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gen der andern Nationen vertreten waren. Wieder anderes, wodurch unsere Mitbewerber auf dem Weltmarkte glänzten, fehlte bei uns ganz und gar. Wenn trotzdem das Urteil einstimmig zugunsten Deutschlands ausfiel, so lag der Grund tiefer, als in dem Prunken mit handwerksmäfsiger Geschicklichkeit, durch welches allein sonst auf Ausstellungen die chemische Industrie das Laienpublikum über ihre Existenz und ihre Bedeutung belehrt. Es war der wissenschaftliche und der wirtschaftliche Geist, der durch diese Sammelausstellung der deutschen chemischen Industrie wehte und bewusst oder unbewusst jedem, der sie betrat, fühlbar wurde, welcher den Eindruck des Grofsartigen, Gewaltigen, bisher Unerreichten zustande prachte. Auch der Laie fühlte es, ohne dass man es ihm zu sagen brauchte, heraus, dass die chemische Industrie Deutschlands eine Schöpfung ist, die in titanenhaftem Ringen aus eigener Kraft emporgewachsen ist und heute dasteht, wie ein junger Held, zu stark, um die andern zu fürchten, zu grofs, um ihnen ihre Erfolge zu missgönnen.

Diejenigen aber, welche dieses Wunderbare aufgebaut und vollbracht haben, sind die deutschen Chemiker. Wissenschaftliche Vertiefung, eiserner Fleifs und ein klares Urteil in wirtschaftlichen Dingen haben unsere Industrie zu dem gemacht, was sie heute ist, und da wir alle die Absicht haben, auf der einmal eingeschlagenen Bahn zu verharren und auch das heranwachsende Geschlecht auf derselben mit uns zu führen, so scheint die fortdauernde Blüte unserer chemischen Technik für die absehbare Zukunft gesichert zu sein.

Es mag daher fast als ein zweckloses Beginnen erscheinen wenn ich gerade jetzt, wo wir so begründete Ursache haben, mit den Leistungen unserer technischen Chemiker zufrieden zu sein, es unternehme, von der Ausbildung der Chemiker für die Technik zu sprechen. Sie erwarten nicht von mir, dass ich dieses Thema blofs anschlage, um Ihnen zu sagen, dass bei uns alles so vortrefflich ist, wie man es nur wünschen kann, und dass zu Verbesserungen weder Raum noch Veranlassung vorhanden sei, aber Sie befürchten auch nicht, dass ich heute wieder die alte Frage aufrollen werde, ob das humanistische oder Realgymnasium oder die Oberrealschule die geeignetste Vorbereitung für das Studium der Chemie bilde; oder jene andere, die uns noch vor wenigen Jahren so tief bewegte, nach der Gleichstellung der Universitäten und technischen Hochschulen.

In der That gedenke ich diese alten und wichtigen Fragen, welche ja zumteil schon ihre befriedigende Erledigung gefunden haben, nur in soweit zu streifen, als ich ihrer für meine sonstigen Ausführungen bedarf. In der Hauptsache aber möchte ich Ihnen meine Ansichten über die Organisation des chemischen Unterrichtes selbst entwickeln, des Unterrichtes für die grofse Zahl derer, welche gewillt sind, ihre junge Kraft für die Förderung dessen einzusetzen, was ihre Väter geschaffen haben, für den weiteren Ausbau der deutschen chemischen Industrie.

Wie heute, im Maien, draufsen in der Apfelblüte der Feind an der Arbeit ist, dessen verderbliche Thätigkeit erst spät im Herbst bei der Fruchtreife als Wurmfrafs zutage tritt,. so trägt auch die Blüte jeder menschlichen Errungenschaft ihre eigene Gefahr in sich. Diese Gefahr heifst Selbstzufriedenheit. Nichts wäre verfehlter, als wenn wir jetzt, wo wir Grofses erreicht haben, die Mittel, mit denen wir unsere Siege Nichts wäre kurzsichtiger, errangen, stereotypiren wollten. als wenn wir die Vorbildung, welche das herrschende Geschlecht befähigte, seine Leistungen zu vollbringen, auch für alle Zukunft für unfehlbar und alleinseligmachend erklären wollten. Die Zeit schreitet fort, die Wissenschaft verändert sich und mit ihr ändern sich ihre Anwendungen. Aufgabe der Gegenwart ist es, die Zukunft richtig zu erkennen und dafür zu sorgen, dass sie, wenn sie kommt, uns bereit finde. Denn sie wird sicherlich den zertreten, der da glaubt, den immer grimmiger werdenden Kampf ums Dasein mit alten rostigen Waffen kämpfen zu können.

Sie erkennen, welche Frage ich aufrollen will: eine Frage, die alt ist, wie die Chemie selbst, und die ebenso wenig jemals endgültig entschieden werden wird, wie die Frage nach der besten Form des Mittelschulunterrichtes; aber auch eine Frage, die niemals ganz von der Tagesordnung abgesetzt werden darf. Hier ist der Ort, und heute ist der Tag, wieder einmal auf ihre Bedeutung hinzuweisen. Wir alle, die wir hier versammelt sind, diejenigen sowohl, welche in täglicher Laboratoriumsarbeit unmittelbar die Industrie betreiben, wie diejenigen, die sie mittelbar vom Katheder herunter zu fördern bestrebt sind, haben das Recht und die Pflicht, an der Lösung dieser Frage mitzuarbeiten.

Die Begründer der chemischen Industrie überhaupt, die Männer, die den Baum pflanzten, der heute uns allen seinen Schatten spendet, waren entweder Autodidakten oder die

deutscher Ingenieure.

