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sprechend zu berücksichtigen, es behielt in weit höherem Grade, als es wünschenswert war, seinen philologisch-antiken Charakter, es durfte nicht wagen, der naturwissenschaftlichmathematischen Richtung der neueren Zeit erheblich zu folgen. Es musste notwendig auch fernerhin den Hauptwert in die alt-philologische Durchbildung der Jugend verlegen, es musste noch immer den Wert des lateinischen Aufsatzes betonen, es musste die Idealität, die von den Altphilologen der unmittelbaren Beschäftigung mit der griechischen Litteratur zugeschrieben wird, aufrecht erhalten, es musste weltbewegende Worte, wie Dampf, Eisen und Stahl, vom Lehrplane möglichst fernhalten, es musste Theorien, wie die der dynamoelektrischen Maschine, ausschliefsen und die Jugend abhalten, sich über die Tragweite moderner Erfindungen und Entdeckungen eingehender zu unterrichten. Kurz, die naturgemäfse Fortentwicklung des Gymnasiums wurde gestört. Der universale Charakter, der ihm zukommt, weil es zur Universität vorbereitet, wurde bedroht; es ging der Gefahr entgegen, altphilologische Fachschule zu werden und sich der lebendigen Gegenwart ganz zu entfremden. Dies verdanken wir im wesentlichen der Realschulfrage. Auch die Techniker müssen den so entstandenen Schaden als einen höchst bedeutenden anerkennen.

Sollte der Verein deutscher Ingenieure die obige Resolution unterstützen, so würde das Gymnasium noch mehr in altphilologische Stellung zurückgedrängt werden. Statt allgemein bildender Anstalten hätten wir dann am Gymnasium und Realgymnasium gewissermassen nur Fachschulen.

Getötet würde das Gymnasium dadurch nicht. Schüler würden ihm kaum entzogen werden, und der klassische Philolog würde sogar hoffen, dass es, wie jener Riese, der durch die Berührung der Mutter Erde stets neue Kraft gewann, zu neuem Leben erwachen müsste, indem es sich ganz auf den Boden des Altertumes zurückbegäbe. Dabei ist noch zu bedenken, dass wohl nirgends Aussicht ist, ein Gymnasium in ein Realgymnasium umzuwandeln, während für das umgekehrte zahlreiche Beispiele vorliegen. Es gäbe in der That, um das moderne Schulleben noch mehr zu »antikisiren«, nichts wirksameres, als die Unterstützung jener Resolution.

Würde nun wohl dem angerichteten Schaden ein auch nur einigermalsen entsprechender Vorteil gegenüber stehen?

Bei der Doppelstellung des Realgymnasiums war es fast selbstverständlich, dass dasselbe auch nach entgegengesetzter Richtung Front machte und in zahlreichen Schulschriften auch die lateinlosen Anstalten und gewisse Gruppen technischer Schulen bekämpfte. Nicht immer waren diese anderen Kämpfe von allgemeiner Bedeutung, sie waren vielmehr meist localer Natur und entsprangen aus Gründen der Concurrenz und Selbsterhaltung. Der Verfasser vermeidet es, auf Details einzugehen und wird über die gegenseitigen Beziehungen der sich entgegenstehenden Anstalten möglichst objectiv und allgemein zu berichten versuchen. Dazu ist jedoch ein Blick auf die Geschichte der alten Provinzialgewerbeschulen nötig, welche die Sprachen aus dem Lehrplane vollständig ausschlossen und auch bei der Aufnahmeprüfung sprachliche Kenntnisse nicht verlangten. Diese Schulen haben eine wichtige culturhistorische Aufgabe erfüllt, indem sie der Praxis tüchtige Kräfte vorbildeten, dem Gewerbeinstitute zu Berlin zahlreiche Abiturienten zuführten und dem Staat auch für die höchsten technischen Aemter junge strebsame Geister heranzogen, die später Gelegenheit hatten, ihre Tüchtigkeit ohne jede sprachliche, besonders ohne jede altsprachliche, Vorbildung zu bewähren. Eine ganze Reihe hervorragender Namen könnte angeführt werden.

Durch den fortschreitenden inneren Ausbau des technischen Beamtenwesens wurde jedoch der Staat schliefslich genötigt, höhere Bildungsanforderungen an seine Beamten zu stellen. Das Gewerbeinstitut wurde zur Gewerbeakademie und fand schliesslich in der Form der technischen Hochschule die volle Gleichstellung mit der Universität. Jetzt war es nicht mehr möglich, Gewerbeschüler ohne sprachliche Vorbildung als vollberechtigt für die höchsten Studien zu betrachten. Die alte Gewerbeschule hatte sich in dieser Hinsicht überlebt. Ihr blieb nichts übrig, als einzugehen oder

deutscher Ingenieure.

sich in eine niedere oder mittlere Fachschule zu verwandeln, oder sich ganz auf die Vorbereitung der Schüler für die technische Hochschule zu concentriren, letzteres natürlich auf Grund eines Lehrplanes, bei dem es sich im wesentlichen um allgemeine Bildung handelte.

Dass diese verschiedenen Möglichkeiten nicht streng aus einander gehalten wurden, war der Grundfehler des im Jahre 1870 in Kraft getretenen Nottebohm'schen Reorganisationsplanes. Der Missgriff erklärt sich allerdings aus der historischen Entwicklung des technischen Schulwesens und ist insofern entschuldbar.. Weil man sich früher zersplitterte, weil man früher Maschinentechniker, Bautechniker, Chemiker für die Praxis in derselben Klasse vorbildete und obendrein noch künftige Gewerbeakademiker und Staatsbeamte erzog, SO suchte man auch 1870 durch eine Vierteilung der Oberklasse allen möglichen Bedürfnissen zu dienen. Selbstverständlich konnte so nur Halbes erreicht werden. Besonders unzulänglich war der nur einjährige Fachcursus für die künftigen Praktiker.

