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desselben; er betrachtet es, wenn er es am Ende auch erobert, nicht als einen Sklaven, den er nußen, sondern als einen gefangenen König, den er respektieren soll. Natürlich ist nur von großen Geistern und Gemütern die Rede." Auch Plon meint: „Thorwaldsen hatte jene übertriebene Sparsamkeit, welche man so häufig bei alten Leuten findet, die in ihrer Jugend die Armut gekannt und bei deren arbeitsvollem Leben die Bedürfnisse nicht mit dem Reichtum gewachsen sind." Übrigens that er viel Gutes und spendete manche Wohlthat, die vielleicht ein weniger knauseriger Mann nicht erzeigt hätte.

Welchen Eindruck Hebbel auf Thorwaldsen machte, ist allerdings nicht festzustellen, doch scheint er ihm schon deshalb gewogen gewesen zu sein, weil Jener ein Freund Öhlenschlägers war, mit welch Lezterem er in dem vertrautesten Verhältnisse stand, doch scheint sich ihre Annäherung seinerseits bloß auf ein allgemeines Wohlwollen beschränkt zu haben. Anders aber war der Einfluß, den das ganze Wesen des Meisters auf den jungen Poeten hervorgebracht hatte. Es war ein tiefer und mächtiger, so daß selbst in den Fieberträumen die Gestalten Thorwaldsens eine Rolle spielten. „Ich war in einem Garten“ schreibt er am 8. März 1843 „und sah dort Viele von Thorwaldsens Bildsäulen; aber sie standen nicht auf ihren Postamenten, sondern sie wandelten umher und waren beschäftigt, wie Arbeitsleute. Christus schleppte Sand, einer der Apostel grub, Venus begoßz Leinenzeug auf der Bleiche, die Grazien pflückten Erbsen u. s. w. Das Verrückteste war, daß ich mich durchaus nicht darüber wunderte, sondern alles in der Ordnung fand." Ein Freundschaftsverhältnis wie zwischen Thorwaldsen und Öhlenschläger war hier unmöglich, dazu war der Unterschied des Alters und auch der Nationalität zu groß, ebensowenig ein Verhältnis wie es später Hebbel zu seinen jüngeren Freunden in Wien, zu Kuh insbesondere hatte, da die Kunstkreise, in denen die beiden Meister wirkten, sich nicht deckten es war eben nur das Verhältnis zwischen zwei großen Geistern, die sich gegenseitig achten und hochschäßen, denkbar, bei dem aber Thorwaldsen mehr der gebende und Hebbel der empfangende Teil war. Der

Bildhauer hatte dem Dichter erst die Augen geöffnet über das Wesen seiner Kunst und wir gewahren den Unterschied zwischen Einst und Jezt bei dem Leztern erst, wenn wir die Äußerungen vergleichen, welche Hebbel in München vor der Bekanntschaft mit Thorwaldsen machte, und diejenigen, die er später in Rom niederschrieb.

Wenn es im Tagebuch vom 6. März 1839 von der Glyptothek heißt: Welch ein Genuß, in diesen prachtvollen Sälen umher zu wandeln und sich in den Geist der fernen Zeiten und Schulen mit dem vollen Gefühl der frischen anders gestalteten Gegenwart zu versenken" so ist das eine ganz allgemeine Bemerkung, die von einer Wertschätzung der einzelnen Kunstobjekte und einem Eingehen auf dieselben ganz absieht. Anders ist die Wirkung der Plastik auf Hebbel, als er 1844 in Rom weilt. „Der Vatikan" schreibt er am 14. Oktober an Elisen „enthält des Bedeutenden so viel, daß man keine Rettung weiß, als sich an das Allerbedeutendste zu halten und das sind der Apoll vom Belvedere und Laokoon. Respekt! Ich habe sie jezt auch gesehen und befühlt! So kindisch das Leztere ist, ich habe es zum Zeichen der geistigen Besizergreifung gethan und zur Strafe will ich es beichten. Der stammt aus einer Welt, wo selbst die Michel Angelo und Thorwaldsen herausgewiesen würden. Und frisch, wie heute gemacht!" Und als er später die Juno in der Villa Ludovisi sieht, meint er, das gehe über alles, was man sehen könne, selbst in Rom, hinaus. „Wie neben dem Apoll ein Werk von Thorwaldsen oder Canova zu nichts verschwindet, so würde der Apoll neben der Juno wenigstens zu Etwas herabgesezt werden d. h. er würde aufhören ein alle Elemente umfassendes Wunder der Darstellung zu sein, für das ich ihn anfangs hielt. . . . Beschreibungen helfen zu nichts, sie mögen von Winckelmann oder von mir herrühren und Gipsabgüsse helfen nicht viel mehr: der Hauch des Lebens verfliegt."

