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zuständen innig und zart erscheinen und den wunderbaren Zauber unbewusster Naivität haben, aber erst die volle Entwicklung zum wahren Menschentum, das sich auf dem Fundamente hoher Bildung aufbaut, macht empfänglich für die weiter bildende Kraft der Natur. »Sie hat nur nachhaltigen Reiz für das Auge, das an einem grossen Zusammenhange, sei es wissenschaftlicher oder geselliger Interessen, geübt ist, oder für ein Gemüt, das nach solchen Übungen allerdings in den Erscheinungen unzählige Gleichnisse seiner Lebenserfahrungen, anschauliche Lösungen seiner Zweifel, Widerlegungen seiner Vorurteile, Bestätigung seiner Hoffnungen und Anregungen zu neuen Fragen findet «2). Nur wer eine reiche Gedankenwelt zu der Welt der Naturerscheinungen in Beziehung zu setzen vermag, erkennt die wunderbaren Analogieen des menschlichen Geistes mit dem Leben und Weben in der Natur und findet in ihrer Betrachtung Ruhe und Frieden, wenn sein Gemüt durch äussere und innere Erfahrungen in Schwingungen gerät. Erst auf einer hohen Kulturstufe sucht der Mensch die Natur um ihrer selbst willen und schwelgt bewusst im Genusse ihrer mächtigen Eindrücke, die ihm ein Echo aller seiner Stimmungen und Empfindungen darzubieten scheinen. - Es ist somit klar, dass in den verschiedenen Kulturphasen auch das Naturgefühl ein verschiedenes Gepräge tragen und bei jedem Volke seine Entstehungs- und Entwicklungsgeschichte haben wird. Wer den Spuren dieser nachgehen will, der wird in das innerste Weben der Menschenbrust hinabgeführt, und wie der Bergmann den feinen Goldadern nachspürt, die sich durch die verschiedenen Schichten hinziehen, so muss er die sich verflechtenden und verzweigenden Empfindungen durch die einzelnen Epochen hin verfolgen denn im Leben des Geistes beruht alles auf Assimilation, in der sich wie in einem Krystallisationsprozess eins an das andere organisch anfügt. Die Gefühle, Stimmungen und Neigungen bedingen sich gegenseitig, stehen in engster Wechselbeziehung zu einander; und in der Wandlung des einen Gefühls wird sich, wie die Sonne im Tautropfen, die ganze geistige Entwicklung eines Volkes widerspiegeln.

Die Natur in ihrem steten Wechsel der Erscheinungen, die unaufhörlich den Sinnen des Menschen sich einprägt, ist unentfliehbar, aber sie würde trotzdem für den Menschen. ein Buch mit sieben Siegeln und ästhetisch völlig unzugänglich sein, wenn ihm nicht das wunderbare Vermögen inne wohnte, seine eigene Form den Formen der Erscheinungswelt zu leihen, die eigene Persönlichkeit ihnen zu unterschieben und einzuverleiben, das Ich in das Nicht-Ich zu verzaubern. Kein Gebilde ist ja dem Menschen verständlicher als der Mensch selbst in seinem Thun und Leiden, und so deutet besonders der primitive Mensch jeden Vorgang in der Natur nach Analogie seines eigenen Körpers und seiner eigenen Seele. Die Metapher ist daher kein poetischer Tropus, sondern eine ursprüngliche, notwendige Anschauungsform des Denkens. Die Mythen bildende. Phantasie setzt alle Bewegung, die sie in der Natur wahrnimmt, um in Handlungen lebensvoller, menschenähnlicher, ja übermenschlicher Wesen. Die Mythologie ist, wie Vischer sagt, das Augenaufschlagen über die grossen Wunder der Natur, und so ist in der That auch die griechische Mythologie ein glänzendes Zeugnis des mächtigen Eindrucks, den die Natur auf den Griechen machte, des innigen Interesses, mit dem er die Vorgänge in der Natur belauschte und menschlich deutete. Auch in der griechischen Mythologie bildet den Kern ein »dumpfes, ahnungsvolles Gefühl,« gegenüber den erhaltenden und zerstörenden Naturkräften, und die erregte Phantasie schafft die poesievollsten Gebilde. >> Überall in seinen Wäldern und Grotten, seinen Bergen und Schluchten, seinen Quellen und Wellen empfing der Grieche den Eindruck eines Lebens, eines anmutigen, üppigen Lebens so lebendig, so innig, so hehr, dass sich ihm die empfundene Wirkung sogleich in göttliche Wirksamkeit umsetzte « 25). So beseelte er die ganze ihn umgebende Natur und bevölkerte sie mit den anmutigsten Gestalten; und die Prägstätte, aus welcher diese Wunderwelt hervorging, war der plastische Sinn der Hellenen, der innere Trieb, den empfangenen Natureindruck in eine klare, fest umrissene, der Idee und Form nach harmonische, d. h.