Hätte man die neue königliche Gewerbeschule, deren Cursus 7 bis 9 Jahre umfasste (unten liefs man einigen Spielraum), einige Jahre gewähren lassen, so hätte sie sich in dem, was an ihr gut war, bewähren können, während das Unhaltbare von selbst gefallen sein würde. So lange aber wartete man nicht. Kaum war der Plan bekannt geworden, als er auch schon der feindseligsten Agitation gegenüber stand. Ueber die mangelhaften Leistungen der Abiturienten wurde schon geklagt, ehe die Anstalten Schüler herangezogen hatten, in Wort und Schrift wurde die neue Schöpfung discreditirt, ja sie wurde in verschiedenen Schriften als eine Ausgeburt des Gründungsschwindels bezeichnet. Inwiefern einige Realschulmänner an diesem Kampfe beteiligt waren, das bleibe hier unerörtert.

Unter solchen Verhältnissen war es selbstverständlich, dass im Publikum kein besonderes Vertrauen zur neuen Gewerbeschule aufkommen konnte, und dass der Besuch hier und da schwach blieb. Es entstand sogar ein allgemeines Misstrauen gegen das Gewerbeschulwesen überhaupt, und eine Anstalt nach der anderen brach zusammen, obwohl sie sich noch nicht einmal zur neuen Form entschlossen hatte. Die Verwirrung griff immer mehr um sich.

Im Jahre 1878/79 entschloss sich die Staatsregierung, dem Landtage einen neuen Reformplan vorzulegen. Ueber die damaligen hochinteressanten Denkschriften, Petitionen und Kammerverhandlungen unterrichte man sich aus einer 1879 bei Seehagen in Berlin erschienenen Sammelschrift: »Das Technische Unterrichtswesen in Preufsen, Sammlung amtlicher Aktenstücke usw.«, ein Buch, welches jedem denkenden Techniker zum Studium der wichtigsten Fragen empfohlen sei. Der neue Reformplan wurde mit grofser Majorität genehmigt. Man machte in der That »reine Bahn«. Die alte Provinzialgewerbeschule wurde beseitigt. Die neueren Gewerbeschulen wurden genötigt, sich entweder in 9-klassige lateinlose Oberrealschulen oder in 6-klassige lateinlose höhere Bürgerschulen zu verwandeln. An die letzteren sollten sich technische Fachcurse, auf 2 Jahre berechnet, anschliefsen, jedoch war auch der Oberrealschule gestattet, Fachklassen zu führen, die mit der Obersecunda abzuzweigen hatten.

Die Oberrealschule erhielt die Berechtigung, ihre Schüler zu den höchsten Staatsämtern im Bau- und Maschinenwesen vorzubereiten, denn die Abiturienten traten als vollberechtigte Studirende in die technische Hochschule ein. Eine Neuerung war dies insofern nicht, als in Berlin bereits seit längerer Zeit zwei lateinlose Anstalten, die auch als Gewerbeschulen bezeichnet wurden, bestanden und seit Jahren an die technische Hochschule die allerdings diesen Namen noch nicht führte Zöglinge abgegeben hatten, deren Leistungen auf bau- und maschinentechnischem Gebiete zum Teil Aufsehen erregt haben. Trotzdem wurde die so eingerichtete Oberrealschule als eine Neuerung bekämpft.

Wie stellten sich nun die Realgymnasien zu dieser Frage? Wäre es ihren Vertretern Ernst gewesen mit den Modernisirungsbestrebungen und mit dem Kampfe »gegen das Ueberwuchern der Antike « denn der Kampf gegen das Latein spielt in den Streitschriften (vergl. z. B. Schmeding) eine

10. October 1885.

grofse Rolle, trotz der allmählich verstärkten Zahl der Lateinstunden so hätten sie die Oberrealschule mit einem wahren Jubel begrüssen müssen. Endlich war der Lateinzwang für die höchsten Staatsämter im Bau- und Maschinenwesen von staatswegen in voller Form gebrochen! Consequente Köpfe hätten sogar sofort beantragen müssen, ihre Realgymnasien in Oberrealschulen zu verwandeln. Aber weder von Jubel noch von Beistimmung war die Rede. Die Bemängelungen dauerten fort und die Oberrealschule wurde, wo es nur ging, und leider mit grofsem Erfolge, discreditirt.

Die heftigsten Angriffe erfolgten allerdings von Seiten der höheren Staatsbaubeamten, die ihre Standesinteresser durch die neue Schule bedroht sahen und nur in der lateinischen Vorbildung die Weihe für den Staatsdienst fanden. Für den Löwenanteil an der Agitation sind also die RealDennoch sind schulmänner nicht verantwortlich zu machen. viele von ihnen, wie aus Aufsätzen und Streitschriften nachgewiesen werden kann, gegen die gefährdete Oberrealschule aufgetreten. So fielen denn die Anstalten in Görlitz, Hildesheim und Brieg; Coblenz ferner ging zum Latein über, und andere suchten sich durch Einführung eines facultativen Lateincursus mit Ergänzungsprüfungen über Wasser zu halten. Dass überhaupt noch jetzt Oberrealschulen mit ganz hervorragender Frequenz bestehen, ist nach dem nun siebenjährigen Kampfe der beste Beweis dafür, dass in diesen Schulen doch ein gesunder und guter Kern steckt. Es sind jetzt 13 solche Anstalten vorhanden, und von diesen zusammengenommen kann man nicht behaupten, dass die Schülerzahl herabgegangen sei.

Also, die vielbekämpfte Oberrealschule hat sich, trotz partieller Verluste, über Wasser gehalten. Wie aber steht es mit dem Realgymnasium? Dasselbe gedeiht in neuerer Zeit nicht mehr in dem Masse wie früher. Trotz aller Agitation, trotz aller Streitschriften, trotz aller Versammlungen macht sich ein Rückgang bemerklich, der auffallenderweise gerade in den industriellen Gegenden sichtbar ist. Verfasser hat z. B. seit 10 Jahren Statistik über die Realgymnasien Westfalens geführt, und es zeigt sich, dass alle diese Schulen abgenommen haben, dass bei vielen aber die Schülerzahl, besonders in den Oberklassen, rasend abwärts geht. Die Sache lässt sich nicht bemänteln, und so klingen denn auch die Reden in den Versammlungen des Realschulmänner-Vereines durchaus nicht hoffnungsfreudig. Höchstens erhebt man sich zu der Mahnung, den Mut nicht zu verlieren und die Bestrebungen nicht als aussichtslos zu betrachten.

