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Trotz der truces iambi des carm. 8 hat Catull das Haus der Clodia nicht meiden können. Er ging aus und ein, vor wie nach, wie wir aus carm. 83 sehn. Die beiden Geliebten sind erbost auf einander, und wenn Catull den Metellus besucht, so redet Clodia viel Böses wider ihn; sie hat Nichts anderes für ihn übrig, als Ausdrücke, aus welchen ihr Mann erkennen muss, dass sie dem Catull mit Nichten geneigt sei. Darüber freut sich Metellus, aber Catull weiss es besser. Hätte Lesbia ihn vergessen, so würde sie schweigen; jetzt aber, wo sie ihn schmäht, hat sie ihn nicht blos nicht vergessen, sondern sie ist erbost d. h., so schliesst Catull, sie ist voll Gluth und darum redet sie. Die beiden letzten Verse werden verständlich, wenn man in der angegebenen Weise unter Beibehaltung der handschriftlichen Lesart folgende Interpunction macht:

Non solum meminit, sed, quae multo acrior est res,
irata est. Hoc est: uritur et loquitur.

Das ist echte epigrammatische Schärfe, wo der Ausgangspunkt des ganzen Gedichtes mi mala plurima dicit am Schlusse des ganzen Gedichtes in einen einzigen Ausdruck zusammengefasst wird: loquitur, doch nicht mehr als blos unmittelbare Thatsache, sondern durch seine psychologische Darlegung motivirt. Hoc est: uritur et loquitur.“ Es ist völlig unnöthig mit Beibehaltung der alten Interpunction zu der Conjectur irata est, hoc est, uritur et coquitur seine Zuflucht zu nehmen.

Das Gedicht 92 wiederholt denselben Gedanken, nur wird hier um so sicherer aus dem steten Schmähen der Lesbia ihre fortdauernde Liebe zu Catull geschlossen, als es dem Dichter, wie er gesteht, nicht anders ergeht. Er schmäht täglich auf sie, aber er weiss, dass er sie liebt.

In dem Gedichte 104 läugnet Catull ganz und gar ab, seine Geliebte geschmäht zu haben, sie, die ihm theurer als sein Augenpaar ist, „ich hätte es nicht können, und, wenn ich es gekonnt hätte, würde ich nicht so zum Tode verliebt sein." Wer der Angeredete ist, und wer der Tappo, von dem ihm jener Vorwurf gemacht wurde, ist mir unbekannt.

Also das ganze Zerwürfniss war nicht ernstlich, sondern nur ein launenhafter Eigensinn, und da konnte die Versöhnung nicht ausbleiben, von der carm. 187, 109 und 36 reden.

Versöhnungs-Freude.

1.

107. Si quicquam cupido optantique obtigit unquam insperanti, hoc est gratum animo proprie.

5

Quare hoc est gratum nobis quoque carius auro,

quod te restituis, Lesbia, mi cupido.

Restituis cupido atque insperanti, ipsa refers te

nobis. o lucem candidiore nota!

Quis me uno vivit felicior, aut magis

optandus vitae dicere quis poterit?

Was du ersehnt hast und begehrt, doch nicht gewagt zu hoffen, wie bist im Herzen du entzückt, wenn's endlich eingetroffen. So ist's auch mir entzückender und köstlicher als Gold ist, dass Lesbia mir wiederum nach langem Sehnen hold ist; sie selber hat sich mir genaht, der's nicht zu hoffen wagte; o freudevoller, sonniger Tag, der solches Glück mir brachte. Wer will mit meiner Seligkeit ein anderes Glück vergleichen? ich bin so reich, ich tausche nicht mit allen Königreichen.

2.

109. Iucundum, mea vita, mihi proponis amorem hunc nostrum inter nos perpetuumque fore. Dii magni, facite ut verè promittere possit, atque id sincere dicat et ex animo,

5 ut liceat nobis tota perducere vita

aeternum hoc sanctae foedus amicitiae.

Du willst Geliebte, dass der süsse Liebesbund
für eine Ewigkeit uns halte fest umschlungen?
Ihr Götter, sei ein wahres Wort von ihrem Mund
gesprochen, sei es aus der Seele ihr gedrungen,
sei bis zu unsres Lebens letztem Jahr

der Liebe heilig Band unwandelbar.

Lesbia selber ist ihm entgegengekommen

wagte nicht es zu hoffen.

er wünschte es, aber

Das,,quod te restituis atque ipsa refers te nobis", wovon carm. 107 redet, haben wir von einer schriftlichen Erklärung der Lesbia zu verstehn; darauf folgt nach der mit diesem Gedichte gegebenen Erwiderung Catulls eine persönliche Vereinigung, wo ihm Lesbia die ewige Dauer ihres Verhältnisses beschwört. Dies ist das incundum mihi proponis amorem des Gedichtes 109. Catull fleht die grossen Götter an, dass das Versprechen der Lesbia ein wahres und aufrichtiges sei, und dass der neubeschworene Bund heiliger Liebe nur mit dem Lebensende aufhöre. Und daran schliesst sich das launige Gedicht 36.

Versöhnungs-Opfer.

36. Annales Volusi, cacata charta,
votum solvite pro mea puella:
nam sanctae Veneri Cupidinique
vovit, si sibi restitutus essem

5

10

15

desissemque truces vibrare iambos,
electissima pessimi poetae

scripta tardipedi deo daturam
infelicibus ustulanda lignis,

et hoc pessima se puella vidit
iocose lepide vovere divis.
Nunc, o caeruleo creata ponto,

quae sanctum Idalium Surosque apertos
quaeque Ancona Cnidumque arundinosam
colis quaeque Amathunta quaeque Golgos
quaeque Durrachium Adriae tabernam,
acceptum face redditumque votum,

si non inlepidum neque invenustum est.
At vos interea venite in ignem,

pleni ruris et inficetiarum

20 annales Volusi, cacata charta.

