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Lehrs (S. 138) fasst den Unterschied des antiken und modernen Naturgefühls mit Hinweis auf Klopstock's Strophe:

O Anblick der Glanznacht, Sternenheere!

Wie erhebt ihr, wie entzückst du, Anschauung.

Der herrlichen Welt! Gott Schöpfer!

Wie erhaben bist du! Gott Schöpfer!

dahin zusammen: »Dieses alttestamentliche und christliche Naturgefühl » die Natur lobt den Schöpfer« konnten die Alten nicht haben«. Wir sehen, dem Aristoteles war es nicht fremd; der Gedanke: »Die Herrlichkeit und die stete Ordnung der Natur weist über diese hinaus zu dem Schöpfer, der alles so weislich gemacht hat«, findet bei ihm den beredtesten Ausdruck, so dass wir an den Psalm 104 oder an die Worte des Augustinus erinnert werden: interrogavi terram, mare, coelum, solem, lunam, stellas et responderunt »non sumus deus, quem quaeris« et exclamaverunt voce magna: »ipse fecit nos<!

Drittes Kapitel.

Das sentimental-idyllische Naturgefühl des Hellenismus und der Kaiserzeit.

Der Hellenismus, wie Droysen das kosmopolitisch oder international gewordene Griechentum genannt hat, bezeichnet in politisch-sozialer, wie religiös-wissenschaftlicher und künstlerischer Beziehung eine Umwandlung der griechischen Weltanschauung, somit auch des Naturgefühls. Empfindungsweisen, die in der vorhellenistischen Zeit nur selten und verhüllt zum Ausdruck gelangten, werden in der alexandrinischen Epoche zu allgemein herrschenden; was früher nur geahnt wurde, wird nun zu einem festen bewussten Besitz. Wie in einer musikalischen Komposition erst allmählich verwandte Akkorde sich zur Melodie verbinden, diese erst leise anklingt und immer wieder von neuen Tonwellen verschlungen wird, bis sie zu voller Klarheit durchdringt und in breitem Tonschwall der mit einander verbundenen Motive sich ergiesst, so kündet sich auch in dem Kulturleben der Völker zuerst nur dunkel und leise eine Gefühlsweise, eine Stimmung an; bald aber krystallisieren sich andere verwandte an sie an und bringen sie so erst zum deutlichen Ausdruck und klaren Bewusstsein; und ist nun eine Epoche besonders reich an neuen äusseren und inneren Einwirkungen mannigfachster Art, so scheint sich eine totale Umgestaltung zu vollziehen, die vielleicht zum Teil nur ein Entfachen bereits lange unter der Asche

glimmender Funken war. Der Hellenismus bringt zur Blüte, was vordem im Keime geschlummert hatte, und erweckt zugleich durchaus neue Ideeen, Neigungen und Stimmungen.

Durch die grossen Thaten und Pläne Alexanders fiel die Scheidewand zwischen Hellenen- und Barbarentum, fast ganz Asien erschloss sich dem griechischen Handel, und so erwuchs eine Mischkultur von hellenischen und asiatischen Elementen, die eine Nivellierung nicht nur der Stammesund Standesunterschiede, sondern auch des Glaubens herbeiführte und so den Zersetzungsprozess des Mythus vollendete. Es ist aber eine bei vielen Völkern erkennbare Thatsache, dass wer die Götter entthront, die Natur an ihre Stelle setzt und dass die pantheistische Weltanschauung den fruchtbarsten Boden bietet für eine tiefsinnige, erhabene Naturbetrachtung, wie z. B. im Hymnus des Kleanthes. auf Zeus, der die Natur nach ewigem Gesetz beherrsche und den Geist in ihr lenke, welcher, dem Grossen und Kleinen eingepflanzt, sich mische in sämtliche Wesen und Körper. Versetzen wir uns in jene Civilisationscentra, jene mächtig aufblühenden, volkreichen, mit allem nur erdenklichen Luxus ausgestatteten Residenzen der Attaliden, Seleuciden und Ptolemäer zu Pergamum, Seleucia und Alexandria, wo alles zusammenfloss, was an geistigen und materiellen Genussmitteln die Länder am Mittelmeer bieten konnten, wo die hohe Kultur das Raffinement des Geniessens, des Empfindens steigerte und der einzelne nicht mehr im Interesse für das Ganze aufging, sondern nur im Streben nach individueller Befriedigung, nach Erwerb, nach Ruhm, so wird es begreiflich, dass jenes aus Übersättigung und Unlust an dem rastlosen Getriebe der Grossstadt resultierende Sehnen nach der freien Natur tiefere Gemüter mit der Gewalt fast moderner Empfindsamkeit ergreifen konnte. Der Gegensatz von Stadt und Land, wie er schon bei Aristophanes und Euripides zum Ausdruck gelangte, ward schärfer denn je gefühlt, 80) und erst jetzt entwickelte sich durch den Aufschwung der Naturwissenschaften, besonders der Botanik, und durch die Kenntnis asiatischer Sitte eine Garten- und Parkkultur in dem »bewussten Streben, den Biese, die Entwicklung des Naturgefühls.