Schüler eines Lavoisier, Davy, Berzelius, Klaproth. So hoch wir auch die Leistungen dieser Pioniere der technischen Chemie schätzen mögen, so werden wir doch die alten Küchen, in denen sie ihre ersten wissenschaftlichen Gehversuche machten, heute nicht mehr als typische Vorbilder zweckmäfsiger Unterrichtslaboratorien anerkennen. Die Zeiten haben sich geändert, und wir stehen heute im Zeichen der chemischen Paläste. Nicht nur die Herstellung der chemischen Produkte, auch die Produktion der Chemiker selbst hat einen fabrikmässigen Charakter angenommen. Die Industrie bedarf vieler Kräfte und vermag es, sie zu erhalten. Der Staat hat das Recht und die Pflicht, für die Schulung dieser Kräfte zu sorgen, und es wird von der Erwägung wechselnder Verhältnisse abhängen, welchen Umfang man den Instituten geben will, durch welche die gestellte Aufgabe bewältigt werden soll. Es wäre verfehlt, wenn man ausschliesslich den grofsen oder auch den kleinen Unterrichtslaboratorien das Wort reden wollte. Ebenso wenig wird heute noch jemand erwarten, dass ein junger Chemiker seine gesamte Ausbildung bei einem einzigen Lehrer, in einem einzigen Laboratorium empfange. Die Forderung aber wird man stellen dürfen, dass, wo immer er auch gerade arbeite, er in der geistigen Berührung mit dem Leiter des Laboratoriums, der seine Sporen als Forscher bereits sich erworben hat, stehe. Das, was wir »Schule« nennen, die individuelle Eigenart in der Auffassung wissenschaftlicher Fragen, lässt sich nur einmal und nur unmittelbar übertragen. Die Schüler der Schüler von Berzelius stehen nicht mehr unter dem direkten Bann des grofsen schwedischen Meisters. Das ist nicht mehr als recht und billig. Denn wenn die Macht der Individualität so grofs wäre, dass sie sich durch Generationen forterben würde, so bliebe für die Weiterentwicklung kein Raum übrig.

Desto gröfser ist die Macht der Persönlichkeit im unmittelbaren Verkehr zwischen Meister und Schüler. Demjenigen, den sein guter Stern in die Werkstatt eines bedeutenden Meisters führt und der, wohlverstanden, die Gepflogenheiten seiner Kunst von dem Meister selbst, nicht von den Gesellen des Meisters erlernt, erspart das gewonnene Vorbild die heifsen Kämpfe, in denen der Autodidakt sich zu einer Methodik seiner Kunst durchringen muss. Denn auch der Autodidakt hat »Schule-seine eigene. Aber da er ebenso lange ein schlechter Lehrer ist, wie er ein unerfahrener Schüler bleibt, so lehrt er sich neben vielen Wahrheiten auch tausend Irrtümer, die er später wieder abstreifen muss.

Bis zu einem gewissen Grade bleiben wir freilich alle Autodidakten, denn wir lernen niemals aus. Auch der chemische Hochschulunterricht kann den jungen technischen Chemiker nur um ein Gleichnis unseres Bismarck zu benutzen in den Sattel heben; das Reiten muss er selber lernen.

Das bringt mich zu der Frage, welche Eigenschaften, Fähigkeiten und Kenntnisse ein junger Mann für das Studium der Chemie auf die Hochschule mitbringen soll. Hier werden einige Bemerkungen über den vorangegangenen Mittelschulunterricht kaum zu vermeiden sein.

Darin glaube ich, sind wir Lehrer der Chemie an Hochschulen alle einig, dass es uns herzlich gleichgültig, ob unsere jungen Studirenden in der Mittelschule schon Chemie getrieben haben oder nicht. Aber das ist uns nicht gleichgültig, ob sie von der Natur zu chemischer Arbeit veranlagt sind oder nicht. Es giebt kaum eine Wissenschaft, bei welcher natürliche Neigung und Anlage für den späteren Erfolg so ausschlaggebend ist wie bei der Chemie. Von diesem Standpunkt aus erhoffe ich mehr von der Zukunft des Abiturienten eines humanistischen Gymnasiums, der an Sonn- und Feiertagen seinen Stöckhardt studirt und hinter dem Rücken seiner Mutter bei bedenklichen Experimenten Löcher in ihre Tischdecken brennt, als von dem Oberrealschüler, dem der Direktor ins Zeugnis geschrieben hat: »Er scheint Neigung zur Chemie zu haben und gedenkt sich diesem Studium zu widmen.« Obgleich ich um keinen Preis die Reste der Kenntnis der klassischen Sprache missen möchte, die ich aus meiner Knabenzeit in das Mannesalter mir herübergerettet habe, so stehe ich doch in der bekannten Frage danach, welche von den drei Arten von Mittelschulen die geeignetste Vorbildung für das Studium der Chemie abgebe, auf seiten der Reallehranstalten. Nicht weil ich irgend welchen Wert auf die Kenntnisse lege, welche die Studirenden von diesen Anstalten mitbringen, sondern weil sie durch die bescheidene Pflege, welche sie den Naturwissenschaften gewähren, den Schülern Gelegenheit geben, sich schon vor Beendigung ihrer Schulzeit die Frage zu beantworten, ob sie für die Chemie die Begeisterung empfinden, die wir haben müssen, wenn wir ihr unser Leben weihen wollen. Der aussichtsloseste Student ist derjenige, welcher am Tage seiner Immatrikulation noch nie ein Expe

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riment gemacht hat, weil er nie das Bedürfnis empfand, dies zu thun, und der nur deshalb dem Studium der Chemie sich zuwendet, weil es »eine rasche Carriere« verbürgt, oder weil er einen Onkel hat, in dessen chemischer Fabrik er nach beendigtem Studium unterzukommen hofft. Leider ist die Zahl dieser Art von Studirenden der Chemie viel gröfser, als man nach oberflächlicher Schätzung meinen sollte.

