Abbildungen der Seite
PDF
EPUB

für unbegründet zu erklären? Ein solches Benehmen ermangelt aller Consequenz und alles Taktes, mich auf das gelindeste auszudrücken.

In dieser Rede sagt Hr. von Liebig keine von allen Erscheinun„gen, die das Od hervorbringen soll, sey von vorurtheilsfreien Personen „mit gesunden Sinnen jemals wahrgenommen worden; meine Sensitiven „seyen nicht im Stande, das was sie sehen und empfinden, aus sich „selbst heraus zu beschreiben u. s. w." Dieß zeigt, daß Hr. von Liebig entweder ohne Kenntniß meiner Schriften oder ohne literäre Treue spricht; denn in jenen sind ausgezeichnet gebildete Männer und darunter ruhmvolle Naturforscher als sensitive Beobachter aufgeführt, denen in Vorurtheilsfreiheit und in der Kunst sich aus sich selbst gut auszudrücken, es nachzuthun, manchmal Hrn. von Liebig selbst nicht allzuleicht fallen dürfte. Der berühmte gelehrte Professor Endlicher, der kaiserliche Geheimerath, Prälat Freiherr von Schindler, leßter Präsident der Republik Krakau, der evangelische Superintendent Pfauer zu Wien, der Freiherr von Oberländer, die Grafen von Coronini, der königlich schwedische Leibarzt Dr. Huß zu Stockholm, die Professoren Unger, Schabus, Ragsky, Rösner, die Doktoren der Medicin Effard, Köller, Fröhlich, Stainer, Diesing, Kollar, der schweizerische Gesandte Hr. Steiger, der Fabriksherr Fichtner, der bekannte Dichter Hr. Alerander Baumann und so viele andere gelehrte sensitive Männer, von ausgezeichnet gebildeten Frauen, wie die Frau Generalin von Augustin, Frau von Littrow u. a. zu geschweigen, diese alle sollten nach Hrn. von Liebig vorurtheilsvolle Personen, nicht bei gesunden Sinnen und unfähig seyn, das was sie in der Dunkelkammer bei mir sahen und empfanden aus sich selbst heraus zu beschreiben?" Ich zweifle ob unter diesen Männern auch nur Einer sich findet, von dessen Arbeiten die Deutsche Volkshalle sagen würde, was sie von der Münchner Eröffnungsrede gesagt hat: daß man jeden Sah hätte herausnehmen und irgend einen andern dafür einschalten können, ohne dem Zusammenhange der Gedanken zu schaden. Oder die Herren Kotschy, der zweimal im Herzen von Afrika gewesen, und jezt nach Asien abgegangen ist, Ingenieur Major Philippi, der mehrmals den Erdball umschifft hat, Dr. Natterer, der soeben vom rothen Meere zurückkommt, Luftfahrten gemacht, die lebensgefährlichsten Gaskondensationen* kühn unternommen hat, sollten nervenschwache Leute ohne gesunde Sinne

[ocr errors]

*Fortschritte der Physik, sechster und siebenter Jahrgang. S. 274.

seyn? Und solche -Uebereilungen dem gebildetsten Theile des Münchner Publikums ins Angesicht zu sagen, trägt Hr. von Liebig kein Bedenken?

[ocr errors]

Und woher nimmt denn Hr. von Liebig so ganz die Gewißheit, daß die Sensitiven nervenschwache" Leute sind, für die er meine Gehülfen ohne weiters alle erklärt? Da könnte er in Gefahr kommen, mit einem seiner gewöhnlichen vorschnellen Urtheile zurückgewiesen zu werden. Die Sensitiven sind nervenreizbarer als Nichtsensitive, aber nicht nervenschwächer. Das unterscheidet er nicht und verwechselt es darum. Nirgends aber in der Physiologie steht geschrieben, daß Reizbarkeit mit Schwäche gleichen Schrittes gehe. Gerade im Gegentheil nimmt in der Regel die Reizbarkeit ab, wo die Schwäche zunimmt, folglich umgekehrt die Reizbarkeit gewöhnlich zu, wo Kraft und Stärke wachsen. Nicht auf schwacher Nerventhätigkeit beruhen die sensitiven Erscheinungen, sondern umgekehrt auf gesteigerter, erhöhter, stärkerer. Sensitive sind auf keine Weise schwach, sondern nervenstark, wenigstens in der Partie ihrer odischen Empfänglichkeit. Sie sind nicht darum sensitiv, weil sie krank sind, denn sonst müßte bald jeder Kranke sensitiv seyn, sondern weil ihre Nervenreizbarkeit erhöht ist, wozu man nicht nothwendig frank seyn muß, wie sich dieß an einer großen Anzahl meiner ferngesunden Sensitiven zeigt. Aus der Pathologie wissen wir, daß in vielen Fällen, wo das vegetative Leben deprimirt erscheint, die Nerventhätigkeit gesteigert auftritt; dann leidet der Kranke örtlich in der vegetativen Sphäre, nicht aber wesentlich im allgemeinen Nervensystem. Dieses befindet sich in Aufreizung, ist zur vermehrten Thätigkeit aufgefordert, also affizirt, aber darum nicht nothwendig krank; im Gegentheile, aus der Gesundheit und Kraft des allgemeinen Nervensystems muß die Stärkung und Gesundheit der vegetativen kranken Gegend hergeholt werden. Die Sensitiven fühlen und sehen mehr, nicht weil sie schwach, sondern weil ihre Wahrnehmungsfähigkeit gesteigert, die Kraft ihrer Receptivität verstärkt ist. Ich habe männliche und weibliche Sensitive von einer auffallenden Nervenstärke vor mir und Hrn. von Liebig's Behauptung ist hier, ohne alle Prüfung und Erfahrung, willkührlich hingestellt und vollkommen mißgriffen.

