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seinen auswärtigen Freunden führt, finden die Klagen um den Verstorbenen zunächst von selber ihre Stelle.

An Q. Hortensius Ortalus.

65. Etsi me assiduo confectum cura dolore
sevocat a doctis, Ortale, virginibus,

nec potis est dulcis Musarum expromere fetus
mens animi, tantis fluctuat ipsa malis:
5 Namque mei nuper Lethaeo gurgite fratris
pallidulum manans alluit unda pedem,
Troia Rhoeteo quem subter litore tellus.
ereptum nostris obterit ex oculis.

Alloquar, audibo nunquam te suave loquentem,
10 nunquam ego te, vita frater amabilior,
aspiciam posthac. at certe semper amabo,

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semper maesta tua carmina morte canam,
qualia sub densis ramorum concinit umbris
Daulias absumpti fata gemens Itylei:

sed tamen in tantis maeroribus, Ortale, mitto
haec expressa tibi carmina Battiadae,

ne tua dicta vagis nequicquam credita ventis
effluxisse meo forte putes animo.

Zwar hat die Sorge mich durch stete Pein verzehrt,
hat mir der Musen Gunst, o Hortalus, verwehrt,
und meines Geistes Kraft für eignen zarten Sang,
sie ist dahin bei solchem Unheilswogendrang.

Hat ja des Lethestrudels Welle jetzt

des lieben Bruders bleichen Fuss benetzt.

ihn, der für ewig meinem Aug' entschwand, den jetzt Rhöteuos Ufer birgt in Trojas Land. Anreden dich, dir lauschen, wenn du hold

uns plauderst, werd ich nimmer, nie dich wiedersehn, mein vielgeliebter Bruder, aber nie vergehn

wird meine Liebe, stets wird dir gezollt

ein Trauerlied, das deinem Tod ich singe,
wie in der Zweige tiefem Schatten Trauerschall
um ihren Itylus entströmt der Nachtigall.

Und dennoch, Hortalus, bei solchem Jammer bringe
ich dir Dallimachus Gesänge, übertragen

in unsre Sprache, denn du sollst nicht sagen,
dass deine Mahnung nicht zu meinem Herzen dringe,
dass sie ein flüchtger Windeshauch davongetragen.

Seinem Freunde Ortalus hatte er vor seiner Abreise von Rom eine Uebersetzung callimacheischer Gedichte versprochen. Dies ist nicht der jüngere Q. Hortensius Ortalus, der in der Schlacht bei Philippi seinen Tod fand (Drumann 3, 108), sondern Q. Hortensius der Vater, der berühmte Redner und Sachwalter, der ebenfalls das cognomen Ortalus führt (ad Attic. 2, 24; 4, 15) und um diese Zeit etwas über 50 Jahre alt war. Hortensius ist ein Freund der Poesie, ist selber Dichter (Ovid. Trist. 2, 441; Gellius 19, 4), und wenn auch späterhin das Verhältniss zwischen ihm und Catull, wo sich der Dichter über die schnell zusammengeschriebenen Verse des Hortensius nicht eben günstig auslässt (95, 3), kein freundschaftliches war, so scheint doch zu der Zeit, wovon wir reden, der ältere Hortensius den jüngeren Dichter protegirt zu haben, und Catull weiss diese Gönnerschaft des angesehenen Mannes sehr wohl zu würdigen. Obwohl der Schmerz um den Tod des Bruders ihn von selbstständigen Productionen abhält, so ist er doch der Beschäftigung mit den Alten nicht hinderlich: so entstehn die Uebersetzungen callimacheischer Gedichte (c. 65 haec expressa tibi carmina Battiadae), wovon uns die coma Berenices (c. 65) noch erhalten ist. Catull sendet sie an Hortensius mit einem kurzen Briefe, worin er ihn von dem Tode seines Bruders benachrichtigt (c. 65); daraus sehen wir, dass dieser dem Hortensius bei Catulls Abreise von Rom noch unbekannt war. Dieser kleine Brief, ein einziger langer Satz, ist, wie kaum ein anderes Catullisches Gedicht, der Ausdruck unmittelbarster Stimmung. Catull fängt seinen Brief nicht mit einer Darlegung seiner Verhältnisse an, sondern spricht gleich zu Anfang von seinen Schmerzen, ohne zu sagen, woher dieser Schmerz, und erst im fünften Verse giebt er mit namque den Grund dafür an; dann folgt parenthetisch, den Vordersatz vom Nachsatze trennend, eine Allocution

an den Bruder. Mit dem ersten Verse dieser Allocution ist es in den Handschriften schlecht bestellt. Der Germanensis, Colbertinus und der mit diesem letzteren durchgängig übereinstimmende Santenianus (der Codex L Lachmanns) lassen den Vers ganz aus; die übrigen geben die corrumpirten Worte

alloquar andiero nunquam tua loquentem,

worauf dann in allen Handschriften weiter folgt:

nunquam ego te vita, frater, amabilior
aspiciam post haec.