Der Drang nach der Erkenntnis des tieferen Wesens der Natur, diese grofsartige Triebfeder aller chemischen Forschung, ist in jedem normal veranlagten Menschen vorhanden; aber er ist, wie alle andern geistigen Anlagen, bei verschiedenen Menschen ganz verschieden stark entwickelt. Es ist gewiss sehr merkwürdig, dass kein Vater sich für berechtigt hält, seinen Jungen Maler werden zu lassen, wenn derselbe nicht schon von frühester Jugend auf jedes leere Blatt Papier, dessen er habhaft werden konnte, mit Zeichnungen bedeckt hat, dass aber trotzdem tausende von Vätern, deren Söhne nie das geringste Interesse für naturwissenschaftliche Dinge an den Tag legten, von den Hochschulen die Ausbildung ihrer Sprossen zu hervorragenden und erfolgreichen Chemikern erwarten.

Es ist gesagt worden, dass die Mittelschule lediglich die Aufgabe habe, den Geist des heranwachsenden Menschen zu logischem Denken zu schulen, und dass es ziemlich gleichgültig sei, ob sie als Hülfsmittel dazu das Studium der alten Sprache oder mathematisch-naturwissenschaftlichen Fächer benutze. Ich kann mich nicht auf diesen Standpunkt stellen, sondern möchte die ethische Aufgabe der Mittelschule etwas höher und weiter gefasst sehen. Die Mittelschule soll den heranwachsenden Knaben mit einem gewissen Vorrat an allgemeinen Kenntnissen ausrüsten, der ihn in derselben Weise befähigt, an seiner allgemeinen Bildung selbst weiter zu arbeiten, wie es das nachfolgende Fachstudium an der Hochschule für eine bestimmte Wissenschaft thun soll. Beide Arten des Unterrichtes sollen, jede in ihrer Weise und in einer dem Alter des Lernenden angemessenen Form, den Menschen in den Sattel setzen; das Reiten muss er selber lernen. Den Mittelschulunterricht lediglich als Vorbereitung für das Fachstudium zu betrachten, hiefse seine Bedeutung unterschätzen. Er soll uns junge Leute liefern, welche sich zu Menschen von einer umfassenden allgemeinen Bildung auswachsen, denn darüber sind wir uns alle einig, dass ein ungebildeter Mensch auch kein ordentlicher Chemiker werden kann.

Den schweren Vorwurf aber kann ich der Mittelschule, und zwar allen Abarten derselben, nicht ersparen, dass sie bei der Lösung ihrer Aufgabe sich so ganz und gar auf gewisse Fähigkeiten des menschlichen Geistes stützt, dass andere, gleich wichtige, darüber fast verkrüppeln. Es ist fast alles Gedächtniskram in unserer heutigen Mittelschule; dagegen wird das Beobachtungsvermögen, auf welches wir als Chemiker wohl eben so grofsen Wert legen müssen, wie auf das Gedächtnis, nicht im geringsten gepflegt. Die grofsen offenen Augen, aus denen das noch ungeschulte Kind in die Welt hinausblickt, schliefsen sich umsomehr, je länger es in der Schule bleibt. Die gröfste Mühe, welche uns chemischen Hochschullehrern erwächst, besteht darin, die letzten glimmenden Funken von Beobachtungsvermögen, welche dem jungen Mann aus seinen Kindertagen noch geblieben sind, wieder zur hellen Glut anzufachen. Und sehr oft finden wir nur

Asche, wo wir nach Feuer suchen.

Obgleich nun alle Mittelschulen nach einem einheitlichen, ihnen vorgeschriebenen Plane arbeiten, so besteht doch nicht bei allen in gleichem Mafse diese Gefahr einer Verkümmerung des Beobachtungsvermögens. Ein einziger Lehrer, der aus Instinkt oder Ueberzeugung den Beobachtungssinn seiner Schüler wachhält, kann oft Wunder wirken; eine einzige von einem führenden Lehrer richtig geleitete Exkursion an einem schönen Sommertage vermag den regen Geist junger Kinder auf lange Zeit hinaus in die richtigen Bahnen zu lenken, und unendlich viel vermag auf diesem Gebiete die Anregung der Eltern und der Freunde des väterlichen Hauses zu thun. Ich erinnere an das schöne Beispiel der Lebensgeschichte Wöhlers, in dessen Knabenzeit schon der Keim zu dem gelegt wurde, was sich später zu so hoher Vollendung entwickelte.

Jedenfalls haben wir bei der Organisation unseres chemischen Hochschulunterrichts mit der Thatsache zu rechnen, dass die Mittelschule lehrplanmäfsig nicht für die Entwicklung derjenigen menschlichen Eigenschaften sorgt oder zu sorgen braucht, auf deren Vorhandensein wir bei dem werdenden Chemiker den allergröfsten Wert legen müssen. Ich glaube, dass diese Thatsache bei der Organisation der meisten chemischen Lehrinstitute an Hochschulen nicht genügend berücksichtigt wird.

Ich glaube, dass heute noch wie früher die praktischen Uebungen des angehenden Chemikers fast überall mit der

qualitativen Analyse beginnen. Da aber die qualitative Analyse sinnlos ist, so lange alle chemischen Grundbegriffe fehlen, so pflegt man wenigstens denjenigen Studirenden, welche sich auf der Mittelschule noch nicht mit Chemie befasst haben, zu empfehlen, das erste Semester überhaupt noch nicht praktisch zu arbeiten, sondern nur Kollegien über anorganische Chemie, Physik und andere, teils nötige, teils überflüssige Gegenstände zu hören. Auf diese Weise wird also die ausschliefsliche Beanspruchung des Gedächtnisses, der Hauptübelstand der Mittelschule, ganz überflüssigerweise ein volles Semester lang weitergesponnen, welches viel besser hätte angewandt werden können, um lang vernachlässigte Fähigkeiten, nämlich das Beobachtungsvermögen und die manuelle Geschicklichkeit des jungen Chemikers, aufzufrischen und so rasch als möglich auf die erforderliche Höhe zu bringen. Das kann nur dadurch geschehen, dass man ihn sofort mit der praktischen Arbeit beginnen lässt. Die Frage ist nur, in welcher Form dies geschehen soll.

