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16. Te] hat zuerst Baehrens geschrieben und zwar in Bezug auf das Folgende ganz richtig, während die Handschriften „Me" haben und die Kritiker bald dies bald jenes dafür vermuteten. Am Ende des Verses haben die Italienischen Kritiker schon früh aus der oben angeführten Stelle des Ovidius „minus" statt „,nihil" aufgenommen, aber das letztere, das alle Codices haben, darf doch nicht angefochten werden, so anlockend auch jenes „minus" sein mag.

17. Diesen und den folgenden Vers hat Baehrens hierher gestellt, während sie in den Handschriften und früheren Ausgaben erst nach Vs. 22 stehen. Dafs nach Vs. 18 ein Distichon ausgefallen sei, lehrt schon das „seu“ in Vs. 17. Vor Baehrens hatte schon L. Müller eine Umstellung mehrerer Verse vorgenommen, um einen einigermassen erträglichen Gedankenzusammenhang zu erreichen.

18. Die Dea Bona, auch Maia, Fatua beigenannt und fast ganz gleichbedeutend mit Fauna, ward in ganz Italien von den Frauen als eine Gröfse, Vermehrung und Wachstum verleihende Göttin, als das Bild der matronalen Fruchtbarkeit und Würde hoch verehrt. Bei der Feier ihres Festes (1. Mai) wie bei dem nächtlichen feierlichen Opfer Anfang Dezembers wurde alles Männliche entfernt und selbst Bilder mit Männern oder männlichen Tieren verhängt; sie ward eben als züchtige Hausfrau und als göttliches Vorbild jeder zugleich fruchtbaren und streng sittlichen Ehe gedacht. Schon seit Ciceros Zeit aber rifs wenigstens in Rom in immer steigendem Mafse auch bei dieser Feier Sittenverwilderung ein, wovon der berüchtigte Clodius ein Beweis ist und der wenn auch etwas übertreibende Juvenalis Abschreckendes erzählt in seinen Satiren II, 83 flgde und VI, 314 flgde.

19. celebret] Wenn diese ersten Worte nicht in Folge der Auslassung des Distichons oder einer unleserlichen Stelle des Originals schon früh verschrieben wurden, so kann das celebrare hier nur bedeuten: sich mit jungen Leuten häufig in Gespräche einlassen, oder, wie Rigler will, die Jünglinge mit vielem und langem Gespräche beehren. Übrigens haben die Erklärer schon längst bemerkt, dafs dies und das Folgende sich nur auf das Benehmen des verliebten Weibes beim Gastmahle beziehe.

20. laxo - sinu] mit weitem, offenem, losem, also nicht festgeschlossenem und anliegendem Gewande am Oberkörper, dem sogenannten Busen oder Teile oberhalb des Gürtels. Der Ausdruck ist noch drastischer als der des Ovidius in den Heroiden XIV, 247: „Prodita sunt - memini - tunicâ tua pectora laxâ". Das cubare aber mufs man auf das Liegen um die Tafel beim Gastmahle beziehen.

21. Damit sie dich nicht hintergehe durch einen Wink, indem sie einem Anderen zuwinkt, ohne dafs du es merkst; oder indem sie das aus Versehen oder absichtlich auf dem länglichrunden Tische ausgegossene Wasser oder Wein benutzt, um nur ihrem heimlichen Geliebten verständliche Zeichen oder Buchstaben zu zeichnen, zu malen (digito trahere liquorem, vergossene

Ne trahat et mensae ducat in orbe notas.
Saepe, velut gemmas ejus signumve probarem,

Per causam memini me tetigisse manum;

Saepe mero somnum peperi tibi, at ipse bibebam
Sobria supposita pocula victor aqua.

Non ego te laesi prudens; ignosce fatenti.
Jussit Amor; contra quis ferat arma deos?

Ille ego sum
Latrabat tota cui tua nocte canis.

nec me jam dicere vera pudebit

Quid tenera tibi conjuge opus? Tua si bona nescis
Servare, frustra clavis inest foribus.

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Tropfen ziehen, mit dem Finger zu Worten oder Zeichen gestalten), und weiter ausgeführt in „ducere notas", Zeichen ziehen. Es ist dies eine von Ovidius in den Liebesgedichten oft erwähnte List; vgl. Amor. I, 4, 20: „Verba leges digitis, verba notata mero“; II, 5, 17: „Conscripta vino mensa"; Ars amandi I, 571: „Blanditiasque leves tenui perscribere vino“, und am treffendsten in den Heroiden XVII (XVI), 87: „Orbe quoque in mensae legi sub nomine nostro, Quod deducta mero littera fecit, AMO".