Wenn nun jetzt zwei Bezirksvereine den Antrag gestellt haben, zugunsten des Realgymnasiums die besprochenen Resolutionen zu genehmigen, so ist erstens zu bedenken, dass sowohl das Gymnasium als auch die lateinlose Oberrealschule in gewisser Hinsicht geschädigt werden würden. Zweitens ist zu überlegen, dass es sich in dem Vereine nicht darum handeln kann, durch Resolutionen einer Schulform, die Verfasser für eine künstliche, haltlose Schöpfung hält, zu Hilfe zu kommen, sondern nur darum, dies dem Bedürfnisse der Industrie und des Gewerbes gegenüber zu thun. Drittens scheint der Antrag nur vereinzelte Zustimmung zu erfahren, wenigstens sind keine weiteren Bezirksvereine mit entsprechenden Vorschlägen aufgetreten. Ferner ist es bedenklich, für eine vereinzelte Schulform Partei zu nehmen und so, wenn auch nur scheinbar, auf den Boden einseitiger Interessenkämpfe überzutreten. Dazu kommen alle die anderen, bereits erwogenen Bedenken. Im Interesse des Vereines, der Technik und des gesammten Schulwesens liegt es also, die Resolutionen der beiden Bezirksvereine abzulehnen, dagegen aber zu dem gesammten höheren Schulwesen Stellung zu nehmen. welcher Weise letzteres geschehen könnte, wird sich aus den folgenden Bemerkungen ergeben.

In

2) Ueber die Stellung des Vereines deutscher Ingenieure gegen das höhere Schulwesen.

Der Verfasser berührt selbstverständlich nur das preufsische höhere Schulwesen und spricht sich über die Wünsche aus, welche der Verein deutscher Ingenieure diesem gegenüber etwa geltend machen könnte,

a) Das Gymnasium. So lange eine allgemeinere Reform des Schulwesens nicht stattfinden kann, beschränke man sich dieser Anstalt gegenüber auf mafsvolle bescheidene Wünsche. Soll das Gymnasium als Vorbereitungsanstalt für alle Studienzweige dienen, soll es auf die Universität, die technische Hochschule, auf die Bergakademie, die landwirtschaftliche und Forst-Akademie gleich gut vorbereiten, so muss es der mathematisch-naturwissenschaftlichen Richtung der neueren Zeit in etwas höherem Grade folgen und vor allen Dingen den Zeichenunterricht obligatorisch machen und zweckmäfsig organisiren. Die Zeit kann dadurch gewonnen werden, dass man auf allzuweit gehende Behandlung grammatischer Feinheiten und rein fachphilologischer Dinge verzichtet und in höherem Grade in den Geist als in die Form der altklassischen Schriften einführt. Auch darf die moderne Geschichte und Geographie uicht allzusehr gegen die der Alten in den Hintergrund treten. Einiges Streben in dieser Hinsicht kann man schon in den Lehrplänen von 1882 anerkennen.

b) Das Realgymnasium. Zu einem Kampfe gegen dasselbe hat der Verein durchaus keine Veranlassung. Es ist ganz naturgemäfs, dass z. B. schnell emporwachsende Städte, die bisher Lateinschulen nicht besassen, den Uebergang zum Gymnasium häufig durch die Form des Realgymnasiums vermittelt haben. Man führte eben zunächst das Latein ein, später auch das Griechische. Eine ganze Reihe von Städten, die wir hier nicht aufzählen wollen, hat diesen Weg eingeschlagen. Ob derselbe der zweckmäfsigste war, darüber soll hier nicht entschieden werden, da doch nur über jeden Einzelfall abgeurteilt werden kann. Jedenfalls würden Städte, die zwei höhere Schulen unterhalten können, besser thun, neben der festzuhaltenden lateinlosen Anstalt das Gymnasium selbstständig aufzubauen. Ein Irrtum aber ist es, wenn man meint, mit Hilfe des Realgymnasiums liefse sich das höhere Schulwesen modernisiren. Geschichtlich lässt sich ja nachweisen, dass das Realgymnasium häufig zum Gymnasium übergegangen ist, während für das Gegenteil kaum ein Fall vorliegt. Im vorigen Abschnitt ist über diesen Punkt das wesentliche gesagt worden.

Bezüglich des Lehrplanes scheint jedoch folgendes wünschenswert zu sein: Das Realgymnasium hat gegen die schon von vielen Seiten getadelte Ueberfüllung des Lehrplanes anzukämpfen. Ein solches Zuweitgehen zeigt sich auf mathematischem Gebiet. Auf diesem soll das Realgymnasium bis zu dem Punkte gehen, wo die Universität und die technische Hochschule den Unterricht beginnen. Die Differentialrechnung ist schon fast vollständig beseitigt, jedoch müsste auch die analytische Geometrie entfernt und durch die elementare (synthetische) Methode ersetzt werden. Jedes Uebergreifen in das Gebiet der Hochschule ist zu vermeiden.

Auf diese Weise würde das Bestreben nach der Einheitsschule, welches immer gröfsere Bedeutung gewinnt, Unterstützung finden. Jedoch nicht dieser Grund, sondern rein pädagogische Gründe veranlassen den Verfasser zur eben ausgesprochenen Ansicht. Dass er das Realgymnasium nicht für eine dauernde Einrichtung hält, hat er bereits ausgesprochen, ebenso, dass dieser vergänglichen Form durch Erteilung eines Berechtigungsmonopoles nicht zu einer Scheindauer verholfen werden sollte.

