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(sonst jedoch keiner der romanischen Tochtersprachen) était = stabat. Ist es aber wirklich lateinisches stare, welches diesen romanischen Formen zu Grunde liegt? Bedenklich bin ich betreffs dieser Annahme durch die Beobachtung geworden, dafs Dracontius und Corippus (vermutlich auch andere) nicht sowohl stare als vielmehr extare im Sinne von esse gebrauchen. Die Stellen siehe später. Nun können alle oben angeführten Bildungen ebensowohl von extare, welches ja in spätlatein. Volkssprache zu estare werden mufste (vgl. Corssen Ausspr.2 I 297), herkommen, wie vom Simplex stare. Denn ital. stato entspricht einem extatus ebenso, wie stendere dem lat. extendere (franz. étendre), stenuare dem lat. extenuare u. s. w. Bei den prov. und franz. Formen ist es von selbst klar, dafs das e im Anlaut ebensogut ein ursprüngliches, wie das vor s impur. auftretende prosthetische sein kann. Es wäre deshalb eine Aufgabe der Romanisten von Fach diese Frage noch einmal in genauere Erwägung zu ziehen. Die Stellen, an denen extare bei den genannten spätlateinischen Dichtern in der abgeblafsten Bedeutung von esse vorkommt, sind folgende: Dracont. de deo II 696 placidissimus extas ibid. v. 731 solus enim dominus, dominum qui non habet, extat. satisf. 155 f. nonne dei praecepta iubent, ne sol cadat intrans irascente alio, sed pius extet homo? Orest. 67 vivis, an effigies et imago volatilis extas? Orest. 323 f. nam principis uxor cuiuscunque libet, licet extet pulcra pudica, in den kleineren Gedichten des Drac. 5, 90 audacia forsan pauperis horretur, ne clam temerarius extet 8, 182 vel amysticus extet uterque 10, 65 licet immemor extet relligionis amor. (In einigen dieser Beispiele, wie 5, 90 satisf. 156, nähert sich die Bedeutung der von fieri, während in den meisten deutlich esse vertreten wird.) Ferner Coripp. Justin. 1, 136 par extans curis, solo diademate dispar ibid. 3, 378 monstraque, quae variis extant conflata metallis ibid. 4, 303 (Christus) una in naturis extans persona duabus.

Für Dracontius ist noch zu bemerken, dafs er auch constare in der Bedeutung von esse gebraucht, so 8, 10 quota portio patris omnis constat homo? ibid. v. 137 f. uni pia mater haberis, .... set multis impia constas 9, 180 sed quid dorsa viri palpant? iniuria constat magnanimi iuvenis. Dafs auch haberi, manere, adesse, inesse im Sinne von esse durch Drac. verwendet werden, sei hier beiläufig angemerkt.

III. Bei dieser Gelegenheit will ich nicht unterlassen, einige

Worte über expectare bei Dracontius anzuschliefsen. Dies begegnet an mehreren Stellen unseres Dichters in der Bedeutung von spectare, so 9, 21 desuper orbem expectant stellasque vagas [fraglich ist 9, 159], de deo I, 356 ac procul expectat (Adam) virides iumenta per agros [fraglich de deo II 742], de deo III 53 divitis extincti tormenta expectat egestas (sc. Lazarus), Orest. 777 werden die Götter aufgefordert expectate vices nato redhibente parenti. Der neuste Herausgeber der carmina profana, Baehrens, hat sich veranlafst gesehen, offenbar in der Annahme, dafs expectare nicht schauen, anschauen' bedeuten könne, 9, 21 expectant in aspectant und Orest. 777 expectate vices in en spectate vices zu ändern. Mit Unrecht, wie ich behaupte. Einmal nämlich stützt sich die Überlieferung an obigen Stellen gegenseitig, so dafs schon deshalb Änderung bedenklich erscheinen müfste; andrerseits aber ist es so leicht erklärlich, dafs expectare (gesprochen espectare) und spectare (in der Volkssprache mit Prosthese espectare, ispectare) sich mischten, dafs der Gebrauch des Kompositums für das Simplex alles Auffällige verliert, ganz abgesehen davon, dafs schon in früher Zeit Beispiele von expectare fast spectare sich nachweisen lassen (vgl. Arevalo zu Drac. de deo I 356, wo nur Ovid met. 14, 418 als irrtümlich zu streichen).

