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fortdauernden Conflikt zwischen Systematik und Geschichte, der durch das ganze Werk hindurchgeht und die Abfassung vielfach erschwerte, hie und da auch eine Tautologie unabweisbar machte, wird ein fritischer Leser erkennen und dem Autor zu gute halten.

Mancher wird denken, daß ich mich in den Beweisführungen da und dort hätte fürzer faffen fönnen, und im Allgemeinen genommen bin ich der Meinung, daß er Recht haben kann. Aber in meinem besonderen Falle muß auf die ungewöhnlichen Verhältnisse Rücksicht genommen werden. Ich bin von Gegnern so heftig angefallen worden, und man hat meine Säße so gröblich bestritten, daß ich mehr als jeder andere Physiker in die Nothwendigkeit gesezt bin, meine Induktionen auf die breiteste Unterlage zu stellen und für jeden einzelnen Beweis, den ich zu führen habe, eine solche Menge von Thatsachen zusammen zu stellen, daß jeder Einwurf wo möglich bis an die Grenze, wo das Absurde beginnt, abgeschnitten ist. Daß ich nicht bloß mit unstichhaltiger, sondern wirklich mit ungereimten Angriffen mich zu zerkämpfen habe, weiß Jedermann, der unter Anderem nur Freiherrn von Liebigs sogenannte Eröffnungsrede seiner Vorlesungen an der Universität zu München zu Gesichte bekommen hat, die erst in den Zeitungen abgedruckt, dann in einer eigenen Ausgabe in die Deffentlichkeit gebracht worden ist. Unter andern seichten Einwürfen sagte dieser dort, die neue Odwissenschaft habe keinen Eingang in die Naturforschung gefunden," fühlte aber nicht, daß gerade ihm von allen Menschen in der Welt am allerwenigsten eine solche Aeußerung auszusprechen zusteht, nachdem er selbst es ist, der diese neue Cowissenschaft in seinen Annalen der Chemie in zwei Hesten vom März und Mai 1845 in das Gebiet der Naturforschung eingeführt hat. Wenn das Od keinen festen Boden in der Natur und in den Thatsachen hat, die ich den Männern der Wissenschaft vorgeführt habe, wie kommt der Hr. von Liebig dazu, leeres und grundloses Geschreibsel in zwei Ertraheften der Welt vorzuseßen und sich damit bloßzustellen? Wenn er aber umgekehrt sich von der Gründlichkeit meiner Arbeiten überzeugt und ihr seinen Beifall gezollt hat, wie dieß nicht bloß durch seine Herausgabe von sieben meiner odischen Abhandlungen in seiner Zeitschrift dargethan, sondern auch durch Briefe, die ich von seiner Hand besize, klar nachzuweisen ist, wie kommt er jetzt, wo die Thatsachen meiner Forschungen in viel höherem Grade gereist und festgestellt sind, als vor zehn Jahren, wie kömmt, sage ich, Hr. von Liebig jezt dazu, die „neue Odwissenschaft“

für unbegründet zu erklären? — Ein solches Benehmen ermangelt aller Consequenz und alles Taktes, mich auf das gelindeste auszudrücken.

In dieser Rede sagt Hr. von Liebig „keine von allen Erscheinun"gen, die das Od hervorbringen soll, sey von vorurtheilsfreien Personen mit gesunden Sinnen jemals wahrgenommen worden; meine Sensitiven seven nicht im Stande, das was sie sehen und empfinden, aus sich „selbst heraus zu beschreiben u. s. w." Dieß zeigt, daß Hr. von Liebig entweder ohne Kenntniß meiner Schriften oder ohne literäre Treue spricht; denn in jenen sind ausgezeichnet gebildete Männer und darunter ruhmvolle Naturforscher als sensitive Beobachter aufgeführt, denen in Vorurtheilsfreiheit und in der Kunst sich aus sich selbst gut auszudrücken, es nachzuthun, manchmal Hrn. von Liebig selbst nicht allzuleicht fallen dürfte. Der berühmte gelehrte Professor Endlicher, der kaiserliche Geheimerath, Prälat Freiherr von Schindler, leßter Präsident der Republik Krakau, der evangelische Superintendent Pfauer zu Wien, der Freiherr von Oberländer, die Grafen von Coronini, der königlich schwedische Leibarzt Dr. Huß zu Stockholm, die Professoren Unger, Schabus, Ragsky, Rösner, die Doktoren der Medicin Ekkard, Köller, Fröhlich, Stainer, Diesing, Kollar, der schweizerische Gesandte Hr. Steiger, der Fabriksherr Fichtner, der bekannte Dichter Hr. Alerander Baumann und so viele andere gelehrte sensitive Männer, von ausgezeichnet gebildeten Frauen, wie die Frau Generalin von Augustin, Frau von Littrow u. a. zu geschweigen, diese alle sollten nach Hrn. von Liebig vorurtheilsvolle Personen, nicht bei gesunden Sinnen und unfähig seyn, das was sie in der Dunkelkammer bei mir sahen und empfanden aus sich selbst heraus zu beschreiben?" Ich zweifle ob unter diesen Männern auch nur Einer sich findet, von dessen Arbeiten die Deutsche Volks halle sagen würde, was sie von der Münchner Eröffnungsrede gesagt hat: daß man jeden Sah hätte herausnehmen und irgend einen andern dafür einschalten können, ohne dem Zusammenhange der Gedanken zu schaden. Oder die Herren Kotschy, der zweimal im Herzen von Afrika gewesen, und jezt nach Asten abgegangen ist, Ingenieur Major Philippi, der mehrmals den Erdball umschifft hat, Dr. Natterer, der soeben vom rothen Meere zurückkommnt, Luftfahrten gemacht, die lebensgefährlichsten Gaskondensationen* kühn unternommen hat, sollten nervenschwache Leute ohne gesunde Sinne