Abgesehen von dem obigen Wunsche lasse man vorläufig die Anstalt gewähren. Ihre Geschicke werden sich ganz von selbst erfüllen.

c) Die Oberrealschule. Der Verfasser bekennt, ein warmer Anhänger dieser Anstalt zu sein. Damit aber verspricht er ihr für die Zukunft durchaus keine grofse Dauer. Jedenfalls ist sie in dem augenblicklichen Gährungsprocesse des höheren Schulwesens eine berechtigte Erscheinung, und ihre Existenz wird zur Klärung wichtiger Fragen erheblich beitragen. Ihre Gründung war ein ehrlicher Versuch des Staates, den Wünschen derjenigen Techniker, die den Lateinzwang für ihr Studium gebrochen sehen wollten, entgegenzukommen. Auch die Wünsche derjenigen Realschulmänner, welche gegen die Nottebohm'sche Gewerbeschule aufgetreten waren, sind bei ihrer Einrichtung

berücksichtigt worden. Wenn nun der Wunsch ausgesprochen wird, man möge noch einige Jahre mit der Oberrealschule eine ehrliche Probe machen, so ist allerdings eine vollkommen gerechte Probe kaum möglich. Die mafslosen Angriffe seitens zahlreicher Staatsbaubeamten sind zum Teil in das Stadium der Gehässigkeit übergetreten. In Breslau und Köln wird in den Tagesblättern alles aufgeboten, um besonders in der Zeit der Osteraufnahme das Publikum von diesen Schulen durch Zeitungsartikel abzuschrecken. Nicht um pädagogische Zweckmässigkeit handelt es sich dabei, sondern um die leidigen Standesinteressen. Den betreffenden Staatsbaubeamten liegt nichts daran, auf welche Weise dem Staate tüchtige Kräfte zweckmässig herangezogen werden, sondern auf welche Weise sie endlich die volle gesellschaftliche Gleichberechtigung mit den Juristen erzielen können. Und dies meinen sie auf dem Wege der Lateinbildung zu erreichen! Weit wichtiger ist jedoch die Frage, ob die Abiturienten der Oberrealschule sich im technischen Staatsdienste bewährt haben. Bei den beiden Berliner Gewerbeschulen ist dies unzweifelhaft der Fall. Die übrigen Anstalten sind zu einem Urteile noch zu jung. Um ein solches zu gewinnen, muss man sie noch einige Jahre gewähren lassen.

Nach Ansicht des Verfassers ist die Oberrealschule der Zeit etwas vorausgeeilt. Erst im nächsten Jahrhundert, hoffentlich nicht erst noch später, wird sie ihre Zeit finden. Sollte sie jetzt fallen, so wird sie später wiederkommen und dann weniger Widerstand finden. (Dabei ist allerdings vorausgesetzt, dass nicht das ganze höhere Schulwesen bis dahin bereits vollständig umgestaltet ist). Hat es Zeit gekostet, das Latein aus den meisten Hörsälen der Universitäten und aus den gelehrten Abhandlungen zu verbannen, so wird es auch Zeit kosten, es als Vorbedingung technischer Beamtenqualification zu verdrängen. Aber letzteres wird so sicher geschehen, wie das erstere bereits geschehen ist.

Der Verein deutscher Ingenieure soll durchaus nicht aufgefordert werden, eine Agitation für die Oberrealschule in Gang zu setzen, sondern nur dazu, in den nächsten Jahren eine wohlwollende Prüfung über die Leistungsfähigkeit der noch. jungen Anstalt vorzunehmen und entsprechende Abänderungsvorschläge an geeigneter Stelle geltend zu machen. Jedenfalls empfiehlt sich auch hier die Warnung, in mathematischer Hinsicht nicht zuweit zu gehen und der Hochschule vorzugreifen.

d) Die lateinlosen höheren Bürgerschulen mit 6jährigem Lehrplan befriedigen unzweifelhaft ein weitgehendes Bedürfnis des breiten Mittelstandes. Sie blühen überall, wo man sie gegründet hat, trotz der geringen Zahl von Berechtigungen auf das herrlichste empor. Mögen sie sich nur vor dem Streben, höher hinauf zu klettern, hüten, mögen sie besonders nicht in den Fehler der früheren Realschulen verfallen, durch Einführung des Lateins Berechtigungen zu erstreben!

>> Ueber die 7-klassige Nebenform, die jetzige Realschule, sind nur beiläufige Bemerkungen nötig. Der siebente Jahrescursus hat im wesentlichen nur den Zweck, das Ersitzen des einjährigen Dienstrechtes zu ermöglichen. Ihm gehören jährlich einer, höchstens zwei Schüler an (bisweilen auch keiner!), an denen der Staat bei der Entlassungsprüfung die Leistungsfähigkeit der Anstalt zu messen sucht. Diese wenigen gehen für die anderen, die mit dem Berechtigungsschein abgehen, durchs Feuer. Es kostet in der Regel viel Mühe, sie auf der Schule zurückzuhalten, denn neues wird ihnen nicht geboten. Sie sitzen wohl überall mit dem sechsten Jahrescursus zusammen, wiederholen also nur das alte Pensum. Die Berechtigungen, die sie mehr haben, als die Abiturienten der höheren Bürgerschule, sind nicht nur unwesentlich, sondern, da es sich nur um Wiederholung des vorigen Jahrespensums handelt, nicht hinlänglich motivirt. Vom rein pädagogischen Standpunkte aus wäre zu wünschen, dass diese siebente Klasse überall aufgehoben würde, wo sie nicht besonders unterrichtet wird. Vorübergehende Berechtigung hat die 7-klassige Form nur da, wo die Umwandlung in die 9-klassige beabsichtigt wird. Im übrigen kann von innerer Berechtigung nicht die Rede sein.

