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DIE HEIMCHEN.

Schon vor vielen Jahren (in meinem Literaturblatt 1845 Nr. 19 und 1849 Nr. 11) habe ich unter den nächtlichen Geisterzügen, die unsere Volkssage kennt, den Einzug der Ungeborenen und den Auszug der Todten unterschieden. In der Germania 2, 234 und meiner deutschen Dichtung 1, 145 habe ich sodann insbesondere die Heimchen, mit denen die gute Mutter Perchta am 6. Januar umherzieht, durch Keime, Embryonen erklärt und ihren Umzug dem der wilden Jagd oder der des Todtenheeres gegenüber gestellt. In Mannhardts Götterwelt der deutschen und nordischen Völker, Berlin 1860 Seite 289, finde ich meine Erklärung der Heimchen zum erstenmal adoptiert, doch ist der Gegenstand auch hier, wie von mir selbst in den im Eingang citierten Stellen nur kurz behandelt. Ich erlaube mir daher, ihn hier noch weiter zu erörtern.

Grimm D. M. 415 bezieht die Heimchen auf den Tod (Freund Hein), will sie Heinchen geschrieben wissen und bezeichnet sie ausdrücklich als „abgeschiedene Geister." Es handelt sich hier im Gegentheil um Ungeborene, die erst in die Welt kommen. Indessen scheint der Grundbegriff des Heimchens der einer vom Körper getrennten Seele zu sein, gleichviel ob vor oder nach ihrer Vereinigung mit dem Körper, und insofern konnte man sich auch die, im Herbst unter den Stoppeln zirpenden Grillen, welche das Volk Heimchen nennt, als die zurückgebliebenen und klagenden Seelen der abgeschnittenen Ernte denken. Jedenfalls sind unter Heimchen nicht bloß die Seelen von Menschen, sondern auch die von Thieren und Pflanzen, kurz alles organischen Lebens zu denken.

GERMANIA VI.

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Von dieser Art sind die sogenannten Heinichen, welche sich am Allerheiligentag (1. November) Abends auf dem Oybin versammeln und in feierlicher Procession in ihre unterirdischen Behälter zurückziehen, Gräve, Sagen aus der Lausitz S. 108. Sie bezeichnen das im Herbst absterbende Leben und bedeuten die Seelen der Pflanzen, die in ihre Heimat zurückkehren, wenn der Leib, die Ernte, von den Menschen in die Scheuern gebracht wird. Auch die vom Feld in die Häuser kommenden Grillen nennt man Heimchen als Hausgeister (Chim, Chimgen nach Prätorius Anthropodemus 314 oder Chimmeke, Temme, Volkssagen aus Pommern N. 241). Allein wenn diese Heimchen Genien der erstorbenen Vegetation sind, so hindert das nicht, daß andere als Seelen der noch im Keim verschlossenen Vegetation müssen angesehen werden.

Das sind ohne Zweifel die zahllosen Heimchen, welche nach Börners Sagen aus dem Orlagau S. 113, 126, 133, 153, 159, 167, 173, 182, in der Perchtennacht (6. Januar) der Mutter Perchta folgen, die mit einem goldenen Pfluge oder auch in einem Wagen durch die Länder zieht. Der Perchtentag ist auch in Baiern und Tirol sehr heilig. Schmeller b. W. B. 1, 195. Weber, Tirol 2, 174. In Schwaben heißt er heute noch der „oberste Tag." Mit dem 6. Januar enden die zwölf Rauhnächte oder längsten Nächte des Jahres in der Wintermitte, mit denen das alte Jahr schliesst und das neue beginnt.

In diesen heiligen Nächten sieht man alles Künftige wie alles Vergangene (vergl. Germania 2, 231), Perchta aber als die gute Naturmutter führt alle Kinder, die sie im nächsten Jahr haben soll, oder die Keime aller Pflanzen, Thiere und Menschen, die erst geboren werden sollen, in das neue Jahr ein. Dasselbe Heimchenvolk ist ohne Zweifel gemeint, wenn es im Namenbuch des Konrad von Dankrozheim heißt:

Dar nach so komt die milte Behte,

Die noch hat gar ein groß geslehte.

