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wenn das Heldengedicht alt und ursprünglich wäre eine eigentliche Darstellung der Schlacht, wie sie Johannes Müller geliefert hat, nur mit Zuhilfenahme aller möglichen Combinationen gegeben wer den könnte. Und diese vagen Combinationen sollen dann wieder umgekehrt einen Beweis dafür abgeben, daß den abgesessenen Rittern gegenüber nothwendig der Opfertod Winkelrieds habe eintreten müssen?! Wir können unsererseits nur bedauern, daß wir unsere quälenden Zweifel nicht auf so leichte Weise zu beruhigen im Stande sind, Bedenklich für unsere Ansicht von der späten Entstehung des Sempacher Heldengedichts wäre allerdings eins, wenn es nämlich wahr wäre, daß die Winkelriede späterer Zeit ein herabgekommenes Geschlecht gewesen seien. Wir glaubten nicht einem solchen Irrthum entgegentreten zu müssen. Obwohl uns die Abhandlung des Herrn Liebenau auch bekannt war, haben wir doch nicht für mög lich gehalten, daß seine Bemerkung, daß die Winkelriede als Landleute in Unterwalden genannt werden, zu einem solchen Missverständniss Veranlassung geben, und daß jemand in Folge dessen schreiben wird, wie folgt: „Wie wollte ein Luzerner des ausgehenden 15. oder auch im 16. Jahrhundert dazu kommen eine Unterwaldner Bauernfamilie (denn das war sie jetzt) zu verherrlichen."

Es wäre doch vorsichtig gewesen, wenn Herr Rauchenstein sich die spätern Schicksale der Winkelriede vergegenwärtigt hätte, bevor er sich entschloß, diese sehr bedenkliche und verführerische Stelle aus einem Briefe des Herrn G. von Wyß mitzutheilen. Die Schweizer Geschichte hatte ja das Geschlecht der Winkelriede auch in den spätern Zeiten keineswegs vergessen und besser bezeugt als die That des Sempacher Helden ist die seines späten Enkels, der als der tapfere und gepriesene Held von Bicocca in Chronik und Lied des 16. Jahrhunderts eine so hervorragende Rolle spielt *). War er es ja doch, der den alten Frundsberg persönlich zum Zweikampf herausforderte: „Ha treff ich dich hier, alter Gesell," rief Arnold von Winkelried aus, mit dem er wohl einst unter Maximilian zusammen gedient, so mußt du von meiner Hand sterben." Wills Gott, sagte Frundsberg, du von der meinen." Aber der Hauptmann der Schweizer überlebte den Ausgang der Schlacht nicht, er fiel von einer Kugel getroffen. Das ist ein Factum, welches bekannt genug sein dürfte **). Aber ein eigenthümlicher Zufall wird es denn

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*) Anshelm 6, 152. Rochholz eidgenöss. Liederchronik S. 366 ff. **) Und darum citierte ich hier absichtlich die Worte Rankes.

doch immer bleiben, daß auch dieser letzte Winkelried, der eine hervorragende Stelle an der Spitze des Schweizerheeres einnahm, ebenfalls wieder ein Arnold von Winkelried gewesen ist.

Doch wollen wir uns in keiner Weise auf das Gebiet der Hypothesen begeben; als unsere Aufgabe haben wir uns lediglich das gesetzt, eine Kritik der Quelle zu liefern, welche zuerst von Winkelrieds That bei Sempach Meldung macht. Es hat sich gezeigt, daß das große Heldengedicht, das wir als einen Theil des sogenannten Halbsuterschen Liedes erkannt und herausgehoben haben, Spuren später Entstehung nicht abzuläugnen gestattet. Und die allein sehen wir als ein historisches Resultat an. Ob nun die That Winkelrieds sich doch ereignet habe, oder nicht, ist für uns eigentlich eine Nebenfrage. So viel ist gewiss, daß sie nicht historisch sicher gestellt ist, und daß hiefür ein genügender Zeugenbeweis nicht beigebracht werden konnte bis auf diese Stunde. Vielleicht werden Schweizer Forschungen zu bessern Belegen führen, und es wird niemand bereiter sein, die Thatsache anzuerkennen, als ich, wenn ein Beweis für dieselbe entdeckt sein wird. Meine archivalischen Forschungen über die Schlacht bei Sempach haben mich nicht weiter gefördert, als zu der Entdeckung jener schon früher erwähnten Urkunde des Sempacher Pfarrers, in welcher das Rosen-Wunder bezeugt und bestätigt wird, das sich auf dem Schlachtfelde über dem Leichnam Leopolds zugetragen habe. Ist es da ein Wunder, daß wir ungläubig geworden gegen die poesiereichen Traditionen von Sempach?

Die vorstehende Abhandlung veranlasst mich, eine noch unbekannte Darstellung der Sempacher Schlacht, leicht die älteste von allen, hier anzufügen. Sie steht in einer Chronik von Constanz (auf der k. k. Hofbibliothek Nr. 2807 Pap. fol.), die von einem Bürger dieser Stadt wohl noch im 14. Jhd. verfasst ist. Den Anfang und Schluß der Chronik bilden Erzählungen über die Entstehung und die Schicksale von Constanz. Zwischen hinein fallen Nachrichten über schweizerische Geschichten von 1350 an: über Zürich, die Einfälle der Engländer, die Schlachten von Sempach und Nävels u. s. w., den Schluß dieser Episoden macht eine sehr lebendige Beschreibung von der Belagerung Rapperschwils im J. 1388. Die Hs. ist nicht Original, sondern zu Anfang des 15. Jhd. ziemlich nachlässig abgeschrieben. Von Winkelrieds That ist, wie man bemerken wird, auch hier keine Rede.