So lange es freilich Ersitzungsklassen giebt, wird mancher Director gegen seine Ueberzeugung für die 7. Klasse wirken müssen, nicht nur, um einem leicht verständlichen Wunsche ängstlicher Väter entgegenzukommen, sondern auch, um die Existenz seiner Schule den 7-klassigen Nachbaranstalten gegenüber zu sichern. Wünschens

deutscher Ingenieure.

wert erscheint es überhaupt, das Ersitzen der Berechtigungen fiele vollständig weg. Die Leistungen der entsprechenden Schulen würden ganz aufserordentlich zunehmen, wenn der Berechtigungsschein überall nur auf Grund staatlich überwachter Prüfung erteilt würde.<<

Die lateinlosen höheren Bürgerschulen bewahren schon jetzt, trotz ihrer geringen Zahl, jährlich hunderte von jungen Leuten vor verfehltem Leben. Ein junger Mann, der das Gymnasium oder Realgymnasium mit dem Berechtigungsschein verlässt, hat keine abgerundete, sondern eine abgebrochene, abgerissene Bildung erhalten. Was soll er mit den Bruchstücken von Latein und Griechisch im praktischen Leben anfangen? Hätte er lieber auf der höheren Bürgerschule Französisch, Englich, Rechnen und Zeichnen gelernt! (Das Englische wird hier nur des Gymnasiums wegen erwähnt). Hier geht er aufserdem mit dem hebenden Bewusstsein eines Sieges, einer erkämpften Berechtigung, von der Anstalt, dort sehr häufig nur mit dem Lohne für langes träges Ausharren in den Klassen. Nicht alle so vom Gymnasium oder Realgymnasium Abgegangenen sind hier gemeint; aber unter ihnen, die an Zahl die Abiturienten weit übertreffen, sind sehr viele, auf welche die Bemerkungen passen. Schon aus socialen Gründen verdienen daher die höheren Bürgerschulen Förderung. Der Staat ist bereits für die Errichtung weiterer solcher Anstalten eifrig bemüht. Dem Verein deutscher Ingenieure kann nur empfohlen werden, den höheren Bürgerschulen mit Wohlwollen gegenüberzutreten. Sie haben allerdings bei ihrer gesunden Grundlage eine unmittelbare Hilfe durchaus nicht nötig; der Verein würde sich aber ein entschiedenes Verdienst um die Neugestaltung des höheren Schulwesens nach den Bedürfnissen der Gegenwart erwerben, wenn er für die weitere Verbreitung dieser so zweckmäfsigen Schulform ein Wort einlegte, wo er nur kann. Der Verfasser wird auf diesen Punkt noch einmal zurückkommen.

e) Die mittleren Fachschulen gehören zu den wichtigsten Anstalten der neueren Zeit. Der Verein deutscher Ingenieure hat alle Ursache, sich ganz angelegentlich mit ihnen zu beschäftigen. Augenblicklich sind sie, wie schon erwähnt, auf höhere Bürgerschulen aufgesetzt oder an Oberrealschulen angelehnt; sie nehmen jedoch jeden jungen Mann auf, der irgendwo das einjährige Dienstrecht und die damit verbundene allgemeine Bildung erworben hat. Die Verbindung der Fachschule mit der Voranstalt wird mehrfach angefochten, ist jedoch reine Zweckmässigkeitssache, die mit dem Begriffe > Fachlehrer<< zusammenhängt. Ein Fachlehrer für Physik und Chemie, ein Fachlehrer für Freihandzeichnen, ein Fachlehrer für Baukunde und Bauzeichnen kann auf der maschinentechnischen Fachschule nicht hinreichend beschäftigt werden. Die verschiedenen Disciplinen in einer Hand zu vereinigen, ist nicht ratsam. Die obengenannte Verbindung der beiden Anstalten ermöglicht es auf die einfachste Weise, tüchtige Fachkräfte unter guter Besoldung heranzuziehen. Bedenken kann dies nicht erregen, da die obere Anstalt die naturgemässe Fortsetzung der unteren ist. Wird gewünscht, dass die Abiturienten der Voranstalt nicht unmittelbar in die Fachschule eintreten, sondern erst ein bis zwei Jahre praktisch arbeiten, so steht diesem in vieler Hinsicht berechtigten Streben kein Hindernis entgegen. Dass die Oberanstalt eine besondere Schulordnung haben wird, ist selbstverständlich. Man lasse also vorläufig die Zusammengehörigkeit fortbestehen, bis die Fachschule bezüglich des Besuches. und der Geldmittel hinlänglich gekräftigt ist, um auf eigenen Füfsen stehen zu können.

Durch eine Resolution des Centralverbandes deutscher Industrieller1) ist der mittleren Fachschule der Vorwurf gemacht worden, dass sie nicht wirtschaftliches Bedürfnis sei. Dem Verein deutscher Ingenieure wird vorgeschlagen, mit Entschiedenheit zu erklären, dass sie nicht nur wirtschaftlich, sondern auch schultechnisch ein unentbehrliches Glied des technischen Schulwesens ist. Es sei gestattet, diesen Satz ausführlicher zu begründen.

1) Datirt Nürnberg, den 18. Sept. 1882.

10. October 1885.

Unter einer technischen Hochschule verstehe ich eine der Universität im Range gleichstehende Anstalt, welche nur Abiturienten 9 klassiger höherer Schulen aufnimmt und sie in vierjährigem Cursus auf Grund der Differentialund Integralrechnung in die technischen Wissenschaften einführt. Vollständig absolvirt hat diese Anstalt nur derjenige, der den Erfolg seiner Studien durch Ablegung einer Staatsprüfung nachgewiesen hat. Das Bestehen dieser Staatsprüfung berechtigt nicht nur zu den höchsten Staatsämtern technischer Art, sondern es ist für den in die Privatpraxis eintretenden Techniker zugleich ein Document darüber, dass er diejenige theoretische Vorbildung besitzt, ohne welche die Bewältigung grofser und schwieriger praktischer Aufgaben in neuerer Zeit nicht mehr denkbar ist.

Von dem Augenblicke an, wo der angehende Techniker in den Besitz des einjährigen Dienstrechtes gelangt, sind demnach drei Jahre Schulbesuch und vier Jahre Studium, im ganzen sieben theoretische Jahre, nötig. Dass dazu noch ein Jahr praktischer Thätigkeit, das Militärjahr und die Vorbereitungszeit zur Staatsprüfung kommt, ist für unsere Betrachtung ohne Bedeutung.

