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wurf nur die kritiklosen Nachbeter eines solchen wissenschaftlichen Aberglaubens. Wenn Schiller) durch die scharfe Scheidung des Antik-Naiven, dessen Wesen auf der Harmonie von Geist und Natur, und des ModernSentimentalen, dessen Wesen auf der Sehnsucht nach einem verlorenen Paradiese beruhe, sich hinreissen liess zu dem Bekenntnisse, es sei befremdend, dass man bei den alten Griechen, deren Vorstellungsart so sehr viel näher der einfältigen Natur läge, so wenig Spuren von unserem sentimentalischen Interesse an Naturscenen anträfe, dass sie zwar treu und genau dieselben schilderten, aber ohne vorzüglicheren Herzensanteil als bei Beschreibung eines Schildes, einer Rüstung, ohne Innigkeit, Empfindsamkeit und süsse Wehmut der Neueren: so ist dies sehr erklärlich aus dem Standpunkte der damaligen Wissenschaft und speziell aus Schillers damaliger Kenntnis der griechischen Schriftsteller. Ihm gilt Homer als der Grieche zar' ozýv; im selben Jahre 1795, in dem jener bahnbrechende Aufsatz über naive und sentimentalische Dichtung in den Horen erschien, bittet er Wilh. von Humboldt, wie seine Briefe 2) an diesen beweisen, um Anweisung zur Erlernung der griechischen Sprache; und dabei denkt er vornehmlich an Homer und an Xenophon. Dass er aber zugleich in jenem Aufsatze3) bereits auf sentimentale Dichter der Alten, wie Euripides, Vergil und Horaz hinwies, dass er ferner in der Abhandlung über Matthisson) es direkt aussprach, es lasse sich nicht annehmen, dass es dem Griechen, diesem Kenner und leidenschaftlichen Freunde alles Schönen, an Empfänglichkeit für die Reize der leblosen Natur gefchlt habe, und dass weiter das herrliche Gedicht »die Götter Griechenlands« mit seinem wehmütigen Rufe:

Schöne Welt, wo bist du? Kehre wieder,

Holdes Blütenalter der Natur!

Ach, nur in dem Feeenland der Lieder

Lebt noch deine gold'ne Spur

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in wärmster Begeisterung gerade das in der Mythologie der Griechen so tief und innig hervortretende Naturempfinden preist das alles ward nur zu oft übersehen; und so

heisst es denn bei Gervinus): »Das ganze Altertum kennt keine Freude an der Natur«; ähnlich bei Becker) und bei Otfried Mueller). Der gemütvolle Jacobs) widersprach zuerst. Bald aber machte sich eine vermittelnde Richtung geltend. Wie schon Jean Paul) die griechisch-plastische Poesie mit ihrer Objektivität, ihrer idealen Einfachheit, ihrer heiteren Ruhe und sittlichen Grazie von der romantischen, wesentlich musikalischen Poesie des »zerfaserten Kulturmenschen« geschieden hatte, so wollte Schnaase1o) dem plastischen Griechen innigste Empfänglichkeit für die Schönheit der Natur nicht absprechen, wohl aber das malerische Prinzip; >von einem unbedingten Hineinfühlen in die Natur, von einer uneigennützigen Empfindung«, sagt er, > ist bei ihnen keine Spur.« Carriere 11) formuliert es kurz: >>Die Alten empfanden plastisch, die christliche Welt empfindet malerisch; sie schildern weder in der Poesie noch in der Malerei das Landschaftliche um seiner selbst willen und suchen nicht in der Natur nach Symbolen für das Unsagbare der leid- und freudvollen Seelenstimmung noch trachten sie, von dieser aus das Landschaftsbild zum Reflex derselben zu gestalten.« Die auch schon von Schiller in der Abhandlung über Matthisson 12) kurz angedeutete Ansicht, dass der Grieche eine Landschaftsdichtung als eine eigene Art von Poesie, in welcher man die unbeseelte Natur für sich selbst zur Heldin der Schilderung und den Menschen bloss zum Figuranten in derselben macht, mit seinen Begriffen von schöner Kunst für unvereinbar gefunden, führte Alex. v. Humboldt 18) in seinem berühmten und überall den weiten Blick des grossen Mannes verratenden Aufsatze über das Naturgefühl der verschiedenen Zeiten und Volksstämme weiter aus. Was nach seiner Ansicht dem Griechen fehlte, war das rege Bewusstsein, das Gefühl des Naturschönen durch Worte zu offenbaren; wie auch Burckhardt 14) bezüglich derselben Frage erinnert, dass ein verhülltes Gefühl lange vorhanden sein könne, ehe es sich in Dichtung und Malerei verraten und damit seiner selbst bewusst werde. » Naturdichtung als abgesonderter Zweig der Literatur«, sagt Humboldt, > war den

Griechen völlig fremd, die Landschaft erscheint bei ihnen nur als Hintergrund eines Gemäldes, vor dem menschliche. Gestalten sich bewegen.«

