ... die Jugend verwelkt rasch und die Blüte der Kraft Männern und Frau'n, und beschleichen uns erst die Gebrechen des Alters,

Das unerbittlich den Mann, selber den schönsten, entstellt,
Ach, da zehrt am Gemüt rastlos die vergebliche Sehnsucht,
Und selbst Helios' Strahl mag uns das Herz nicht erfreu❜n.
Geibel.

... ἔσθ' ἥβης ἄνθεα γίγνεται ἁρπαλέα ἀνδράσιν ἠδὲ γυναιξίν. ἐπεὶ δ ̓ ὀδυνηρὸν ἐπέλθη γῆρας, ὅ τ' αἰσχρὸν ὁμῶς καὶ καλὸν ἄνδρα τίθει, αἰεὶ μὲν φρένας ἀμφὶ κακαὶ τείρουσι μέριμναι οὐδ ̓ αὐγὰς προσορῶν τέρπεται γελίου κ. τ. λ. Von der gleichen Stimmung ist fr. 2 erfüllt: >>Wie die Blätter, die da grünen zur Zeit des blumenreichen Frühlings

unter dem Strahl der wärmenden Sonne, freuen wir uns nur eine kurze Spanne Zeit der Blüten der Jugend.. kurz währt die Frucht der Jugend, so weit über die Erde das Licht ausstreut die Sonne, aber sobald die Blütenzeit vorüber eilt, ist zu sterben besser, als das Leben :«

ἡμεῖς δ ̓ οἶάτε φύλλα φύει πολυανθέος ώρη
ἔαρος, ότ' αἶψ' αὐγῆς, αὔξεται γελίου
τοῖς ἴκελοι πήχυιον ἐπὶ χρόνον ἄνθεσιν ἥβης
τερπόμεθα . . μίνυνθα δὲ γίγνεται ἥβης
καρπὸς, ὅσον τ ̓ ἐπί γῆν κίδναται γέλιος.
αὐτάρ ἐπὴν δὴ τοῦτο τέλος παραμείψεται ὥρης
αὐτίκα τεθνάμεναι βέλτιον ἢ βίοτος κ. τ. λ.

Vergl. fr. 5, v. 2 ἄνθοςὁμηλικίης τερπνὸν ὁμῶς καὶ καλόν. Auch Solon bietet das Bild ἐρατὰ ἄνθη ἥβης fr. 25, v. I; fr. 27,6 χροιῆς ἄνθος αμειβομένης. Aus der Wolke fällt Schnee und Hagel herab, heisst es fr. 10, und der Donner folgt dem leuchtenden Blitz, und von gewaltigen Männern kommt Unheil dem Staat. Symbolisch für das Staatsleben ist auch fr. 12: »Winde rühren das Meer auf, wenn aber keiner es erregt, ist es ganz friedlich«; trefflich ist auch fr. 13, v. 16 der Vergleich der das Unrecht sühnenden Macht des Zeus mit dem Sturm, der plötzlich hereinbricht über Meer und Land, verwüstend, aber die Wolken zerstreuend und die Luft reinigend, so dass hernach wieder herrlich glänzt vom wolkenlosen Himmel die Sonne. Dem Archilochos sind fr. 56 die um den Felsen sich türmenden, Sturm drohenden Wolken ein Sinnbild. des plötzlich hereinbrechenden Unglücks; schön ist die Personifikation des Meeres fr. 23: »umgarnt von Flutenarmen geht ihr Leben hine ψυχὰς ἔχοντες κυμάτων ἐν ἀγκάλαις.

In seinen Fragmenten spüren wir nichts mehr von der patriarchalischen Ruhe der Homerischen Welt; Parteikampf, elementare Leidenschaftlichkeit, kraftvolles Selbstgefühl tritt uns entgegen, das im feindlichen Leben sich panzert mit grimmigem Hohn und beissendem Witz, dessen Vehikel die Fabel 37) wird, so fr. 86 vom Fuchs und Adler, fr. 100 von der Krähe, die vor Lust die Flügel schüttelt; fr. 18 nennt eine Hetäre eine Feige am Felsen, die viele Krähen erfreut,

fr. 105 vergleicht das zaghafte Mädchen einem scheuen Rebhuhn.

Das einzige Gedicht des Archilochos, in dem der Eindruck einer Naturerscheinung auf sein Gemüt sich ausspricht, ist fr. 76. Eine Sonnenfinsternis lässt den Dichter am Bestande aller Naturgesetze zweifeln:

Nichts bedünkt mich jetzt untnöglich, nichts verschwör'
ich fernerhin

Oder acht' es als ein Wunder, seit der olympische
Vater Zeus

Um die Mittagsstunde plötzlich Nacht ergoss und Helios'
Strahlend Licht in Dunkel hüllte.

Und es fass' euch kein Erstaunen, wenn ihr einst mit
Augen seht,

Wie das Wild im Forst zur Weide vom Delphin das
Meer ertauscht

Und der Woge dumpfes Brüllen besser seinem Sinn behagt,
Als das Festland mit dem Bergen, drauf es einst so froh
geschwärmt.

Geibel.

Bei dem gnomenhaft-ethisch-politischen Charakter der Elegie des Theognis werden wir kaum Naturschilderungen vermuten; nur spärlich sind die Beziehungen zur Natur. Beim wiederkehrenden Frühling mahnt der die Saatzeit kündende Vogel sein schwermütiges Herz an die üppigen Fluren, die er einst besass und die jetzt andere bestellen v. 1197; anmutig verquickt er v. 1275 Liebes- und Frühlingslust: »>Lenz und Liebe brechen an; wenn die Erde mit Frühlingsblumen sich schmückt, dann verlässt Eros das herrliche Cypern und wandelt zu den Menschen, den Samen über die Erde streuend«:

Ὡραῖος καὶ Ἔρως ἐπιτέλλεται, ἡνίκα περ γῆ
ἄνθεσιν εἰαρινοῖς θάλλει ἀεξομένη,

τῆμος Ἔρως προλιπών Κύπρον, περικαλλέα νῆσον,
εἰσιν ἐπ' ἀνθρώπους σπέρμα φέρων κατὰ γῆς.

Stolz prophezeit er v. 237 ff. dem Kyrnos die Unsterblichkeit in seinem Liede: »Flügel dir hab' ich gegeben, mit denen du über das weite Meer wirst fliegen

« ZurückWeiter »