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Begriffsbestimmungen und Anordnung des Vortrags.

§. 1. Der Gegenstand vorliegender Schrift ist eine Untersuchung der Eigenschaften des Menschen, seines Leibes und seines Geistes, in wieferne sie seine Sensitivität zur Grundursache haben. Eine und die wichtigste von diesen Eigenschaften ist die ihm innewohnende Reizempfänglichkeit für odische Einwirkungen. Gleichen Schrittes damit gehen demgemäß Untersuchungen über die Natur und die Gesetze des Odes. Es werden also subjektive und objektive Erscheinungen, Reizmittel und Reizwirkungen, zu prüfen seyn.

Die Begriffe für die Ausdrücke Sensitivität und Od müssen als aus meinen früheren Schriften hierüber bekannt vorausgesetzt werden und eignen sich hier, wo nur Untersuchungen mitgetheilt und nicht Systeme vorgetragen werden, nicht zu wiederholter Bestimmung.

§. 2. Die gesammte Menschheit, hier vom odischen Standpunkte aus genommen, läßt sich theilen in zwei große Hälften: eine sensitive und eine nicht sensitive. So weit meine Nachforschungen in Deutschland und unter den benachbarten europäischen Völkern reichen, ist dieß überall ungefähr ebenso, und die Spuren, die sich an der Hand der Geschichte und Ethnographie durch Griechenland, die Levante, Indien, China bis in die Einöden von Sibirien verfolgen lassen, machen es mehr als wahrscheinlich, daß es nirgends unter den Menschen viel anders seyn wird, allenthalben finden sich mehr und minder sensitive Menschen mit nicht sensitiven untermengt. Das Größenverhältniß beider Hälften zu einander läßt sich zwar für jezt nicht angeben; darf ich aber aus meinen Erfahrungen einen Schluß mir erlauben, so werden sie sich einander ziemlich die Wage halten; ich habe überall fast ebenso viele mehr oder minder Sensitive, als Nichtsensitive gefunden und so möchte es sich vielleicht durchgängig finden.

Sie sind nicht schwer von einander zu unterscheiden, jedermann kann sie leicht sondern, es gibt eine Menge der einfachsten Erkennungsmittel. Als

v. Reichenbach, der sensitive Mensch. I.

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eines der leichtesten, einfachsten und ohne irgend einen Versuch zu erlangendes habe ich die Lust und Unlust erkannt, welche vielen Menschen gewisse Farben verursachen. Es ist mit wenigen Worten zu erfahren, ob Jemand eine Astreigung gegen die gelbe Farbe hegt und daneben eine Vorliebe für die blaite. Alle diejenigen, welche diese eigenthümliche Neigung besigen, habe ich nach meinen bisherigen Beobachtungen immer sensitiv gefunden, und dieß um so stärker, je lebhafter dieser Zug sich an ihnen aussprach.

Außerdem gibt es noch eine große Anzahl von Merkmalen, an denen. man die Sensitiven mit Leichtigkeit herausfinden kann; ihres Orts werde ich fie alle mittheilen. Ich spreche hier nicht von Kranken, sondern nur von der gesunden Bevölkerung, die in allen Richtungen ihrer Arbeit obliegt. Vorläufig nenne ich nur noch die, welche zu Krämpfen, zu Schlaflosigkeit, zu Migräne, zu Schreckhaftigkeit, zu einsamer Zurückgezegenheit, zu Beunruhigung vom Mondscheine sich hinneigen, als solche, die in der Regel bei aller übrigen äußern Gesundheit an der Sensitivität Theil haben.

Zum Prüfstein jedoch, nach welchem ich die Sensitiven und die Nichtsensitiven bestimmt von einander scheide, habe ich ein sehr kurzes und einfaches Mittel aufgefunden. Es bedarf hiezu nichts, als der bloßen Hände. Ich lasse mir von der Person, deren Natur ich kennen lernen will, die linke Hand darreichen und streiche mit dem Zeigefinger meiner Rechten senkrecht und langsam darüber herab, von der Handwurzel bis über die Spitze des Mittelfingers, ohne sie zu berühren und in der Entfernung von etwa einem Zolle. Fühlt der Geprüfte dabei eine Einwirkung in der Art, wie wenn ein feines kühles Lüftchen meinen Finger folgend entlang über seine Hand liefe, etwa wie aus einem Strohhalm leise ausgeblasen, so ist er ein Sensitiver; fühlt er nichts, so ist er keiner. Diese Empfindung, die auf eine so anspruchslose Weise hervorgebracht wird, ist gleichwohl für die weitumfassende Materie der Sensitivität von größter Bedeutung und knüpft an eine unendliche Kette von Erscheinungen einen dauerhaften Faden an.