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* Fortschritte der Physik, sechster und siebenter Jahrgang. S. 274.

seyn? Und solche Uebereilungen dem gebildetsten Theile des Münchner Publikums ins Angesicht zu sagen, trägt Hr. von Liebig fein Bedenken?

Und woher nimmt denn Hr. von Liebig so ganz die Gewißheit, daß die Sensitiven nervenschwache" Leute sind, für die er meine Gehülfen ohne weiters alle erklärt? Da könnte er in Gefahr kommen, mit einem seiner gewöhnlichen vorschnellen Urtheile zurückgewiesen zu werden. Die Sensitiven sind nervenreizbarer als Nichtsensitive, aber nicht nervenschwächer. Das unterscheidet er nicht und verwechselt es darum. Nirgends aber in der Physiologie steht geschrieben, daß Reizbarkeit mit Schwäche gleichen Schrittes gehe. Gerade im Gegentheil nimmt in der Regel die Reizbarkeit ab, wo die Schwäche zunimmt, folglich umgekehrt die Reizbarkeit gewöhnlich zu, wo Kraft und Stärke wachsen. Nicht auf schwacher Nerventhätigkeit beruhen die sensitiven Erscheinungen, sondern umgekehrt auf gesteigerter, erhöhter, stärkerer. Sensitive sind auf keine Weise schwach, sondern nervenstark, wenigstens in der Partie ihrer odischen Empfänglichkeit. Sie sind nicht darum sensitiv, weil sie frank sind, denn sonst müßte bald jeder Kranke sensitiv seyn, sondern weil ihre Nervenreizbarkeit erhöht ist, wozu man nicht nothwendig krank seyn muß, wie sich dieß an einer großen Anzahl meiner ferngefunden Sensitiven zeigt. Aus der Pathologie wissen wir, daß in vielen Fällen, wo das vegetative Leben deprimirt erscheint, die Nerventhätigkeit gesteigert auftritt; dann leidet der Kranke örtlich in der vegetativen Sphäre, nicht aber wesentlich im allgemeinen Nervensystem. Dieses befindet sich in Aufreizung, ist zur vermehrten Thätigkeit aufgefordert, also affizirt, aber darum nicht nothwendig krank; im Gegentheile, aus der Gesundheit und Kraft des allgemeinen Nervensystems muß die Stärkung und Gesundheit der vegetativen franken Gegend hergeholt werden. Die Sensitiven fühlen und sehen mehr, nicht weil sie schwach, sondern weil ihre Wahrnehmungsfähigkeit gesteigert, die Kraft ihrer Receptivität verstärkt ist. Ich habe männliche und weibliche Sensitive von einer auffallenden Nervenstärke vor mir und Hrn. von Liebig's Behauptung ist hier, ohne alle Prüfung und Erfahrung, willkührlich hingestellt und vollkommen mißgriffen.

Dann versichert derselbe, daß „Personen, deren Nervensystem nicht ,,in vollkommen gesundem Zustande sich befinde, zum Beobachten „sich durchaus nicht eignen“ und behauptet sofort, daß in Folge dessen