(15) „In dem jâr dô man zalt von der gebürt Christi driuzechen hundert und sechs und achzig und an dem niunden tag hoewet an der zwelften stund des tages dô huob sich der strît an Sentbach zwischend herzog Liud

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OTTOKAR LORENZ, DIE SEMPACHER SCHLACHTLIEDER.

polt und vil edler liut, die er bî im hât, und ôch von stetten und ôch liut ab dem land, und den von Lucern und Underwalden und den von Uri1) und den von Schwîtz, wan der herzog maint und clagt sich, wie im die Walenstader (Waldstätte) hettend understanden wol zwölf schlôs und die zuo ieren handen gezogen, das aber si verantwortend gar êrberklich mit der adgenossen hilf. Und nach vil worten und briefen und altem härkomen kômend si zuo disem 2) strît und huobent sich an zuo fächtend und verlurend die von Lucern und die aidgnossen wol ûff driuhundert man, wan der herzog was dâ mit gar vil volks und gar wol beziugt in dem veld. Und in dem was ainer von Henenberg fliechen mit sînem paner und wol mit funf hundert mannen3), die under in gehôrtend, und flôch mit ainem griussenlichen erschrocknen geschrai und alsô kam ain geschraig in des herzogen volk und îltend zuo den rossen welhe mochtend und wôndend dem volk zuo hilf (ze) komen 4). Do wordend die ungerschen ungezœmpten ross unsinnig 5) und kondend nichts mit in geschaffen, denn das si das volk grossklichen und sêre wôstend und niderstiessend und ertrautend mit den rossen und wordend unbesint und (15b) verlurend ier crieg 6) und west niemen, war nâch er sich halten sott. In dem schluogend und stauchend und schussend die aidgenossen in guoter ordnung und mit starken kreften in si und laitend ier gar vil ûff die waltstatt und sunder der edlen, die denn dâ bestanden und gern beliben wærend und nit wîchen woltend und daz volk gern in dem veld hettend behept. Und die wordend erschlagen und blibend in dem veld, wie wol ier vil mê was 7) (und vast mê denn das 8) halb tail mêr) denn der aidge nossen: der hôchgeborn und edel fürst herzog Liutpolt und grâf Ott von Hapkspurg) und grâf Waldraff 10) von Dierstain und grâf Hans von Terstain (so), sîn bruoder, und grâf Hans von Fürstenberg, her Gelwessen 11) von Gerolzeg, Hans von Hassenburg und Wernher von Berenvels und Herma(n) Maltrer, her Wernher von Röttenberg 12) und sîn bruoder Conrat, ôch ain ritter, und vil ritter und knecht, der namen man nit wais 13), und ôch êrbrer lint vil von den stetten des herzogen und andren rîchstetten, die ôch ier volk dâ hin gelichen hattend, und andren herren 14) gaischlichen und wältlichen und ôch gar vil ûszliut ab dem land, der nun och gar vil erschlagen sind ûff der waldstatt und ôch an andren stetten, als die aidgenossen nâch îltend und funden wordend, der nun namhaftig sind bî sechs hundert und sechs und sechzig, und denn sunst fierzechen hundert und siben und drîssig, der namen all ruobend 15) in dem êwigen leben.

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ZU WALTHERS LIEDERN.

VON

KARL BARTSCH.

Daß Walthers Lieder noch vielfach der Nachbesserung bedüren, hat durch seine Bemerkungen in dieser Zeitschrift 5, 21-43 Pfeiffer dargethan. Ich stelle im folgenden zusammen was sich mir durch wiederholte Beschäftigung mit dem Dichter ergeben hat.

Dem Leiche (3, 1-8, 3) hat Pfeiffer, was den Text betrifft, durch Hinzuziehung der von Lachmann verkannten Handschriften kl manchfache Besserung zu Theil werden lassen. Dagegen hat er den Bau des Leiches nur gelegentlich berührt; daher ich mit diesem zuerst beginnen will. Es ist dazu aber nothwendig, daß ich der Anschaulichkeit wegen den Text in der von mir gemachten metrischen Eintheilung vorausschicke. Ich habe ihm diejenigen Verbesserungen einverleibt, die mir nothwendig schienen.

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2 Dâ von dîn name sî gêret und ouch dîn lop gemeret. dâ von wirt er gunêret,

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der uns dâ sünde lêret

Und der uns ûf unkiusche jaget: sîn kraft an dîner kraft verzaget. des sî dir iemer lop gesaget und ouch der reinen süezen maget, von der uns ist der sun betaget, der ir ze kinde wol behaget. Magt unde muoter, schouwe dû blüende gerte Arônes, Ezechîêles porte, diu nie wart ûf getân,

dur die der künec hêrlîche also diu sunne schînet alsô gebar diu reine Krist, 5 Ein bosch der bran,

breit unde ganz

der kristenheite nôt, ûf gender morgenrôt,

wart ûz und in gelân. durch ganz geworhtez glas,

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diu magt und muoter was. dâ nie niht an besenget noch

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