§. 3. Nach diesen Angaben, zu denen noch meine früheren Mitthei lungen über diese Gegenstände kommen, sollte man glauben, müßte es eine leichte Sache seyn, gesunde Sensitive überall aufzufinden, so viel man nur wünschte. Es traf sich einmal ganz zufällig, daß in meinem Hause von meinen eigenen Dienstleuten nicht weniger als ein Schreiber, eine Köchin, ein Stubenmädchen, eine Magd, ein Bedienter, der Kutscher, der Haustischler, ein Gehülfe desselben, ein Gärtner und mehrere Taglöhnerinnen alle zugleich sensitiv waren. Diese Leute hatten sich sämmtlich ganz von Ungefähr bei mir zusammen gefunden, sie dienten mir zum Theil schon lange Jahre, ehe ich nur selbst von Sensitivität etwas gewußt hatte, zum Theil waren sie ohne einen Gedanken daran zu verschiedenen Zeiten in meinen Dienst genommen worden. Man hat auch in Stockholm, in Edinburg, in

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London, in französischen Städten überall, selbst in Athen nach meinen Angaben unschwer Sensitive aufgefunden und meine Mittheilungen über solche bestätigt; nur in unserem Deutschland hat es bis jetzt nicht gelingen wollen, Sensitive nach meinen Bezeichnungen zu entdecken. 3n Göttingen hat man. zwar einen Augenblick Odlicht gesehen, es ist aber wieder vergangen, hieß folglich eine ärgerliche Täuschung und sofort will man nichts mehr von einem so thörigten Dinge wissen. In Tübingen hat ein eifriger Physiker eine Geldprämie für denjenigen ausgesetzt, der ihm einen Odlicht sehenden Sensitiven aufzubringen im Stande wäre; ich habe aber nicht gehört, daß der Preis gewonnen worden wäre. Aus andern Universitätsstädten hat man mir geschrieben: „wir haben Magnete, wie Sie, wir haben Krystalle, wie Sie, wir haben guten Willen, wie Sie, aber Niemand von uns in unserer ganzen Umgebung hat die geringste Sensation von allen diesen Dingen wahrgenom= In Wien hat eine unbeholfene Commission von zwölf Doktoren in einem halben Dußend meiner besten Sensitiven lauter Betrüger wahrzunehmen die Geschicklichkeit gehabt. In Berlin, wo ich einige besonders warme Gönner besize, findet man es weitaus nicht der Mühe werth, eine so alberne Sache, wie Sensitivität und Od, auch nur einer oberflächlichen Prüfung zu unterziehen; Physiker und Physiologen erklären dort Dinge solcher Art für leere Einbildungen, für bedauernswerthes Irrsal" und Hr. Dübois-Reymond übt sich gegen mich, Mangel an Beweis, in Plattheiten und schlechten Wißen überall, wo er nur Gelegenheit dazu vom Zaune brechen kann. Daß er jemals einen Versuch angestellt hätte, der darauf abzweckte, sich von der Existenz oder Nichteristenz einer der menschlichen Natur beigegebenen Eigenschaft wie die Sensitivität zu unterrichten, davon keine Rede. Es geht ins Lächerliche, wie die dortigen Federn auf der einen Seite mit der Entdeckung der thierischen Elektricität sich breit machen und gleichzeitig auf der andern dem thierischen Magnetismus geradezu in die Haare fahren. In dicken mehrbändigen Werken, wo man ein paar neue Säße wie aus dem Rheinsande ein dürftiges Goldflitter mühselig herauswinden muß, präconisiren sie ihren alten Neufund und erkennen nicht, daß durch Stabilifirung elektrischer Ströme in den Nerven Niemand zutreffendere Analogien für das Daseyn magnetischer (und odischer) Bewegungen in denselben an die Hand gibt, als gerade sie selbst. Nun wir sind in unserem Deutschland, das sich beim Frankfurter Friedenscongresse durch seinen Großmeister der Scheidekunst vertreten ließ; nach dem Geiste der Hochfahrenheit, der die Obmänner der Wissenschaft heutiger Zeit charakterisirt, bleibt mir wenig Hoffnung, sie jemals Sensitive finden zu sehen, nicht weil sie keine finden können, sind sie ja nicht selten selbst solche, sondern weil sie keine finden wollen. Den mühevollen Kampf vor Augen, den ich gegen unwissenschaftliche Derbheiten zu bestehen habe, begreife ich jest, warum Berzelius sich in ein Lob meines Muthes

