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Da mi basia mille, deinde centum,
dein mille altera, dein secunda centum,

deinde usque altera mille, deinde centum.
10 Dein, cum milia multa fecerimus,
conturbabimus illa, ne sciamus,

aut ne quis malus invidere possit,
cum tantum sciat esse basiorum.

Lass uns leben, lass uns lieben, und die Reden der bedachten alten Herrn, wir wollen Liebchen sie auf's gründlichste verachten. Unsre Tage fliehn, und folgt auch stets der Nacht die Morgen

aus dem Todesschlaf erweckt uns nichts Tausend Küsse drumm, dann hundert —,

sonne,

zu neuer Liebeswonne.

weitre tausend, weitre hundert 9

nochmals tausend, nochmals hundert, dass nach vielen tau

send Küssen

jene Alten, die uns Alles nachgerechnet, ganz verwundert

ob der Küsse Zahl das Zählen und das Neiden lassen müssen.

Der Nimmersatt.

7. Quaeris, quot mihi basiationes

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tuae, Lesbia, sint satis superque?

Quam magnus numerus Libyssae arenae

laserpiciferis iacet Cyrenis,

oraclum lovis inter aestuosi

et Batti veteris sacrum sepulcrum,

aut quam sidera multa, cum tacet nox,

furtivos hominum vident amores,

tam te basia multa basiare

vesano satis et super Catullo est,

quae nec pernumerare curiosi

possint nec mala fascinare lingua.

Wie viel Küsse du mir schuldest, also fragst du, hohe Frau, um mich endlich satt zu machen? Hör, ich sag's dir ganz genau.

So viel Küsse, als da Sand liegt fern in Libyens öder Au, von des Cyrenäer Königs Battus' Grabesmonument

bis zum Wundertempel Ammons, den die Sonnengluth verbrennt, so viel Küsse, als da Sterne auf und ab am Himmel gehn und in stiller Nacht verschwiegen auf verstohlne Liebe sehn, ja, nach so viel tausend Küssen wird Catull gesättigt sein, ja, die kann kein Lauscher zählen, kann kein Neidischer beschrein.

Zum Verständniss beider Gedichte können wir nicht umhin auf die äussere Beziehung zwischen beiden hinzudeuten. In dem ersten sagte Catull, dass ihm tausend Küsse und dann hundert Küsse und dann noch einmal tausend und hundert und zum dritten Mal tausend und hundert und dann ferner tausend Küsse noch immer nicht genug seien, und da fragt ihn die schalkhafte Lesbia, an wieviel Küssen er denn endlich genug habe. Darauf die Antwort in carm. 7: Quaeris quot mihi basiationes tuae, Lesbia, sint satis superque soviel, wie die Sandkörner der lybischen Wüste und soviel wie Stern am Himmel stehn, daran habe ich genug, eine solche Zahl ist es, die kein Missliebiger zählen und beschreien kann."

Das waren die seligen Tage im Hause des Manlius. Nur zwei Gedichte verherrlichen sie. Dann stimmt die Lyra Catulls einen andern Ton an.

Ein Talent, doch kein Character.

8. Miser Catulle, desinas ineptire,

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et quod vides perisse perditum ducas,
fulsere quondam candidi tibi soles,
cum ventitabas quo puella ducebat

amata nobis quantum amabitur nulla.

Ibi illa multa tum iocosa fiebant,

quae tu volebas nec puella nolebat.
Fulsere vere candidi tibi soles.

Nunc iam illa non vult: tu quoque impotens noli

nec quae fugit sectare, nec miser vive,

sed obstinata mente perfer, obdura.

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Vale, puella. iam Catullus obdurat,
nec te requiret nec rogabit invitam:
At tu dolebis, cum rogaberis nulla.
Scelesta, ne te! quae tibi manet vita?
quis nunc te adibit? cui videberis bella?
quem nunc amabis? cuius esse diceris?
quem basiabis? cui labella mordebis?
At tu, Catulle, destinatus obdura.

Hör auf Catull zu denken wie die Thoren
und was verloren ist, das gib verloren.
Ja einstens lachte sonnig dir die Welt:
Du gingst wohin dich Lesbia bestellt

und triebst mit ihr so manchen tollen Scherz,
zur Freude dir, der Liebsten nicht zum Schmerz;
o wie ich die geliebt, so liebt kein zweites Herz!
Ja wahrlich, sonnig lachte da die Welt.
Jetzt sagt sie: Nein. Du wirst dich drein ergeben,
lass fliehn was flieht, führ' ein gemüthlich Leben,
ertrag's mit starker Seele, sei ein Held.

Leb' wohl, mein Kind, Catull ist ein Character.

Er mag dich nicht mehr, da du nicht mehr sein bist.
Doch dich wird's reun, wenn du fortan allein bist;
dein harrt ein ödes Dasein, das nicht fein ist,
der Liebe baar ist etwas abgeschmackter?