An fast allen deutschen technischen Hochschulen stellen die mechanischen Abteilungen heutzutage die Forderung, dass der neu eintretende Student mindestens ein halbes Jahr als Lehrling an einer Maschinenfabrik gearbeitet haben muss. Ich sehe nicht ein, weshalb wir als Chemiker das gesunde Prinzip, welches dieser Forderung zugrunde liegt, nicht ebenfalls anerkennen und zur Geltung bringen sollten, natürlich in einer Form, die unseren Bedürfnissen und unserer Wissenschaft entspricht. Ich denke nicht daran, von unserer chemischen Industrie zu verlangen, dass sie unsere zukünftigen Studenten als Lehrlinge bei sich aufnehmen soll. Ich will auch nicht die von anderer Seite gestellte Forderung, dass zukünftige Chemiker zunächst als Lehrlinge in einer Maschinenfabrik arbeiten sollen, zu der meinigen machen, obschon ich der Ansicht bin, dass auch einem Chemiker eine solche Lehrlingszeit durchaus nichts schaden könnte. Was ich betonen will, ist, dass auch die Chemie ihren handwerksmässigen Teil, ihr Können, hat, und dass dieses Können zu einem guten Teil schon vorhanden sein sollte, ehe wir mit dem Wissen beginnen dürfen.

Was lernt der junge Maschinenbauer in seiner Lehrlingszeit? Feilen, Drehen, Bohren, Hobeln, Löten; er sieht es mit eigenen Augen, dass der Stahl das Messing schneidet, aber nicht das Messing den Stahl, dass Bronze zäh ist, Tombak aber brüchig kurz, er wird zunächst einmal in die Welt versetzt, in der er später leben und die er verstehen lernen soll. Das sollte auch mit dem jungen Chemiker geschehen.

Wir machen den Fehler, dass wir die Jünger unserer Wissenschaft am Geiste nippen lassen, ehe wir sie mit der Materie vertraut gemacht haben. erfassen mit Leichtigkeit den theoretischen Teil unserer WissenUnsere jungen Chemiker schaft, aber mit der praktischen Arbeit, da hapert es meist noch bei den höchsten Semestern.

Nun aber kommt die merkwürdige und doch so naturgemäfse Folge dieser Bevorzugung des Wissens vor dem Können: Wer das Wissen gleichsam geschenkt erhalten hat, wem es nicht bei der praktischen Arbeit entgegenquoll wie der goldene Hort dem emsig wühlenden Schatzgräber, für den ist es kein Schatz. Immer und immer wieder mache ich die Erfahrung, dass selbst die fleifsigsten Studirenden ihr meist recht umfangreiches theoretisches Wissen zwar für die Examina, aber nicht bei ihrer praktischen Arbeit im Laboratorium zu verwerten verstehen. Das kommt daher, dass sie die chemischen Theorien nicht mit ihrem Verstand, sondern mit ihrem Gedächtnis erfasst haben. Für sie ist die theoretische Chemie eine Abstraktion. Wo es sich darum handelt, ein Stück aus dem sauber memorirten System herauszuholen und die Nutzanwendung zu ziehen, da versagen die mühsam erworbenen Kenntnisse. Eine lebendige Wissenschaft wie die Chemie duldet keine Abstraktion. In ihr muss auch das Theoretische erlebt sein, wenn es Früchte tragen soll. Man braucht nicht den Mechanismus chemischer Vorgänge entdeckt zu haben, um ihn zu verstehen, aber verwerten wird man chemische Erkenntnis fast immer nur dann können, wenn man sie durch Erfahrung erworben hat. Erfahrung aber erwirbt der Chemiker nur im Laboratorium.

Deshalb sollte auch die praktische Arbeit im Laboratorium das Alpha und Omega alles chemischen Unterrichtes sein, und mit ihr sollte der zukünftige Chemiker beginnen. Man braucht noch keine theoretischen Kenntnisse zu besitzen, wenn man daran geht, Korke zu bohren, Röhren zu schneiden und zu biegen und Kugeln zu blasen, Apparate zu bauen und einfachste Reaktionen stöchiometrisch durchzuarbeiten. Diese und viele andere ähnliche und gleich wichtige Dinge, denen Berzelius einen ganzen Band seines Lehrbuches der Chemie gewidmet, über welche Faraday eines der klassischsten Werke

der gesamten chemischen Litteratur verfasst hat, werden heute garnicht mehr oder nur so nebenbei gelehrt, weil sie für selbstverständlich gelten. Sie sind so selbstverständlich, dass fast neben jedem chemischen Unterrichtslaboratorium und häufig sogar in den Laboratorien selbst Kaufläden vorhanden sind, deren Inhaber ein gutes Geschäft machen, indem sie den Studirenden die gebogenen Röhren, die gebohrten Gummistopfen, die Trichter und Pipetten, Faltenfilter und rundgeschmolzenen Glasstäbe liefern, welche die jungen Adepten sich selber fertigen sollten. So sehr ich jedem Kaufmann seinen ehrlichen Verdienst gönne, so kann ich doch nicht umhin, mitunter an das grofse Beispiel zu denken, wo es auch not that, aus dem Tempel die Krämer zu entfernen, die in ihm die Andacht störten.

Ich habe mich oft gefragt, ob nicht die von mir von je her vertretene Forderung manueller experimentatorischer Gewandtheit bei jedem Chemiker ein Stück jener Pedanterie ist, in welche fast jeder, der den Unterricht zu seiner Lebensaufgabe macht, auf diesem oder jenem Gebiete verfällt. Aber ich kann mich nicht entschliefsen, zu glauben, dass dies der Fall ist. Ich vermag nicht einzusehen, dass selbst bei weitgehendster Inanspruchnahme unserer so leistungsfähigen und entgegenkommenden Apparateindustrie derjenige imstande sein soll, schwierige Experimental untersuchungen mit Geschick durchzuführen, der es verschmäht, die Anfangsgründe der Experimentirkunst sich zu eigen zu machen.

muss

man

Von dem technischen Chemiker und nur von diesem soll ja heute die Rede sein vor allem verlangen, dass er ein gewandter und vielseitiger Experimentator sei. Nur wer im Laboratorium nie um ein Hülfsmittel verlegen ist, wird auch die viel schwierigeren Fragen der technischen Apparatur erfolgreich zu lösen imstande sein.

