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heisst es denn bei Gervinus 5): »Das ganze Altertum kennt keine Freude an der Natur«; ähnlich bei Becker") und bei Otfried Mueller). Der gemütvolle Jacobs) widersprach zuerst. Bald aber machte sich eine vermittelnde Richtung geltend. Wie schon Jean Paul) die griechisch-plastische Poesie mit ihrer Objektivität, ihrer idealen Einfachheit, ihrer heiteren Ruhe und sittlichen Grazie von der romantischen, wesentlich musikalischen Poesie des >>zerfaserten Kulturmenschen« geschieden hatte, so wollte Schnaase10) dem plastischen Griechen innigste Empfänglichkeit für die Schönheit der Natur nicht absprechen, wohl aber das malerische Prinzip; »von einem unbedingten Hineinfühlen in die Natur, von einer uneigennützigen Empfindung«, sagt er, > ist bei ihnen keine Spur.« Carriere11) formuliert es kurz: >>Die Alten empfanden plastisch, die christliche Welt empfindet malerisch; sie schildern weder in der Poesie noch in der Malerei das Landschaftliche um seiner selbst willen und suchen nicht in der Natur nach Symbolen für das Unsagbare der leid- und freudvollen Seelenstimmung noch trachten sie, von dieser aus das Landschaftsbild zum Reflex derselben zu gestalten.« Die auch schon von Schiller in der Abhandlung über Matthisson 12) kurz angedeutete Ansicht, dass der Grieche eine Landschaftsdichtung als eine eigene Art von Poesie, in welcher man die unbeseelte Natur für sich selbst zur Heldin der Schilderung und den Menschen bloss zum Figuranten in derselben macht, mit seinen Begriffen von schöner Kunst für unvereinbar gefunden, führte Alex. v. Humboldt 13) in seinem berühmten und überall den weiten Blick des grossen Mannes verratenden Aufsatze über das Naturgefühl der verschiedenen Zeiten und Volksstämme weiter aus. Was nach seiner Ansicht dem Griechen fehlte, war das rege Bewusstsein, das Gefühl des Naturschönen durch Worte zu offenbaren; wie auch Burckhardt 14) bezüglich derselben Frage erinnert, dass ein verhülltes Gefühl lange vorhanden sein könne, ehe es sich in Dichtung und Malerei verraten und damit seiner selbst bewusst werde. >> Naturdichtung als abgesonderter Zweig der Literatur«, sagt Humboldt, war den

Griechen völlig fremd, die Landschaft erscheint bei ihnen nur als Hintergrund eines Gemäldes, vor dem menschliche Gestalten sich bewegen.«<

Nachdem so hervorragende Männer ihr Credo in dieser Frage abgegeben hatten, entstand im engeren Kreise der Philologen eine ganze Literatur von Einzel-Arbeiten 15); doch selbst die umfassende und von warmer Begeisterung für das interessante Problem durchglühte Schrift von Motz »über die Empfindung des Naturschönen bei den Alten«16) fand keine durchgreifende Anerkennung, da ihr jede historische Methode, jeder klare, leitende Gesichtspunkt fehlt und sich mit schwärmerischer Verherrlichung des naiven antiken Gefühlslebens eine heftige Polemik verbindet gegen die moderne Affektation, gegen den »enthousiasme obligé jener modernen Geistesherren, die so oft den Sisyphusstein wälzen, indem sie sich abmühen, das Unsagbare in Worte zu fassen, die dunklen Empfindungen in das Bewusstsein und in die Darstellung zu zerren.«

Erst allmählich brach sich dann in kleineren Aufsätzen 17), besonders aber in dem Rendsburger Programm von Hess 18) und in einer trefflichen Schrift von Woermann, 19) der von rein künstlerischem Standpunkte aus » den landschaftlichen Natursinn bei den Alten« als Vorstufe einer Landschaftsmalerei in lichtvoller Weise behandelte, die Überzeugung Bahn, dass die Frage nur durch genaue Untersuchung der einzelnen Schriftsteller, durch die Darlegung des genetischen Entwicklungsganges, welchen das Naturgefühl in den einzelnen Kulturepochen genommen habe, ihrer Lösung entgegengeführt werden könne. Zu den bereits kurz gekennzeichneten Auffassungen des Problems fügte besonders Friedländer20) noch die hinzu, dass die Alten eigentlich nur Sinn für das Liebliche, Anmutige (amoenitas loci) gehabt hätten, und der Reiz des Romantischen einer wilden Landschaft z. B. des Gebirges ihnen. sowohl wie dem Mittelalter fremd geblieben sei; vornehmlich wohl auf diesen Sätzen fussend sprach dann unter anderen Hehn21) wieder überhaupt den Griechen und Römern die Grundbedingung lyrischer Begabung, die Fähig

keit seelenvoller Naturbetrachtung ab und fand den Grund dafür in der südlichen Landschaft selbst, welche zu sentimentaler Auffassung keinen Anlass gäbe. »Da täuscht den Kranken nichts durch Mitempfindung, da klingt kein Echo unbeschreiblicher Seelenstimmung wider und der ganze gesunde Mensch blickt auf die umgebende Natur nur, insofern sie ihm nützlich oder schädlich, gegen ihn karg oder freigebig ist; die ihm am meisten Frucht liefert und ihn. am wenigsten stört und beunruhigt, ist ihm die schönste. »Ähnlich z. B. Brandes 22) und Du Bois-Reymond23). Diesem erscheint Jean Jacques Rousseau als der erste moderne Mensch, als der incarnierte Genius einer ganz neuen Zeit; Naturgefühl, Natürlichkeit, Empfindsamkeit bilden die Trikolore der von Rousseau neu gestalteten Literatur.

