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Unzahl von Stellen der derzeitigen Literatur wiederfindet. (Vgl. Anhang II.) Er rief oft ein Gedränge vor dem engen Eingang zum Schauspielhause hervor, daß der Straßenverkehr darüber ins Stocken geriet, zumal wenn der rote Anschlagszettel ein neues Stück verkündete. Freilich, es war drei Uhr nachmittags, da ging der ordentliche Bürger vielfach seiner Arbeit nach und Sonntags, wo all den zahlreichen Geboten der Sabbatheiligung zum Trotz doch häufig auch gespielt wurde, erlaubte es dem puritanisch Gesinnten sein Gewissen erst recht nicht, dieses Haus des Vergnügens zu betreten. Immerhin ließ wohl der eine oder andere die Arbeit ruhn, um sich den sachverständigen Begutachtern einer Uraufführung zuzugesellen, heißt es doch in einem derzeitigen theaterfeindlichen Buche resigniert: „es ist ja keine Hoffnung vorhanden, daß die Magistratsbeamten Theaterstücke verbieten, sind sie doch selbst in der Regel die ersten am Platze". Ein nicht unbedeutendes Kontingent stellt die vornehme Welt. Wissen wir doch auch, daß der Earl von Southampton in der Zeit zwischen seiner Rückkehr aus Irland und dem unglücklichen Essexputsch (1601) die Zeit damit hinbrachte, sich mit seinem Freunde Lord Rutland Theaterstücke anzusehen.

Er fiel freilich mit dem allzuhäufigen Besuch dieser Stätte auf. Denn Leute von Rang, meinte Richard Brathwait in seinem Spiegel des vornehmen Mannes, dem English Gentleman', sollten dieses Vergnügen doch nur mäßig genießen. Scheuten sie die Ausgabe nicht, so brachten sie gern ein kleines Gefolge mit ins Theater; dann wurde ein etwaiger Aufbruch mitten im Stück als Zeichen des Mißfallens dem Publikum deutlicher. Immerhin war der große Aristokrat in diesem Hause kein täglicher Gast, er ließ sich lieber in seinem Stadtpalast oder wenn die Truppe ihre Tournee in die Provinz

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antrat, auf seinem Landsitz etwas vorspielen, nahm auch wohl an den Aufführungen am königlichen Hofe teil. Das Interesse der vornehmen Welt teilte sich auch den Fremden, unter ihnen Gesandten und Botschaftern, mit, die London zu besuchen hatten, und es dann nicht unterließen, dem Theater ihre Visite zu machen. Das Schauspiel wird zur Zierde der Stadt, meint Heywood in der Verteidigung der Schauspieler", denn Fremde aller Nationen kommen dahin und berichten davon in ihrer Heimat. Das war gewiß nicht übertrieben, auch die deutschen Reiseberichte sind ja voll Erstaunen und Bewunderung über diese Dinge. Übrigens waren es nicht nur landfremde, sondern natürlich auch gelegentlich nach London kommende Provinzler, die den freien Nachmittag auf diese Weise hinbrachten, etwa Leute, die zur Parlamentssitzung in die Hauptstadt gereist waren. Ein kleines Häuflein regelmäßiger Besucher bei den Uraufführungen bildeten die Londoner Dramatiker, gewiß die aufmerksamsten unter den Zuhörern. Ein Augenzeuge beschreibt sie uns, wie sie würdevoll dasitzen, auf jedes Wort und jede Gebärde achten, sich gegenseitig ihr Verdikt ins Ohr flüstern und hin und wieder mit einem Kohlestift eine Notiz niederschreiben, um ihr Gedächtnis zu unterstützen. Gefällt ihnen das Stück, so sind sie die ersten, Lorbeerkränze und Epheuzweige zu verteilen. Die Regelmäßigkeit, mit der die Dramatiker untereinander ihren neuen Schöpfungen beiwohnten, läßt auch die mitunter sehr feinen Anspielungen eines Stückes auf das andre verstehen. Sie waren eben vielfach nur für das Ohr des einen bestimmt, der es am allerbesten kannte, seines Dichters. Von größerer Wichtigkeit für die Kasse des Theaters wie für den Erfolg der Stücke war gewiß eine Gattung Besucher, auf die vielleicht bisher nicht in genügendem Maße geachtet worden ist, nämlich die Rechtsstudenten und ihr

Anhang. Sie bilden gerade diejenige Sorte Publikum, von der wir uns vorstellen können, daß sie für Shakespeares Kunst Verständnis besaß. Als besonders geräuschvoll bekannt, wie heute noch die Medizin-Studenten bei öffentlichen Darbietungen in London, suchen sie doch die bessern Plätze auf, die „private rooms", die schon ein erhöhtes Eintrittsgeld kosten. Ihr Beifall dröhnt, ihr Mißfallen kann nicht verborgen bleiben, und noch auf dem Nachhausewege lärmen sie lachend wie ein Trupp Schuljungen durch die Straßen.

