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WILHELM DOLFEL

DIE REDE VON DEN XV GRADEN.

MITGETHEILT VON

WILHELM DOLFEL.

Bekanntlich bildete die Mystik den stärksten Gegensatz zur Scholastik im engern Sinne; sie folgte aber doch dem allgemeinen scholastischen Charakter des Mittelalters, indem sie das Allerfreieste was es geben kann, die religiöse Anschauung, die Ekstase des Gemüthes, in einem zwar verschiedenartig, doch immer streng geregelten Stufengange darstellte. Den Schriften der deutschen Mystiker, die diesen Stufengang zu ihrem Inhalte haben, schließt sich eine bisher noch unbekannte wohl aus der Mitte des 14. Jhd. an, die in der Bibliothek der P. P. Prämonstratenser auf dem Strahow in Prag handschriftlich (Sig. III. 183) aufbewahrt wird. Der gegenwärtige Bibliothekar daselbst, P. Erwin Weyrauch, benachrichtigte von seinem Funde Herrn Prof. Höfler, der es mir überließ, denselben, so weit dieß erforderlich sei, zu veröffentlichen. Die Pergamenthandschrift, eine ebenfalls noch aus dem 14. Jhd. stammende Abschrift, besteht aus 103 Blättern in Duodez; die Schrift ist von einer Hand und ziemlich sorgfältig, so daß sich nur wenige Correcturen finden, unter denen einige von späterer Hand, von wel cher auch die Bemerkung auf der ersten S. der Hs. herrührt: „Diz buch ist der sustern zu Kampe in der klusen intgegen Boparden über gelegen in Tryrer bistum." Wir werden hierdurch, wie durch die Sprache, an den Niederrhein verwiesen, und zwar war zu Campe, das zwei Meilen oberhalb Coblenz gelegen ist, ein Kloster der Tertiarierinnen, die sich sehr wohl an einer Schrift erbauen konnten, welche in leicht verständlicher Weise, unter stäten Anklängen an das hohe Lied, die Hauptlehren der Mystik wiedergiebt.

Gehobenere Stellen sind in Reimprosa, die mitunter (S. 92b sq.) zum ermüdendsten Reimgeklapper ausartet, abgefasst; der Eingang und das Schlußgebet nähern sich mehr der Regelmäßigkeit vier mal gehobener Verse. Die Hinweisung auf die „Lilie" (42b... wan dat haven wir in der lilien vollîchere gesprochen) hat wohl kaum die Bedeutung, daß dieses von Hoffmann v. Fallersleben Germ. 3, 56. erwähnte Werk denselben Verfasser habe wie unsere „rede" (92, 100); gewiss konnte der Verfasser der letzteren, höchst

wahrscheinlich ein Klostergeistlicher (s. 75b und die Verwahrungen im Schlußgebet), wohl voraussetzen, daß seine Leser die Lilie recht gut kannten. *)

Ebenso wenig wird die Erwähnung der „begînen“ (83b

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Dat sprechen ich durch etzelîche. . . . die gesteren wâren under den denzerinnen inde hûde sint under den begînen) für die Bestimmung der Zeit der Abfassung einen Anhaltspunkt gewähren können; denn wenngleich diese Secte hier noch nicht als ketzerisch zu gelten scheint, so wussten sich ja gerade in diesen Gegenden ihre Anhänger noch gegen den Schluß des 14. Jhd. hin den Ruf und Anschein der Rechtgläubigkeit zu bewahren (Hahn, Gesch. der Ketzer im Mittelalter 2, 519-520).

Die Schrift ihrem ganzen Umfange nach zu veröffentlichen, wäre durch die Bedeutung ihres Inhaltes kaum gerechtfertigt; ich habe nur das Bemerkenswerthere ausgehoben, sonst aber bloß den Ideengang so klar als möglich, ohne die bildliche Ausdrucksweise des Verfassers in die begriffsmäßige umzusetzen, wiederzugeben gesucht.

Auf einiges in speculativer Beziehung Bedeutende habe ich theils im Texte, theils in den Schlußbemerkungen hingewiesen.

„Jhêsu, sûze al âne maze, lûther honich al âne râze,1 minne Jhêsu, der minnen strâze, setze mich alsô in de sáze, dat ich dich nimer engelâze, biz ich venden die mêzige unmaze, inde die ungemezene mâze! Ich minnen die minne, die dû bîs, lêre mich dich sô bin ich wîs; want dû hâs der wîsheide prîs, dû dâ alle herze sîs. Lêre mich gûte wie gût dû sîs, dat ich dich kente in alle wês. Gif dich mir dat dû sîs mîn, benim mich mir dat ich sî din. Setze mich in dich, ei sunnenschin, breide dich in mich, verdrenkende win! Ich mûze dîn al eines sin, sûze minne, starc inde fin. In dat dife der wîsheide, an die hô hoffenes sîs mîn geleide. Leide mich in der minnen breide, inde in dat lange der stêdicheide, dat ich dînen lof alsô breide, dat mir dîne (1) genâde sî bereide; dat ich van der rechter wârheide bit engeineme valsche niet engescheide. Ich gân durch dich in dise arbeit; dîne stûre sîn mir gereit, bize ich dare werden geleit, dâ di brutluch vollegeit, di der

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*) Dann hätte er wohl: dat haven wir gelesen" oder einen ähnlichen Ausdruck gebraucht. So aber scheint kein Zweifel, daß der Verfasser der Rede von den XV Graden auch der der geistlichen Lilien“ ist.

