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Ideal geweihten Empfindens die Seele mit erdrückender Schwere belastet.

Es ist die Geschichte jeder dem höchsten Ideal zugewandten Seele, die hier erzählt wird. Kein Zweifel, sie wird sich wieder finden. So überwindet die Jungfrau nach schwerer Prüfung; sie gewinnt die alte Kraft zurück, und in erneuter, wunderbarer Entfaltung sprengt sie die unzerreißbaren Fesseln und führt im Tode das begonnene Werk zum endlichen Siege.

Auch dieses lezte Wunder, das die unverständige Kritik als grobe Phantastik beanstandet, ist vielmehr die treffende Symbolik, das heißt mit andern Worten die echt poetische Darstellung dafür, daß dem wahrhaft dem Ideal zugewandten Sinne durch Frrung und Prüfung die Kräfte wachsen und ihm, müßte er auch das lezte Opfer bringen, der Sieg gewiß ist.

Ein ungedruckter Beitrag Clemens Brentanos zu Arnims ,,Trößteinsamkeit“.

Mitgeteilt von Reinhold Steig in Berlin.

Arnims Zeitung für Einsiedler erschien 1808 vom 1. April ab wöchentlich zweimal zu Heidelberg. Das Programm ist bekannt, alles Lustige alter und neuer Zeit war willkommen. Diese Bestimmung regte Clemens Brentano, der sich von Cassel aus beteiligte, zu einer lustigen Schnurre an, die er unter Beihilfe Jakob Grimms zu Stande brachte.

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Am 8. April sandte Clemens sein Manuskript an Arnim nach Heidelberg:1) Auch erhälst Du meinen Brief einer Apfelhüterin, der eine hübsche Antwort im Blatt möglich macht, mit der Unterschrift Herzbruder, welches immer meine Unterschrift bei scherzhaften Aufsäßen sein soll". Arnim antwortete am 20. April: „Die Äpfelhüterin wirst Du in einem sehr bunten Quodlibet über Poesie wiederfinden, das 1) Achim von Arnim und die ihm nahe standen (Stuttgart 1894) 1, 251. 253.

Dir, mein ich, gefallen soll“. Arnim hatte also die Absicht, die „Äpfelhüterin“ in sein „Scherzendes Gemisch von der Nachahmung des Heiligen einzureihen, das auch Jacob Grimms Golem-Geschichte als Entstehung der Verlagspoesie enthielt. Die Zeitungs- Nummer vom 23. April brachte den Anfang des scherzenden Gemisches; aber erst in dem Schlußstück desselben, vom 30. August, machte Arnim die damals keinem Menschen außer ihm und Clemens verständliche Anspielung auf das Gänsemädchen, das von den Versen eines jungen Dichters ganz toll geworden sei," während er nebenher versprach, an einem anderen Orte ihre Unterredung nachzuholen. Da die Zeitung mit dieser Nummer einging und nur noch die große Sonettenbeilage folgte, ist Brentanos Beitrag nicht zum Abdruck gekommen.

Ich habe das Manuskript wiedergefunden.1) Es ist von Arnims Feder durchgebessert und mit Anweisungen für den Seger versehen. Eine alte und damals ganz neue Eingebung über das Wesen der Poesie, beide aus Leipzig, werden ergöglich von Brentano neben einander gestellt; der Schelmufski - Ton paßt ausgezeichnet. Das Stück lautet:

An die Herausgeber.")

Liebe Herrn!

Ich bin ein gar armes Mensch, sie sagen mir auf der Glashütte, ich sei toll und übergeschnappt, wenn ich mir die Schlacken auflese, in deren Glanz so wunderliche Farben sind, ach es ist doch alles des Meisters, der es gemacht, im Sommer hüte ich die Aepfel für einen Bierbrauer, da singe ich, so oft ein Apfel fällt, ein Lied, und vorgen Sommer hat mich ein Student besucht im Aepfelgarten, er gehört seinem Vater, der hat mir allerlei unterschiedliche Sachen gesagt von der Poesie, und da habe ich nichts von begriffen, er hat mir auch gesagt, ich sei ein schöner Gegenstand für den Roman, aber die Lyra hätte sich überschlagen in mir, darüber habe ich armes Mensch viel geheult, die Bäume wissens wohl und die Luft weiß es am allerbesten, denn ich athme sie ein. Er hat mir auch gesagt, ich sei eine Poetin, und bin ich doch eine Baumännin, und heiße Friedericke Baumännin, aber einmahl hat er mir Lieder vorgelesen, die waren so schön, da ward mein Herz wie ein Frucht mit Kernen. Den Tag drauf, als ich glaubte, er sollt wiederkommen, war ich nach dem Krämer gelaufen, und hatte ein rothseiden Band gekauft für all mein Geld, das spannt ich um vier Apfelbäume, ich dachte er sollte wiederkommen, ja, er ist

