Abbildungen der Seite
PDF
EPUB

ist in der That eine höchst eigenthümliche Composition und es ist der Mühe werth, dem weiter nachzugehen. Da wird sich dann als Resultat freilich gerade das Gegentheil von Gruppe's Ergebniss herausstellen. Herr Gruppe vermisst Catulls künstlerische Hand, wir hingegen werden zeigen, dass gerade dieses Gedicht xai son das Gedicht eines Künstlers ist, von der Hand eines Architekten gegliedert, nach einem Stile, welcher die vorwiegende Form in der objectiven Lyrik des classischen Griechenthums ist. Was Gruppe monströs nennt, ist vielmehr eine altehrwürdige Kunstform, die freilich bis jetzt noch unaufgedeckt ist.. Aus ähnlichen Gründen wie Gruppe, hat der neueste Bearbeiter des Gedichtes (August Weise, zur Kritik des Catull) unser Gedicht in drei verschiedene Gedichte zerlegen zu müssen geglaubt, von denen das eine aus den beiden auf Lesbia bestehenden Theilen (unsere Archa und Sphragis) mit dem vorausgehenden Prologus an Allius bestehen soll, das zweite aus den beiden Theilen, welche die Liebe der Laodamia behandeln (unsere Katatropa und Metakatatropa), das dritte aus der in der Mitte stehenden Partie vom Tode des Bruders (unser Omphalos). Dabei werden denn ausserdem noch von Weise die an Manlius gerichteten Schlussverse (der Epilogus) dem Catull als unecht abgesprochen. Unsere Darstellung, denke ich, wird keinen Zweifel daüber lassen, dass Alles ein einheitliches, von Catull herrührendes, durch keine Interpolation getrübtes, aber von carm. 68a scharf zu sonderndes Gedicht ist, in dessen Beurtheilung bezüglich der Schönheit und des Kunstwerthes wir gerade dann, wenn wir möglichst scharf auf das Einzelne eingehen, in das unbedingte Lob, welches die Aelteren ausgesprochen haben, einstimmen müssen.

Es ist in der That ein herrliches Denkmal antiker Poesie. Catull verleiht hier so wahr, so treuherzig, wie in keinem andern seiner Gedichte allen den Empfindungen, die ihn zusammen bewegen, fern von seiner übermüthigen oft so lasciven Laune in einem milden ersten Tone einen wahrhaft poetischen Ausdruck. Jene Emfindungen, die uns hier in diesem einen Gedichte zusammentreten, sind seine Bruderliebe, seine Freundestreue und seine Liebe zur Lesbia; sicherlich die drei schönsten und uns am meisten wohlthuenden Seiten in Catulls Character. Diejenige von diesen drei Empfindungen, welche auch uns so zu sagen ́als die am meisten ethische erscheinen will, die Liebe zum Bruder, ist in die Mitte des Ganzen gestellt; ist doch gerade die Mitte des lyrischen Gedichtes nach der altgriechischen Weise der Anordnung, die hier

befolgt wird, die Hauptpartie, der „Omphalos“, der wie oben angedeutet auch in dem Aeschyleischen Chorgesange das vorwaltende ethische Motiv in sich aufnimmt. Catull steht noch unter dem tiefen Eindrucke vom Tode seines Bruders, der Schmerz ist immer noch tief, aber er ist milder und Catull selber ruhiger geworden. Unter dem ersten Eindrucke der Todesnachricht war seine Kraft gelähmt, er vermochte höchstens dem Hortensius die Uebersetzung eines griechischen Gedichtes zu schicken oder seinem Freunde Manlius in einem keineswegs ausgearbeiteten poetischen Briefe jene Todeskunde zu melden; jetzt aber hat sein Gemüth wieder Fassung erlangt, er ist wieder der Dichter Catull, wie er sich in jenen Gedichten an Lesbia uns darstellte, er liefert ein wirkliches Kunstwerk, welches durch jenen milden Schmerz verklärt ist. Noch eine andere Seite des Catullischen Seelenlebens, seine Liebe zu Lesbia, die, als er jene Trauerbotschaft an Manlius sandte, so ganz zurückgetreten war, kann jetzt wieder zu ihrem Rechte kommen. Die alte Liebe, wie in den Gedichten vom Vöglein der Geliebten und von den tausend Küssen, ist es freilich nicht mehr. Die beiden Herzen, die nur für einander schlugen, sind von einander gekommen, ein Bruch hat stattgefunden, viel ernsterer Art als jener, über welchen sich Catull im Bewusstsein der baldigen Aussöhnung durch die sentimental launigen Verse von:,, Catull dem Thoren" hinwegsetzen konnte. Nein, Lesbia ist, was er damals noch für unmöglich hielt, ihm untreu geworden. Mochte es immerhin auch nur Verdacht sein, aber er hatte sich auf diesen Verdacht hin von ihr entfernt und war nach Verona gegangen. Jetzt ist er wieder in Rom, er sieht die alten wohlbekannten Stätten wieder, die Genossen, die Freunde, vor allen auch den Allius, den Mitwisser seines süssen Geheimnisses, der ihm vordem sein freundliches Haus eröffnete, um ihn dort mit Lesbia zusammen kommen und mit ihr glücklich sein zu lassen, und so schaut er in der Erinnerung auf jene sonnigen Tage der Liebe zurück: vorher der Jammer über sein Missgeschick, wo er tobte in Leidenschaft, den trinakrischen Fluthen gleich; dann der freundliche Allius, der sich seiner erbarmte und ihn in der Vereinigung mit Lesbia glücklich sein liess. Alles das liegt jetzt hinter ihm, aber gern versetzt sich sein Geist in jene Zeiten, deren wilde Leidenschaft durch harte Schicksalsschläge, durch den Tod des Bruders, geläutert und geklärt ist, zurück und schafft ein wunderbar plastisch abgerundetes Bild des alten Jammers und der alten Seligkeit, wie es kaum irgend eine