Der Datanus und Parisinus I hat zwischen tua und loquentem eine Lücke gelassen, welche in den interpolirten Handschriften auf verschiedene Weise durch Conjectur ausgefüllt ist, durch verba im Parisinus II, Puteanus, Dresdensis (auch der spätere Ueberarbeiter des Parisinus I hat dies Wort hinzugeschrieben), durch dicta im Memmianus, durch facta im Gudianus I, durch facta im Gudianus II, Mediolanensis und Faurianus. Das sind offenbar Ausfüllungsversuche der Abschreiber. In der oft sehr unleserlichen Handschrift, woraus die übrigen uns erhaltenen geflossen sind, war dieser Vers nur theilweise zu lesen, und so geben ihn denn von den nicht interpolirten Handschriften die einen in verdorbener Gestalt, die andern lassen ihn lieber ganz weg. In der That auch das in den nicht interpolirten Erhaltené giebt keinen Sinn; es passt nicht zu dem Vorausgehenden. Aber gerade an einer solchen Stelle darf die Kritik nicht verfahren, wie neulich Gruppe in seinem Buche über die Interpolationen in den römischen Dichtern, welches den Titel Minos führt. Auf p. 8 ff. meint Gruppe, dass dieser Vers mit dem folgenden der Zusatz eines Späteren sei, und so werden denn die drei Disticha unserer Handschriften, in welchen der Bruder angeredet wird, ausgeworfen; aber was hätte einen Abschreiber bewegen können, Verse hinzuzudichten, die zu dem Vorausgehenden nicht passten? Die Interpolatoren suchen durch ihre Einschiebungen den ursprünglichen Text platter und ebener zu machen; gerade die Verderbtheit und Verstümmelung, womit die Allocution beginnt, ist ein Zeichen, dass sie ächt ist. Lachmann hält an dem Verse alloquar andiero fest; er vermuthet vor ihm eine Lücke, die er durch andere aus Catull'schen Gedichten genommenen Verse ausfüllt, durch 68a, 21-24; 68, 93 und 68, 92:

namque mei nuper lethaeo gurgite fratris pallidulum manans alluit unda pedem, Troia Rhoeteo quem subter litore tellus ereptum nostris obterit ex oculis.

Tu mea, tu moriens fregisti commoda, frater,) tecum una tota est nostra sepulta domus. Omnia tecum una perierunt gaudia nostra,

quae tuus invita dulcis alebat amor

68,21-24

Hei misero fratri iucundum lumen ademptum, 68, 93 nunquam ego te misero frater adempte mihi, 68, 92 alloquar, andiero nunquam tua facta loquentem, nunquam ego te vita, frater, amabilior

aspiciam posthac.

Blos der letzte Vers lautet hier etwas anders, als in der Stelle, woher ihn Lachmann genommen (attulit. Hei misero, frater adempte, mihi), die übrigen befinden sich gerade so an den bezeichneten Stellen. Nun kommt es allerdings bei Catull vor, dass ein Vers eines Gedichtes in einem andern wiederholt ist; aber gerade dasselbe ist nun bereits schon der Fall mit den Versen, welche Lachmann hier eingeführt hat; es kommen nämlich die Verse 68a, 22-24 auch vor in dem Gedichte 68, 94-96, und wer die Lachmann'sche Interpolation festhält, hat also die genannten Verse nicht blos zweimal, sondern dreimal bei Catull. Also dreimal soll sich Catull selber abgeschrieben haben? Und wollte man annehmen, dass die drei genannten Verse in dieser Stelle, wohin sie Lachmann gebracht hat, ihre ursprüngliche Stelle hätten und erst in die beiden andern oder wenigstens in eine der beiden andern später hineingekommen seien, so würde uns auch hierzu alle Berechtigung fehlen; denn sie sind weder 68a, 21 ff., noch 68, 94 zu entbehren, und Lachmann hat sie auch in seiner Ausgabe an diesen Stellen als unverdächtig stehen lassen. Dazu kommt noch eine weitere Schwierigkeit. Wir haben schon gesagt, dass das ganze Gedicht an Hortensius ein einziger Satz ist, bestehend aus einem mit etsi anfangenden Vordersatze und einem mit sed tamen beginnenden Nachsatze; zwischen beide ist, die strenge Periodenbildung störend, jene Allocution an den Bruder von drei Distichen eingesetzt. Bei Lachmanns Interpolation wird diese Parenthese nun noch viel störender; denn sie ist zu der ungebührlichen Westphal, Catulls Gedichte.

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Länge von sechs Distichen ausgedehnt worden. Wir können daher Gruppe nur beistimmen, wenn er die Interpolation Lachmanns wieder entfernt, obwohl wir andrerseits mit Lachmann die Echtheit des Verses alloquar etc. mit den darauffolgenden fünfen festhalten müssen. Der Fehler steckt eben in dem Verse:

alloquar, andiero nunquam tua loquentem.

Wir nehmen für andiero die ältere Emendation andibo auf, schieben aber nicht hinter tua mit den interpolirten Handschriften einen Accusativ ein, sondern sehn in tua selber eine Verstümmelung. Es hiess ursprünglich

tesuave,

wovon in dem einzigen wieder aufgefundenen Codex nur Eolgendes zu lesen war:

t ua,

und diese Buchstaben zogen die Abschreiber in tua zusammen. lautet nun die Stelle:

alloquar, andibo nunquam te suave loquentem,

nunquam ego te, vita frater amabilior,
aspiciam posthac, at certe semper amabo,

semper maesta tua carmina morte canam.

So

,,Anreden, anhören werde ich dich, wenn du süss plauderst, niemals mehr; niemals werde ich dich, mein geliebter Bruder, anschaun; aber immer fürwahr werde ich dich lieben, immer Klagelieder ob deines Todes singen." Das Fehlen des te ist nun bei alloquar nicht mehr auffallend. Die Form andibo war einem ungelehrten Abschreiber unbekannt geworden, daher die Verstümmelung zu audiero, die ihm wenigstens als eine durch die Vulgärgrammatik legitimirte Form erschien.

An Manlius Torquatus.

Ein zweiter Brief aus diesen Tagen ist an seinen Freund Manlius gerichtet; so wollen wir ihn bis auf weiteres mit den Handschriften benennen, carm. 68a:

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