Zusammenfassend möchte ich den Wunsch aussprechen, dass unser chemischer Hochschulunterricht auf die Förderung experimenteller Geschicklichkeit bei den für die Technik bestimmten jungen Chemikern gröfseren Nachdruck legen möge, als es gegenwärtig der Fall ist. Ich hoffe den Tag zu erleben, wo die Wertschätzung chemischen Könnens ebenso grofs sein wird, wie diejenige chemischen Wissens, weil nach meinem Dafürhalten namentlich in der chemischen Technik das Wissen nur in Verbindung mit dem Können Früchte tragen kann.

Aber damit sind meine Wünsche nicht erschöpft. Ich stimme ein altes Lied an, wenn ich auch meinerseits die Forderung betone, dass der, der sich der chemischen Technik widDie Klagen, men will, ein tüchtiger Analytiker sein muss. dass dies nicht allgemein der Fall sei, kehren immer wieder; Und doch kann man der sie müssen somit berechtigt sein. Erlernung der Analyse kaum einen breiteren Raum gönnen, als es jetzt schon in dem gedruckten oder stillschweigend angenommenen Lehrplan der meisten chemischen Lehranstalten der Fall ist, in denen mindestens drei Semester auf analytische Uebungen verwendet werden.

Diese Frage fällt in gewisser Hinsicht mit meiner ersten Denn ich glaube, dass es den meisten Forderung zusammen. jungen Chemikern nur deshalb nicht gelingt, in drei Semestern die wünschenswerte analytische Gewandtheit und Sicherheit zu erwerben, weil es ihnen beim Beginn ihrer analytischen Thätigkeit noch zu sehr an experimentellem Geschick fehlt. Da nun alle analytische Arbeit zwar grofse Anforderungen an die Geschicklichkeit desjenigen stellt, der ihr obliegt, dabei aber durch ihre Gleichförmigkeit und ihre Beschränkung auf geringe Substanzmengen eine nur bescheidene Gelegenheit zur Uebung dieser Geschicklichkeit darbietet, so bleibt derjenige, der sich ihr ohne vorher erworbene Uebung im Experimentiren hingiebt, lange Zeit unsicher in seiner manuellen Arbeit. Eine den analytischen Uebungen vorgeschaltete Uebung in der blofsen Kunst des Experimentirens würde auch eine bessere Ausnutzung der auf analytische Arbeit verwandten Studienzeit verbürgen.

Meine dritte Forderung geht dahin, dass es mit Ausnahme des Unterrichtes in der chemischen Manipulation und der qualitativen Analyse keine andere als quantitative Arbeit in chemischen Unterrichtslaboratorien geben möge. Ich denke dabei an die präparativen und namentlich an die sogenannten selbständigen organischen Arbeiten der Studirenden.

Es ist üblich geworden, beim Unterricht im präparativen Arbeiten, ebenso wie beim analytischen Unterricht, gedruckte Leitfäden zu benutzen, von denen es viele ganz vortreffliche giebt. Sie alle entspringen dem bei jedem Lehrer sich geltend machenden Bedürfnis, den Unterrichtstoff in ein gewisses System zu bringen und in wohlerwogenen Dosen zu verab reichen. Aber diese Leitfäden bergen auch eine grofse Gefahr in sich. Sie berauben den Studirenden der so notwendigen und nützlichen Misserfolge und des mit ihnen verbundenen Nachdenkens über die Ursachen derselben. Es geschieht

deutscher Ingenieure.

nur zu leicht, dass die mit solchen Leitfäden Arbeitenden es unterlassen, sich darüber Rechenschaft zu geben, weshalb sie so vorgehen, wie sie es thun. Und eine weitere Gefahr ist die, dass der junge Chemiker vollständig mit sich zufrieden ist, wenn er qualitativ das in dem Leitfaden angegebene Ergebnis erzielt, ohne zu bedenken, dass in seiner späteren praktischen Laufbahn in der ungeheuren Mehrzahl der Fälle der qualitative Erfolg selbstverständlich und nur der quantitative dasjenige sein wird, worauf es ankommt.

Wenn es nun gar zu der »selbständigen Arbeit<< kommt, nach der die Seele des jungen Adepten seit den ersten Semestern gelechzt hat, dann wird die Wage vollends beiseite gestellt. Die goldene Freude über die gefundenen »neuen Verbindungen« hält ihren Einzug in das Herz des jungen Forschers, und der alte Professor gedenkt der Tage, wo auch er die Wonne des Entdeckens kostete.

Solche Räusche sind die Kinderkrankheiten des werdenden Chemikers: aber Aufgabe des Lehrers ist es, dafür zu sorgen, dass sie keine dauernden Folgen hinterlassen. Hier heifst es: rechtzeitig wieder einlenken in die Bahnen der Präzision. Nicht nur eine strenge analytische Kontrolle der Zusammensetzung des Neuentdeckten ist hier geboten, sondern namentlich auch die Kontrolle der Ausbeuten und die Rechenschaft über den Verbleib dessen, was an diesen Ausbeuten im Vergleich zur Theorie mangelt. Das sind oft schwierige Aufgaben; aber nur dem, der sich ihnen mit vollem Ernst und mit unermüdlicher Ausdauer widmet, wird seine erste »selbständige Arbeit« zu einer Lehre, deren wohlthätigen Einfluss er sein ganzes späteres Leben hindurch empfindet. Sie lehrt ihn, exakt zu arbeiten. Exakte Arbeit aber ist es, welche die deutsche chemische Industrie auf ihre heutige Höhe gehoben hat, und nur exakte Arbeit kann ihr auch für die Zukunft frommen.