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schöne Gestalt auszuprägen. Alle diese dämonischen Wesen, wie sie in Wald und Feld, im Strom und im Meer ihr Wesen treiben, sind nichts anderes als »der plastischreligiöse Ausdruck eines innigen Naturgefühls«. Doch nicht kann es hier unsere Aufgabe sein, dies an den zahllosen Mythen darzuthun, wie es Lehrs an einem Beispiel so trefflich in dem Aufsatze über die Nymphen, diese »göttlichen Naturmädchen«, diese Wasser- und Waldfräulein, gethan hat. Nichts ist ja vager und schlüpfriger, als Mythenforschung, nichts schwieriger, als die Fäden auseinanderzulösen, die zu dem Gewebe eines Mythus die mannigfach angeregte Phantasie zusammengewoben hat. Doch im allgemeinen steht wohl fest, dass die allen Ariern als gemeinsam nachgewiesenen Mythen im letzten Grunde auf Naturanschauung zurückgehen. Durchsichtiger als die grossen, bald ethisch umgewandelten Gottheiten, zeigen dieselbe jene bescheidneren Dämonen, wie die zahllosen Meergottheiten, ein Nereus, ein Triton, Glaukos, Proteus, eine Phorkys und Keto, oder am Himmel Helios, Eos, Selene, oder wie Pan, dieser Repräsentant der mittäglichen. Schwüle und der stillen Waldeinsamkeit, und ferner die poesievollen Naturmärchen vom Adonis, dem Bruder des nordischen Balder, vom Hyakinthos, diesem Abbilde der Pflanzen- und Blumenwelt, die in prangender Entfaltung der Sonnengott des Südens mit seinen sengenden Strahlen vernichtet26), von der Kalyke, Daphne, Boline, Britomartis und Psappha,27) diesen Pflanzen- und Blumenkindern, die in Liebe sehnend sich nach dem Sonnengotte dehnen und in der Glut vergehen oder fliehend ereilt werden, vom Narkissos, dessen Mythus nichts weiter, als die Geschichte der Narzisse in ihrer spröden Schönheit widerspiegelt28), vom Endymion"), vom Hylas, den die Wasserfeeen ins kühle Grab des abgeschiedenen Waldseees hinabziehen, von Prokne und Philomele` u. s. f. u. s. f. Alle diese Märchen verraten einen tief träumerischen Zug, ja Wehmut und ein inniges Gefühl für das anmutig Reizvolle, sowie auch für das Dämonische in der Natur. Doch für eine Entwicklungsgeschichte des Naturgefühls sind sie im einzelnen wenig verwendbar, weil sie

schwer, ja meist überhaupt nicht historisch zu fixieren sind; sie sind gar zu proteischer Natur und werden ihre sentimentale Auffassung wesentlich erst der hellenistischen Empfindsamkeit verdanken. Immerhin aber bildet die griechische Mythologie mit ihrem geschlossenen Göttersystem, wie auch mit ihren loseren ätiologischen Sagen den Niederschlag einer sinnvollen Naturbetrachtung. Trotzdem war sie so paradox es auch zunächst erscheinen mag einer Weiterentwicklung des Naturgefühls nicht günstig. »Der Gott sog die Landschaft in sich auf« 30). Statt des Flusses sah der Grieche den Flussgott, statt der Sonne den herrlichen Helios; statt des rieselnden Baches erblickte sein Auge die Umrisse schöner, nackter Weiber und vernahm ihr mutwilliges Lachen im Wassergeriesel und im Aufspritzen des Schaumes gegen die Felswand u. s. f. Die Natur gewann in der Phantasie der Griechen ihre Selbstständigkeit und Selbstthätigkeit erst wieder, als die Naturgötter immer mehr in ethische Gewalten sich umsetzten und als die Reflexion den Glauben zersetzte. Diese ideale Götterwelt, welche sich über der realen aufgebaut hatte, musste in Trümmer gehen, damit die wirkliche Erscheinungswelt wieder voll in das Licht der Empfindung, des ästhetischen Geniessens gerückt würde.