GERMANIA VI.

Pfeiffer.

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geist bit dem geiste begeit: dâ des slâfes sûzicheit die brût wêrlîche wachen deits in des brûdegumen heimelicheit, in der drunkener nûchtercheit, in der nûchterer drunkenheit. Ich besweren bit der selven minnen alle, die noch vleischlich an iren sinnen, die noch strît havent dâ enbinnen, dâ dir geist dat vleisch noch nicht enmac verwinnen, die noch nicht kleinlich enkunnen minnen, dat sie sich noch entzîn van hinnen; bizze sie der hôger minnen in deme geiste baz werdent innen, so willen ich dat si here rinnen." (Hs. „reinen).“ Wie schon aus dieser Einleitung, die so ziemlich die Hauptlehren der mittelalterlichen Mystik enthält, hervorgeht, scheidet sich aus der Gesammtheit der Christenheit eine Anzahl solcher, die das Ziel aller Creatur, die Vereinigung mit Gott, so weit dies auf Erden möglich ist, schon erreicht hat, somit eine Anzahl auserwählter, besonders gottgefälliger Menschen. Es gibt aber noch andere Erwählte, die aber nicht wie jene die Welt für nichts achten, und bloß wie Maria zu Jesu Füßen sitzen, sondern die in der Welt wirken und arbeiten und so viel als ihnen möglich gute Werke verrichten. Auch in diesen ist Gott, aber nicht in gleicher Weise wie in den besonders Erwählten, wie er denn überhaupt in den Menschen sehr verschieden gegenwärtig ist. Bald als bloßer Gast, da der Same des Gotteswortes bisweilen bloß auf Steine fällt; bald als Pilgrim, wenn die Seele im Glauben und der Liebe noch nicht vollkommen ist; bisweilen als Kaufmann, der wechselnd kommend und gehend der Seele Tugenden und Sehnsucht nach ihm vermehrt, oder wie ein Hausvater, der verschiedene Tugenden für sein Haus, die Seele, gewinnt, besonders aber jene, die contemplacio benannt ist, vermöge welcher die Seele alle ihre Sinne, die sie in die Ferne leiten, in sich zieht, und dann den seligen Sprung thut, der sie in das Innerste der Gottheit trägt; und diese Tugend mag ein starunge" heißen. (4.5)... „alsus dûnt, die contemplieren willent; zû allen porten (Hs. „porzen") zient si ire sinne in sich, die ûzwert gespreidet waren, inde springent dan den sêligen sprune in den bûngart ove in den wîn-(5) kelre ove in die wurzekamere ove entrûwen in die bettekamere des sûzen brûdegumen. Na diseme gelîchenisse die duget, die die contemplacio heizet, mach ich, mich dunket, heizen ein starunge; wande dat heizen wir staren, als ieman bit allen sinnen ein dinc aleine ane sit."

alse

Bisweilen ist Gott als Arzt in der Seele, indem er mit kräfti gen Salben unsere Schwäche in seine Stärke, unsern Tod in sein

Leben, unsere Menschheit in seine Gottheit verwandelt, so daß wir nichts sind als Gott, aber von Gnade und nicht von Natur. Auch als Kämpe ist er in der Seele, solange sie noch Versuchungen erleidet; als Lehrer, der ihr den Abgrund seiner verborgenen Weisheit, als König, wenn er ihr seine Gewalt, Herrschaft und Glorie offenbart; als Hirt, wenn sie bedenkt, wie er in die Welt kam, das verlorne Schaf zu suchen; als Bruder, da er die starunge nur als Mensch, also als unser Bruder, selbst fühlen kann. Die starunge aber ist dreifach; die eine hat man so lange man noch in diesem Leibe ist; sie ist selten und düster und kurz, dem Essen vergleichbar, mit Zeitaufwand und Arbeit verbunden; dieß fällt bei der zweiten, die dem Trinken ähnlich ist, weg, denn der Leichnam, von dem diese seligen Seelen ja schon geschieden sind, trägt nicht mehr die Sinne auswärts, aber noch vergisst die Seele ihrer selbst nicht ganz, denn sie begehrt noch ihres früheren Gesellen, des Leibes, der ja noch geziert und verklärt und mit ihr verbunden werden soll. Ist dieß endlich geschehen, dann kann sie unbeirrt den dritten Grad erreichen, alse (24) de mensche niettes mê enbegeret, noch engedenket, dan des sûzen liven aleine, inde den alsô vollîche hait, dat si sîn niet mê haven enwille noch enmach." (So viel ich weiß, ist diese Weise der Unterscheidung unserem Verfasser eigenthümlich, und sonst kaum irgendwo von diesem zweiten Grade der starunge die Rede.)