22. Nach diesem Verse folgen in den Handschriften und Ausgaben zunächst die oben als Vers 17 und 18 gegebenen und dann die von Baehrens weiter unten als Vers 35 und 36 eingefügten Worte, die hier jeden natürlichen Gedankengang zerstören.

23. Der Dichter fügt sehr passend den von der verliebten Frau selbst in Gegenwart ihres Mannes verübten Kunstgriffen die der Männer bei, welche in die Frauen Anderer verliebt sind; also immer noch dasselbe Thema, und um die Sache recht lebendig darzustellen und recht gewifs, nennt er sich selbst als den, der diese oder jene List anwendete, um mit der Geliebten in Berührung zu kommen. probarem] prüfen, untersuchen, natürlich beifällig, den Edelstein des Fingerringes oder das in denselben eingeschnittene Siegel oder Bildchen.

24. Per causam] indem ich als Grund angab, also: unter diesem Vorwande; es ist soviel wie „per speciem, per simulationem".

26. Ich schenkte dir ungemischten Wein ein, um dich einzuschläfern, während ich, als Sieger, weil ich nüchtern blieb und nicht einschlief, nüchterne Becher trank, d. h. ich der Nüchterne durch heimlich untergeschobenes Wasser (weshalb auch der Becher recht wohl ein nüchterner genannt werden konnte) nur Wasser oder Wein mit viel Wasser trank.

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27. prudens] wissentlich, mit Absicht und Überlegung. Das Weglassen der eigentlich erforderlichen Verbindungswörtchen macht die Darstellung lebendiger.

29. Ja ich bin es auch gewesen, um dessen willen dein Hund die ganze Nacht hindurch gebellt hat; weil er einen fremden Mann im Hause witterte. Latrabat schrieb Baehrens statt „instabat" der Hand

schriften.

31. Aber dafs so etwas vorkommen kann, daran bist du selbst schuld. Was nützt dir ein so zärtliches Weib, du verstehst deine Güter nicht zu bewahren, und so ist auch das Verschliefsen der Thüre zwecklos.

32. Das kurze „re“ in „servare" wird durch die zwei folgenden Konsonanten lang.

Te tenet, absentes alios suspirat amores
Et simulat subito condoluisse caput.
At mihi servandam credas; non saeva recuso

Verbera, detrecto non ego vincla pedum.
At mihi si credas, illam sequar unus ad aras;
Tunc mihi non oculis sit timuisse meis.
Tunc procul absitis, quisquis colit arte capillos,
Et fluit effuso cui toga laxa sinu;
Quisquis et occurret, ne possit crimen habere,
Stet procul atque alia se auferat ante via.
Sic fieri iubet ipse deus, sic magna sacerdos

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33. Und diese deine Unachtsamkeit benutzt deine Frau ganz vortrefflich. Dich hält sie umarmt und dabei seufzt sie nach dem abwesenden Geliebten, und wenn du sie nach dem Grunde dieses Seufzens fragst, da sagt sie heuchlerisch, ihr habe der Kopf zu schmerzen begonnen. amores ist ganz unser: Liebschaften, statt „amatos"; suspirare aliquid oder aliquem heifst: nach etwas, nach Einem seufzen, sich sehnen, und kommt öfters bei den Dichtern vor.

35. Vertraue mir dein Weib zum Bewachen; credas, die mildere Aufforderung statt des hier unpassenden Imperativs. Ich will sie wie dein Sklave bewachen und mich gleich wie deinen Sklaven betrachten, der die Schläge des Herrn (saeva verbera eigentlich wilde, d. h. in der Aufregung ohne Erbarmen erteilte Schläge) ertragen mufs (recuso, ich weise sie nicht zurück, wie ich es als freier Mann doch thun durfte); ja ich weigere mich nicht Fufsfesseln zu tragen; Strafen, wie sie über die Sklaven oft bei ganz geringfügigen Vergehen verhängt wurden.

37. und 38. hat, wie schon oben erwähnt, Baehrens recht sinnig hierher versetzt; s. zu Vs. 22.