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All die genannten Besucher kamen wohl unfraglich in erster Linie der Stücke selber wegen. Aber bei der großen Zahl derjenigen, die man die gallants" nannte, mischen sich schon allerlei Nebenabsichten ein. Wir kennen diese elisabethanischen Stutzer aus der Beschreibung Ben Jonsons, der sie bis aufs Blut haßte. Es ist nach seinem Vorbild oft beschrieben, wie sie auf der Bühne saßen und in dem unbegründeten Gefühl absoluter Überlegenheit den besten Gedanken und die feinste Wendung kopfschüttelnd mit einem „Übel! Übel!“ (filthy, filthy) beantworteten, dazu Gesichter schnitten, rauchten und hin und wieder auf die Bretter spuckten. Die zahlreichen Schilderungen anderer Autoren bestätigen dieses wenig schmeichelhafte Bild des „gallant" durchaus. Er tadelte wohl nicht immer, wie es nach Ben Jonsons Beschreibung scheinen könnte, sondern machte gewiß auch gelegentlich Autor und Publikum durch ein unmotiviertes Lob nervös, das er in die der Zeit geläufigen Modeworte: „Oh rare!" zu kleiden pflegte, einen Ausdruck, der den ernsthaften Leuten so verhaßt geworden war, daß man sich wundern muß, ihn später, als er aus der Mode gekommen, auf das Grabmal Ben Jonsons gesetzt zu sehen. Was den gallant in das Theater trieb, war gewiß kein Interesse an der Literatur, sondern das Bestreben, den Nachmittag höchst angenehm hinzu

bringen, vor allem in der Öffentlichkeit gesehen zu werden. Wenn ich ins Theater komme, sagt Rich. Perkins, dann liebe ich es, so zu sitzen, daß mich alle sehen können, am besten vor der Bühne. Aber lieber noch setzt sich der gallant auf die Bühne, oder wenn irgendmöglich, drückt er sein Gesicht an das Gitter der Oberbühne. Daß er hin und wieder mit einer Dampfwolke aus seiner Pfeife die Spielenden dem Anblick des Parterres beinahe entzieht, erhöht das Vergnügen, zumal dadurch Zurufe erfolgen, die den Gang des Stückes angenehm unterbrechen. Wenn er dagegen dem Spiel aufmerksam folgt, so hat er eine besondere Nebenabsicht dabei. Er merkt sich nämlich die Scherze und Redensarten, um sie geeignetenfalls in der Gesellschaft wieder anzubringen. Seine Witze sind sämtlich hierher, und wenn er denselben Abend irgendeiner Lesbia den Hof macht, so stammen seine tiefsten Herzenstöne aus Romeo und Julie oder einer andern pathetischen Tragödie, die über diese Bretter gegangen ist. Weil er sich auf sein Gedächtnis nicht verlassen kann, führt er deshalb ein Notizbuch bei sich, dem er die schönsten und dafür geeignetsten Stellen gleich einverleibt. Aber nicht. alle seinesgleichen haben das Theater für so gewählte Umgangsformen notwendig, für einen großen Teil von ihnen genügt vielmehr die im Theater anwesende Weiblichkeit zur Anknüpfung galanter Abenteuer und bei dieser bedarf er so gedrechselter Komplimente nicht.

Man hat früher die Anwesenheit von Damen im Theater völlig geleugnet und geht heute vielfach zu weit in der gegenteiligen Behauptung. Wenn ein Reisebericht von Friedrich Gerschow aus dem Jahre 1602 erzählt: „undt findet sich doch stedts viele Volckes, auch viele ehrbare Frauwen, weyle nuze argumenta undt vieler schöner lehren sollen traktiert werden“, so ist namentlich die Begründung ein köstlicher Beweis von

der Bravheit und Biederheit dieses Landsmannes, aber seine Bemerkung steht auf derselben Wahrscheinlichkeitshöhe wie jene, die von dem wütenden Rauchen der Londoner berichtet und hinzusetzt, das solle ganz außerordentlich gesund sein. Die einheimischen Zeugnisse reden eine durchaus andere Sprache. Daß das Theater im allgemeinen für Männer bestimmt war, wird niemand leugnen. Hörte auch eine Dame der elisabethanischen Zeit manches ohne zu erröten an, was heute selbst in Herrengesellschaften unmöglich ist, so unterschied man doch nichtsdestoweniger in der guten Gesellschaft in dieser Hinsicht streng zwischen den Geschlechtern. Und ebenso, wie es für unendlich schamlos gegolten hätte, daß die Frauenrollen von wirklichen Frauen gespielt wären, so hielt die gebildete Welt den Zutritt von Damen für nicht am Platze. Freilich wird man genau wie heute zwischen den einzelnen Stücken in dieser Beziehung unterschieden haben, aber in einem Hause, wo Szenen wie die Bordellauftritte in Beaumont-Fletchers Custom of The Country III, 3; IV, 4 aufgeführt wurden, war gewiß kein Platz für wirkliche. Damen. Dazu kam die schlechte Tradition des Theaters in dieser Hinsicht. Hatte man doch, als die Truppen noch in den Wirtschaftshöfen spielten, diesen mit Recht vorgeworfen, ihr Kunsttempel sei eine Mischung von Bordell und Theater. So lehnt denn auch Brathwait in dem „English Gentlewoman" den Besuch des Theaters für eine junge Dame durchaus ab. Er stellt fest, daß sie dadurch Gefahr liefe, ihren Ruf, schlimmer als das, ihre Tugend einzubüßen. Und dieser Mann war nicht etwa ein Puritaner.

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Trotzdem würde man natürlich nicht mit der weiblichen Neugierde rechnen, wollte man annehmen, daß keine Bürgerfrau oder Dame der Gesellschaft das „scaffold" der Zuschauer bestiegen habe. Aber freilich waren es

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