Man werfe mir nicht ein, dass ich Eulen nach Athen trage und Forderungen stelle, welche längst erfüllt sind. Wir haben es zwar oft genug gehört und gesagt, dass die Wage das Zeichen ist, in dem wir Chemiker siegen, aber sie ist es noch lange nicht genug. Die analytische Wage halten wir hoch; aber die Tarirwage hat in unseren Laboratorien noch lange nicht den Ehrenplatz, der ihr gebührt. Auch die Literflasche, der Mafscylinder und die Bürette sollten das Handwerkszeug nicht nur dessen sein, der titriren will, sondern auch dessen, der präparativ arbeitet.

Ich gehöre gewiss nicht zu denen, welche den Wert des ungeheuren, in unserer Litteratur niedergelegten Materials unterschätzen. Aber ich teile die vorhandenen Berichte über Experimentaluntersuchungen je nach der Bedeutung, welche sie als Grundlage weiterer chemischer Arbeit besitzen, in mehrere Gruppen. Da sind zunächst die Arbeiten, welche über die erzielten Ausbeuten garnichts angeben. Sie gewinnen ihren Wert für den, der sich ihrer bedienen will, meist erst dadurch, dass er sie aufs neue nacharbeitet. Dann sind da die Arbeiten, welche die Ausbeuten klipp und klar in Prozenten der Theorie oder des Ausgangsmaterials mitteilen. Sie sind in den meisten Fällen ohne weiteres verwendbar. Und endlich sind da die Arbeiten, bei denen die Ausbeuten als >>nahezu theoretisch« angegeben werden. Bei diesen findet man, wenn man durch Wiederholung der Arbeit die etwas ungewisse Angabe ins Zahlenmäfsige zu übersetzen sucht, dass sehr oft die gefundene Zahl in Prozenten der Theorie den Fünfzig näher ist als den Hundert. Der Unterschied zwischen dem »nahezu Theoretischen« und der Zahl in Prozenten ist der, dass das erste geschätzt, die Zahl aber mit der Wage gefunden ist. Lassen Sie es mich als den letzten meiner Wünsche für die Ausgestaltung der Laboratoriumsausbildung unserer jungen Techniker aussprechen, dass ich hoffe, das »nahezu Theoretische« aus ihrer Arbeit verschwinden und durch zahlenmässige Belege ersetzt zu sehen.

Eine weitere bedeutsame Frage bezüglich der Ausbildung unserer jungen Chemiker für die Technik ist die Frage nach dem Umfang und der Methode des Unterrichtes in der chemischen Technologie. Es ist eine erfreuliche Folge des Wettstreites, der vor einigen Jahren zwischen den Universitäten und den technischen Hochschulen entbrannte, dass die Wichtigkeit und die Notwendigkeit dieses Lehrgegenstandes allgemein anerkannt worden ist. Die Universitäten, welche gewiss mit Recht beanspruchen, nach wie vor der Technik wohlgeschulte Kräfte liefern zu können, haben vielfach für eine Erweiterung und Vertiefung ihres früher als Nebenfach bebandelten chemisch technologischen Unterrichtes Sorge getragen, und die technischen Hochschulen betonen aufs neue den Grundsatz, dem sie ihre Entstehung verdanken, dass nämlich erst die Anwendung der Wissenschaft das ganze Volk an dem Segen der Forschung teilnehmen lässt und somit dieser die Krone aufsetzt.

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Es kann keinem Zweifel unterliegen, dass gediegene und umfassende Vorträge über das Gesamtgebiet der technischen Chemie einen Hauptlehrgegenstand für den heranreifenden technischen Chemiker bilden müssen, schon deswegen, weil sie für die meisten Chemiker die einzige Gelegenheit darstellen, sich über die Gesamtheit der Anwendungen, deren die Chemie fähig ist, ein Bild zu verschaffen. Mit dem Tage, an dem der junge Techniker seine erste Stellung in der Industrie antritt, beginnt seine Spezialisirung für ein bestimmtes Gebiet industrieller chemischer Arbeit. Der weite Horizont der goldenen Studienzeit wird eingeengt; es kommen die Tage des Ringens, aber auch die Tage der Ernte.

Weil somit die Spezialisirung ganz von selber kommt und kommen muss, würde es ein Fehler sein, sie schon auf der Hochschule eintreten zu lassen. Es wäre sinnlos, unseren Söhnen zuerst die breite Grundlage einer umfassenden und gediegenen theoretischen Bildung zu geben, um sie dann schliefslich als Gerber, Färber oder Steinzeugfabrikanten in die Welt hinaus zu schicken. Aus diesem Grunde muss der chemisch-technologische Unterricht unserer Hochschulen zwar breit und tief, aber enzyklopädisch angelegt sein. Vor allem aber muss er die Brücke bilden, welche von der reinen Wissenschaft zu ihren Anwendungen hinüberführt. Er darf sich nicht mit der Aufzählung von Thatsachen begnügen, sondern muss, wo immer möglich, die Gründe entwickeln, welche die Technik veranlassen, so zu arbeiten, wie sie es thut, und nicht anders. Dass in einem solchen Unterricht wirtschaftliche, nationalökonomische und konstruktive Fragen mit hineinspielen, ist selbstverständlich. Ich denke mir, dass in einem Vortrage über die chemische Technologie, wie er mir als Ideal vorschwebt, dem jungen Chemiker eine neue Welt aufgehen sollte, eine Welt besonnener und zielbewusster Arbeit, in welche mit vollen Segeln hineinzusteuern er kaum erwarten kann. Und wenn es auch keinem von uns Technologen gelingen wird, dieses Ideal zu verwirklichen, so können wir doch danach streben. Die chemische Technik ist so reich an glänzend gelösten und an noch zu lösenden Aufgaben! Sie aufzugreifen und lebendig werden zu lassen vor den Augen seiner Zuhörer, das ist auch eine Aufgabe, die wert ist des Schweifses eines Kathedertechnologen!