Nachdem so hervorragende Männer ihr Credo in dieser Frage abgegeben hatten, entstand im engeren Kreise der Philologen eine ganze Literatur von Einzel-Arbeiten 15); doch selbst die umfassende und von warmer Begeisterung für das interessante Problem durchglühte Schrift von Motz »über die Empfindung des Naturschönen bei den Alten «16) fand keine durchgreifende Anerkennung, da ihr jede historische Methode, jeder klare, leitende Gesichtspunkt fehlt und sich mit schwärmerischer Verherrlichung des naiven antiken Gefühlslebens eine heftige Polemik verbindet gegen die moderne Affektation, gegen den >enthousiasme obligé jener modernen Geistesherren, die so oft den Sisyphusstein wälzen, indem sie sich abmühen, das Unsagbare in Worte zu fassen, die dunklen Empfindungen in das Bewusstsein und in die Darstellung zu zerren.<

Erst allmählich brach sich dann in kleineren Aufsätzen 17), besonders aber in dem Rendsburger Programm von Hess 18) und in einer trefflichen Schrift von Woermann, 19) der von rein künstlerischem Standpunkte aus »den landschaftlichen Natursinn bei den Alten als Vorstufe einer Landschaftsmalerei in lichtvoller Weise behandelte, die Überzeugung Bahn, dass die Frage nur durch genaue Untersuchung der einzelnen Schriftsteller, durch die Darlegung des genetischen Entwicklungsganges, welchen das Naturgefühl in den einzelnen Kulturepochen genommen habe, ihrer Lösung entgegengeführt werden könne. Zu den bereits kurz gekennzeichneten Auffassungen des Problems fügte besonders Friedländer20) noch die hinzu, dass die Alten eigentlich nur Sinn für das Liebliche, Anmutige (amoenitas loci) gehabt hätten, und der Reiz des Romantischen einer wilden Landschaft z. B. des Gebirges ihnen sowoh! wie dem Mittelalter fremd geblieben sei; vornehmlich wohl auf diesen Sätzen fussend sprach dann unter anderen Hehn21) wieder überhaupt den Griechen und Römern die Grundbedingung lyrischer Begabung, die Fähig

keit seelenvoller Naturbetrachtung ab und fand den Grund dafür in der südlichen Landschaft selbst, welche zu sentimentaler Auffassung keinen Anlass gäbe. »Da täuscht den Kranken nichts durch Mitempfindung, da klingt kein Echo unbeschreiblicher Seelenstimmung wider und der ganze gesunde Mensch blickt auf die umgebende Natur nur, insofern sie ihm nützlich oder schädlich, gegen ihn karg oder freigebig ist; die ihm am meisten Frucht liefert und ihn am wenigsten stört und beunruhigt, ist ihm die schönste. »Ähnlich z. B. Brandes 22) und Du Bois-Reymond23). Diesem erscheint Jean Jacques Rousseau als der erste moderne Mensch, als der incarnierte Genius einer ganz neuen Zeit; Naturgefühl, Natürlichkeit, Empfindsamkeit bilden die Trikolore der von Rousseau neu gestalteten Literatur.

Fragen wir also nun selbst, nachdem wir den Entwicklungsgang der Frage skizziert haben, ob nicht schon im Altertum eine Bewegung zum Modernen hin sich nachweisen lasse, ob nicht auch dort schon allmählich immer deutlichere Ansätze und Spuren eines stimmungsvollen, empfindsamen, romantischen Naturgefühls sich auffinden lassen.

Erstes Kapitel.

Das naive Naturgefühl in Mythologie und bei Homer.

Das Naturgefühl, das Empfinden und Geniessen des

Naturschönen, ist, wie alle Erkenntnis des Schönen, das Resultat komplizierter Kulturprozesse. Wird auch niemand leugnen wollen, dass der verschiedene Charakter der Landschaft dem Sinne für Naturschönheit bei den einzelnen Völkern ein verschiedenes Gepräge geben wird, so darf man doch nicht a priori von der Schönheit des Landes auf ein tiefes Naturgefühl der Bewohner schliessen. Emphatisch hat man wohl ausgerufen: Ein Volk, welches, wie die Hellenen, hineingesetzt war in ein Land, über dem ein ewig heiterer Himmel sich spannt, das so mannigfache Abwechslung darbietet mit seinen herrlichen Gestaden der blauen See, welche die malerischsten Inseln wie Kleinode umfasst, mit seinen weiten, flussdurchzogenen Ebenen und mit den starren Felsgruppen zerklüfteter Gebirge ein Volk sollte in dieser wunderbar gleichmässig zur Arbeit wie zum Genusse einladenden Landschaft unempfänglich gewesen sein für die Reize der Natur? Aber das Schöne, mag es nun in Kunst oder Natur dem Menschen entgegentreten, wirkt nur dann auf seine Sinne und sein Gemüt ein, wenn seine Geistesund Herzensbildung einen gewissen Höhepunkt erreicht hat. Im rohen Naturzustande nimmt der Mensch nur die Schädlichkeit oder Nützlichkeit der Naturerscheinungen wahr. Wohl kann ferner das Naturgefühl bei einfachen Kultur

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