38. Wörtlich: Dann dürfte es mir nicht einfallen, also: nicht der Fall eintreten, dafs ich für meine Augen in Furcht sei, d. h. ich werde unverwandt überall hinschauen und meine Augen werden ihre Pflicht thun, so dafs ich mich nicht zu fürchten habe; es wird also nichts vorkommen können, was ich nicht sähe. Daher folgt nun auch sofort die Warnung an Alle, die auf Liebesabenteuer ausgehen, mit geschniegelten oder schön frisierten Haaren und faltenreichem, frei herabwallendem, nicht durch den Gürtel in strenger Ordnung gehaltenem Gewande herumstolzieren, um die Augen der Frauen auf sich zu ziehen und ihnen zu Ausschweifungen Veranlassung und Gelegenheit zu geben. Zu mihi non sit vergl. 16, 3.

41. Und kommt mir und meiner Herrin ja ein Mensch entgegen, ohne die Begegnung zu suchen, so bleibe er in der Ferne stehen oder entferne sich vorher eiligst (in eine andere Strasse), damit er nicht den Verdacht errege, dafs er die Begegnung gesucht habe. Der Vers 42 ist in den Handschr. verdorben überliefert, meist haben sie: „Stet procul aut alia stet procul ante via", einen aus Dittographie entstandenen Unsinn, den die Kritiker verschiedenartig zu entfernen suchten, z. B. Bücheler durch: „Stet procul aut alia se occulat ante via", oder L. Müller durch: "Sit procul aut alia stet precor ante via". Ich habe Baehrens' Verbesserung aufgenommen, da das Original uns einmal verloren ging.

43. Kümmert euch also um meine Geliebte nicht, die ich so streng bewache, und sucht sie nicht ihrer Liebe untreu zu machen; ihr werdet

Est mihi divino vaticinata sono.

Haec ubi Bellonae motu est agitata, nec acrem
Flammam, non amens verbera torta timet;
Ipsa bipenne suos caedit violenta lacertos
Sanguineque effuso spargit inulta deam,
Statque latus praefixa veru, stat saucia pectus,
Et canit eventus, quos dea magna monet.
Parcite, quam custodit Amor, violare puellam,
Ne pigeat magno post didicisse malo.
Attigeris, labentur opes, ut vulnere nostro

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sonst nur die Strafe des Liebesgottes auf euch herabrufen, wie mir die mächtige Priesterin verkündete.

44. div. sono] in göttlichem Tone, d. h. mit begeisterten Worten. 45. motu] durch die Bewegung, d. h. Einwirkung getrieben. Bellonae] Diese ist, wie schon Preller und Andere zeigten, nicht die altrömische Kriegsgöttin, sondern die hauptsächlich durch Sulla erst nach Rom verpflanzte Asiatische, eigentlich eine Mond- und Naturgöttin. Daher gedenken ihrer vorzüglich die Dichter des Augusteischen Zeitalters, z. B. Virgilius und Horatius, und dann die christlichen Kirchenschriftsteller, hier auch unser Tibullus, der die Oberpriesterin derselben schildert, wie sie, von dem durch die Göttin verhängten heiligen Wahnsinne (Enthusiasmus) ergriffen, nicht das Feuer, nicht die Geifselhiebe, die sie sich selbst giebt, scheut; ja sie zerfleischt sich mit dem Doppelbeile selbst die Arme, das Bildnis der Göttin mit ihrem Blute bespritzend. So steht sie da, die Seite durchbohrt, mit blutender Brust und verkündet die Zukunft, wie es ihr die Göttin eingiebt. Die flamma ist acris, eine wilde, verzehrende, und die Hiebe, die sie sich versetzt, sind torta, gewundene, gedrehte, wegen der aus Riemen, die gedreht sind, gefertigten Geilsel.

46. Hier steht nec-non wie bei Propert. IV, 1, 51 (III, 2, 51) statt des gewöhnlicheren non-nec, entsprechend dem Hellenischen oute οὐ.

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47. violenta] als eine gewaltsam gegen sich selbst verfahrende; wir: ,auf gewaltsame Weise".

48. inulta] ungestraft, d. h. ohne dafs sie sich wirkliche Schmerzen bereitet, mithin ohne Gefahr; denn es war der ganze Hocuspocus nur Schein und für eifrige Gläubige berechnet, wie dies auch von dem Folgenden gilt. 49. veru, meist der Bratspiefs, bezeichnet hier selbstverständlich eine kleine Lanze, mit der sie sich scheinbar die Seite durchbohrt.

