Abbildungen der Seite
PDF
EPUB

neueren Ausgaben das Gedicht mit dem dritten Distichon ab, das Gedicht an Caelius aber lautet:

Rufe mihi frustra ac nequicquam credite amico
(frustra? immo magno cum pretio atque malo)
siccine subrepsti mei atque intestina perurens
sic misero eripuisti omnia nostra bona!
eripuisti heu heu nostrae crudele venenum
vitae heu heu nostrae pestis amicitiae.
Sed nunc id doleo, quod purae pura puellae
savia conminxit spurca saliva tua.

Verum id non impune feres, nam omnia saecla
noscent, et qui sis fama loquetur anus.

Aber Scaliger hat mit dieser Conjectur sicherlich weniger Glück gehabt als mit der S. 13 besprochenen, wo er carm. 77 u. 78 der Handschriften mit einander verbunden hat. Bergk (Rh. Mus. 15. S. 507) sagt: „Jenes Gedicht an Caelius Rufus, wie es in den Handschriften überliefert wird (aus 3 Distichen bestehend) ist durchaus in sich abgeschlossen, Alles, was der Dichter einem treulosen Freunde vorwerfen konnte, ist in wenig Worten zusammengefasst, jeder neue Zusatz kann nur die Wirkung schwächen; am wenigsten passt zu der leidenschaftlichen Erregtheit dieses Gedichtes der Tadel, den jene Verse Sed nunc id doleo aussprechen." Ich theile diese Ansicht ganz und gar, ja ich gestehe, dass es mir schwer wird einzusehen, wie man dazu kommen konnte, den beiden Distichen jenen Platz am Ende des gegen Caelius gerichteten Gedichtes zu geben, wo sie so unpassend wie möglich sind. Denn in den drei Distichen dieses Gedichtes, auf welche es nach den Handschriften beschränkt ist, hat Catull seine schmerzliche Klage, dass Rufus ihm die Lesbia entrissen, völlig klar und zugleich in sehr leidenschaftlicher Weise ausgesprochen, namentlich in den Worten: intestina perurens sic misero eripuisti omnia nostra bona! Der Zusatz intestina perurens zeigt ganz bestimmt, dass ,,omnia nostra bona" Lesbia ist. Kommt nun noch mit Sed nunc id doleo ein fernerer Zusatz hinzu, so kann dieser nur dann Sinn haben, wenn der Dichter noch ein weiteres Motiv beibringt, noch irgend eine Thatsache anführt, der zufolge sein Schmerz noch ganz besonders gross ist, so gross, dass das früher Gesagte davor

Westphal, Catulls Gedichte.

9

zurücktritt. Vergleichen wir das an seinen begünstigten Rivalen in der Liebe zu Juventius, den pater essuritionum, gerichtete Gedicht 21. Da heisst es: „Du scherzest mit meinem Liebling, hängst an seiner Seite, wirst Alles versucht haben, doch vergebens, ich werde dich vorher..." Und dann weiter: „Ich würde schweigen, wenn du nicht ein solcher Hungerleider wärest, aber:

nunc ipsum id doleo, quod essurire

mi meus puer et sitire discet.“

Da steht nunc id doleo in seiner richtigen Bedeutung, es fügt den Hauptgrund des Schmerzes hinzu, es enthält geradezu den Cardinalpunct, die Pointe des Gedichtes. Anders aber, wenn zu unserem Gedichte auf den Rivalen Rufus noch die mit Sed nunc id doleo beginnenden Distichen hinzutreten. Was enthalten sie für ein neues bedeutungsvolles Moment? Dass Catull in höchster Noth und Verzweiflung ist, weil Rufus ihm die Lesbia entrissen hat, hat er bereits gesagt; was dazu noch hinzukommen würde, wäre folgendes: „Aber jetzt macht mir Schmerz, dass ein solcher homo spurcatus, wie du es bist, den Mund der Geliebten durch seine Küsse besudelt. Daher sollst du zur Strafe für diesen Frevel allen folgenden Zeiten von mir gekennzeichnet werden, und die spätste Fama wird noch von dir reden." Da müssten denn also die weiteren Gedichte auf Rufus diesen als einen homo spurcatus kennzeichnen, müssten diese Thatsache, welche den Schmerz Catulls besonders heftig macht (quod purae pura puellae savia conminxit spurca saliva tua) an den Pranger stellen. Aber dies geschieht ganz und gar nicht; Caelius Rufus ist derjenige unter den Rivalen, welcher am allergelindesten wegkommt; Catull kann ihm keine incestuosen stupra wie dem Gellius u. dgl. nachsagen, er weiss um ihn zu höhnen nichts anderes aufzugreifen, als zwei körperliche Gebrechen, hircus alarum und podagra, wodurch ihm sowohl als auch der Geliebten, wenn er zärtlich ist, arge Qual bereitet wird, zur grössten Schadenfreude des Catull, der da glaubt, dass auch die Geliebte diese Strafe verdiene (totiens ulciscitur ambos 71, 5). Das stimmt doch ganz und gar nicht mit den Versen: Sed nunc id doleo, quod pura purae puellae savia conminxit spurca saliva tua: auch wenn wir diese Worte nicht urgiren wollen, so liegt doch jedenfalls darin, dass der, an welchen sie gerichtet sind, ein homo spurcatus, ein nichtswürdiger, verworfener, lasterhafter Mensch ist (und ebenso sind seine Küsse).