Wer wird nun kommen? Wer dich an sich reissen?

Wen wirst du lieben?

Wen wirst du küssen?
Catull bedankt sich

Wessen Traute heissen?

Wem die Lippen beissen? der ist ein Character.

Catull will ein Character sein. So sagt er wenigstens. Aber wir sehen deutlich, dass er Alles, nur kein Character sein kann. Daher wollen wir, um dem Gedichte eine passende Ueberschrift zu geben, den Heinischen Vers im Atta Troll umkehren. Die beiden Liebenden haben sich entzweit, und Catull will nun von seiner Lesbia ganz und gar nichts mehr wissen. Noch einmal erinnert er sich der herrlichen sonnigen Tage,

wo er den Winken der Lesbia ins Haus des Freundes folgte (quum ventitabas quo puella ducebat), noch einmal der vielen Liebesscherze, die er im fünften und siebenten Gedicht besungen ,,ibi (in Manlius' Hause) illa multa tum iocosa fiebant quae tu volebas nec puella nolebat." Jetzt aber will sie nicht mehr, drum will auch er nicht; und spottend ruft er der Geliebten nach „, Wen wirst du jetzt lieb haben, wessen Geliebte sein? Wen küssen, wen in die Lippen beissen? Catull lässt sich auf diese Liebesspiele nicht mehr ein." Es ist ein entschiedener Mangel der neueren deutschen Bearbeitungen der Catull'schen Chronologie, dass sie dieses Gedicht nicht berücksichtigt haben. Sie haben hierdurch den Standpunkt verloren, von welchem aus sie manche andere noch in den richtigen historischen Zusammenhang hätten einreihen können. Freilich geht man so noch immer richtiger, als wenn man mit Gott Fröhlich dies Gedicht an das Ende des Liebesverhältnisses zwischen dem Dichter und Lesbia verlegt, nachdem er die Lesbia verachtend bereits den Kampf gegen die Nebenbuhler eröffnet hat. Bei dieser Auffassung ist die Verkennung des Richtigen um so unverzeihlicher, als Catull in dem vorliegenden Gedichte es geradezu ausspricht, dass jetzt, wo er selber zurückgetreten, kein Liebender weiter der Lesbia sich nahen wird: „quem nunc amabis? cuius esse diceris? quem basiabis? cui labellam mordebis?" Wer das Gedicht richtig versteht, weiss, dass die Antwort hierauf keine andere ist, als „Niemand". Lesbia ist zwar ihrem Gatten treulos geworden, aber sie hat dem Catull ihre Treue bewahrt. Sie steht noch lange nicht auf dem Standpunkte, den ihr das Gedicht 68 anweist. Das ganze Gedicht ist keine Entsagung, und das mehrfach herbeigezogene obdurare kann, wenn man psychologisch richtig übersetzen will, nur durch „Eigensinn“ übersetzt werden.

Wie sich Liebende hassen.

1.

83. Lesbia mi praesente viro mala plurima dicit:

haec illi fatuo maxima laetitia est.

Mule, nihil sentis. si nostri oblita taceret,

sana esset: nunc quod gannit et obloquitur,

non solum meminit, sed, quae multo acrior est res,
irata est. Hoc est: uritur et loquitur.

Bin ich bei ihrem Ehgemahl, ist Lesbia, so viel sie kann, beständig boshaft gegen mich, — dann freut sich gar der arme

Mann.

Du blinder Thor! wenn Lesbia mich ganz vergisst und stille schweigt,

dann kann dir's recht sein; aber jetzt, wo solche Bitterkeit sie zeigt,

da denkt sie mein noch, ja noch mehr, in Ingrimm auszubrechen treibt sie ihr Herz. Sie ist in Gluth und darum muss sie sprechen.

2.

92. Lesbia mi dicit semper mala nec tacet unquam

de me: Lesbia me dispeream nisi amat.

Quo signo? quia sunt totidem mea: deprecor illam
assidue, verum dispeream nisi amo.

Viel Böses sagt mir Lesbia und schweigt nicht einen Augenblick, doch will ich gleich des Todes sein, wenn Lesbia mich hassen

kann.

Warum? Für jedes böse Wort geb' ich getreulich ihr zurück ein böses Wort, es lästert sie mein Mund jedweden Augenblick, doch will ich gleich des Todes sein, wenn je mein Herz sie lassen kann.

3.

104. Credis me potuisse meae mala dicere vitae,
ambobus mihi quae carior est oculis?

Non potui, nec, si possem, tam perdite amarem:
sed tu cum Tappone omnia monstra facis.

Die Theure, die mir lieber ist als selbst mein eignes Augenlicht, die hätte ich zu schmähn vermocht? Das glaubst du? Nein, ich konnt' es nicht,

und wenn ich's könnte, liebt' ich nicht sie bis zum Tod mit solchem Feuer, Doch du mit deinem Tappo machst aus jedem Ding ein Ungeheuer.

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