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I. Leben und Dichtungen des Vergil.

Publius Vergilius Maro (so, Vergilius, nicht Virgilius, war sein Familienname) wurde geboren an den Iden des Octobers im Jahre der Stadt 684 (d. i. am 15. October 70 v. Chr.) zu Andes (jezt Pietola), einem Dorfe in der Nähe von Mantua, daher er selbst Mantua seine Vaterstadt nennt, Georg. 3, 10 ff.:

'Primus ego in patriam mecum, modo vita supersit,

Aonio rediens deducam vertice Musas;

Primus Idumaeas referam tibi, Mantua, palmas etc.'

d. i.: ‘der Erste will ich, wenn nur das Leben mir bleibt, heimkehrend ins Vaterland mit mir von der aonischen Höhe (vom Helikon) die Musen herbeiführen; der Erste dir, Mantua, die idumäischen Palmen bringen !'

Sein Vater, ein ziemlich begüterter Landmann, ließ ihm den ersten Unterricht in dem benachbarten Cremona ertheilen und sandte den sechzehnjährigen Jüngling, nachdem er die männliche Toga erhalten (sumptâ virili togâ), zur weiteren Ausbildung nach Mediolanum (Mailand); später hielt er sich zu gleichem Zwecke in Rom und Neapel auf; von Parthenius wurde er in der griechischen Sprache und Literatur unterwiesen, von dem Epikureer Syro in die philosophischen Studien, welche er besonders liebgewann, eingeführt.

Schon früh versuchte er sich in eignen poetischen Schöpfungen; doch dürfte von den seinen Namen tragenden kleineren Gedichten (Culex, Ciris, Copa, Moretum, Aetna, Dirae, Catalecta) keines wenigstens nicht in seiner jezigen Gestalt ächt vergilisch sein.

Durch seine schwächliche Gesundheit, wie es scheint, an dem Eintreten in die öffentliche Laufbahn verhindert, zog sich der herangereifte Jüngling (etwa im 26sten Lebensjahre, 45 v. Chr.) in seine Heimat aufs Land zurück und widmete sich daselbst dem Landbau und der Beschäftigung mit den Wissenschaften.

Schon in den nächstfolgenden Jahren, von 43 bis 37 v. Chr., von seinem 27sten bis 33ften Lebensjahre, dichtete er in Nachahmung der Vergil, Bucolica.

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Idyllen des Theokrit (f. im Folg. Nr. II.) die zehn Hirtengedichte: Bucolica, Bovxolixá (von den späteren Grammatikern mit dem Namen Eclogae, 'Exλoyaí, 'auserwählte Gedichte', bezeichnet).

Mitten in diese friedliche Beschäftigung griffen die nach Cäsars Ermordung in Oberitalien erfolgenden Kriegsunruhen störend ein, und der Dichter war selbst in Gefahr, sein kleines Landgut zu verlieren, als im Jahre 41 (nach der Schlacht bei Philippi) die Veteranen des Cäsar von Octavian mit Ländereien um Cremona und Mantua belohnt wurden, und so auch das Gut des Vergil einem Veteranen zugetheilt wurde. Doch auf die Verwendung des Alfenus Varus oder des Asi= nius Pollio ward der Dichter von Mäcenas dem Octavian angelegentlich empfohlen, und dieser befahl die Rückgabe des Gutes an den Dichter. Den Dank für diese ihn beglückende Wiedereinseßung in seine ländliche Habe drückte der Leßtere in dem berühmt geword enen Bucolicon Tityre, tu patulae etc. aus, das sich jezt an der Spiße der zehn Bucolica befindet.

Noch einmal, in Folge des perusinischen Krieges (41 u. 40 v. Chr.) war der Dichter in seinem Besißthum gefährdet; der Centurio Arrius bedrohte sogar das Leben desselben, und er sah sich genöthigt nach Rom zu eilen, wo er das neunte Bucolicon Quo te, Moeri, pedes etc. dichtete, und, vielleicht durch Fürsprache des Alfenus Varus, sein Eigenthum wieder erlangte.

Seitdem lebte Vergil in ungestörter Ruhe seiner Muse, abwechselnd in Andes, Rom, Tarent, Neapel, und auf Antrieb seines Gönners Mäcenas dichtete er zwischen den Jahren 37 und 30 v. Chr. das zu allen Zeiten hochbewunderte ländliche Gedicht Georgica in 4 Büchern, unstreitig Vergil's vollendetstes Dichtwerk.

Schon während der Abfaffung dieses Gedichts scheint Vergil den Plan zur Bearbeitung eines größern Nationalepos gefaßt zu haben, wenigstens wird dies nicht ohne Grund aus den Versen Georg. 3, 46-48 geschlossen:

'Mox tamen ardentes accingar dicere pugnas
Caesaris, et nomen famâ tot ferre per annos,

Tithoni primâ quot abest ab origine Caesar',

d. i.: 'doch bald werd' ich mich rüsten, die glühenden Kämpfe Cäsars zu besingen und seinen Namen mit Ruhm durch so viele Jahre zu tragen, wie Cäsar entfernt ist von dem ersten Ursprung des Tithônus.'