Westphal, Catulls Gedichte.

6

andere Poesie wieder aufzuweisen hat, und gerade diese Erinnerung muss seine Liebe zur Lesbia, die wohl zurückgetreten und entschlummert, aber noch nie ganz erstorben war, von neuem in seinem Herzen wach rufen. Er liebt sie auch jetzt noch, auch wenn sie ihm treulos war; er will sie nicht hassen, er will ihr nicht zürnen und sie mit Vorwürfen quälen; es soll ihm genug sein, wenn er derjenige ist, der sie glücklicher als alles Andere gemacht hat, und den sie niemals ganz vergessen kann.

Dazu kommt nun noch der treue Freund Allius, der ihm zu jenem Glücke verholfen. Er soll nicht vergessen sein, der Dichter will seine Dankbarkeit nun durch die That beweisen und das kann keine andere sein, als eine Dichterthat, die zugleich allen jenen Gefühlen, die ihn zusammen bewegen, den poetischen Ausdruck schafft und sie in unserem Enkomion auf Allius vereint, das, wie der Dichter sicher weiss, den Namen des Freundes auch in der späten Nachwelt nicht vergessen lassen wird. In Wahrheit durch keine andere That konnte er sich dem Freunde dankbarer beweisen, als durch solche Dichterthat.

Wir haben schon gesagt, dass das Andenken des Bruders den Omphalos des Enkomions einnimmt. Sein Tod fällt zwischen die beiden Perioden der Liebe zur Lesbia: vorher jene wildbewegten Tage stürmischer Leidenschaft und jetzt die ruhigere Stimmung einer nie aus seinem Herzen weichenden Liebe. Jene frühere Zeit der Liebe bildet die Archa, die gegenwärtige Liebe die auf den Omphalos folgende Sphragis. Die Haupttheile des Gedichtes führen uns ein historisches Nacheinander vor, in dessen Mitte jener schwere Verlust des Bruders steht. Den Freund Allius zu feieren bietet sich von selber zunächst der Prologos des Gedichtes dar, doch kann auch das Gedicht nicht abschliessen, ohne nochmals des Freundes zu gedenken, und so ist auch der Epilogus dem Allius gewidmet.

Wie aber diese verschiedenen Elemente des Gedichtes zu einem Ganzen vereinen? Zu diesem Zweck findet Catull in der alten traditionellen Katatropa und Metakatatropa eine erwünschte Form. Er muss sie nur über den geringen Umfang, den sie bei Pindar einnimmt, ausdehnen: dann kann er auch zugleich der Forderung der alten Weise Rechnung tragen, welche zu den lyrischen Elementen einen epischen aus der altgriechischen Sagengeschichte entlehnten Bestandtheil hinzuzufügen verlangt. Catull hat als solchen die Sage von der Liebe des Protesilaos und der Laodamia gewählt. Obgleich uns Mo

