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gefaßt, daß sie dahin gehen wollte, weil sie das für das einzige Mittel ansahe, Gott in sich selbst: zu finden. Wer hysterische Personen gekannt hat, wird bemerket haben, daß sie oft einen unwiders stehlichen Trieb zum Reisen haben, weil die leidende: Natur sich auf diese Art Erleichterung zu verschaft fen hofft, und selbige auch wirklich findet. Haben sie keine Gelegenheit, diesen Trieb auf eine anståns dige Art zu befriedigen, so seht das Bedürfniß der Natur sie nicht selten über alle Bedenklichkeiten. weg, und es giebt Fålle genug, daß solche Persos nen in den heftigsten Anfällen der Krankheit sich auf Gerathewohl in die weite Welt stürzen.

Zwar stiegen ihr allerley Bedenklichkeiten dabey, auf. Sie war ein junges Mädchen von etwa neuns zehn Jahren, welches auf einer solchen abenteuers lichen Reise tausend Gefahren ausgeseht seyn konnte. Sie kannte weder Weg noch Steg, ja sie wußte nicht einmahl, zu welchem Thore von Lisle sie hinaus gehen sollte. Sie war sehr zärtlich erzogen, und folglich des Gehens ganz ungewohnt. · Allein der Gedanke, daß sie auf Gottes Befehl handele, erstickte alle Zweifel, und sie beschloß, ihre weibliche Kleidung abzulegen, und sich in die Tracht eines Einsiedlers. zu verbergen. So gleich den andern Tag kaufte Sie sich graues Tuch, einen Hut und alles was zu der Verkleidung nothwendig war, nåhete den neuen Habit bey der Nacht, und damit niemand etwas merken möchte, so stellete sie sich aufgeräumter und heiterer, als gewöhnlich.

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Indessen hatte ihr das ansehnliche Vermögen ihres Vaters seither mehrere Liebhaber von guten Häusern und Umständen erworben; allein da fie aus einem ihr einmahl natürlichen Eigensinne ims mer das Gegentheil von dem that, was andere wünschten, so hatte sie ihnen allen den Korb gegeben, unter dem Vorwande, daß fie niemahls heirathen wollte. Ihr Vater war damit sehr unzufrieden, zumahl da er hofftë, daß eine gute Heirath' sie von ihrer nårrischen Andächteley zurück führen würde, daher er alles that, sie auf eine glimpfliche Art dazu zu bewegen. Er steckte sich hinter ihren Beichtvas ter, einen Jesuiten, der ihr im Beichtstuhle den Ehestand zum Heile ihrer Seele anpreisen mußte; allein er kam damit sehr übel an. Denn so bald er nur diese Saite berührte, lief fie, ohne die Abr solution empfangen zu haben, wie unsinnig aus dem Beichtstuhle, trat zum Altare und communis cirte, und wollte von dieser Zeit an bey keinem Jer suiten wieder beichten. Da nun ihr Vater sahe, daß alle glimpfliche Mittel bey ihr fruchtlos waren, so beschloß er, sich seines våterlichen Ansehens zu bedienen, und sie wider ihren Willen an einen juns gen französischen Kaufmann zu verheirathen, der ein großes Vermögen besaß. Sie ließ diesem zwar unter der Hand zu verstehen geben, daß sie ihn schlechterdings nicht heirathen würde; allein, er verließ sich auf den Vater, und da die Tochter deßs: fen heftige Gemüthsart kannte, so beschloß sie, ihm zuvor zu kommen, und ihren nårrischen Entschluß je eher je lieber auszuführen. Poiret versichert,

der Teufel habe die ganze Heirath veranstaltet, um fie an der Ausführung eines so heiligen Entschluss fes, als die Reise in die Wüste war, zu verhin; dern; aber er sey häßlich angeführet worden, ins dem er selbige vielmehr beschleuniget habe.

