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Zeit Seneca's sogar direkt aufgesucht wird, wenn auch nur des Kontrastes und der Abwechslung willen. Jene stillen, aber so intensiv malerischen Reize des Naturlebens, wie sie in Lichtreflexen sei es auf dem Wasserspiegel oder in den Waldschatten sich verraten, werden mit wachsendem Interesse und Verständnis belauscht von Vergil bis Statius, Plinius und Ausonius. Wie viel empfindsamer wird die Liebe zum Landleben, zuerst im Gegensátze zur Stadt, dann um seiner selbst willen! Die Natur wird eben schliesslich nicht mehr aus ausser ihr liegenden Gründen gesucht und geliebt, sondern lediglich um ihrer eigenen, erhabenen Schönheit und um ihres stillen, wunderbaren, geheimnisvollen Zaubers willen. —

Aber auch unsere Untersuchungen haben wieder klar gelegt, wie sehr die römische Literatur ein Nachhall der griechischen ist; und wer möchte leugnen, dass die grössere Wärme und Ferve des Ausdrucks, die intensivere Innigkeit und die reichere Abwechslung der Empfindungsweisen sich in den Dichtungen der Griechen findet, dass der Farbenschmelz ein ungleich zarterer, duftigerer bei den Hellenen ist? Mag der Römer in seinem angeborenen architektonischen Sinn 'landschaftlich besser komponieren' 9"), nur selten gelingen ihm die rein lyrischen Motive in der Feinheit der griechischen Poesie. Stellen wir z. B. nur die Reihen der Beseelungen, der Vergleiche des Geistigen und Natürlichen u. ä. in beiden Literaturen einander gegenüber, wie viel stimmungsvoller, seelenvoller verschmelzen die Griechen die Regung des Herzens mit dem Landschaftlichen, wie viel beziehungsreichere Analogien weisen sie auf und welche mannigfaltige Fülle der die Natur belebenden Metaphern! Gerade hierin bieten dagegen die Römer eine ärmlich monotone Skala; das Abstrakte liegt zu sehr in ihrem Blut, an Stelle poesievoller Beseelungen tritt zu oft die tote Allegorie. Aber eins ist auch hinwiederum, hoffe ich, evident geworden: trotz der geringeren Innigkeit des Kolorits füllt die römische Dichtung, besonders die Elegie, nicht nur eine Lücke der griechischen Literatur aus, so dass

uns durch sie erst das völlig Empfindsame des Naturgefühls der hellenistischen Zeit recht deutlich wird, sondern sie haben auch auf dieser von den Alexandrinern ihnen gewiesenen Bahn manchen bedeutsamen Schritt nach dem Modernen hin fortschreitend gethan 7). Die augusteische Poesie sowohl wie Prosa und Dichtung der Kaiserzeit zeigen manche Empfindungsweisen, die bei den Griechen erst leise anklangen; sie schwingen nun weiter fort und nähern sich unserer heutigen Gefühlsart; so der Sinn für das landschaftliche Ganze und für die weite Ferne sowie für den heimlichen Reiz, der um Wald und Wasser webt, für die Lichtreflexe und für das Dunkel des schattigen, schaurigen Hains; so die Lust, zu rudern, zu fischen, zu jagen, zu träumen und die Leidenschaft, zu reisen, die sogar zu der allerdings noch für krankhaft geltenden Neigung führte, selbst wilde, öde Gegenden aufzusuchen, um grossartig grausige Eindrücke mit lieblichen abwechseln zu lassen. Kann bei alledem noch das Urteil Friedländer's 98) bestehen, das auf Grund des vermeintlichen Mangels an einer Landschaftsmalerei dahin formuliert wird: 'Vor allem fehlt und ganz und dies ist der wesentlichste Unterschied zwischen der heutigen und der antiken Naturbeschreibung die Hervorhebung der Wirkungen. des Lichts und ihrer Modifikationen durch das Medium der Luft. Nicht dass bei Naturbeschreibungen der Alten klarer Sonnenschein, trüber Wolkenhimmel, Mond- und Sternenlicht unerwähnt bleiben. Aber von dem eigentümlichen Charakter, den die Landschaft und ihre Teile durch die Beleuchtung erhalten, ist nirgend die Rede, nirgend von den verschiedenen Wirkungen der Nähen und Fernen'!? Gewiss blieb dem Altertum das Gefühl für all die Abstufungen, die zwischen einem kalten Mondlicht und der Glut der Abendsonne liegen, für die wundervollen Farben, in die sich im Süden morgens und abends der Horizont und ferne Berge tauchen und die vom zartesten Rosa durch alle Grade zum tiefsten Blau gehen', in der modernen Vertiefung und Zartheit noch verborgen; aber wer möchte in den betreffenden Schilderungen von Vergil bis Ausonius wenigstens An

gar

Biese, die Entwicklung des Naturgefühls bei den Römern.