50. monet] in Erinnerung bringt, d. h. verkündet; die Priesterin sagt in gehobener Rede das, was erfolgen wird und muss, nach dem Winke der Göttin vorher.

51. Parcite violare] schont zu verletzen, d. h. wagt es nicht das Mädchen zu verletzen, zu verführen.

52. pigeat] damit es euch später nicht mifsmutig macht, gereut, durch ein grofses Unglück erst davon belehrt worden zu sein, dafs ihr euch durch euer Gebaren gegen den Liebesgott vergangen habt, der das Mädchen beschützt. Zum ausgelassenen „vos“ vergl. 3, 21.

53. Attigeris] für „si attigeris", wenn du sie berührt haben wirst, also irgendwie ihre Liebe dir zu erwerben gewufst hast, so werden deine Schätze bald vergeudet sein, so sicher, wie aus der in der Begeisterung durch die Gottheit mir beigebrachten Wunde das Blut (sanguis nämlich labitur) her

Sanguis, ut hic ventis diripiturque cinis."
Et tibi nescio quam dixit, mea Delia! poenam;
Si tamen admittas, sit precor illa levis.
Non ego te propter parco tibi, sed tua mater

Me movet atque iras aurea vincit anus.
Haec mihi te adducit tenebris multoque timore
Coniungit nostras clam taciturna manus,
Haec foribusque manet noctu me affixa proculque
Cognoscit strepitus me veniente pedum.

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Vive diu mihi, dulcis anus! proprios ego tecum,
Sit modo fas, annos contribuisse velim.
Te semper natamque tuam te propter amabo;
Quidquid agit, sanguis est tamen illa tuus.

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vorfliefst und die Asche hier auf dem Opferaltare, wenn ein Wind sich erhebt, nach allen Seiten fortgerissen wird.

55. Tibullus bricht hier plötzlich mit der Erzählung der Prophezeiung der Priesterin ab und deutet nur schlau noch an, dafs auch der Delia bei etwaigen Ausschweifungen Strafe von den Göttern angedroht würde. Doch wünscht er, weil er sie eben innig liebt (darum auch das zärtliche „Delia“), dafs für den Fall, dafs sie wirklich etwas begehe (admittas, nämlich hoc flagitium, ut a fide recedas, ut fidem fallas) und damit ihn schwer kränke, doch die verheifsene Strafe eine leichte sei. Und nun gebraucht er noch eine List, denn er sagt, dafs seine Liebe zu ihr nicht mehr so heftig sei wie früher, er also nicht ihretwegen so milde gestimmt sei, sondern hauptsächlich ihrer Mutter wegen, die er im Folgenden gewaltig lobt, indem er besonders die ihm von dieser erwiesene Unterstützung in seiner Liebe zu Delia hervorhebt.

58. aurea] wie wir: das Goldmütterchen, das goldene Alterchen sagen; eine absichtliche Schmeichelei der Mutter. Sehr häufig erteilten Liebende ihrem Mädchen das Beiwort: Du Goldene, Goldige, d. h. Theuerste, Werteste.

59. Sie führt dich mir herbei, zu mir im Dunkel, und wenn sie auch grofse Furcht hat, dafs das Stelldichein verraten werden möchte, verbindet sie doch schweigsam (leise) unsere Hände, d. h. ermöglicht sie unsere Zusammenkünfte.

61. foribus affixa] sie steht wie festgenagelt an der Thüre und wartet auf mich, erkennt auch schon in der Ferne aus der Art meines Ganges mein Kommen.

63. proprios] wörtlich: ich wünschte die eigenen Jahre, wenn es nur das Naturgesetz erlaubte, mit dir zu vereinigen, d. h. ich möchte dir gern einen Teil meiner Lebensjahre zuteilen, damit du länger leben könntest. Contribuere, das mit cum und mit dem blofsen Dativ verbunden wird, war, wohl bis zu Augusts Zeiten, meist nur in staatlichen Beziehungen gebräuchlich, erscheint aber hier wie später bei Seneca (de brevitate vitae cap. 12) auch in Bezug auf andere Verhältnisse, und so ist das tecum gleich tibi und das Ganze nichts Anderes als: meos annos, partem meorum annorum, cum tuis annis tribuendo conjungere sive communicare.

65. te propter] Es wird treffend mit Nachdruck nochmals vom Dichter hervorgehoben, dafs er nur ihretwegen die Tochter, trotz deren Ausschweifungen oder Untreue, lieben werde.

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