Der mittlere Fabrikant, der Kleinfabrikant, auch mancher Techniker, der seinen Sohn zum Nachfolger erziehen will, wird in den meisten Fällen das Opfer jener sieben Jahre nicht gern bringen wollen und häufig nicht bringen können. Was soll auch der mittlere Fabrikant mit der Differentialund Integralrechnung, mit der Functionentheorie usw. beginnen? Der Verfasser ist Mathematiker, aber zu den Enthusiasten gehört er nicht, die da meinen, um den Inhalt eines Diagramms zu beurteilen, müsse man integriren können, um die Tragfähigkeit eines Balkens zu taxiren, müsse man die höhere Analyse anwenden. Die höhere Mathematik beansprucht erstens in Theorie und Anwendung eine aufserordentliche Anspannung der geistigen Kräfte; zweitens wird von dem Techniker nur in Ausnahmefällen diejenige Formelbeherrschung und Gewandtheit erlangt, die eine schnelle praktische Verwertung ermöglicht; drittens ist es Thatsache, dass 90 pCt. der heutigen Techniker in der Praxis sich niemals wieder mit höherer Analysis beschäftigen. Geschieht es ausnahmsweise einmal, so ist zunächst vielfaches Nachschlagen in den Lehrbüchern nötig, und es wird doch kein rechtes Resultat erzielt. Verfasser kommt seit Jahren aus der Berührung mit den Männern der industriellen Praxis nicht mehr heraus, und so darf er wohl einige Erfahrung über den angeregten Punkt für sich in Anspruch nehmen. Wer es beklagt, dass die höhere Analysis so wenig in die Praxis eindringt, der scheue sich wenigstens nicht, die Thatsache einzugestehen, dass es so ist! Man überschätze also die Wichtigkeit der Hochschule für den technischen Mittelstand nicht. Die technische Hochschule ist nur für diejenigen da, welche geistig befähigt sind, den höchsten Standpunkt zu erreichen, und denen ihre Vermögenslage es gestattet, eine lange Reihe kostbarer Jahre auf ihre Ausbildung zu verwenden.

Der

Den diametralen Gegensatz zur technischen Hochschule findet man in der niederen technischen Fachschule. Diese nimmt im allgemeinen nur junge Leute mit Volksschulbildung auf und sollte, um der Mehrzahl verständlich zu bleiben, in mathematischer Hinsicht die Logarithmenlehre, die Trigonometrie und womöglich auch die Gleichungen zweiten Grades ausschliefsen. Was soll der Werkmeister mit der Logarithmentafel anfangen? Die niedere Fachschule soll Praktiker, nicht Theoretiker bilden. Die Weisheit der Pädagogik liegt in der Beschränkung des Lehrstoffes, also lasse man alles zuweitgehende weg! Die niedere Fachschule ist um so zweckmäfsiger, je weniger weit sie das mathematische Pensum ausdehnt, je mehr sie den Anschauungsunterricht an Stelle der theoretischen Entwickelung setzt.

Werden diese Sätze, wie der Verfasser hofft, von der Mehrheit der Industriellen anerkannt, so ergiebt sich die Notwendigkeit einer mittleren technischen Fachschule als einfache logische Consequenz. Die mittlere Fachschule hat die höhere Analysis auszuschliefsen, dagegen die Logarithmen die Trigonometrie und die Gleichungen zweiten Grades aufzunehmen. Was sie von Mechanik u. dergl. giebt, hat sie streng zu beweisen, während auf der niederen

Fachschule die Anschauung des Experimentes oder die einfache Angabe der Regel ausreicht. Die grosse Kluft zwischen dem Volksschüler und dem Abiturienten der 9 klassigen höheren Lehranstalt, die grofse Kluft zwischen dem Arbeiter und Werkmeister einerseits und dem Ingenieur ersten Ranges andererseits kann hinsichtlich des technischen Bildungswesens nur durch die mittlere Fachschule ausgefüllt werden. diese nicht anerkennt, versagt dem technischen Mittelstande die Existenzberechtigung; zum mindesten hat er nicht die Absicht, zur Erhaltung dieses Mittelstandes beizutragen. Hierin liegt ein wichtiges Stück der socialen Frage!

Wer

Hier handelt es sich aber nicht um Socialpolitik, sondern um Schuleinrichtungen.

Bei jeder Anstalt liegt eine grofse Gefahr in dem Ueberschreiten der Lehrziele, in dem Hinaufklettern zu höheren Stufen. Die niedere Fachschule bleibt davor am besten bewahrt, wenn sie sich mit dem durch die Natur der Sache ihr zugewiesenen Schülermaterial (man gestatte das Wort ausnahmsweise!) begnügt. Sie ist die Schule des Arbeiterstandes. Vielfach wird leider danach gestrebt, ihr einen vornehmeren Anstrich zu geben. Man stellt besser vorgebildeten jungen Leuten einen besonders eingerichteten höheren Unterricht, man stellt ihnen überhaupt besondere Berücksichtigung in Aussicht. Es soll gar nicht von einem Anlocken solcher jungen Leute gesprochen werden. Jedenfalls liegt aber in solchen Dingen für die Schule die Gefahr, dem eigentlichen Zwecke entfremdet zu werden.

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Geringer ist für die technische Hochschule die Gefahr des Herabsteigens zu einem niederen Standpunkte. Aber auch hier ist es gut, die Aufnahme nicht hinlänglich vorgebildeter »Hörer« möglichst zu beschränken und das Hospitantenwesen nicht überwuchern zu lassen. Sind an der Hochschule neben 500 vollberechtigten Studirenden 300 Hörer, so kann man dies nicht als normal betrachten, und bedauerlich wäre es, wenn ein solcher Zustand aus finanziellen Gründen dauernd fortbestehen müsste.