Nach mehrjährigen emsigen Vorstudien, die sich über die Vorgeschichte und Alterthümer aller irgend bedeutenden Ortschaften Italiens ebenso sehr wie über das griechische Alterthum verbreiteten, begann er endlich im Jahre 29 v. Chr. in seinem 41sten Lebensjahre das große Werk, die Dichtung der Aeneis, deren erste Gesänge er schon nach ́zwei Jahren dem Augustus vorlesen konnte. Als die bei einer solchen Vorlesung anwesende Schwester des Augustus, Octavia, die Verse hörte, mit welchen der Dichter ihren frühverstorbenen hoffnungsvollen Sohn Marcellus verherrlichte (Aen. 6, 861-887), wurde sie von denselben so sehr ergriffen, daß sie ohnmächtig zusammensank; und sie belohnte den Dichter mit fürstlicher Freigebigkeit (zehntausend Sesterzien, d. i. 500 Thaler Gold, für jeden einzelnen Vers).

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Als im Frühjahr 19 v. Chr. das Epos in seinem ersten unvollkommenen Entwurf beendigt war, reiste der Dichter, begleitet von den heißesten Wünschen seiner zahlreichen Freunde Horaz widmete ihm bei dieser Gelegenheit die herrliche Ode Sic te diva potens Cypri (Od. 1, 3) nach Griechenland, in der Absicht, dort einige Jahre zu verweilen und die lekte Hand an die Dichtung zu legen. In Athen begegnete er dem Augustus, der eben aus Asien nach_Rom_zurückkehrte, und folgte dessen Einladung, ihn nach Italien zu begleiten. Aber schon beim Beginn der Ueberfahrt erkrankte er schwer, so daß er bei der Landung zu Brundisium daselbst (nach Anderen in Tarent) zurückgelassen werden mußte, und hier, wenige Tage darauf, am 22sten September des Jahres 19 v. Chr., drei Wochen vor seinem vollendeten 51sten Lebensjahre, starb. Seinem Wunsche gemäß wurden seine Gebeine nach Neapel gebracht und vor der Stadt an der Via Puteolana beigesezt, wo noch jezt, über der Grotte des Posilipo, das 'Grab des Bergil' (Tomba di Virgilio) gezeigt wird, das jedoch in Wahrheit kein Einzelgrab, sondern ein altes columbarium (Grabgewölbe mit vielen Nischen für Aschenurnen) ist. Sein Biograph Donatus theilt ein Distichon mit, das Vergil selbst sich als Grabschrift gedichtet haben sollte:

'Mantua me genuit, Calabri rapuêre, tenet nunc

Parthenope: cecini pascua, rura, duces',

doch wird dasselbe jezt allgemein und mit Recht für nicht vergilisch gehalten.

Auf seinem Sterbelager hatte der Dichter gewünscht, daß die Aeneis wegen ihres unvollkommenen Zustandes verbrannt würde; auf dringendes Bitten seiner Freunde jedoch und auf die Bemerkung der= selben, daß Augustus diesem seinem Verlangen sicherlich nicht Folge leisten würde, hinterließ er das Manuscript seinen beiden Freunden L. Varius und Plotius Tucca unter der ausdrücklichen Verpflichtung, daß sie nichts hinzufügen und selbst die zahlreichen Halbverse - es sind deren in der Aeneïs nahe an sechzig — unverändert lassen möchten ('ne quid adderent quod a se editum non esset, et versus etiam imperfectos, si qui erant, relinquerent'). Nach Andern war es Augustus selbst, der den beiden Genannten diesen Auftrag ertheilte.

Schon unter der Regierung des Augustus gelangten Vergil's Gedichte zu allgemeiner Verbreitung; sie wurden bald sogar in die Schulen eingeführt und als Muster der Poesie und des guten Geschmackes überhaupt empfohlen; die Rhetoren nahmen aus ihnen Themen für die von den Schülern zu verfertigenden Reden; einzelne aus dem Zusammenhange gerissene vergilische Verse wurden zu neuen Gedichten zusammengesezt (die sogenannten Centônes, geistlose Flick-' oder 'Lappengedichte'). Auch das christliche Mittelalter bewahrte dem römischen Nationaldichter die höchste Verehrung, indem er, ohne daß seine Werke selbst dem Volke genauer bekannt waren, allmälig in ein Wunderwesen verklärt wurde, begabt mit magischen Kräften, in einen Zauberer und Schwarzkünstler, in einen Wahrsager und Zeichendeuter (schon in der späteren Kaiserzeit waren bei bedenklichen Lebensverhält= nissen die Gedichte des Vergil wie Zauberbücher aufgeschlagen und zu weissagenden Entscheidungen, sortes Vergilianae, benußt worden); daher wählte Dante in seiner Divina Commedia sich Vergil, als den reinen und gottgeweihten Sänger, zum Führer auf seiner Wanderung durch Hölle und Fegefeuer.

Ueber den Werth der Dichtungen Vergil's vgl. Bernhardy's

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