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ein innerlicheres, reflektierteres, sentimentaleres Gefühlsleben bekundete, als je zuvor möglich war. - Dass dieser Entwicklungsgang des Naturgefühls auch für eine Landschaftsmalerei von höchster Bedeutung war, liegt auf der Hand. Mit Recht sagt Friederichs (die philostratischen Bilder S. 186): »Die Natur muss entseelt werden von Göttern, um durch die Empfindung des Künstlers neu beseelt zu werden; dies ist die Voraussetzung der Landschaftsmalerei«; aber er irrt, wenn er hinzufügt: »und diese Voraussetzung fehlte dem Altertum«. Wir sahen, wie die Beseelungen im Laufe der Jahrhunderte immer individueller, stimmungsvoller, malerischer wurden, und so hat sich auch eine Landschaftsmalerei entwickelt, die trotz der vielen technischen Mängel und trotzdem sie eigentlich nur handwerksmässige Wandmalerei blieb, die Keime unserer modernen Landschaftsmalerei in sich trägt, wie Woermann in seinem trefflichen Buche dargethan hat.

Es leuchtet daher ein, dass zwischen antikem und modernem Naturgefühl kein diametraler Gegensatz besteht, sondern nur graduelle Unterschiede. Um beiden gerecht zu werden, müssten wir auch die Entstehungsgeschichte des Naturgefühls bei den Römern und bei den modernen Völkern überblicken, was wir späteren Untersuchungen vorbehalten. Hier mögen wenige Bemerkungen genügen.

Unser modernes Naturgefühl ist erst sehr jungen Datums. Wie die griechische Mythologie zunächst die freie poetische Entfaltung des Naturgefühls hemmte, so auch bei den modernen Völkern mutatis mutandis das Christentum, das Abwendung von der Wirklichkeit, Weltflucht, Naturverachtung predigte; »alle Erdengegenwart ward zur Himmelszukunft verflüchtigt, und das Reich des Unendlichen blühte über der Brandstätte der Endlichkeit auf« (Jean Paul). Die deutsche Poesie des Mittelalters bietet wohl manche anmutige Naturschilderungen, aber selbst im Minneliede. sind sie meist nur zierliche Arabesken und leiden an Monotonie mit ihrer steten Frühlingsfreude und Winterklage; im Volksliede durchdringen sich Gefühl und Naturfreude Biese, die Entwicklung des Naturgefühls.

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weit inniger. Erst Petrarca in Italien, Rousseau in Frankreich, Göthe in Deutschland, Byron und Shelley in England zeigen die höchsten Stufen modernen Naturgefühls. Und zu dem Empfinden dieser grössten Geister aller Zeiten verhält sich das antike wie die geschlossene Knospe zur vollen, prangenden Frucht. Ansätze und Ahnungen, ja recht deutliche Spuren modernen Empfindens traten in der griechischen Poesie immer stärker hervor, obgleich sie nie zu einem solchen Extrem deskriptiver Naturmalerei und überschwenglichster Naturschwärmerei gelangte, in das moderne Dichter nur zu oft verfielen. Das Stimmungsvolle, Idyllisch-Träumerische ward immer intensiver im antiken Naturgefühl; dieses blieb daher nicht »stets, was es ursprünglich war, polytheistisch und plastisch« (Rohde S. 511). Wenngleich der Grieche stets eine besondere Vorliebe bewahrte für die einfache, ländliche, idyllische Natur, so gaben sich uns doch auch unverkennbare Spuren eines Gefühls für das Romantische kund in den Äusserungen einer andachtsvollen über das Irdische hinausgehobenen Stimmung beim Anblick des in ewigem Blau sich wölbenden Himmelsdomes und der nach ewigen Gesetzen wandelnden Gestirne oder in der Freude, den Blick über Berg und Thal, über Land und Meer ins Unermessene schweifen zu lassen, oder in Schilderungen eines einsamen, verborgenen Waldwinkels, eines lauschigen Bergseees oder »wilder Felsenthallandschaften, wie sie in antiken Waldgemälden sich finden (Woermann S. 406).