Dann versichert derselbe, daß „Personen, deren Nervensystem nicht „in vollkommen gesundem Zustande sich befinde, zum Beobachten „sich durchaus nicht eignen“ und behauptet sofort, daß in Folge dessen

alle odischen Beobachtungen mit Sensitiven fehlerhaft, also wissenschaftlich unbrauchbar seyen. Hier ist zunächst gänzlich ungegründet und irrig, daß Menschen, deren Nervensystem sich nicht in vollkommen gefundem Zustande befindet, zum Beobachten sich durchaus nicht eignen. Wann ist denn unser Nervensystem in vollkommen gesundem Zustande ? Das müßte uns Hr. von Liebig vorher sagen, denn unser Nervensystem ist fast nie in vollkommen gesundem Zustande. Die unbedeutendste Gesundheitsstörung, eine starke Ermüdung, jede lokale Unpäßlichkeit, jede niederschlagende oder freudige Erregung, die leichteste Hautverkühlung, die geringste Unregelmäßigkeit in Speisen- oder Getränkegenuß, eine unruhige Nacht, reichen schon hin, unser Nervensystem außer Gleichgewicht zu bringen, zu verstimmen und seinen vollkommen gesunden Zustand zu stören; von stärkeren Angriffen auf Gesundheit und davon, daß überhaupt fast kein Mensch vollkommen gesund, also fireng genommen Niemand in vollkommen gesundem Nervenzustande sich befindet, zu geschweigen. Aber davon auch ganz abgesehen, wo hat denn die kecke Behauptung, daß Personen, deren Nervensystem sich nicht in vollkommen" gesundem Zustande befindet, zum Beobachten sich „durchaus" nicht eignen, ihren Halt? Kann man denn nicht krank und dabei vollkommen geistesgesund seyn? Kann man dabei nicht vollkommen gut sehen, hören, riechen, fühlen? Ist man denn dessen nicht in hundert Nervenaffectionen, in tausend verschiedenen Krankheitszuständen vollkommen gut mächtig, so lange nicht geradezu Delirium eintritt? — Die Sensitiven, stärkere und schwächere, machen ein Drittheil, wo nicht die Hälfte der Menschheit aus, wie ich dieß oftmals dargethan ; beim dritten Mann also stünde es nach Hrn. von Liebig nicht richtig unterm Hute. So schlimm steht's um uns eben nicht. Warum foll ein niedersensitiver Mensch, der so unmerkbar an Nerven leidet, daß er es selbst nicht einmal weiß, die einfachen Sinneneindrücke, die zur Constatirung der odischen Erscheinungen hinreichen, nicht klar, wahr und sicher appercipiren können? Warum soll an einem Höhersensitiven sein Kopfschmerz, sein Magenweh, warum sein Krampf und seine Ohnmacht nicht wahrhaft, warum soll alles dieß Einbildung und Täuschung seyn? Solcher Ausspruch entbehrt jeglicher wissenschaftlicher Begründung, ist ins Blaue hineingeredet und weitaus nichts anderes, als eine von jenen willkührlich aus der Luft gegriffenen Behauptungen, welche seinen Folgerungen zu unterstellen Hr. von Liebig ein eigenes leichtfertiges Talent besißt; mit denen er sein Publikum blendet und