alle odischen Beobachtungen mit Sensitiven fehlerhaft, also wissenschaftlich unbrauchbar seyen. Hier ist zunächst gänzlich ungegründet und irrig, daß Menschen, deren Nervensystem sich nicht in vollkommen gefundem Zustande befindet, zum Beobachten sich durchaus nicht eignen. Wann ist denn unser Nervensystem in vollkommen gesundem Zustande? Das müßte uns Hr. von Liebig vorher sagen, denn unser Nervensystem ist fast nie in vollkommen gesundem Zustande. Die unbedeutendste Gesundheitsstörung, eine starke Ermüdung, jede lokale Unpåßlichkeit, jede niederschlagende oder freudige Erregung, die leichteste Hautverkühlung, die geringste Unregelmäßigkeit in Speisen- oder Getränkegenuß, eine unruhige Nacht, reichen schon hin, unser Nervensystem außer Gleichgewicht zu bringen, zu verstimmen und seinen vollkommen gesunden Zustand zu stören; von stärkeren Angriffen auf Gesundheit und davon, daß überhaupt fast kein Mensch vollkommen gesund, also streng genommen Niemand in vollkommen gesundem Nervenzustande sich befindet, zu geschweigen. Aber davon auch ganz abgesehen, wo hat denn die kecke Behauptung, daß Personen, deren Nervensystem sich nicht in „vollkommen“ gesundem Zustande befindet, zum Beobachten sich „durchaus" nicht eignen, ihren Halt? Kann man denn nicht krank und dabei vollkommen geistesgesund seyn? Kann man dabei nicht vollkommen gut sehen, hören, riechen, fühlen? Ist man denn dessen nicht in hundert Nervenaffectionen, in tausend verschiedenen Krankheitszuständen vollkommen gut mächtig, so lange nicht geradezu Delirium eintritt? Die Sensitiven, stärkere und schwächere, machen ein Drittheil, wo nicht die Hälfte der Menschheit aus, wie ich dieß oftmals dargethan; beim dritten Mann also stünde es nach Hrn. von Liebig nicht richtig unterm Hute. So schlimm steht's um uns eben nicht. Warum foll ein niedersensitiver Mensch, der so unmerkbar an Nerven leidet, daß er es selbst nicht einmal weiß, die einfachen Sinneneindrücke, die zur Constatirung der odischen Erscheinungen hinreichen, nicht klar, wahr und sicher appercipiren können? Warum soll an einem Höhersensitiven sein Kopfschmerz, sein Magenweh, warum sein Krampf und seine Ohnmacht nicht wahrhaft, warum soll alles dieß Einbildung und Täuschung seyn? - Solcher Ausspruch entbehrt jeglicher wissenschaftlicher Begründung, ist ins Blaue hineingeredet und weitaus nichts anderes, als eine von jenen willkührlich aus der Luft gegriffenen Behauptungen, welche seinen Folgerungen zu unterstellen Hr. von Liebig ein eigenes leichtfertiges Talent besißt; mit denen er sein Publikum blendet und

besticht; die ihm aber der strengwissenschaftliche Berzelius bloßgelegt, gerügt und verwiesen hat, als Unkraut, das er in die Wissenschaft hineinbringe und als unwürdig eines Naturforschers. Gleich wie seine schimmernde Behauptung, daß alle Kraft im Organismus aus dem Chemismus stamme, worauf er dann rustig ein weites hylozoistisches System aufbaute, in der Grundlage unerwiesen und voreilig wie so vieles andere aus seiner Feder ist; in noch viel höherem Maße ist es schlechtweg falsch, daß Menschen ohne vollkommen gesundes Nervensystem zum Beobachten durchaus nicht taugen. Das hieße soviel, als daß jeder, dem das geringste Uebel zugestoßen, alsbald nicht viel besser als ein Irrsinniger sey. Denn wer zu Sinnenanschauungen und zu einfach sinnlichen Beobachtungen durchaus unfähig ist, der muß überhaupt nicht mehr recht bei gesunden Sinnen seyn, und wer nicht mehr. bei klaren Sinnen, wem die Sinne Wahn statt Wahrheit unterschieben, der ist ein Wahnsinniger. Wenn das wahr wäre, möchte es um die gesunde Vernunft des Hrn. von Liebig selbst nicht allezeit unbedenklich stehen. Wonach hätte ein Arzt beim Kranken in der Diagnose sich zu richten? Bisher hat er sich nach den Beobachtungen gerichtet, die ihm der Kranke nach den Merkmalen, die er an seinem Innern, mittelst seiner Nerven fühlend wahrnahm, angab. Diese Angaben aber wären nach den Consequenzen von Hrn. von Liebig's Ansichten lauter Wahnwig; so wirft er die ganze pathologische Semiotik und die Medicin selbst über den Haufen, das ist, seine Assertion führt in ihrer Anwendung geraden Weges zu Absurdität und ist darum hohl und falsch. Solcher Art ist der Uebergang zu jenem naturphilosophischen Blendwerke, wo es nicht auf sichere Thatsachen festgestellt wird; man unterschiebt irgend einen scheinwahren Saz; die Menge gewahrt im Vertrauen auf den Meister nicht sogleich das Hinkende darin und traut; dann führt man kühn Balken um Balken ein ganzes schimmerndes Gebäude darüber auf, das alle Welt bewundert, nur der Kenner nicht, der die Substruktionen prüft. Das ist auch der Weg auf dem Hr. von Liebig die größere Hälfte seines Ruhmes erbeutet hat; es wird ihm aber nicht gelingen, auf ebendemselben die Lehre vom Ode, wie er vermeint, umzuwerfen und zu vernichten. Die Täuschungen seiner falschen Logik werde ich auf den nächstfolgenden Blättern aufdecken und ihr damit die Widerhaken brechen.

Aber von alle dem abgesehen, ist denn Hr. von Liebig nicht gewahr worden, daß unter meinen sensitiven Zeugen nicht bloß Kranke,

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