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IV. Eine eigentümliche Spracherscheinung des Spätlateins, die u. a. bei Sedulius und Corippus hervortritt, hat auch an Dracontius einen Vertreter. Es ist dies der Gebrauch des Partic. Praes. in der Bedeutung eines Part. Perf. Nicht alles, was Huemer im Index zu Sedulius und Partsch in dem zu Corippus zusammenstellen, dürfte ganz zutreffend sein, da gewisse Stellen andere Auffassung gestatten. Ganz zweifellos liegt aber diese Zeitverschiebung vor, wenn Sedul. carm. pasch. 2, 95. Coripp. Joh.3,73 und 156 nascens im Sinne von natus steht, oder Sedul. c. p. 3, 130 moriens virgo mortua, Coripp. Joh. 8, 635 extemplo turbatae acies pereunte tyranno = occiso, mortuo. Auf derartige unzweifelhafte Stellen bei der Auswahl der Beispiele aus Dracontius mich beschränkend sehe ich von Stellen wie Drac. 6, 21 in praedam venere dei vincente Dione oder 10, 178 f. torvo mandante tyranno ecce trahebatur ceu taurus pulcher Iason ab, da sich in diesen das Part. Praes. kausal fassen oder immer noch mit einer gewissen Leichtigkeit auf die Stufe der Vergangenheit rücken läfst. Wenn aber 8, 537 f. Helena vor der Entführung

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Archiv für lat, Lexikogr. IV. Heft 1.

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zu Paris sagt: conferet Atridi, quisquis me duxit amator, ut vivum linquam non iam moriente marito, so steht hier deutlich moriente für mortuo. Ähnlich verhält es sich mit de deo I 661 f., wenn es dort von der Wiederverjüngung des Phönix heifst: et cinis extinctus gelida moriente favilla tollitur alta petens erecto crine vagatus. Nicht minder zwingend ist Orest. 702 f., wo Clytaemestra, als sie die schmetternden Trompeten des nahenden Orestes hört, sagt: nullus, ad Argolicos moveat qui bella, remansit Hectore consumto, Troia pereunte sub armis. An dem Zeitpunkt, von dem hier die Rede ist, sind seit Agamemnons Ermordung 7 Jahre und 8 Monat (vgl. v. 455), eine viel längere Zeit also seit Trojas Fall verflossen. Troia pereunte ist demnach völlig gleichwertig mit Troia deleta. Ein viertes Beispiel findet sich Orest. 352 f. Dorylas libertus Atridis et pueri nutritor erat fugientis Orestis. Längst vorher v. 283 ff. ist von der Flucht des Orestes nach Athen erzählt worden, und Dorylas hat ihn nicht etwa auf der Flucht begleitet, sondern ist in Mycenae zurückgeblieben. Somit kann fugientis nur den Sinn des griech. φεύγοντος = ἐκπεπτωκότος haben, wenngleich ich sehr bezweifle, dafs dieses griechische Analogon dem Dracontius vorgeschwebt habe. Endlich scheint mir auch Orest. 764 hier Erwähnung zu verdienen. Clytaemestra hat den Orestes gebeten, dafs auch sie von der Hand des Pylades durch dasselbe Schwert wie Aegisthus fallen dürfe, worauf sie v. 761 ff. von dem Sohne zur Antwort erhält:

Quod super ossa rogas moechi moribunda iacere',
natus ait, 'melius recides super ossa mariti;

nec cruor amborum miscebitur ense minaci,

criminibus ne (cod. B nec) fructus eat morientis amoris 765. aut operae pretium capiatis sorte malorum:

supplicio sociante nefas discreta iacebis'.

Ich kann hier nur verstehen: 'damit nicht die Verbrechen des toten Liebhabers noch belohnt werden oder ihr durch das (gemeinsame) Todesgeschick gar einen Preis für eure That erlangeť. Ist diese Auffassung richtig, so steht auch an dieser Stelle morientis für mortui.

Betrachten wir nun die angeführten Fälle etwas näher, so finden wir, dafs es sich überall um Verba mit intransitiver Bedeutung handelt, deren zwei wenigstens der Fähigkeit ein Part.

Perf. zu bilden entbehren, fugere und perire. Bei diesen wird der Mangel einer verwendbaren Form Grund für die Zuhilfenahme des Part. Praes. gewesen zu sein. Von mortuus aber eignen sich nur wenige*) Formen für die Verwendung im Hexameter. So mag also bei diesem Worte das metrische Bedürfnis die stellvertretende Funktion des Part. Praes. erklären. Vielleicht kam diesem Umstande aber noch eine Neigung der Volkssprache entgegen, die, an und für sich minder genau in allem, was Tempora und Modi anlangt, auch moriens für mortuus sagte. In derselben Weise. würde dann auch nascens für natus in den aus Sedulius und Corippus angeführten Stellen aufzufassen sein.