Der Vater kehrete sich an den Widerspruch seis· ner nårrischen Tochter nicht, sondern ließ alle An: stalten zur Ausstattung und Hochzeit machen. Die lestere sollie noch vor Ostern 1636 vollzogen wer den; allein da der Brautigam vorher eine Handels: reise nach Frankreich gemacht hatte, und durch den zwischen dieser Krone und Spanien ausgebrochenen Krieg zurück gehalten ward, so ward sie bis nach Ostern verschoben. Unsere Antoinetta hielt es nicht für rachsam, seine Zurückkunft abzuwarten, sondern sehte den ersten Ostertag zu ihrer Wallfarth an. Sie ging den Abend vorher um zehn Uhr in ihr Zimmer, schnitt sich die Haare ab, und zog ihren Einsiedler Rock an, unter welchem sie nichts, als ihr hårenes Hemd trug. Die bloßen Füße steckte fie in ein paar grobe Bauerschuhe, und zugleich legte sie alles Geschmeide, Gold und Silber ab, und steckte nicht mehr als einen Sous zu sich, wos für sie sich den andern Tag Brot kaufen wollté. Sie schlummerte darauf ein wenig, und schlich sich des Morgens um vier Uhr zum Hause hinaus. Als sie auf der Thürschwelle stand, hörete sie eine Stimme, welche zu ihr sagte: „O, wo ist dein „Glaube? Verlässest du dich auf einen Sous?" Sogleich warf sie auch den Sous von sich, und bat Gott wegen ihres Unglaubens um Vergebung.

So gieng sie nun fort ohne zu wissen wohin, indem sie sich ganz auf die unmittelbare Führung Gottes verließ. Sie wandte sich linker Hand, und wollte erst noch eine Messe bey den Jesuiten mir auf den Weg nehmen; allein, da es anfing Tag zu werden, so besorgte sie, man möchte sie erkennen, daher sie ihren Weg fortsette. Ein geheimer Trieb zog sie hierauf rechter Hand, und sie wanderte zu dem Dornicker Thore hinaus, und langte des Morgens um zehn Uhr glücklich in Dornick an. Hier greng sie zu den Carmelitern, wo sie die Hoche messe hörte und communicirte, und sogleich durch die Stadt weiter nach Mons zu wanderte. Sie fand sich dem Gemüthe nach so heiter, daß sie ganz neu geboren zu seyn schien, und weder Hunger noch Durst empfand, sondern lauterGeist zu seyn glaubte; ein deutlicher Beweis, daß die Leibesbewegung und veränderte Luft ihrem Körper Erleichterung vers schaffte, ob sie gleich das alles Gott zuschreibt.

Aber die Freude ward bald durch Abenteuer anderer Art unterbrochen. Sie kam Nachmittags um drey Uhr zu einem Dorfe, Nahmens Bassec, und hier konnte sie vor Mattigkeit keinen Schritt weiter. Sie sehte sich darauf hin, schlummerte ein wenig und stapelte alsdann weiter, so daß sie zwischen, fünf und sechs Uhr durch das Dorf kam. Auf eis nem offenen Plaße in demselben befanden sich viele Menschen und unter andern auch Soldaten, welche einem Ballspiele zusahen. Da sie in einiger Ents fernung von ihnen gieng, so ward sie nicht erkannt, sondern jedermann grüßte sie. Aber einige Kinder,

welche ihr nåher waren, fingen an zu murmeln: der Priester siehet accurat aus wie ein Mädchen. Das Gemurmel verbreite te sich nach und nach unter die Soldaten, von welchen sich einige zu Pferde festen, ihr nacheilten, und sich ihrer bemächtigten. Gie entdeckten sogleich die Wahrheit, die sie selbst nicht läugnen konnte, und nur verlangte, zu einem Priester gebracht zu werden, der sie beruhigen würde. Der Officier nahm sie auf sein Pferd, aber anstatt sie zu einem Priester zn führen, ritt er mit ihr in fein Quartier, welches in dem Dorfe Blatton war. Da er von einem jungen Mädchen, welches in einer solchen nårrischen Gestalt allein durch die Welt läuft, alles zu hoffen Ursach hatte, so that er ihr gütlich, bewirthete sie mit Essen und Trins. ten, und hoffte in der Nacht seine Vergeltung mit leichter Mühe zu erhalten. Allein sie schrie und schwur, daß ehe eines von beyden auf dem Plaße bleiben sollte, ehe er seine Absicht erreichen würde. Dadurch kam das ganze Haus in Bewegung, und da der Wirth schon bey der Mahlzeit entdeckt haben mochte, daß die Beute des Officiers ein nåtrisches einfältiges Schaf war, so schickte man zu dem Pfarrer, der auch fo gleich ankam, sie in seinen Schuß nahm, und sie die Nacht in seinem Hause behielt. Sie sagt, es sey ein sehr heiliger Mann gewesen, der von vielem Weinen so rothe Augen wie eine Here gehabt, ihren Entschluß gelobt und versprochen habe, sie in demselben mit seinem gan: zen Vermögen zu unterstüßen. Zugleich sey er infeinem Innern so entzündet worden, daß er Gott

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