Nun bleibt noch als letzter Punkt meiner kleinen Untersuchung die Frage, was für Kenntnisse aufser einer gediegenen chemischen Vorbildung wir unseren jungen Technikern sonst noch mit auf den Weg geben sollen. Dass hier die Physik in erster Linie zu nennen ist, ist selbstverständlich. Das alte Wort Bunsens, dass ein Chemiker nichts ist, wenn er nicht ein Physiker ist, ist neuerdings wieder angeführt worden, und mit Recht. Ist doch, streng genommen, unsere ganze Arbeit physikalisch; erst die Schlüsse, die wir aus ihr ziehen, machen sie zur chemischen Arbeit.

Aber auch die beschreibenden Naturwissenschaften: Mineralogie, Zoologie und Botanik sollten dem technischen Chemiker keine Terra incognita sein. Für die Mineralogie wird dies allseitig anerkannt; die Kenntnis der Grundzüge der beiden andern Wissenschaften sähe ich gern unter den Chemikern mehr verbreitet, als dies im allgemeinen der Fall ist.

Von vielen Seiten wird für den angehenden technischen Chemiker das Studium der Mechanik gefordert. Wenn dar

unter die wissenschaftliche Mechanik verstanden wird oder die Kunst, Maschinen für bestimmte Zwecke zu konstruiren, Der so kann ich mich der Forderung nicht anschliefsen. studirende Chemiker hat keine Zeit, sich in diese Disziplinen so zu vertiefen, dass er aus den gewonnenen Kenntnissen später Nutzen ziehen könnte. Diejenigen Grundzüge der theoretischen Mechanik, welche in ein Kolleg über allgemeine Physik aufgenommen werden, sind nach meinem Dafürhalten für den technischen Chemiker ausreichend. Dagegen glaube ich, dass es ihm sehr notwendig ist, sich mit den Elementen der beschreibenden Maschinenlehre vertraut zu machen. Er sollte eine gewisse Kenntnis des Baues und der verschiedenen Ausführungsformen der wichtigsten Kraft- und Arbeitsmaschinen als Ausrüstung für seine technische Laufbahn mitbringen und wenn möglich, auch eine gewisse Fertigkeit im technischen Skizziren. Dasselbe gilt von den Elementen der Baukonstruktionslehre. Die auf beiden Gebieten erworbenen Kenntnisse werden ihm später oft von nutzen sein. Sie sollen ihn nicht befähigen, als Konstrukteur dem eigentlichen Ingenieur ins Handwerk zu pfuschen; aber sie sollen ihm das nötige Verständnis dessen erschliefsen, was er als unentbehrliches Hülfsmittel seiner technischen Arbeit fortwährend benutzen wird.

Was der Chemiker aufser den genannten Kenntnissen sonst noch mitnehmen mag in den Kampf ums Dasein, dem er entgegengeht, ist vielfach vielleicht nicht minder wichtig, als das Aufgezählte. Aber es gehört in das Gebiet der allgemeinen Bildung. Diese nach seinen Bedürfnissen und nach seinem Fassungsvermögen zu bemessen, ist Sache des Einzelnen. Es giebt Menschen, welche nur mit leichtem Gepäck reisen können, und andere, denen schwere Koffer unentbehrlich sind. Sehe jeder, wie ers treibe.

Eine gediegene Schulung der jungen, unserer Technik zuwachsenden Kräfte gehört zu den Bedingungen, welche wir erfüllen müssen, wenn die Industrie fortfahren soll, zu blühen und reiche Früchte zu tragen. Mit Recht preisen wir den grofsen Liebig, den Begründer eines planmäfsigen chemischen Unterrichtes, auch als einen der intellektuellen Urheber unserer heutigen industriellen Erfolge. Welchen Umfang aber hat seit den Tagen Liebigs unsere Wissenschaft angenommen! Was damals, von dem Zauberstabe eines Genies emporgehoben, als munterer Quell in Deutschland zutage trat: die Forschung, ist heute, mit tausenden von andern Quellen aus allen Ländern der Erde vereint, zum gewaltigen Strome geworden. Wir aber, die wir auf seinen Fluten einem fernen, unbekannten Ziele zusteuern, sind nur die Epigonen der grofsen Begründer unserer Wissenschaft und unserer Industrie. Wir besitzen keine Gewalt mehr über die elementare Kraft, die diesen Schöpfungen des menschlichen Geistes innewohnt. Wir können dem Strome weder Halt gebieten, noch können wir ihn eindämmen, wenn er sich sein Bett breiter und immer breiter gräbt. Aber wir haben den Kompass eines redlichen Strebens an Bord, und wir können Richtung halten, dass wir nicht in Untiefen festfahren oder in stagnirenden Buchten liegen bleiben.

Noch segelt das Schiff der deutschen Chemie an der Spitze der wettfahrenden Flotte. Gut Wind für die Zukunft und glückhafte Fahrt!

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Fig. 2.

Die Geschütze, 8 an Zahl, sind auf einem Oberdeck untergebracht, das sich über die Hälfte der Schiffslänge erstreckt und auf dem sich Aufbauten für die an Bord befindlichen Europäer befinden. Die Relings und ebenso die Seitenwände des Schiffes vor der Maschinenkammer und den Offizierkabinen sind durch Chromstahl von solcher Dicke geschützt, dass er Gewehrfeuer widerstehen kann. Hinten auf dem Hauptdeck befinden sich die Räume für die eingeborenen Mannschaften und ein besonderer Krankenraum. Das Schiff besitzt 4 Ruder, wodurch es besonders leicht gesteuert werden

kann.

Die Manhattan-Hochbahn in New York, die vom Battery Park an der Südspitze ausgehend die Manhattan-Insel auf zwei Linien ganz und auf einer dritten bis zum Zentralpark durchzieht, erhält jetzt elektrische Zugförderung statt des bisherigen Dampfbetriebes. Wie die Zeitschrift »Electrical World«<1) berichtet, sind die Strecken zumteil schon mit der für die Stromzuführung dienenden Leitungschiene ausgerüstet und die Laufschienen an den Stöfsen mit Schienenverbindern versehen. Auch das Hauptelektrizitätswerk, das die gesamte Energie rd. 44 000 KW zur Zeit des stärksten Verkehres für den Betrieb der 120 km Gleislänge aufweisenden Bahn liefern wird, geht seiner Vollendung entgegen. Es wird Drehstrom von 11000 V erzeugen, der in verseilten, durch Bleimantel geschützten Kabeln nach 7 längs der Bahn verteilten Unterstationen geführt werden wird. Die Spannung wird hier durch Transformatoren auf 390 V erniedrigt und der Drehstrom durch rotirende Umformer in Gleichstrom von 625 V umgewandelt werden.