Daher hat Bergk geglaubt, für die beiden Distichen Sed nunc id doleo die geeignete Stelle am Schlusse des 80. Gedichtes zu finden, in welchem der irrumatus Gellius wegen seiner labra emulso sero notata verhöhnt wird. Dadurch würde allerdings die spurca saliva völlig motivirt und es würde sehr concinn sein, wenn jene Distichen an jener Stelle stehen könnten. Aber dies ist aus einem anderen Grunde nicht möglich der Gellius dieses Gedichtes ist nicht Catulls Rival, sondern dessen Oheim und von Allem, was Catull von diesem in den 3 gegen ihn gerichteten Gedichten sagt, deutet ganz und gar nichts darauf hin, dass auch er gleich seinem Neffen der Lesbia nachgestrebt hat. Vergl. oben. Ueberhaupt brauchen wir, wie gesagt, den Ausdruck spurca saliva nicht so auf die Spitze zu treiben, dass wir darin eine ganz concrete Beziehung finden müssten, man vergleiche 99, 9:

:

Ne quicquam nostro contractum ex ore maneret,
tanquam conmictae spurca saliva lupae.

Bergk statuirt noch eine andere Möglichkeit: Die Distichen Sed nunc id doleo ständen in unserer Handschrift an ihrer alten Stelle, sie hätten ihren alten Platz nicht geändert, wohl aber wären zwischen ihnen und den vorausgehenden 3 Distichen: Gallus habet fratres u. s. w. der Anfang eines Gedichtes ausgefallen, zu welchem Sed nunc id doleo den Schluss gebildet hätte. Ich glaube, dass es auch dieser Annahme nicht bedarf und dass in den Handschriften an dieser Stelle weder eine Versetzung noch eine Lücke eingetreten ist, mit Einem Worte: dass trotz der seit Statius ausgesprochenen Zweifel die Distichen Sed nunc id doleo der handschriftlichen Ueberlieferung gemäss der Schluss des an Gallus gerichteten Gedichtes sind. Man lese einmal diese 5 Distichen im Zusammenhange der handschriftlichen Ueberlieferung, wie sie S. 128 abgedruckt sind und frage sich, was es sei, woran man Anstoss nimmt? Es ist einmal der Wechsel der Personen: in den 3 ersten Distichen wird von Gallus in der dritten Person gesprochen, in den zwei letzten Distichen gebraucht Catull die zweite Person. Vergleichen wir carm. 100. Hier berichtet Catull, dass Caelius in Aufilenus und dessen Freund Quintius in die Aufilena verliebt sei, Aufilenus wäre der Bruder, Aufilena die Schwester, das sei in der That ein ,,fraternum vere dulce sodalitium". Aber es folgen noch 2 Disticha: Catull fragt, wen er selber von den beiden Freunden am meisten Er

99

folg wünschen solle? dem Cälius, denn dieser habe sich ihm früher als erprobter Freund erwiesen (nicht aber dem Quintius, denn in dessen Geliebte Aufilena ist Catull, wie wir aus carm. 82 sehen, selber verliebt). In den beiden ersten Distichen, wo Catull ein fremdes Factum referirt, hat er in der dritten Person gesprochen, in den 2 letzten, wo er von seinem eigenen Verhältnisse zu jener Liebe des Caelius und Quintius spricht, redet er den Cälius in der zweiten Person an. Gerade so ist es in unserem Gedichte an Gallus. Die dritte Person gebraucht Catull, wo er von Gallus' schmutzigem Kuppelhandwerk erzählt, das diesem selber zum Schaden gereichen wird, dagegen redet er denselben Gallus in der zweiten Person an, wo er von seinem eigenen Verhältnisse zu ihm spricht.