Aber ein so tief innerliches, pantheistisches Zusammenweben von Geist und Natur, findet sich im Altertum noch nicht wie bei modernen Dichtern, die ihr gesamtes, kompliziertes Gemütsleben in allen seinen Nüancen auf die Aussenwelt übertragen, sich ganz eins fühlen mit der Natur und so die höchste Stufe der Landschaftsdichtung erreicht haben mit der Schöpfung eines objektiven und doch bis in den innersten Kern stimmungsvollen Landschaftsbildes mit durchscheinendem Bezug zu der geistig sittlichen Welt, in welchem »das Objekt ganz in das Subjekt sich verliert, wie dieses ganz in die Natur aufgelöst wird«. Diese letzte

Konsequenz des sympathetischen Naturgefühls blieb dem Zeitalter Göthe's vorbehalten, der in seinen Naturliedern das Vollendetste geleistet hat.

In der gesteigerten Innerlichkeit des Seelenlebens beruht ja besonders das Wesen des Modernen. Das Naturgefühl eines Göthe, Heine und Byron ist in seiner Grundstimmung universeller und individueller zugleich, als es je im Altertum sein konnte. Je reicher eben die Ideeenwelt, je tiefer die Weltanschauung ist, desto bedeutungsvoller ist auch die Natursymbolik, desto inniger und herzlicher ist jene Liebe zur Natur, die in ihr stilles Leben und Weben hineinblickt wie in das Herz eines Freundes und mit Byron ausruft in glühendem Pantheismus: »Sind nicht die Berge, Wogen und die Himmel ein Teil von mir und meiner Seele sowie ich von ihnen? Ist nicht die Liebe zu ihnen tief in meinem Herzen mit frommer Leidenschaft?« Oder mit Geibel:

Was da webet im Ringe,

Was da blüht auf der Flur,
Sinnbild ewiger Dinge
Ist's dem Schauenden nur.
Jede sprossende Pflanze,

Die mit Düften sich füllt,
Trägt im Kelche das ganze
Weltgeheimnis verhüllt.

Schweigend blickt's aus der Klippe,

Spricht im Qucllengebraus ;
Doch mit heiliger Lippe

Deutet die Muse es aus.

Anmerkungen.

1) Schiller, über naive und sentimentalische Dichtung; die klassische Stelle lautet Bd. XII, S. 187 Cotta 1838: >>Wenn man sich der schönen Natur erinnert, welche die alten Griechen umgab, wenn man nachdenkt, wie vertraut dieses Volk unter seinem glücklichen Himmel mit der freien Natur leben konnte, wie sehr viel näher seine Vorstellungsart, seine Empfindungsweise, seine Sitten der einfältigen Natur lagen, und welch ein treuer Abdruck derselben seine Dichterwerke sind, so muss die Bemerkung befremden, dass man so wenige Spuren von dem sentimentalischen Interesse, mit welchem wir Neueren an Naturscenen und Naturcharakteren hangen können, bei denselben antrifft. Der Grieche ist zwar im höchsten Grade genau, treu, umständlich in Beschreibung derselben, aber doch gerade nicht mehr und mit keinem vorzüglicheren Herzensanteil, als er es auch in Beschreibung eines Anzuges, eines Schildes, einer Rüstung, eines Hausgerätes oder irgend eines mechanischen Produktes ist. . . Die Natur scheint mehr seinen Verstand und seine Wissbegierde als sein moralisches Gefühl zu interessieren; er hängt nicht mit Innigkeit, mit Empfindsamkeit, mit süsser Wehmut an derselben, wie wir Neueren. Seine ungeduldige Phantasie führt ihn über sie hinweg zum Drama des menschlichen Lebens. Nur das Lebendige und Freie, nur Charaktere, Handlungen, Schicksale und Sitten befriedigen ihn. . . . Da der Grieche die Natur in der Menschheit nicht verloren hatte, so konnte er ausserhalb dieser auch nicht von ihr überrascht werden und kein so dringendes Bedürfniss nach Gegenständen haben, in denen es sie wieder fand. Einig mit sich selbst und glücklich im Gefühl seiner Menschheit, musste er bei dieser als seinem Maximum stille stehen und alles andere derselben zu nähern bemüht sein.. Die Alten empfanden natürlich, wir das Natürliche.<<

2) Briefwechsel mit Wilh. v. Humboldt Cotta 1830, Brief vom 9. Nov. 1795; auch Humb. (Br. vom 6. Nov. S. 282) will »als Quellen und Muster des griechischen Geistes eigentlich und im strengsten Verstande nur den Homer, Sophokles, Aristophanes und Pindar anerkennen; alle anderen zeigen ihn minder einfach und rein.<<

3) Über n. u. s. Dichtung S. 191.