Sowohl die technische Hochschule als auch die niedere Fachschule werden in ihrer Reinheit am besten erhalten bleiben, wenn in jeder gewerbreichen Provinz mindestens eine mittlere technische Fachschule besteht, für junge Leute bestimmt, welche den durch den Besitz des einjährigen Dienstrechtes hinlänglich festgestellten Bildungsgrad besitzen.

Eine Reihe technischer Mittelschulen ist bereits vorhanden. In einigen gegnerischen Schriften wird behauptet, der mit ihnen gemachte Versuch sei ein verfehlter. Allerdings sind einige von ihnen vorläufig noch schwach besucht; jedoch steigt die gesammte Schülerzahl von Jahr zu Jahr. Die noch junge maschinentechnische Fachschule zu Hagen z. B. hat schon jetzt 41 Schüler, von denen 28 die Unterklasse besuchen, so dass schon für das nächste Jahr auf stärkere Zahl gerechnet werden darf. Eine gröfsere Zahl als 60 bis 70 ist gar nicht wünschenswert, denn in jedem Jahrgange mehr als 30 bis 35 Schüler zu unterrichten, ist für technische Schulen kaum möglich. In einer gewerbreichen Provinz ist aber ein jährlicher Zuzug von 30 Schülern ein sicher höchst geringer Satz. Verfasser hat die Ueberzeugung, dass seine Anstalt allein das Bedürfnis der Provinz Westfalen in Zukunft nicht mehr decken kann. Auch wird das wirtschaftliche Bedürfnis dadurch nachgewiesen, dass die Nachfrage nach den Abiturienten der Hagener Schule von Jahr zu Jahr wächst. Im vorigen Jahre waren 13 Abiturienten vorhanden. Die Zahl der Nachfragen aus industriellen Kreisen war aber weit stärker.

Wenn an einigen anderen Stellen die Fachklassen noch nicht recht gedeihen wollen, so hat dies mancherlei Gründe. Der grofse Gewerbschulstreit klingt noch nach, die Anstalten haben das durch die ewigen Agitationen erschütterte Vertrauen noch nicht vollständig wieder gewonnen, das Publikum befürchtet nach der mehrfachen Umgestaltung weitere Reformpläne, auch mag dieser oder jener Lehrer, der früher Schüler für die technische Hochschule heranbildete, die alte Freudigkeit in dem »eingeschränkten Berufe« noch nicht wieder gefunden haben, endlich mag auch die gegenwärtige Lage der Industrie noch hemmend wirken. Dies alles wird sich in wenigen Jahren ändern, da schon jetzt das Vertrauen so sichtbar wächst.

Vor allen Dingen muss die mittlere Fachschule, wie jede andere Lehrstalt, in der ihr angewiesenen Sphäre bleiben. Sie muss z. B. jeden Gedanken an den Zusammenhang mit der technischen Hochschule, d. h. an die Vorbereitung für dieselbe, vollständig unterdrücken. Dagegen hat sie danach zu streben, in engster Fühlung mit der Praxis zu bleiben. Sie ist nicht dazu da, den theoretischen Liebhabereien der Lehrer zu dienen, sie ist kein Boden für Differentiale und Integrale, sie soll lediglich dem Bedürfnisse des technischen Mittelstandes entsprechen.

Für sie den richtigen Lehrplan zu finden, das wäre eine Aufgabe für den Verein deutscher Ingenieure, deren Lösung ihm selbst zur Befriedigung, der Industrie zum Segen gereichen würde. Denn von dem viel besprochenen grünen Tisch aus lässt sich das nicht abmachen, und den Fachlehrern darf man es nicht zum Vorwurfe machen, wenn sie nicht in das gesammte Getriebe der Industrie eingeweiht sind.

Wird von mancher Seite behauptet, die Fachschulen könnten ohne Berechtigungen nicht bestehen, so ist dies schon dadurch widerlegt, dass einige von ihnen sich schon jetzt recht befriedigend entwickeln. Und was für Berechtigungen soll man ihnen geben? Allerdings hat der Herr Minister der öffentlichen Arbeiten den königlichen Eibenbahndirectionen die Abiturienten der mittleren Fachschulen für mittlere technische Aemter empfohlen, und ein gleiches wäre für die Marinewerkstätten, den Schiffsmaschinendienst, das Telegraphenwesen und gewisse militärische Laufbahnen (z. B. in den Artilleriewerkstätten) zu wünschen. Vielleicht würden auch dahin gehende Anträge des Vereines guten Erfolg haben; aber alle diese Dinge müssen Nebensache bleiben. Der Zweck dieser Anstalten ist nicht, Staatsbeamte zu erziehen, sondern der Privatpraxis zu dienen.

Eine weiter gehende Unterstützung seitens unseres Vereines, als die oben angedeutete, haben die mittleren Fachschulen nicht nötig. Sie werden sich schon aus eigener Kraft helfen. Nebenfragen aber, wie die des zwei- oder dreijährigen Cursus, der vorangegangenen Praxis u. dgl., können wohl erst nach jahrelangen Erfahrungen beantwortet werden.

Auch auf die Frage, ob diese Schulen mit Lehrwerkstätten verbunden werden sollen oder nicht, will der Verfasser jetzt nicht ausführlich eingehen. Unter Lehrwerkstätte versteht er eine Werkstätte, durch deren ein- oder zweijährigen Besuch die Lehrzeit ersetzt werden soll, in der die jungen Kräfte leider so häufig nur einseitig ausgenutzt, nicht vielseitig ausgebildet werden. Davon ist streng zu unterscheiden die Demonstrationswerkstätte, in der nur gelegentlich gezeigt werden soll, wie dieses oder jenes gemacht wird. Jedenfalls müssen beide Begriffe streng aus einander gehalten werden. Allzu grofse Hoffnungen setzt der Verfasser auf solche Einrichtungen vorläufig noch nicht. Dagegen glaubt er, dass die in einigen Eisenbahnwerkstätten, z. B. in Witten, eingerichteten Lehrcurse für junge Techniker von entsprechender Vorbildung sich recht gut bewähren.