[ocr errors]

dernen die in unserem Enkomion gegebene Schilderung der Liebe zur Lesbia ungleich näher steht und uns bei weitem mehr anmuthet, als jene mythologischen Partieen des Gedichtes von Laodamia, so werden wir doch bei richtigem Verständnisse desselben dem Dichter in der Art und Weise, wie er jene mythologischen Elemente nicht blos als Bindeglieder der Haupttheile, sondern auch als Typus seines eigenen Geschickes und Gefühlslebens verwandt hat, eine wahrhafte Meisterschaft zugestehen. Die Archa schliesst mit der Schilderung, wie Lesbia die Schwelle des Hauses, wo Catull ihrer harrte, betrat. So fährt die episch gehaltene Katatropa fort betrat auch einst Laodamia das Haus des Protesilaos, des vielgeliebten Gatten, den sie leider so früh verlieren sollte, als dieser nach Troja in den Kampf ziehn musste. Hiermit hat die Katatropa nach Troja, wo auch die Todesstätte seines Bruders war, geführt, und nachdem er jetzt im Omphalos gleichsam am Grabe des in Troja ruhenden Bruders einen Threnos angestimmt, fährt er fort: „Dort war nun auch die Stätte, wo dein Gatte, Laodamia, dir entrissen wurde" und leitet nun endlich in der hiermit beginnenden, wiederum der Liebe Laodamia's gewidmeten Metakatatropa zu seiner eigenen Liebe zur Lesbia zurück, die am Anfange der Sphragis gleicher Weise wie beim Uebergange aus der Archa in die Katatropa mit Laodamia verglichen wird. Weshalb aber zieht Catull aus der reichen Sagengeschichte gerade die Liebe der Laodamia zum Protesilaos als Parallele seiner eigenen Liebe zu Lesbia herbei? Wenn er sagt, dass Lesbia, wenn sie zu ihm in das Haus des Allius kam, ein nicht minder hohes Glück empfand, als die in das Haus des Protesilaos eilende Laodamia, so ist hiermit zwar ein völlig berechtigtes, aber nur immer untergeordnetes Moment des Vergleiches ausgesprochen; viel bedeutender tritt in der Ausführung ein zweites Motiv von durchaus tragischer Natur hervor. So glücklich nämlich auch Laodamia bei dem Eintritte in das Haus ihres Geliebten war, so sollte sie doch ein dauerndes Glück dort nimmer finden, denn es fehlte, wie der alte Mythos erzählte, der Vereinigung der beiden Liebenden die Sanction der himmlischen Mächte, die dem Hause des Protesilaos ihren Segen versagten, weil dieser im Uebermaasse seines Glückes vergessen, sich des Beistandes der Götter durch die gebührenden Opfer zu versichern. Und so hatten auch Lesbia und Catull in dem Hause, das sie vereinte, einen Bund geschlossen, dem die Götter nicht ihre Zustimmung geben konnten. War doch Lesbia noch die Gattin eines Anderen, war sie doch dem Catull, wie dieser

selber in der Sphragis es ausspricht, nicht unter den geheiligten Formen, welche sonst die Schliessung eines Bundes zwischen Mann und Weib erheischt, vereint worden, und so konnte auch ihre Liebe keine dauernde und ungetrübte sein. Nemesis grollte, und schon hatte Catull diesen Groll fühlen müssen, wohl nicht minder schmerzhaft als einstmals Laodamia, denn Lesbia hatte schon angefangen, den Schwur steter Liebe

Non

(A. Prooimion.)

possum reticere, deae, qua me Allius in re iuverit aut quantis iuverit officiis:

nec fugiens saeclis obliviscentibus aetas

illius hoc caeca nocte tegat studium: 45 sed dicam vobis, vos porro dicite multis millibus et facite haec charta loquatur anus

notescatque magis mortuus atque magis, nec tenuem texens sublimis aranea telam 50 in deserto Alli nomine opus faciat.

(B. Archa.)

Nam, mihi quam dederit duplex Amathusia curam, scitis, et in quo me corruerit genere, cum tantum arderem quantum Trinacria rupes lymphaque in Oetaeis Malia Thermopylis, 55 maesta neque assiduo tabescere lumina fletu cessarent tristique imbre madere genae. Qualis in aerii perlucens vertice montis rivus muscoso prosilit e lapide,

60

qui cum de prona praeceps est valle volutus,
per medium densi transit iter populi,
dulce viatori lasso in sudore levamen,

cum gravis exustos aestus hiulcat agros:
hic, velut in nigro iactatis turbine nautis
lenius aspirans aura secunda venit

« ZurückWeiter »