Das am East River gelegene Krafthaus ist 123 m lang und durch eine Längswand in das 31,7 m breite Kesselhaus und die 26,4 m breite Maschinenhalle geteilt. 64 Babcock & Wilcox-Kessel stehen in zwei Stockwerken über einander, in je 2 Reihen angeordnet. Ihre Feuerungen sind einem fast 6 m breiten Mittelgang zugewendet. Die Kessel sind für 14 at Ueberdruck gebaut und mit mechanischer Beschick vorrichtung, Bauart Roney, ausgestattet, die das Verfeuern sehr verschiedener Kohlen ermöglicht und die notwendige Anzahl der Heizer auf 3 der sonst erforderlichen, nämlich auf 90 erniedrigt. Zum Vorwärmen des Speisewassers dienen 16 GreenVorwärmer, die hinter den Kesseln im Zuge der Abgase eingebaut sind. Einer von ihnen ist für je 4 Kessel bestimmt. Das unter dem Kesselraum liegende Erdgeschoss ist durch 4 Längswände in 5 Räume zerlegt. In dem mittleren stehen 8 einfach wirkende dreicylindrige Speisepumpen, die von 1) Electrical World and Engineer 5. und 12. Januar 1901.

deutscher Ingenieure.

Gleichstrommotoren mit 500 V Klemmenspannung angetrieben werden. Das Speisewasser wird in eine Ringleitung gefördert, die, im Fufsboden verlegt, um das Kesselhaus herumläuft und das Wasser an die Vorwärmer abgiebt. Die Räume neben den Pumpen nehmen die Vorrichtungen zum Fortschaffen der Asche auf und in den beiden äufseren Räumen sind Wasserbehälter unDas tergebracht. Dachgeschoss dient als Kohlenspeicher und kann 15000 t Kohlen aufnehmen. Der Boden seines Mittelraumes ist als Doppeltrichter ausgestaltet, aus dem die Kohlen den Beschickvorrichtungen unmittelbar zugeführt wer den. Zum Heranschaffen der Kohlen und zum Fortschaffen der Asche dient ein unmittelbar am East River gelegenes Verladegebäude, in dem

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alle erforderlichen Vorrichtungen untergebracht sind und das mit dem Kesselhause durch eine 18 m lange und 6 m breite Brücke von 12,3 m 1. H. verbunden ist. Die Eimerkette, mittels deren die Kohlen über die Brücke hin

weg in die Bunker geschafft werden, fördert stündlich 150 t. An beiden Enden des Kesselhauses stehen je 2 Essen von 82,5 m Höhe und 5,2 m 1. W. an der Sohle, denen die Heizgase durch die zwischen den Kesseln und den Vorwärmern angeordneten 4 Füchse zugeführt werden. Zur Verstärkung des Zuges bei sehr starker Beanspruchung des Kessels, schlechter Kohle und ungewönnlich niedrigem Barometerstande dienen 16 von Drehstrommotoren von 180 Uml./min angetriebene Sturtevant-Ventilatoren von 2750 mm Flügel-Dmr.

Auf der Werft von Denny & Brothers in Dumbarton am Clyde ist am 16. Mai ein Turbinendampfer vom Stapel gelassen, der in den letzten Tagen des Juni seine Probefahrten zur Zufriedenheit der Besteller abgelegt hat. Der neue Dampfer, der den Namen »King Edward« führt, soll den Personenverkehr zwischen Fairlie und Campbeltown auf dem Clyde vermitteln. Das Schiff ist 76 m lang zwischen den Loten, 9 m breit, hat 5,4 m Raumtiefe und ähnelt in der äufseren Erscheinung den gewöhnlichen Personendampfern auf dem Clyde. Die Maschinenanlage besteht aus 3 gesondert aufgestellten Parsons-Dampfturbinen, die 3 Schraubenwellen treiben. Die mittlere davon, die von der Hochdruckturbine angetrieben wird, trägt eine Schraube, die nur zum Vorwärtsgang dient; die beiden von den Niederdruckturbinen angetriebenen seitlichen Wellen tragen je 2 Schrauben und dienen zum Vorund Rückwärtsgang. Bei der durch Vertrag festgesetzten Geschwindigkeit von 20 Knoten macht die mittlere Schraubenwelle 700, die Seitenwellen 1000 Uml./min. Der Dampf wird in einem Doppelender-Cylinderkessel erzeugt, dessen Abgase durch 2 Schornsteine ins Freie geleitet werden. Es können 2000 Personen auf dem »King Edward< Platz finden. Auf der letzten Probefahrt wurde die vertragsmässige Geschwindigkeit um 0,5 Knoten überschritten.

In den letzten Tagen wurde mit dem Bau von 3 grofsen Tunneln für die Karawanken-, Pyhrn- und Tauernbahn begonnen. Der Karawankentunnel erhält eine Länge von 8016 m, der Pyhrntunnel von 4340 m und der Tauerntunnel von 8470 m. (Zeitung des Vereines Deutscher Eisenbahn-Verwaltungen 26. Juni 1901)

Das Bauamt des Kantons Basel hat einen Wettbewerb für den Entwurf einer Rheinbrücke in Basel anstelle der alten mittleren Rheinbrücke ausgeschrieben. Die Entwürfe sind bis zum 14. Dezember d. J. einzureichen. Die zu verteilenden Preise betragen zusammen 25000 frs.

Der Gemeinderat von Paris hat ein neues Preisausschreiben für rauchverzehrende Feuerungen erlassen, um den

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