Ueber die höchst wichtigen niederen Fachschulen zu sprechen, fehlt an diesem Orte Raum und Zeit; auch würden wir aus den Beziehungen zum höheren Schulwesen, um die es sich handelt, heraustreten, und die Frage würde für eine einzige Hauptversammlung viel zu umfangreich werden.

3) Einige Zukunftsgedanken.

Alle vorher ausgesprochenen Gedanken und Wünsche haben nur so lange Wert, als die Gliederung unseres höheren Schulwesens bleibt, wie sie augenblicklich ist. Verfasser ist der Ueberzeugung, dass das nächste Jahrhundert eine vollständige Umgestaltung bringen wird. Warum?

Die altklassische Welt ist ein abgeschlossenes Ganze mit festbestimmtem Inhalt. Aufgabe besonderer Fachwissenschaften ist es, den Reichtum dieses Inhaltes zu ergründen und der Nachwelt das aufzubewahren, was wirklich wissenswert ist. Dieses Wissenswerte liegt im wesentlichen auf philologisch-historischem und philosophischem Gebiete. Der Maschinentechniker kann vom Altertum nichts lernen, mehr

deutscher Ingenieure.

der Architekt und der Vertreter der bildenden Künste. Auch für den Mathematiker und Naturforscher ist das vom Altertum Ueberlieferte von verhältnismäfsig kärglichem Inhalte.

Der Inhalt der neueren Zeit dagegen wird von Tag zu Tag reicher, so reich, dass er den der antiken Welt längst überflügelt hat. Er beschäftigt den Historiker und Philologen mindestens ebenso stark, wie der der älteren Vergangenheit. Auf dem Gebiete der Naturwissenschaft und Technik aber entwickelt sich ein Reichtum neuer Gedanken, der die Vorzeit ganz in den Schatten stellt und eine vollständige Umgestaltung des Culturlebens herbeigeführt hat.

Nennt man nun allgemein gebildet denjenigen, der imstande ist, zum mindesten das Culturleben seiner Zeit und seines Vaterlandes mit Verständnis aufzufassen, so ergiebt sich, dass der Begriff der allgemeinen Bildung nicht ein fest bestimmter, sondern ein mit der Zeit fortschreitender ist. In diesem Begriffe wird die Rolle der neueren Zeit von Jahrhundert zu Jahrhundert gröfsere Bedeutung gewinnen, während die Welt der Griechen und Römer ganz von selbst in den Hintergrund treten muss.

Die Masse des geistig zu Verarbeitenden drängt zur Arbeitsteilung. Auf dem Gebiete des Schulwesens führt aber die Arbeitsteilung zur Errichtung von Fachschulen. Die Gliederung des Fachschulwesens wird demnach im folgenden Jahrhundert eine weit vollständigere sein, als jetzt.

Soll nun für die Gebildeten der Nation ein gemeinsames Band bleiben, sollen sie sich nicht in kleine Gruppen zersplittern, die sich gegenseitig nicht verstehen können, so darf auf dem Gebiete der allgemeinen Bildung eine Arbeitsteilung nicht eintreten; der allgemeinen Bildung können nicht Fachschulen dienen, sondern nur Schulen gemeinsamen Charakters. Die Notwendigkeit, Einheit in das höhere Schulwesen zu bringen, wird jetzt noch nicht überall anerkannt; aber von Jahrzehnt zu Jahrzehnt wird sie zwingender an uns herantreten.

Be

Noch im vorigen Jahrhundert lag der gemeinsame Charakter der höheren Schulen auf antikem Gebiete. Das Römerund Hellenentum war der Born, aus dem man schöpfte. Unsere Litteratur mit ihren unaufhörlichen antiken Anspielungen spiegelt dies wieder. Jetzt, wo das moderne Leben nicht mehr ignorirt werden darf, muss das Gebiet der alten Welt allmählich verlassen und das Studium derselben in höherem Grade den gelehrten Fachschulen überlassen werden. Verfasser ist der Ueberzeugung, dass der Bruch mit der Antike schliesslich ein vollständiger werden wird. Die höheren Schulen werden demnach einen gemeinsamen Unterbau erhalten, der sprachlich einen modernen Charakter trägt. Nicht das Latein, sondern eine neuere Sprache (ob Französisch oder Englisch, das ist hier gleichgiltig) wird die Unterklassen beherrschen. Erst weiter oben wird diejenige Spaltung eintreten, welche den Fach-Neigungen der Einzelnen entspricht. Je später diese Spaltung erfolgt, um so zweckmässiger ist die Organisation. steht dann noch die Einrichtung verkürzter militärischer Dienstzeit für die allgemein Gebildeten, so wird ganz von selbst jene Teilung erst nach der die Berechtigung verleihenden Stufe eintreten. Geschieht dies, dann werden wir praktischere Staatsbürger erziehen, als heute, dann werden wir aufhören, das Volk der abstracten Denker, d. h. der unpraktischen Träumer, zu sein. >>Dann gehen aber alle Ideale verloren; wir werden aufhören, glücklich zu sein«, so wird mancher klassische Philolog klagen. Ihm sei erwidert, dass die Welt der Ideale, die jeder in seinem Inneren trägt, in die er sich retten wird, so oft er sich aus dem Strudel des Weltgetriebes auf einige Augenblicke zurückziehen möchte, niemals verloren gehen kann. Und was das »glücklich sein« anbetrifft, so sind wir bekanntlich nicht in erster Linie auf der Erde, um glücklich zu sein, sondern, um unsere Pflicht zu erfüllen. Dem Techniker aber kann es nur lieb sein, wenn die Umgestaltung des höheren Schulwesens, die nun einmal unvermeidlich ist, möglichst bald als notwendig erkannt wird. Der Verein deutscher Ingenieure wird nur seine Pflicht erfüllen, wenn auch er in die Speichen des Weltrades eingreift, um es mit vorwärts drehen zu helfen. Ein Fortschritt wird

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