besticht; die ihm aber der strengwissenschaftliche Berzelius bloßgelegt, gerügt und verwiesen hat, als Unkraut, das er in die Wissenschaft hineinbringe und als unwürdig eines Naturforschers. Gleich wie seine schimmernde Behauptung, daß alle Kraft im Organismus aus dem Chemismus stamme, worauf er dann rüstig ein weites hylozoistisches System aufbaute, in der Grundlage unerwiesen und voreilig wie so vieles andere aus seiner Feder ist; in noch viel höherem Maße ist es schlechtweg falsch, daß Menschen ohne vollkommen gesundes Nervensystem zum Beobachten durchaus nicht taugen. Das hieße soviel, als daß jeder, dem das geringste Uebel zugestoßen, alsbald nicht viel besser als ein Irrfinniger sey. Denn wer zu Sinnenanschauungen und zu einfach sinnlichen Beobachtungen durchaus unfähig ist, der muß überhaupt nicht mehr recht bei gesunden Sinnen seyn, und wer nicht mehr bei klaren Sinnen, wem die Sinne Wahn statt Wahrheit unterschieben, der ist ein Wahnsinniger. Wenn das wahr wäre, möchte es um die gesunde Vernunft des Hrn. von Liebig selbst nicht allezeit unbedenklich stehen. Wonach hätte ein Arzt beim Kranken in der Diagnose sich zu richten? Bisher hat er sich nach den Beobachtungen gerichtet, die ihm der Kranke nach den Merkmalen, die er an seinem Innern, mittelst seiner Nerven fühlend wahrnahm, angab. Diese Angaben aber wären nach den Consequenzen von Hrn. von Liebig's Ansichten lauter Wahnwig; so wirft er die ganze pathologische Semiotik und die Medicin selbst über den Haufen, das ist, seine Assertion führt in ihrer Anwendung geraden Weges zu Absurdität und ist darum hohl und falsch. Solcher Art ist der Uebergang zu jenem naturphilosophischen Blendwerke, wo es nicht auf sichere Thatsachen festgestellt wird; man unterschiebt irgend einen scheinwahren Saz; die Menge gewahrt im Vertrauen auf den Meister nicht sogleich das Hinkende darin und traut; dann führt man kühn Balken um Balken ein ganzes schimmerndes Gebäude darüber auf, das alle Welt bewundert, nur der Kenner nicht, der die Substruktionen prüft. Das ist auch der Weg auf dem Hr. von Liebig die größere Hälfte seines Ruhmes erbeutet hat; es wird ihm aber nicht gelingen, auf ebendemselben die Lehre vom Ode, wie er vermeint, umzuwerfen und zu vernichten. Die Täuschungen seiner falschen Logik werde ich auf den nächstfolgenden Blättern aufdecken und ihr damit die Widerhaken brechen.

[ocr errors]

Aber von alle dem abgesehen, ist denn Hr. von Liebig nicht gewahr worden, daß unter meinen sensitiven Zeugen nicht bloß Kranke,

ja verhältnißmäßig nur wenige Kranke, sondern weit mehr (im gewöhnlichen Sinne) Gesunde sich befinden? Sieht er nicht, daß sensitive Männer, wie Kotschy, Philippi, Natterer, Köller u. a. felsenfeste Naturen sind, wie man sie nur selten findet? Daß Endlicher, Huß, Unger, Ragsky, Schabus und so viele andere, die er fast alle persönlich kennt, in fernhaften Leibern wohnen, mit einer Fülle von Gesundheit ausgestattet, wie sie nur irgend wünschenswerth seyn kann? Ist es Unwissenheit oder ist es bloßer Leichtsinn, oder aber ist es Abficht, mit welcher Hr. von Liebig über das wichtigste und aufs Nachdrücklichste accentuirte eigenthümliche Ergebniß meiner Untersuchungen wegschlüpft, daß nicht bloß unter Kranken, sondern wesentlich unter weit mehr nach allgemeinem Begriffe ganz gesunden kräftigen Menschen ausgesprochene und nicht selten sehr starke Sensitivität vorhanden ist? Hat er nicht einmal die erste Pagina meiner Schrift über die Dynamide 2c." gelesen, wo mit Umständlichkeit auseinander gesezt ist, daß bei weitem zum größten Theile nur gesunde Personen zu meinen Untersuchungen verwendet worden sind? Urtheilt er also über eine Sache, deren Auseinanderseßung er nicht einmal ordentlich gelesen hat und gründlich nicht versteht, so ist sein unwahrer Ausspruch von der einen Seite eine Anmaßung, von der andern eine offene Verlegung der Achtung, die er dem Publikum schuldig ist, das ihn anhörte. Ignorirt er aber meine Hauptsäße geflissentlich, so habe ich über ein solches Benehmen öffentlich weiter nichts zu sagen, es richtet sich selbst.

[ocr errors]

Freiherr von Liebig fährt dann weiter fort, die Sensitiven, welche ich verwendete, haben bei meinen Untersuchungen „von dem Fragesteller „(d. i. von mir), der aber die Erscheinungen selbst nicht sieht und nie „gesehen hat, auf die einzelnen Theile derselben und ihre Eigenthüm„lichkeit durch seine Fragen aufmerksam gemacht und geleitet werden müssen." Hat man je eine beleidigendere Sprache eines Naturfor schers gegen den andern gehört? Was Hr. von Liebig sich hier herausnimmt, ist nichts weniger als mir öffentlich Versuchsfälschungen zur Laft zu legen, indem ich die Reaktionen suggerirt haben soll, die ich dann der Welt als neu gefundene Wahrheiten verkaufe? Und er fühlt nicht die Blöße, die er durch den eigenen innern Widerspruch gibt, der in dieser ganzen unwürdigen Polemik liegt? Wenn ich mehr als 160 Menschen, welche durchweg gleichstimmige Angaben über die odischen Sensationen niederlegten, allen nach einander das, was sie sehen und fühlen sollten, eingeredet und eingetrichtert habe, woher endlich

« ZurückWeiter »