Hildesheim.

Konrad Rofsberg.

Temere

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wird von Forcellini - De Vit und Georges Handwörterb. als Anapäst notiert, vielleicht nach Analogie von propěre, während Klotz sich mit der Bezeichnung těměre begnügt. Allein abgesehen davon, dafs wir neben recte nur malě haben, ist properus bezeugt, temerus unbekannt, ferner propere als Anapäst sicher gestellt durch Lucr. 6, 148. 842**), temere nicht Umgekehrt haben sämtliche hexametrische Dichter, Ennius, Lucilius, Lucretius, Catull, Vergil, Lucan, Valerius Flaccus, Statius, Silius das Wort vor einen Vokal gestellt, wozu anders, als um durch Elision eine lange Silbe zu bekommen? Schon daraus folgt, dafs man das Wort als Tribrachys bezeichnen muss, was durch die Vergleichung von Ennius fab. 406 M. trag. 189 V. Dimitto, ut ne res témere tractent túrbidas. und Turpil. 117 R. Heu me infelicem. Sánusne es, qui témere lamentáre? nur bestätigt wird.

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Durch die Bestimmung der Quantität wird nun auch die Bildung des Adverbes klarer; denn es kann nur Neutrum von temeris sein, analog facile; faciliter und temeriter wurden als Proceleusmatici vermieden, obwohl celeriter in die Prosa Eingang fand. Plautus und Ennius sagten aber noch celere, wie Pomponius memore.

München.

Ed. Wölfflin.

*) Eigentlich nur der Nomin. sing., da die Elision der Endung (z. B. mortuum amicum) gemieden wird. Über veniens, decedens u. ä. bei Livius = ¿¿ðaóv (rediens 24, 17, 7) vgl. E. Güthling De T. Livii oratione. II. De participiis. Liegnitz, 1872. S. 4. Die Red.

**) (propere demersimus imbrem, propere dimittit in auras.)

Usque mit Accusativ.

Über die Präposition usque weifs man etwas weniger als über die meisten andern Präpositionen, weil Hands Tursellinus leider mit P abbricht; man ist also beispielsweise im Unklaren darüber, wie weit sich usque ad und usque in auf den lokalen und temporalen Gebrauch verteilen lasse; nur ganz ungenügend aber sind wir über die Verbindung von usque mit dem Accusativ unterrichtet, so dafs die Herausgeber an zahlreichen Stellen schwanken, ob sie ad oder in einschieben sollen. Dieser dunkle Punkt möge in dem folgenden Aufsatze, welcher als Ausführung von Dräger, Hist. Syntax § 265 zu betrachten ist, zunächst aufgehellt werden.

1. Während bei Plautus usque mit Accusativ noch fehlt, finden wir zuerst bei Terenz Ad. 655 Virginem ut secum avehat? Sic est. Miletum u. obsecro? Natürlich ist es eine verkehrte Auffassung den Accusativ von usque regiert zu denken, da der Städtename auch ohne usque im Accusativ stehen würde. Ab Alpibus usque Romam contendit bedeutet mithin: er reiste von den Alpen nach Rom ohne die Reise zu unterbrechen, oder: er reiste in einem fort von den Alpen nach Rom, und dafs das Ziel erreicht wird, ergiebt sich eben aus der Versicherung, die Reise habe keinen Unterbruch erlitten. Usque kann in dem vorliegenden Beispiele ebenso gut auf ab Alpibus bezogen werden, nach Cic. Cluent. 192 usque a mari supero Romam proficisci. In dieser Einschränkung auf Städtenamen hat Cicero den Gebrauch angenommen, Verrin. 4, 108 u. Hennam profecti sunt (sie setzten die Reise bis Henna fort); Pison. 51 ut a Brundisio usque Romam agmen perpetuum totius Italiae viderit. Gerade hier zeigt sich deutlich, dafs mit usque ursprünglich nicht das erreichte Ziel, sondern eine ganze Bewegung vom Ausgangspunkte bis zum Endpunkte bezeichnet wird. Wenn sich aber in den Reden nur zwei Stellen finden und vier weitere in den Briefen (Epist. 12, 15, 5

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