Daß diese Anschauungsweise nur die Frucht des Kopenhagener Aufenthalts und des Verkehrs mit dem großen dänischen Meister war, kann nicht geleugnet werden und Hebbel bewahrte demselben stets ein treues und dankbares Andenken. Am 27. April 1843 reiste er mit dem Dampfschiffe ab. „Die Sonne vergoldete die

Stadt, die mir ewig teuer sein wird" schreibt er in sein Tagebuch. Er sah sie nicht wieder und ebenso wenig Thorwaldsen, der ein Jahr darauf starb. Hebbel war damals in Paris; er erhielt die Nachricht am 2. April 1844. „Er kam eben von einem Spaziergang nach Paris zurück, trat in ein gewöhnliches Café, ergriff die erste beste französische Zeitung, sah Thorwaldsens Namen und las seinen Tod. So sterben die Götter, so starb Goethe, Shakespeare, Lessing, so würden wir Alle sterben, wenn das Leben sich naturgemäß entwickelte. Geht ins Theater, sezt sich nieder, lebt, - ist todt. Gleich in meinen ersten Schauer mischte sich der Neid!"

Die Zeitung hatte Recht gehabt. Es war am 24. März, als Thorwaldsen vom Mittagessen bei Baron Stampe kam, um sich ins Theater zu begeben. Er begegnete Andersen und wollte ihn bewegen mit zu kommen, allein dieser lehnte ab. „Er ging demnach allein ins Theater, wo Griseldis gegeben wurde, man spielte die Ouverture, er nahm seinen gewöhnlichen Siz im Parterre ein, neben Öhlenschläger. Eine Dame, welche nach ihm gekommen war, mußte an ihm vorübergehen, er erhob sich, um ihr Play zu machen und als die Dame sich umdrehte, um ihm zu danken, sah sie ihn sich niederbeugen. „Haben Sie etwas verloren ?" fragte sie ihn -er antwortete nicht. "Thorwaldsen ist ohnmächtig geworden!" rief Öhlenschläger, worauf die ihm zunächst befindlichen Personen dem Greise zu Hilfe eilten, man brachte ihn in aller Eile ins Schloß Charlottenburg, das in der Nähe des Theaters liegt. Der Arzt öffnete sofort eine Ader doch umsonst, der große Künstler hatte zu leben aufgehört." So beschreibt Plon das Ende Thorwaldsens, der sich einen solchen Tod gewünscht hatte.

Hebbel war durch Thorwaldsens Hinscheiden recht traurig gestimmt worden. Die Gestalt des greisen Künstlers aber verklärte sich ihm poetisch und regte ihn zu einem Gedichte an, indem er an Elisen schreibt: „Es geht aber nicht aus der Melodie von „weint ihr Musen, seufz' Apollo", sondern ich habe das Ereignis, wie ich es erlebte, den Spaziergang in den Champs Elyssées u. s. w. und das Lesen der Nachricht in der Zeitung mit allen seinen bunten

Farben hingestellt.'

Es war die schönste Todtenfeier, die er dem dahingegangenen Meister veranstalten konnte. Er schließt mit den schönen Worten:

"

Du riefst mir freundlich ein Willkommen zu,
Ich rufe jezt in Deine ew'ge Ruh

Aus tiefster Brust ein Fahrewohl Dir nach,
Und diesen Kranz, bunt, wie ihn mir der Tag
Aus wilden Blumen mit und ohne Duft
Geflochten, lege ich auf Deine Gruft.“

Honorificabilitudinitatibus.
Von Max Herrmann in Berlin.

In wunderlichen Ausdrücken voll lauten Spottes und heimlichen Entzückens gibt sich in Shaksperes Love's Labour's Lost' das Gefühl der Bewunderung kund, das der riesige Bauer Costard für den winzigen Wigbold Moth, that handful of wit',,the most pathetical nit', empfindet; der wunderlichste aber steht in der ersten Scene des fünften Aktes: J marvel thy master hath not eaten thee for a word; for thou art not so long by the head as honorificabilitudinitatibus'.