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sätze und Keime unseres modernen, malerischen und romantischen Natursinnes verkennen? - Erst eine lange Entwicklungskette führt von dem sinkenden Altertum durch die Renaissance hinüber zu einem Naturgefühl, wie es das Ende des 18ten Jahrhunderts geboren und wie es seine Vertreter in Rousseau und Göthe gefunden hat. Was bei den Alten in der Hülle der Knospe schlummerte, erwacht dann zur vollen, üppig duftenden, ja manche mit ihrem Duft berauschenden Blume. Nicht fremd ist dem Altertum jene 'subjektive Betrachtung, die in den unendlich mannigfaltigen Erscheinungen der Sinnenwelt Spiegelbilder der eigenen wechselnden Zustände erblickt' wie Friedländer meint oo) —; aber erst mit der Neuen Héloise und mit Werther ist die ganze, volle, moderne Subjektivität auf den Thron des Fühlens und Denkens erhoben worden; erst von da ab blüht und glüht und duftet die Dichtung von einem Naturgefühl, das entweder in religiöser Andacht in jedem geringsten Teile der Schöpfung eine Offenbarung der Allmacht Gottes preist oder mit schmerzlicher Sehnsucht und mit süssem Träumen in die stille Poesie des Pflanzenlebens, der Wolken, des Schnees und des Reifs, der Dämmerung und des Abendsonnengoldes, der blauen Fernen mit den schimmernden Gletschern, des weiten Oceans oder der smaragdenen Seen am Fusse der Bergesriesen sich versenkt, das in allem und jedem einen Teil der eigenen Seele oder die Hülle eines göttlichen Gedankens erblickt, wie Klopstock singt:

Schön ist, Mutter Natur, deiner Erfindung Pracht,
Auf die Fluren verstreut; schöner ein froh Gesicht,
Das den grossen Gedanken

Deiner Schöpfung noch einmal denkt.

Doch wie ein so tief innerliches und erhabenes, ein so subjektives und andachtsvolles Naturgefühl entstanden, welche Brücke sich vom Altertum zu dem Zeitalter Göthe's, Byron's und Shelley's herüberspannt, das darzulegen, 100) möge wenn die Götter günstig sind und

die Kräfte reichen halten sein.

späteren Untersuchungen vorbe

Anmerkungen.

1) Vgl. Mommsen, römische Geschichte S. 27.

2) Lotze, Mikrokosmos III 2, 304.

3) Preller, römische Mythologie 2 S. 5.

4) Preller a. a. O. S. 334; wenn er aber S. 95 im eigentümlichen Gegensatze zu den Urteilen und Vorurteilen früherer Forscher über das Naturgefühl der Alten behauptet: 'Überhaupt hatten die Alten zwar nicht den landschaftlichen Natursinn, der bei uns durch Kunst und Poesie so weit ausgebildet ist; wohl aber hatten sie weit mehr Sinn für das Dämonische in der Natur, wie es sich in der Stille des Waldes, zwischen ragenden Bergen und murmelnden Quellen offenbart und auf jedes empfängliche Gemüt mächtig wirkt so ist der erste Teil dieser Behauptung dahin zu berichtigen, dass der landschaftliche Natursinn der Alten nur graduell von dem unsrigen verschieden ist, und der zweite dahin, dass ein abergläubisches, dumpfes Ahnen des Göttlichen in der Natur noch gar weit entfernt ist von dem modern-romantischen Naturgefühl, das in dem Wilden, Einsamen und Schrecklichen der Naturerscheinungen ein Dämonisches entdeckt und mit schauervollem Entzücken sich an den gewaltigen Eindrücken weidet. Bei den Griechen sahen wir, wie die Blüte der hellenistischen Sentimentalität an die moderne Romantik heranstreifte; im Laufe dieser Erörterungen wird es sich erst ergeben, ob bei den Römern der Begriff des Naturschönen sich nur auf das Liebliche, Heitere, auf das amoenum beschränkte, wie Friedländer, Darstellungen aus der Sittengeschichte Roms II, S. 113 ausführt.

5) Ribbeck, die römische Tragödie im Zeitalter der Republik. Leipzig 1875.