1) Ich wies schon „Goethe und die Brüder Grimm" S. 26. 249 darauf hin.

*) „An die Herausgeber“ von Arnim gestrichen.

noch nicht da, er sollte mir1) unter den Bäumen, um die das Band gieng, vorlesen, ich habe viel Angst gehabt, und habe mir um viel Geld ein Buch von der Sache, von unserm Judenboth in der Stadt kaufen lassen, das Buch heist, Erdmann Uhsens wohl infor mirter Poet worinnen die Poetischen Kunstgriffe, vom kleinsten biß zum grösten durch Frag und Antwort vorgestellt, Leipzig 1715. Das habe ich nun auswendig gelernt. diesen Winter, und dachte, wenn den Sommer die Aepfelhüit wieder angeht, da kömmt der Student wieder, und der kann mich überhören, aber ich bin durch ihn in große Zweifel gekommen, als er kam sagte ich also aus dem Erdmann Uhsen

Waß ist die Poesie?

Die Poesie ist eine Geschicklichkeit, seine Gedanken über eine gewisse Sache zierlich, doch dabei klug und deutlich, in abgemeßenen Worten und Reimen vorzubringen.

Muß denn einer nothwendig Verse machen können?

Mancher kann diese Kunst ziemlich entbehren, der eben nicht grosse Ursache hat, sich durch ein Carmen bei andern beliebt zu machen, oder, so ihm ja eines sollte abgefordert werden, schon seinen Mann weiß, der an seiner Statt solche poetische Arbeit auf sich nimmt. Wer aber seine Rekomandation durch einen geschickten Vers erhalten soll, und keinen Substituten hat, der hierinnen seine Stelle verträte, der wird der Poesie gar schwehrlich entbehren können. Mancher muß andere in der Poesie unterweisen, und also nothwendig dieselbe wohl verstehen.

Waß nuget aber eigentlich die Poesie?

Mehr als vielleicht mancher denken sollte: denn es bringet uns dieselbe auf allerlei artige Inventionen, manierliche Expressionen, verschafft uns ein gute copiam verborum, belustiget unser Gemüthe, und machet uns bei andern Leuten oftmals sehr beliebt.

Nun hatte ich das mit groser Mühe auswendig gelernt um es dem Studenten zu sagen, und ihn um die Explication davon zu bitten, worum ich stets in Aengsten bin, da hat er mir aber gesagt, daß dies Alles nicht wahr sei, die erste Frage könne er mir gleich anders beant worten, das lautete anders und hat er mir aufgeschrieben, wie da folgt: Waß ist Poesie?

Poesie ist die seunst, jelige Inseln voll Schönheit, Harmonie und Zweckmäßigkeit, voll schöner großer und begeisternder Ideen und

1) „mir“ von Arnim zugefügt.

zarter tiefer und heiliger Gefühle aus dem Ocean der Menschenbrust durch den Zauberstab des metrisch gebundnen und dennoch freyen Wortes mit Schöpferkraft ans Sonnenlicht emporzuheben und bei ihrem Anblick eine ganze Welt in süßes ungewohntes Staunen zu verseßen.