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auslassen konnte, daß ich mich an eine Untersuchung so dorniger Art wagte. 3ch lasse ihn nicht sinken diesen Muth, das gelobe ich seinen Manen; ich nehme ihn auf diesen ungleichen Kampf von Einem gezen Viele oder fast gegen Alle; im sichern Bewußtseyn der Wahrhaftigkeit der Thatsachen, die ich aufdecke, hoffe ich den Tag der Genugthuung anbrechen zu sehen. Aber der Geschichte der Wissenschaften in Deutschland soll es nicht vorenthalten seyn, wie man in der Mitte des neunzehnten Jahrhunderts über die vorliegenden Bemühungen, Licht in einen der verworrensten, schwierigsten aber wichtigsten und felgeschwersten Zweig der Naturwissenschaft zu bringen, herzufallen sich nicht entblödet hat. Es wird als Zeichen unseres Culturzustan des den folgenden Geschlechtern merkwürdig bleiben.

§. 4. Hier in dieser Schrift haben wir es zwar wesentlich mit der sensitiven Hälfte der Menschheit zu thun, die nicht sensitive fällt jedoch nicht außerhalb des Umfangs gegenwärtiger Untersuchungen. Die edischen Vorgänge finden bei beiden statt, der Unterschied liegt einzig darin, daß jene sie wahrnimmt, diese sie nicht gewahrt.

§. 5. Das Gebiet der sensitiven Erscheinungen erstreckt sich nicht bloß über sinnliche Eindrücke, es greift hinauf bis zu geistigen Vorgängen im Menschen. In letzterem Betrachte fällt ein Theil desselben der Psychologie anheim. Den Vorwurf der gegenwärtigen Arbeit beschränke ich der Hauptsache nach auf die sinnlichen Erscheinungen, deren Ergründung vernünftigerweise der Untersuchung der geistigen vorangesetzt werden muß. Mein Bestreben ist, die Sensitivität mit ihrem Zugehör der Physiologie und die odischen Erscheinungen bestimmt der Physik zu vindiciren und ihnen in diesen Doctrinen trotz des Widerstandes der heutigen Männer der Naturwissenschaft Play zu verschaffen.

Demnach könnte man den Stoff gegenwärtiger Schrift zerfällen in zwei Haupttheile, in den der physischen und in den der psychischen Erscheinungen. Da ich indessen mich vorerst mehr dem Studium der physischen gewidmet, den der psychischen so lange minder speciell habe bearbeiten wollen, bis die physischen und physiologischen Gesetze in ihren Hauptzügen einigermaßen ins Klare herausgearbeitet seyn werden, so würden nach jenem Theilungsprincipe

* Berzelius (Jahresbericht 1846, S. 819) sagt nämlich, nachdem er mit einigen Zügen meine odischen Arbeiten von 1845 beifällig skizzirt hat, folgende Worte: „Diese „Forschung gehört also zu den schwierigsten, welche ein Naturforfcher unternehmen kann, „und man muß den Muth anerkennen, daß ein Naturforscher, der bemerkte, daß hierin „was zu entdecken ist und welcher einen geachteten Namen in der Wissenschaft zu be„wahren hat, den Vorurtheilen, der Kurzsichtigkeit, dem Eigendünkel und selbst dem „Hohne trotz zu bieten wagt, um seinen Zweck zu verfolgen. Ein Forschungsgegenstand „muß nicht deßhalb verlassen werden, weil er schwierig zu erreichen steht oder weil er „von der Gegenwart mit Unrecht übersehen oder geringschäßig behandelt wird.“

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