Sodann der Gedanke, dass mit dem dritten Distichon ein völliger Abschluss des Epigrammes gegeben ist. Dies ist gewiss ein richtiges ästhetisches Gefühl, dem wir seine Berechtigung nicht absprechen wollen: das Gedicht an Gallus würde, wenn es in der That mit diesem dritten Distichon abschlösse, gewiss ein ganz artiges Epigramm sein. Wir entnehmen dabei den ästhetischen Maassstab aus dem Begriffe des Epigrammes. Das was wir in unserer Poetik Epigramm nennen, ist eine bei Catull häufig vorkommende Gattung der Poesie, jedoch haben die Catullischen Epigramme überall die Eigenthümlichkeit, dass sie aus einem rein persönlichen Verhältnisse zu der darin dem Gelächter preisgegebenen Persönlichkeit geflossen sind, die Catullischen Epigramme sind stets eine Art von Strafe, womit er Unbilden, die er selber oder auch seine näheren Freunde erlitten, ahndet. Wie alle übrigen Spottgedichte, so muss auch der in jenen 3 Distichen gegen Gallus ausgesprochene Spott einen persönlichen Grund haben. Warum wollen wir da den Grund, den Catull der handschriftlichen Ueberlieferung zufolge selber hinzugefügt hat, ablehnen:

Sed nunc id doleo, quod purae pura puellae

savia conminxit spurca saliva tua.

Verum id non impune feres: nam te omnia saecla
noscent, et qui sis fama loquetur anus.

Das Gedicht tritt damit in die Zahl der Rivalen - Lieder. Auch mit den übrigen Rivalen macht es Catull wie mit Gallus: weil sie ihm sein Liebchen abwendig gemacht, veröffentlicht er ein Register ihrer Schand

thaten u. s. w. So hat er dem Gellius seinen Incest mit der mater, germana und patrui marita vorgeworfen; gegen den Rivalen des vorliegenden Gedichtes macht er geltend, dass er der Vermittler des Incestes zwischen Neffe und Tante sei, und höhnt ihn weiter ob des Unverstandes, den er hier zeige: er sei ja ebenfalls ein verheiratheter Oheim, ihm drohe durch seinen Neffen dasselbe Geschick wie seinem Bruder. Das Alles denuncirt Catull aber nur, um sich dafür zu rächen, dass er ihm die Geliebte entrissen, denn dies ist es, was ihn jetzt so bitter schmerzt: die Lippen des Gallus, des schmutzigen Vermittlers eines Incestes zwischen seinen Verwandten, berühren den Mund der Lesbia. Das ist der Grund, sagt Catull, weshalb ihn jetzt alle künftige Zeit kennen soll, kennen in der Verworfenheit (qui sis), die er im Anfange des Gedichtes mit solchem bittren Hohne gezeichnet hat.

Dass unser Gedicht ein Rivalen - Lied ist, zeigt auch seine Stellung, die es in dem alten Codex der Catullischen Gedichte eingenommen. Nach dem Entsagungsgedichte 76: Si qua recordanti, folgen continuirlich die Gedichte wider die Nebenbuhler, zuerst an Rufus, dann an Gallus, dann an Lesbius, dann die 4 Gedichte gegen Gellius, die wir oben besprochen.

Aus dieser Reihenfolge lässt sich indess kein Schluss auf die Zeit ihrer Abfassung machen, da auch sonst Catull bei der zu einer Gruppe zusammengestellten Gedichte die Zeit unberücksichtigt lässt. Vgl. die 4 Gedichte auf Gellius den Neffen, S. 120. Wir entnehmen vielmehr aus dem Gedichte auf Gallus ein Indicium, dass es das älteste in diesem ganzen Cyclus ist. Lesbia wird hier noch pura puella genannt (v. 7), was in demselben Sinne zu nehmen ist wie 68", 136: verecunda hera... etsi uno non est contenta Catullo. In keinem der übrigen Gedichte mehr wird sie mit diesem immerhin ehrenden Prädicate bezeichnet.

M. Caelius Rufus.
1.

77. Rufe mihi frustra ac nequicquam credite amice
(frustra? immo magno cum pretio atque malo),
siccine subrepsti mei, atque intestina perurens
sic misero eripuisti omnia nostra bona?
5 eripuisti, heu heu nostrae crudele venenum
vitae, heu heu nostrae pestis amicitiae.

« ZurückWeiter »