4) Abhdlg. über Matthisson's Gedichte S. 383.

5) Gervinus, d. Lit.-Gesch. I, 113; in der Aufl. 1871 lautet es gemildert: »das ganze Altertum kennt keine so innige Freude an der Natur, wie sie aus den Tierdichtungen der mittleren Zeiten spricht«<.

6) Becker, Charikles I, 219: »Es ist mir bei keinem Schriftsteller der besseren Zeit auch nur ein Versuch vorgekommen, ein landschaftliches Bild zu entwerfen ... man kann noch weiter gehen: höchst selten nur spricht sich bei den Griechen die tiefe und warme Empfindung der Reize, welche die unbelebte Natur bietet, aus, deren Mangel bei uns, wo findet, immer getadelt oder bemitleidet wird«<.

er sich

7) Otfr. Müller, Handbuch der Archäologie der Kunst p. 468 1: >> Der griechische Geist kennt nicht das sentimentale Verweilen bei der Natur im allgemeinen, die romantische Auffassung der Landschaft; er drängt ungeduldig zum Gipfel der körperlichen Bildung, zur menschlichen Gestalt«, p. 763: »Der ahndungsvolle Dämmerschein des Geistes, mit welchem die Landschaft uns anspricht, musste den Alten nach ihrer Geistesrichtung künstlerischer Ausbildung unfähig scheinen.<<

8) Jacobs, Vorr. p. VII Leben und Kunst der Alten I 1824: »Wer möchte wohl die Gemälde der Natur und ihrer Erscheinungen, welche Homer dem reichsten Gewebe seines Epos eingewirkt hat, den breiten Schilderungen nachsetzen, die ihren Fleiss der Schilderung der Natur ausschliessend gewidmet haben? Auch die Anthologie ist nicht arm an Gedichten, welche ihre Reize feiern und den Leser noch jetzt zu den Schatten säuselnder Platanen, an den Rand rauschender Bäche oder in kühle Gründe rufen«<.

9) Jean Paul, Vorschule der Ästhetik 2. Aufl. Berl. 1827 (s. W. Bd. 41-43) S. 100 ff.; S. 132: »Die plastische Sonne leuchtet einförmig wie das Wachen, der romantische Mond schimmert veränderlich wie das Träumen«; ferner S. 170: »Die Landschaften der Alten sind mehr plastisch, der Neuern mehr musikalisch oder, was am besten ist, beides«. S. 172 identificiert er »>musikalisch« mit »>durch Gemütsstimmung«, »plastisch« mit >> optisch<<.

10) Schnaase, Gesch. der bildenden Künste II, 128-140 (II2 p. 88 ff.): »Gewiss hatten die Griechen die feinste Empfänglichkeit, die innigste Wärme für die Schönheit der Natur, aber vielleicht nicht für alle Erscheinungen und namentlich nicht für die, welche dem malerischen Prinzipe entsprechen«<. Trefflich ist die Charakteristik des griechischen (speziell Homerischen) Naturgefühls im Vergleich mit dem hebräischen.

11) Carriere, Hellas und Rom S. 361 ff.

12) Schiller, über Matthisson's Gedichte S. 382.

13) Alex. v. Humboldt, Kosmos 2. Band, p. 7: »In dem hellenischen Altertum, in dem Blütenalter der Menschheit, finden wir allerdings den zartesten Ausdruck tiefer Naturempfindung den dichterischen Darstellungen menschlicher Leidenschaft, einer der Sagengeschichte entnommenen Handlung beigemischt; aber das eigentlich Naturbeschreibende zeigt sich dann

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