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Menschen mit der Natur in Beziehung zu setzen«, indem man grossartige, mit Wasserkünsten ausgestattete Promenaden und künstliche Haine anlegte 81); während die frühere Zeit nur Nutzgärten oder heilige Baumpflanzungen und Grabgärten kannte 82). Auch die Lust zur Jagd, die vordem nur vereinzelt mit Nachdruck hervortritt, wie bei dem halb orientalischen Xenophon und bei den Macedoniern, ward jetzt eine allgemeine Leidenschaft, ein Sport, dem zu huldigen Mode wurde und der das Vergnügen bekundet, das man am freien Umhertummeln in Wald und Feld »>in reflektierender Weise« empfand 83). Alle diese Momente finden ihre Widerspiegelung in der Poesie, Aber die Dichter fühlten sich als Epigonen, im Bewusstsein der Schranken ihres Könnens suchten sie wenigstens im Kleinen Grosses zu leisten. Die Quelle der Poesie war nicht mehr die frei schaffende begeisterungsvolle, in der Anschauung schon dichtende Phantasie, sondern die grossen Vorbildern nachahmende Arbeit und die Reflexion, welche jede Regung der Seele belauscht, zerlegt und mit Bewusstsein fest hält, > eine Leidenschaft, welche in dem Sehnen, Sinnen und Hoffen, in all den widerspruchsvollen Regungen ihrer inneren Empfindung ihr eigentliches Leben hat, ein Leben, welches in der eigentümlichen Vereinigung eines blinden Triebes und eines grübelnden Bewusstseins sich zu jenem Selbstgenuss der Leidenschaft steigert, den man wohl eigentlich mit dem Namen der Sentimentalität bezeichnen will 84).

Ein solcher »Übergang von der Poesie der That der mächtigen, in ihrer eigenen Kraftfülle sich genügenden That zu der Poesie der Empfindung« tritt, wie Rohde weiter ausführt, mit einer gewissen Notwendigkeit bei einer Überreife der Kultur in der literarischen Entwicklung eines Volkes ein; und oft schon ist seit Burckhardts glänzender Darstellung der Renaissance diese mit dem Hellenismus bezüglich des Naturgefühls verglichen worden. Unter gleichen Bedingungen vollziehen sich eben immer auch gleiche Umwandlungen im Leben der verschiedenen Völker und Zeiten. Der Hellenismus erzeugte eine Empfindsamkeit d. h. ein Schwelgen in den Gefühlen, das nur relativ verschieden

war von der »Gefühlsphantastik« eines Petrarca und eines Rousseau. Der Hellenismus erscheint uns wie die Morgenröte einer neuen Zeit, ja schon Euripides und Aristophanes gleichen den ersten die Eos ankündenden Strahlen.

Die Brücke zwischen Hellenismus und Renaissance bildet die Kultur der Kaiserzeit; Petrarca ward in seinem ganzen Empfinden von den spätrömischen Dichtern, also mittelbar auch von den Alexandrinern beeinflusst. Er ist dann »der Ahnherr moderner Empfindsamkeit, des Weltschmerzes, der modernen Zerrissenheit geworden. So

berührt sich die neue Zeit mit der alten. Das Individualitätsprinzip, das in seiner Innerlichkeit nur das Recht des Denkens und Empfindens der eigenen Persönlichkeit anerkennt, ist zwar in vollem Umfange erst in moderner Zeit ausgebildet worden, aber seit der Sophistik und dem Hellenismus hat es auch das antike Wesen allmählich zersetzt und aufgelöst.

Das Naturgefühl der alexandrinischen Epoche beruht nun auf allen hervorgehobenen kulturhistorischen Momenten, die eine Bewegung zum Modernen hin bezeichnen, und kann in der That daher nur noch graduell verschieden von dem unsrigen genannt werden.

Die Poetik eines Kallimachos gipfelt in dem Wort μέγα βιβλίον μέγα κακόν. Nicht mehr schweifen die Dichter in ungemessener Kraftfülle ins Weite, sondern sie beschränken sich auf enger umgränzte Sphären und entdecken auch in der Natur den Reiz des Kleinen und Einfachen.

Das Naturgefühl ist wesentlich sentimental idyllisch. In diese Empfindsamkeit für das Stille, Lauschige, Friedliche mischt sich zugleich ein sinnlich erotisches Moment. >>Da alle poetischen Gottheiten aus dem Pandorafasse des Lebens entflogen sind, bietet sich der Empfindung einzig die Liebe dar, welche als die eigentliche Poesie des Privatlebens allein zurück geblieben ist« 85).

Die Liebe wird zu einer Leidenschaft, die den Empfindsamen ohne Rast und Ruh umhertreibt, ihn in der Einsamkeit des Waldes, in dem stillen Leben und Weben der Pflanzen und Bäume den Reflex der eigenen Stimmung

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