Recensent in der Leipz. Lit. Zeit. 1808. n. 36. col. 565.1)

Ach Gott liebe Herrn, woran soll ich mich nun halten, haben Sie ein Erbarmen mit mir armen Mensche

ihre

Friedricke Baumännin
Apfelhüterin zu Merseburg

[im freyen Dichtergarten.] 2)

Ich bitte Sie recht sehr, ihre Meinung bald bekannt zu machen, grüßen Sie mir doch den Sohn eines Holzhändlers, der sich bei Ihnen aufhält, der weiß gewiß drum, wer Recht hat, der Erdmann oder der Student? Er wird mir auch gern antworten, aber ja recht deutlich, ich habe einmahl das Vergnügen gehabt, auf einem Holländerflog mit ihm zu fahren, grüßen Sie den lieben Herrn.) Und was willst Du antworten? fragte der Herzbruder. Ungeachtet wir Einsiedler nicht aus der Welt davongelaufen wären, wenn wir noch Lust hätten uns mit gemeinen Leuten abzugeben, so benußen wir doch die Gelegenheit hier noch ein Gedicht an den Mann oder vielmehr an eine Frau zu bringen, das viel besser paßt als eine Faust aufs Auge.

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Mit dem Sohn eines Holzhändlers" meinte Clemens natürlich Freund Görres. Auch er sollte also die torrespondenz fortführen helfen, aber nicht so Görresisch dunkel, sondern „ja recht deutlich“. Arnim wollte auch Anfangs auf Clemens Spaß eingehen. Seine erste Absicht war wohl, in einem Gedichte die geheimnisvoll schaffende Kraft der Poesie gegenüber einem tödtenden Formel und Regelfram zu preisen. Das wäre im Sinne der Heidelberger Einsiedler gewesen. Er unterließ es aber und strich die ganze Nachschrift von „Ich bitte Sie recht sehr bis zum Schlusse.

Die von der Apfelhüterin aufgeworfenen Fragen und die Antworten darauf sind in der That original. In der Leipziger Literatur

1) „Poesie ist die Kunst col. 565.“ auf einem angesiegelten Blättchen von der Hand Jacob Grimms.

2) im freyen Dichtergarten“ ein wieder gestrichener Zusatz Arnim's.
3) So weit Brentano, das Folgende von Arnims Hand.

Zeitung, vom 23. März 1808, war es ein anonymer Recensent, der sich gegen die Mittelmäßigkeit in der Poesie aussprechen wollte und dabei jene Tirade leistete: damit wir (wie er sagt) die Sache nicht bloß durch Erfahrung und fremde Urteile, sondern wo möglich durch die Urtheilskraft und Vernunft selbst abmachen“. Von Erdmann Uhsens „Wohlinformirten Poeten“ war mir auf der königlichen Bibliothek zu Berlin aus Meusebachss Sammlung eine frühere Ausgabe vom Jahre 1703 zur Verfügung. Brentano hat sich auch später den ihm willkommenen Stoff nicht entgehen lassen. Er hat ihn in dem Phi lister vor, in und nach der Geschichte" verwertet, den er im Jahre 1811 zu Berlin verfaßte.1)

Dem Philister nach der Geschichte, d. h. dem jezigen Philister, der nur ein fader Nachgeschmack des alten, von der Geschichte längst verdauten Philisters sei, stellte Brentano Goethe entgegen als den Inbegriff des Gesunden, Natürlichen und Gebildeten: Alle andern haben mehr oder weniger ein übertriebenes Einathmen und fatales Ausdünsten, dahin gehören alle Nachdichter, welchen ich hiermit ein- für allemal Erdmann Uhjens wohlinformirten Poeten, worinnen die poetischen Kunstgriffe vom Kleinsten bis zum Größten durch Frag' und Antwort vorgestellt, und alle Regeln mit angenehmen Exempeln erklärt werden, Leipzig 1715, als eine unentbehrliche Philister Ästhetik, und zwar das Kapitel von der Imitation: Wie kann ich einem Andern seine Invention nachmachen lernen, empfehlen". Und weiter bei der Schilderung der Musterphilister: Jhre Ästhetik ist Erdmann Uhsens Definition von der Poesie. Was ist die deutsche Poesie ? Die deutsche Poesie ist eine Geschicklichkeit, seine Gedanken über eine gewisse Sache zierlich, doch dabei klug und deutlich in abgemessenen Worten und Reimen vorzubringen". So hat sich also in den „Philister vor, in und nach der Geschichte“ der Kern des ehemals bei Seite gebliebenen Einsiedler-Aufsages gerettet.

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1) Clemens Brentanos Gesammelte Schriften 5, 409. 417.

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