In v. Alpenburgs Mythen aus Tirol S. 64 folgen der Perchtel eine Menge Kinder in weissen Hemden. Einem Kinde, dessen Hemd zu lang war, so daß es darüber fiel und nicht mit fort konnte, sagte ein Bauernknecht scherzend: „Huderwachel hintennach!" band ihm aber mitleidig das Hemdchen los. Das Kind dankte und verschwand, die Perchta aber sagte zu dem Knecht, er habe das Kind erlöst, indem er ihm einen Namen gegeben habe, und verleihe ihm

dafür Glück und Segen. Dem liegt wohl die Vorstellung zu Grunde, daß das Kind eine aus dem Himmel verbannte Seele, ein gefallener Engel und zum irdischen Leben wie zu einer Strafe verbannt war, sofern es aber schon vor der Taufe einen Namen erhielt, erlöst war und in den Himmel zurückkehren konnte. Daselbst S. 65 kommt vor, daß die Perchtel in der kurzen Zeit, in der sie zwei Worte spricht, mit ihrem ganzen Kinderheer schon drei Stunden weit fort ist. Das charakterisiert die Großartigkeit ihres Umzugs um die ganze Erde.

Nach Börner 116, 133 sind die Heimchen,,ungetaufte Kinder" und man hört ihr kindisches Weinen, aber alle sind gleichartig und von gleicher Größe. S. 142 erzählt B. von einer Mutter, die ihr eben gestorbenes Kind ganz zuletzt im Zuge der Heimchen gesehen habe und der das Kind zugerufen habe, sie solle nicht mehr weinen. Das würde sämmtliche Heimchen als bereits gestorbene Kinder bezeichnen, allein diese Erzählung verräth in ihrer Sentimentalität einen modernen Ursprung und scheint mir nicht echt zu sein, wenigstens widerspricht die Bitte des Kindes, die Mutter solle nicht weinen, dem eigenen Weinen der Kinder.

Nach Keller, Grab des Aberglaubens 1, 185. 6, 389, besteht das zu Weihnachten durch die Luft ziehende Mutisheer aus neugeborenen Kindern, die ungetauft begraben worden sind und man hört aus dem Zuge heraus die klagenden Kinderstimmen.

Der Name Mutisheer kommt sehr häufig in Schwaben vor. Schwab, Rauhe Alb 312. Man erklärt ihn gewöhnlich als muthiges Heer, so wie auch wüthendes Heer. Allein es liegt in ihm offenbar ein Gegensatz gegen das wüthende oder wilde Heer der Todten. Aus einer schätzbaren Mittheilung des Herrn Schullehrer Günzlen in Kaih ersehe ich, daß man sich im Schwarzwalde die wilde Jagd als einen stürmischen Zug, angeführt von einem kopflosen Reiter auf einem Schimmel mit vielen lärmenden Hunden, das Mutisheer aber als einen unsichtbaren, nur mit einer höchst lieblichen Musik in der Luft vorüberziehenden Zug denkt. Nichts ist an diesem Zuge furchtbar, sondern alles reizend und anziehend; nur muß man sich hüten, daß man nicht grade unter ihn zu stehen kommt, sonst wird man in die Luft erhoben, und verschwindet mit dem Zuge. So heißt es auch von den Berchten in der Mehrzahl, sie ziehen in der Perchtennacht durch Tirol, aber mehr hör- als anschaubar durch trügerische Laute lockend." Weber, Tirol 1, 630.

Man kann hier an das weibliche Gefolge der Diana oder an Elben denken. Doch entspricht der Gegensatz gegen den wilden Jäger und Todtenanführer mehr der Mutter Bertha, welche die Ungeborenen ins Leben bringt. Sollte im Mutisheer nicht der im Kindermunde entstellte Name Mutter liegen? Das wäre wenigstens für Schwa ben und Baiern, wo man Muete für Mutter sagt (Schmeller b. W. 2, 653. 658), natürlicher als die Erklärung aus muot = ira, Grimm d. Myth. 883 oder aus mottes des fées = tumuli, Grabhügel, Bosquet, la Norm. 177 oder aus muote Matte, fruchtbare Alpe, Schaubach 4, 8. Der Name kommt übrigens häufig als Ortsname in den Alpen vor und nicht selten mit der mütterlichen Bedeutung. Die Mythe oder der Mythenstein, hoch ragend über den Vierwaldstätter See mit Felsen, die den Namen Rokenstock und die Spinnerin führen. Meyer von Knonau, Schwyz 57; dazu das Flüsschen Muota und das Muottathal, in dem ein Kindlibach fließt, das. 60, Motten und die Mottener Haube, ein Berg in der Rhön, Schneider, Rhön 34. E. Meier, Sagen aus Schwaben, berichtet viel über das Mutis-, Muotis, Mutes, Modes -, Modisheer (N. 140-158). Es besteht aus kleinen Kindern mit feinen Stimmen von einem Mann angeführt N. 157, das. N. 158 von einer verwünschten Frau geführt. Mit lieblicher Musik N. 141. 155. Rochholz theilt in Wolfs Zeitschrift 1, 147 ein Räthsel aus dem Argau mit:

de mueth

Mit de breit huet

hat meh gæst

weder der wald tannæst,

was den Sternenhimmel bedeuten soll. Ich glaube, es wird besonders die Milchstraße darunter verstanden und unter der Mutter mit den vielen Gästen die oben genannte milte Behte mit ihrem großen Geschlechte. In Sommers sächs. Sagen 1, 12. wird eine Frau Motte genannt, in der nämlichen Bedeutung von Bertha, indem sie in den zwölf Nächten umherzieht und denen, welche in dieser Zeit spinnen, das Garn verdirbt.

Ein Muotisheer dürfte auch wohl das Volk der witte wywen (weißen Weiber) gewesen sein, von denen Corn. Kempensis de orig. Frisiae III. 31. erzählt, sie ließen aus einer Höhle bald Musik und frohes Lachen, bald Weinen und Klagen, besonders auch von kleinen Kindern hören und man hütete in dieser Gegend die kreisenden Frauen und neugeborenen Kinder, damit sie nicht von den weißen

Frauen geraubt würden. Von einem Zug der Zwerge durch die Luft mit schöner Musik, die man bei Stolberg hört, berichtet Pröhle in den unterharzischen Sagen S. 46.

Es ist wohl möglich, daß nach so langer Zeit in der Vorstellungsweise des Volkes vermischt worden ist, was im altheidnischen Glauben bestimmter auseinander gehalten war, und daß demnach unter dem Muotisheer bald der Einzug der Mutter Perchta mit den Heimchen, bald auch ein anderer Umzug der sogenannten Diana oder Herodias mit Weibern, vielleicht den im letzten Jahr gestorbenen Weibern, vielleicht auch ein lustiger Umzug der Liebesgöttin, der Elbenkönigin etc. gemeint war.

Bedeutungsvoll scheint, daß Perchta auf einem Wagen fährt, Börner 182. Wenn man annimmt, sie bringt die neuen Seelen und Keime des Lebens auf die Erde vom Himmel herab, so liegt es nahe zu glauben, sie sei die Milchstraße hinabgefahren.

Die Strömung aller Lebenskeime von oben herab wurde sichtbar erkannt in der Milchstraße, deren sanfte Lichtfunken ein Nachbild des ursprünglichen Feuerregens aus Musplheim darstellten, entsprechend dem zarten Begriff des noch ungeborenen und geisterhaften Lebens.

Die Milchstraße hieß bei den Angelsachsen Vaetlingastraet, Grimm d. M. 330. Vaetling ist soviel als Wicht, Wichtel, gothisch vaihts, von wihan wehen, aber auch wecken, lateinisch creare, Grimm d. M. 409 und wachsen, crescere; damit verbindet sich aber auch der Begriff des Öffnens, Scheinens (das Weiße) und des Erkennens (Wissen, Witz). Watlinge sind Hauche, Genien, Seelen, geistige Keime der Dinge, das erste Offenbaren und Scheinen des Lebens. Ich beziehe hierher auch das unter dem Namen Vedavece bekannte Geisterheer, welches sich zuweilen bei Schloß Prostranitz in Krain blicken lässt. Unterredungen aus dem Reich der Geister 2, 503. In der Grafschaft Mark heißt die Milchstraße Wiärstrate, d. h. Wetterstraße, weil, wenn sie recht hell scheint, schönes Wetter bleiben soll. Wöste, Volksüberlieferungen. Doch dürfte bei Wiärstrate zunächst nicht an das Wetter, sondern an die Wätlinge zu denken sein.

Auf merkwürdige Weise hat Berthold in seinen Predigten (Grimm in den Wiener Jahrbüchern 32, 239) den großen und kleinen Bären als zwei Wagen unterschieden. Vom großen sagt er

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