Es folgt hieraus mit Notwendigkeit, dass in dem naiven, mythologischen Zeitalter der Griechen sich das Naturgefühl in einer gewissen Beschränkung zeigen muss, dass also bei Homer die Natur vor den Göttern und den Menschen zurücktritt, dass sie ohne Selbstständigkeit ist, der Mensch sie nicht um ihrer selbst willen sucht, und dass die Naturschilderungen nur objektiv, als Beiwerk behandelt werden -- wie dies zugleich im Wesen des Epos überhaupt liegt. Trotzdem ist jedes Epitheton, jede kurze Schilderung, jedes Gleichnis von einer wunderbaren Anschaulichkeit und zeugt von einem offenen, regen Sinne für die schöne Aussenwelt, einer kindlichen Freude an den Vorgängen der Natur. Reiche Beobachtungsgabe für das Naturleben bekunden z. B. die Beiwörter des Meeres, die dasselbe in tosender Brandung (πολύκλυστος, ἠχήεις, πολύφλοιςβος),

in seiner Öde (avgvyeros), seiner Tiefe und Weite (лohvβενθής, μεγακήτης, ἀπείρων), sowie auch in seinen Farbenschattierungen kennzeichnen, ήεροειδής, πορφύρεος, γλαυκός, οἶνοψ, πολιός, μαμάρεος, ἰοειδής. Gladstone, Geiger und Magnus haben den Alten den Farbensinn absprechen wollen; die neuere Forschung auf diesem Gebiete 1) hat gezeigt, dass die Unbestimmtheit des Ausdrucks in Farbenschilderungen bei Völkern einer noch nicht hoch entwickelten Kultur nur auf den Mangel der Sprache und der Kenntnis der Farbstoffe zurückzuführen ist. Jedenfalls bezeugen jene Homerischen Beiwörter dämmerig, trüblich rot, spiegelglatt, weinfarben, veilchenfarben das Bestreben, die Färbung des Meeres in seiner wechselnden Mannigfaltigkeit, die sich dem empfänglichen Auge einprägte, wiederzugeben. Die Schilderungen von Ort und Zeit sind selten und kurz, sie sind nur Rahmen, nur Hintergrund; ausgeführtere finden sich nur in der Odyssee: Von der Grotte der Kalypso 5, 55 ft., der elysischen Flur 4, 564, dem Phäakenlande 5, 279, dem lieblichen Pappelhain der Athene auf Scheria 6, 291, den Gärten des Alkinoos 7, 112, dem stillen Eilande, das nahe der Kyklopeninsel liegt 9, 116, dem Parnass 19, 431. Das Subjektive, die Reflexion über den Eindruck der Landschaft dringt nirgend hindurch und gerade in dieser harmlosen Natürlichkeit, in dieser vollkommenen Einheit von Denken und Fühlen beruht ja der Zauber der Homerischen Dichtungen, der uns umstrickt und uns anheimelt, wie die Erinnerung an die eigene Kindheit, da wir auch noch »natürlich empfanden«. Das Naive gleicht dem krystallklaren Quell, dessen Wellen bis auf den Grund die hellen Strahlen der Sonne widerspiegeln; die Reflexion über die Empfindung d. i. ja die Sentimentalität des modernen. Menschen trübt das Glück des Geniessens wie ein hinabgeschleuderter Stein die friedlich stille Wasserfläche in Wallung versetzt. und unruhig schwankende Ringe verursacht. Der moderne Mensch achtet auf jedes Gekräusel seines Empfindens den Eindruck einer schönen Landschaft schildert Homer ganz objektiv mit den Worten Dort mit Bewunderung stand der thätige Argostöter (5, 75),

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