Endlich ist Gott in der Seele als Bräutigam, der Gottes Sohn ist, dem alles lobsinget, was er geschaffen hat, und der doch nie. genug gelobt wird; doch sprach sein Lob in ausgezeichneter Weise der heil. Augustinus. Und nun folgt dieses, die confessiones des berühmten Kirchenvaters eröffnende, in philosophischer Beziehung sehr merkwürdige Lob, das die Eigenschaften Gottes zwar setzt, sie aber zugleich auch wieder negiert, und somit die Idee des Schöpfers, in fernem Nachklang neoplatonischer Lehre, als die des Undefinierbaren, Unsagbaren darstellt, als der er auch von den bedeutendsten Mystikern mit größtem Nachdruck bezeichnet wird.

Die Stelle lautet:

(286).. „Here, dû bis grôz unde sêre lovesam, inde dîner wisheide enis engeine zale. Dû weckes uns, dat uns luste dich loven, want dû hâs uns zu dir gemachet inde unse herze is unrûlich bizze it reste in dir. Dar umbe sage mir wat dû sîs mîn got. Wat bis dû wan mîn here got? want we is here âne dich here

ove we is got âne dich, got. Ovirste, beste, geweldiste, allergeweldiste, barmherziste inde gerehtiste, hêmelîchiste inde offenbâriste stêde inde unbegrîflich, unwandelbêre inde dû wandeles alle dinch, inde die stolzen leides dû in dat aldir, inde si enwizzen es niet. Inde dû dês alle zît eteswat, inde restes alle zît. Dû gewinnes manich dinc, inde enbis niet durftich. Dû dreges inde irvolles inde bedeckes alle dinch, dû skeppes inde vollebrengis alle dinch, dû sûkes sô dir doch niet engebreke (29a), dû minnes ende enberes niet. Dû geres inde bis sichir, dich berûit inde enbis niet rûich, dû zurnis dich inde bis senfmûdich; dû wandeles die werc inde enwandelis niet dîn rait. Dû enbis nimerarm inde vrowes dich van der winnungen; dû enbis niet gir inde êsches doch wûchir. We hât iet, dat dîn niet enis? Dû gildes scholt inde bis doch niet scholdich; dû virlezes die scholt inde envirlûses niet. Inde wat haven ich gesprochen, mîn got, mîn leven, mîne hêlige sûzicheit, inde wat is dat ieman van dir sprichet, alse he van dir sprichet? Wê den die geswîgent, want sô wat si klafen, si sint doch ie stummen. We sal mir geven, dat ich in dir reste? We bistû mir? Ei mir, sage mir durch dîne grôze barmherzicheit, here got mînir, wat dû mir sîs! Sprich mînir sêlen: ich bin dîn heil! Sprich alsô, dat ich dich hôre! Mînes herzen (29) ôren si sint vor dir here, dûe si ûp, inde sprich mînir sêlen: Ich bin dîn heil. Ich sal nâ desir stimmen loufen inde sal dich begrîfen; here, enbirch dîn antlitze vor mir niet. Ich sal sterven, dat ich niet ensterve, dat ich dîn antlitze sie; inde ich sal dich loven inde singen dîme namen, Ô allir ovirste! want dû bis allerweldich inde gût (Hs. „guit“), ô allir sûverlîchiste, dû de scheppes inde vûges alle dine." Warum aber heißt Christus Bräutigam und die Seele Braut? Er liebt die Seele wie ein Bräutigam die Braut, sie aber bringt ihm geistliche Kinder; doch heißt sie auch seine Schwester wegen der Reinigkeit der Liebe. Sie verwundet den Bräutigam mit dem éinen ihrer Augen, denn sie hat ein rechtes, mit dem sie geistige Dinge merkt, die starunge, und ein linkes, das durch die fünf Sinne die äußer lichen wahrnimmt. Doch nicht alle Bräute sind gleich an Liebe und Gnade; einige thun alle Dinge nur der Liebe des Königs willen; andere wollen dabei doch auch einigen vergänglichen Genuß; andere sind erst am Beginne der Liebe. Doch eine nur ist die vollkommene Taube, die Braut, der keine Tugend gebricht, und die jede zur rechten Zeit und im rechten Maß gebrauchen kann. Und

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