Ihr Schriften des Volusius, verfluchte Dreckpapiere, herbei, dass ihr Gelübde jetzt mein Liebchen absolvire. Denn solches that der Venus sie und deren Sohn versprechen: hielt sie mich wieder fest im Arm und hätt' ich mit den frechen

Spottversen endlich aufgehört, dann solle sie's nicht reuen, die Schriften des Volusius dem Flammentod zu weihen, da sollt die trockne Poesie auf dürrem Holze schmoren das lose Kind, es wusste wohl, daran sei nichts verloren. Jetzt also, Venus, die dich einst die blaue See geboren, die du das weite Syrien und Amathnuth bewohnest, in Golgi und Idalium und auf Ancona thronest

und Cnidus und Dyrrhachium mit deiner Huld belohnest, sei hold auch uns: die Theure will jetzt ihr Gelübde lösen, denn wohlgefällig ist es dir doch sicherlich gewesen. Fort in die Flammen, ekelhaft und widerlich Geschmiere, ihr Schriften des Volusius, verfluchte Dreckpapiere.

Lésbia hatte gelobt, die langweiligen Annalen des Volusius dem Feuertode zu weihen:

Si sibi restitutus essem

desissemque truces vibrare iambos.

Diese Ausdrücke enthalten eine entschiedene Hindeutung auf die vorhergehenden Gedichte. Si sibi restitutus essem ist dasselbe, wie carm. 107 quod te restituis, und die truces iambi sind keine anderen als die Choliamben des Gedichtes 8, in welchen er droht trotzig zu sein. Der weitere Inhalt des Gedichtes ist dann der, dass der Venus zu Ehren, bei welcher das Gelübde der Lesbia abgelegt war, die Gedichte des Volusius in die Flammen geworfen werden. Wozu dies litterärische Autodafe? Es ist so eigenthümlicher Art, dass wir schliessen müssen, jener Zwist, der nun glücklich beseitigt ist, war aus einer Meinungsverschiedenheit auf litterarisch-ästhetischem Gebiet entstanden. Lesbia las die Gedichte des Volusius gern, die der neuen Richtung und dem geläuterten Geschmacke des Catull nicht zusagten. Darüber der Zank, bei dessen Ausgleichung Volusius als Opfer fällt.

Das kleine Gedicht 86 ist nicht ein Preislied auf die Geliebte, welches blos durch den Gedanken an ihre Liebenswürdigkeit motivirt wäre, sondern persönlicher Natur, provocirt durch das Lob, welches ein Anderer der Quintia gespendet hatte. Der Dichter kann es nicht so hingehn lassen, dass ein anderes Weib schöner als Lesbia sein soll. Das Gedicht hat nicht Wärme genug, um in die Zeit der Gedichte 2,

3, 5, 4 versetzt zu werden; andrerseits aber passt der Ton, in welchem Catull hier von Lesbia redet, nicht zu den Gedichten der späteren Epoche, und so müssen wir ihm denn an dieser Stelle seinen Platz anweisen, vor oder unmittelbar nach carm. 68.

Zweites Capitel.

Der Tod des Bruders.

Von jetzt an kommt noch ein anderes Motiv in die Catull'schen

Lieder. Catull war nach Verona gereist zu den Seinen; es sollte nur ein kürzerer Besuch sein; von seiner grossen Bibliothek hatte er nur eine einzige capsula mitgenommen (68, 36). Ueber die Mitglieder seiner Familie finden wir in seinen eigenen Gedichten nur wenige Angaben; aber wir wissen aus Sueton. Julius 78, dass damals sein Vater noch lebte; denn noch im Jahre 54 ist er der hospes des Cäsar, wenn dieser als Statthalter von Oberitalien sich in den Wintermonaten zu Verona aufhielt, und vielleicht hat der Vater den Sohn noch überlebt. Ausserdem hat Catull noch einen Bruder (und zwar nur diesen einen, wie aus 68, 94 hervorgeht), dem er in grosser Liebe zugethan war. Dieser Bruder war nach Kleinasien gereist; wahrscheinlich hatte er sich, wie später unser Dichter, dem Comitate eines Statthalters nach dem Orient angeschlossen. Da kam die Nachricht nach Verona, der Bruder sei in der Landschaft Troas gestorben; dort war er, nahe dem Vorgebirge Rhöteum, der mythischen Grabstätte des Ajax, bestattet (68, 89. 65, 5). Die Trauer über diesen Verlust bewog Catull, seinem früheren Vorhaben gemäss, sofort nach Rom zurückzukehren. Die Gedichte, die dem Andenken des Bruders gewidmet sind, gehören zu den Dichtungen, in welchen uns der Dichter von seiner liebenswürdigsten Seite gegenüber tritt; es thut uns diese Anhänglichkeit an den Bruder und an die Familie doppelt wohl bei der Zerrissenheit seines übrigen Lebens, wo er den Fond der Liebe nur zu häufig an Unwürdige vergeudet hat. Catull schreibt keine thränenreichen Lobgedichte auf den Hingeschiedenen; dazu ist seine Liebe zu wahr und zu innig, nur in der Correspondenz, die er von Verona aus zu eben dieser Zeit mit

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