Daß dieses dreizehnsilbige Unwort hier nicht mit Rücksicht auf seine Bedeutung, sondern nur seines äußeren Umfangs wegen zum Vergleich herangezogen wird, ergibt schon der Sinn des Saßes ohne weiteres; daß es nicht erst Shaksperescher Prägung, sondern damals gebräuchliche Münze ist, läßt sich zunächst aus der englischen Literatur jener Zeit nachweisen. Am deutlichsten ist eine Stelle aus John Marstons ,Dutch Courtezan' vom Jahre 1605 (Works ed A. H. Bullen, 1887, 2, 92): als in der zweiten Scene des fünften Aktes Master Caqueteur,,a prattling gull', gemeldet wird, ruft Fräulein Crispinella entsegt: For grief's sake keep him out; his discourse is like the long word Honorificabilitudinitatibus, a great deal of sound and no sense . . .' Ein Jahr nur jünger als Shaksperes Komödie (1598) ist Thomas Nashs schnurrige Satire auf die Heringsstadt

Yarmouth, Lenten Stuff': hier wird der Triumphzug des red-herring gezeichnet, und bei der Schilderung des Gefolges heißt es (The old book collector's Miscellany, 1871, S. 37): Physicians deafen our ears with the honorificabilitudinitatibus of their heavenly panacaea, their sovereign guaiacum. . .' Jst hier also unser Wort etwa durch endloses Kauderwälsch" wiederzugeben, so gebraucht es im siebzehnten Jahrhundert John Taylor,,the water poet', gar im Stile eines schwülstigen Schulpedanten als eine groteske Anrede, die unser Hochwohledelgeboren" ganz erheblich übertrumpft: er leitet eine Widmung an ,Mr. Trim Tram Senceles of Goteham' mit den Worten ein (Publications of the Spenser Society, 3, . I): ,Most Honorificicabilitudinitatibus [!], J hauing studied the seuen Lub berly Sciences . . . out of which J gathered three coniunctions foure mile Asse-vnder, which with much labour, and great ease, to little or no purpose, J haue noddicated to your gray, graue and grauelled Prateection'.

"

Auf Grund solcher Parallelstellen, die sich nach den mir von Professor Julius Zupiga freundlichst nachgewiesenen Andeutungen von Steevens und Knight ermitteln ließen, hat Delius zur Erläuterung jener Shaksperestelle nur den Saß geliefert: „Dieses lateinische Wort wird auch bei Shaksperes Zeitgenossen als das längste scherzhaft erwähnt“. Indessen scheint mir damit zu einem wirklichen Verständnis der Worte Costards noch nicht viel gewonnen. Zwar ist die gesuchte Art des Wizes in einem Stücke, in dem es sich um die Verspottung jeder schulmeisterlichen Pedanterei handelt, an sich durchaus begreiflich, die Verwendung eines karikierten Fremdwortes in einer Scene, wo Pfarrer und Schulmeister sich mit gelehrten Brocken bewerfen, vollständig am Plaze. Aber obwohl es sich um ein Jugendwerk des Dichters handelt und sogar um eine Arbeit, die sichtlich und absichtlich nirgends in die Tiefe geht, sollte doch niemand dem Dichter zutrauen, daß er, der jeden Charakter von innen heraus gestaltet, gelegentlich auch die alleräußerlichste Klebearbeit nicht verschmäht habe. Und von einer solchen müßte hier die Rede sein, wenn man einfach annähme, daß der Bauer Costard eine gelehrte Anspielung zum besten gäbe. Denn Costard heißt nicht mit Unrecht,that unletter'd small-knowing soul': er nennt Pompeius,Pompion', er hält,enigma' und l'envoy' für quacksalberische Tränklein, er versucht freilich einmal eine lateinische Wendung, glitscht aber jämmerlich aus, indem er,ad unguem' zu ,ad dunghill' verballhornt. Wie kommt dieser homo illitteratus, der höchstens einmal vor langer Zeit durch die unterste Klasse der Schule gegangen ist, zu dem Studierstubenwig,honorificabilitudini

tatibus'?

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