Fragen wir also nun selbst, nachdem wir den Entwicklungsgang der Frage skizziert haben, ob nicht schon im Altertum eine Bewegung zum Modernen hin sich nachweisen lasse, ob nicht auch dort schon allmählich immer deutlichere Ansätze und Spuren eines stimmungsvollen, empfindsamen, romantischen Naturgefühls sich auffinden lassen.

Erstes Kapitel.

Das naive Naturgefühl in Mythologie und bei Homer.

Das Naturgefühl, das Empfinden und Geniessen des Naturschönen, ist, wie alle Erkenntnis des Schönen, das Resultat komplizierter Kulturprozesse. Wird auch niemand leugnen wollen, dass der verschiedene Charakter der Landschaft dem Sinne für Naturschönheit bei den einzelnen Völkern ein verschiedenes Gepräge geben wird, so darf man doch nicht a priori von der Schönheit des Landes auf ein tiefes Naturgefühl der Bewohner schliessen. Emphatisch hat man wohl ausgerufen: Ein Volk, welches, wie die Hellenen, hineingesetzt war in ein Land, über dem ein ewig heiterer Himmel sich spannt, das so mannigfache Abwechslung darbietet mit seinen herrlichen Gestaden der blauen See, welche die malerischsten Inseln wie Kleinode umfasst, mit seinen weiten, flussdurchzogenen Ebenen und mit den starren Felsgruppen zerklüfteter Gebirge ein Volk sollte in dieser wunderbar gleichmässig zur Arbeit wie zum Genusse einladenden Landschaft unempfänglich gewesen sein für die Reize der Natur? Aber das Schöne, mag es nun in Kunst oder Natur dem Menschen entgegentreten, wirkt nur dann auf seine Sinne und sein Gemüt ein, wenn seine Geistesund Herzensbildung einen gewissen Höhepunkt erreicht hat. Im rohen Naturzustande nimmt der Mensch nur die Schädlichkeit oder Nützlichkeit der Naturerscheinungen wahr. Wohl kann ferner das Naturgefühl bei einfachen Kultur

zuständen innig und zart erscheinen und den wunderbaren Zauber unbewusster Naivität haben, aber erst die volle Entwicklung zum wahren Menschentum, das sich auf dem Fundamente hoher Bildung aufbaut, macht empfänglich für die weiter bildende Kraft der Natur. »Sie hat nur nachhaltigen Reiz für das Auge, das an einem grossen Zusammenhange, sei es wissenschaftlicher oder geselliger Interessen, geübt ist, oder für ein Gemüt, das nach solchen Übungen allerdings in den Erscheinungen unzählige Gleichnisse seiner Lebenserfahrungen, anschauliche Lösungen seiner Zweifel, Widerlegungen seiner Vorurteile, Bestätigung seiner Hoffnungen und Anregungen zu neuen Fragen findet 24). Nur wer eine reiche Gedankenwelt zu der Welt der Naturerscheinungen in Beziehung zu setzen vermag, erkennt die wunderbaren Analogieen des menschlichen Geistes mit dem Leben und Weben in der Natur und findet in ihrer Betrachtung Ruhe und Frieden, wenn sein Gemüt durch äussere und innere Erfahrungen in Schwingungen gerät. Erst auf einer hohen Kulturstufe sucht der Mensch die Natur um ihrer selbst willen und schwelgt bewusst im Genusse ihrer mächtigen Eindrücke, die ihm ein Echo aller seiner Stimmungen und Empfindungen darzubieten scheinen. Es ist somit klar, dass in den verschiedenen Kulturphasen auch das Naturgefühl ein verschiedenes Gepräge tragen und bei jedem Volke seine Entstehungs- und Entwicklungsgeschichte haben wird. Wer den Spuren dieser nachgehen will, der wird in das innerste Weben der Menschenbrust hinabgeführt, und wie der Bergmann den feinen Goldadern nachspürt, die sich durch die verschiedenen Schichten hinziehen, so muss er die sich verflechtenden und verzweigenden Empfindungen durch die einzelnen Epochen hin verfolgen denn im Leben des Geistes beruht alles auf Assimilation, in der sich wie in einem Krystallisationsprozess eins an das andere organisch anfügt. Die Gefühle, Stimmungen und Neigungen bedingen sich gegenseitig, stehen in engster Wechselbeziehung zu einander; und in der Wandlung des einen Gefühls wird sich, wie die Sonne im Tautropfen, die ganze geistige Entwicklung eines Volkes widerspiegeln.

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