6) Cum sit flavus color viridi et albo mixtus, pulcherrime prorsus spumas virentis maris flavom marmor appellavit.

2) Vergl. Entw. des Naturgef.'s d. Gr. S. 36.

8) Vergl. E. d. N. d. Gr. S. 46 ff., speziell S. 55.

9) Vergl. Ribbeck a. a. O. S. 157; wie widersinnig, hölzern und abstrakt sind besonders die Worte: 'siehe auf diese That, ehe sie geschieht' ! 10) So nach Ribbeck a. a. O. S. 257, nicht Chryses.

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11) Vergl. Wörmann, über den landschaftl. Natursinn S. 85 und 86; er beginnt seine Ausführungen über die Römer S. 81 mit einer Betrachtung des Kunstsinnes und der Mythologie der Römer, wendet sich S. 84 zu der Naturanschauung Cicero's, woran er kurze Erörterungen über Plautus und Terenz anschliesst; auch das übrige behandelt er nur summarisch; Secretan hebt zwar einige Stellen aus den Fragmenten heraus, schliesst aber cap. I mit der Phrase S. 37: ́Le sentiment de la nature, s'il est permis de s'exprimer ainsi, était encore condensé dans la religion, il n'avait pas encore imprégné la littérature de son bienfaisant parfum'. Im darauf folgenden 2ten Abschnitt verkennt er völlig S. 38 ff. das Wesen des griechischen Naturgefühls; man vergleiche mit unseren früheren Ausführungen Sätze wie folgende S. 39: 'Pour sympathiser avec la nature, précisement parce qu'elle est la nature, il faut s'en sentir plus séparés que ne l'étaient les Grecs' vergl. S. 119 Il faut se résigner à en convenir, la principale raison de cette absence de paysage (der Landschaftsmalerei), c'est le manque d'intérêt pour la nature en elle-même, en Grèce plus encore (!) qu'à Rome: la nature ne trouve grâce pour ainsi dire qu'à condition de se personnifier dans la peinture'. Auf die überall des Korrektivs bedürftige Betrachtung des griechischen Naturgefühls folgen S. 43 ff. schon diese Überschriften: influence d'Auguste; grand nombre de villas; localités en vogue; voyages nombreux; rapidité relative; auberges; voyages d'affaires, d'éducation, de santé; intinéraire restreint des touristes romains etc., S. 51 Lucrèce, Virgile, Horace. Im Übrigen ist es nicht meine Absicht, die Resultate der eigenen Untersuchungen mit denen des nicht sehr tief eindringenden Franzosen zu messen, der vor allem in der Verschiebung der einzelnen Epochen gefehlt hat. Alex. v. Humboldt findet bei den Römern noch spärlicher als bei den Griechen die Äusserungen eines landschaftlichen und poetischen Natursinnes; 'die mehr praktisch nüchterne Anlage, die Sprache mit einer mehr realistischen Tendenz und der entfremdende Hang, griechischen Vorbildern nachzustreben, waren dem entgegen; aber von Vaterlandsliebe getragen wussten kräftige Geister durch schöpferische Individualität, durch Erhabenheit der Ideen wie durch zarte Anmut der Darstellung jene Hindernisse zu überwinden' Kosmos II p. 16. Die sonst landläufige Ansicht über das Naturgefühl der Römer spricht am drastischsten Hehn (vergl. m. Schr. Naturgef. der Gr. S. 6) aus, Italien 2 S. 55: 'Die Römer betrachteten die Natur immer nur unter dem Gesichtspunkte des Kulturzweckes. Wenn sie freiwillig oder gezwungen den Aufenthalt in der Stadt mit dem auf dem Lande vertauschen, da jammern die einen über den Verlust alles dessen, was der Aufmerksamkeit des Menschen würdig ist, die anderen freuen sich der Einsamkeit, in der die Laster und die Geschäfte der Hauptstadt nicht unbequem werden. Die Alpen, die sie so oft zu übersteigen hatten, erscheinen ihnen nicht gross und herrlich, sondern hassenswert, weil unwegsam und gefährlich (Humb. a. a. O. 24); das Meer ergreift sie nicht durch Erhabenheit, sie verabscheuen es als todbringend; vor der Tiefe des Waldes schaudern sie und denken sich dort den Sitz der schrecklichen Göttin, die mit Menschenopfern besänftigt wird. . . Auf ihren Villen suchten und fanden die Römer nicht Umgang mit der Natur, sondern in Gärten

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