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stehen Hendecasyllaben, Choliamben, Trimeter und andere Metra bunt durch einander. Es ist fast überall, als ob die überlieferte Reihenfolge jeder vernünftigen Ordnung spotte; Gedichte, die sichtlich aufs engste zusammengehören, sind von einander getrennt, und was besonders häufig ist, durch ein einziges Gedicht von einander getrennt, so dass die Versuchung, hier eine Umstellung vorzunehmen, nur allzu verführerisch ist. So hält es Klotz in seinen emendationes Catullianae (1859) für ausgemacht, dass das erste an den passer de Lesbia gerichtete Gedicht (carm. 2) unmittelbar vor dem zweiten Gedicht an den passer seine Stelle haben müsse und dass die dazwischen stehenden drei Verse (carm. 2a), in denen auch Klotz mit Recht das Fragment eines weitern Gedichtes sieht, zusammen mit dem Fragmente 14 eine Art Vorwort zu Catulls Gedichten bildeten und ursprünglich vor carm. 2 gleich hinter der Dedication an Cornelius Nepos gestanden hätten. An sich wäre diese Umstellung recht empfehlenswerth, und wenn Martial die ganze Sammlung mit dem Namen Passer bezeichnet und also schon Martial das carm. 2 gleich zu Anfang gelesen hat, so kann dies nicht dagegen sprechen, dass nicht auch in Martials Exemplare ausser der Dedication noch eine Vorrede jenem Gedicht vorangegangen sein könnte. Aber sieht man genauer zu, so wiederholt sich die bei den beiden Gedichten an den passer vorkommende Erscheinung, dass zwei entschieden zusammengehörige Gedichte durch ein heterogenes Gedicht von einander getrennt sind, so häufig, dass die Zahl der Umstellungen, die dann mit demselben Rechte vorgenommen werden könnten, eine in der Kritik bisher ganz unerhörte wäre. Carm. 5 und 7, in denen Catull das Glück seiner Liebe verherrlicht und von denen das zweite eine Frage Lesbias beantwortet, die sie beim Lesen des ersten Gedichtes aufgeworfen hat, sind durch ein Gedicht an Flavius getrennt:

5. Vivamus mea Lesbia atque amemus

6. Flavo delicias tuas Catullo

7. Quaeris quot mihi basiationes.

Carm. 18 und 23 (diese Nummer führt es jetzt in den Ausgaben, obwohl es das 20. ist) verhöhnen die Hungerleiderei des Aurelius und Furius, seiner Rivalen in der Liebe zu Juventius, dazwischen aber steht ein Gedicht an den Freund Varus Alphenus über den allzu selbstgefälligen Poeten Suffenus:

18. Aureli pater essuritionum

19 (vulgo 22). Suffenus iste Vare quem probe nosti

20 (vulgo 23). Furi cui neque servus est neque arca.

Auch die Reihenfolge der Gedichte 16, 17, 18 gewährt dieselbe Erscheinung:

16. Paedicabo ego vos et irrumabo Aureli pathice ...

17. colonia quae cupis ponte ludere magno

18. Aureli pater essuritionum.

Carm. 37 verhöhnt aus dem Schwarme der Liebhaber Lesbias vor allen den Celtiberer Egnatius: Egnati opaca quem bonum facit barba et dens Hibera defricatus urina, carm. 39 verspottet dieselbe Celtiberermanier desselben Egnatius, sich die Zähne zu reinigen: beide sind aber durch ein Klaglied an Cornificius von einander getrennt:

37. Salax taberna vosque contubernales

38. Male est Cornifici tuo Catullo

39. Egnatius quod candidos habet dentes.

Ebenfalls von einander getrennt sind die beiden Spottgedichte auf die amica decoctoris Formiani:

41. Ameana puella defututa, ista turpiculo puella naso
42. Adeste hendecasyllabi quot estis

43. Salve nec minimo puella naso.

Gleiche Stellung haben die den hircus alarum des Rufus verspottenden Gedichte 69 und 71:

69. Noli admirari quare tibi femina nulla

70. Nulli se dicit mulier mea nubere malle

71. Si quoi iure bono sacer alarum obstitit hircus.

Zu den mittleren dieser Gedichte bildet wieder das durch carm. 71

davon getrennte 72. Gedicht das genaue Gegenstück:

70. Nulli se dicit mulier mea nubae malle

quam mihi, non si se Iuppiter ipse petat

71. Si quoi iure bono sacer alarum obstitit hiacus

72. Dicebas quondam solum te nosse Catullum

Lesbia nec prae me velle tenere Iovem.

Die beiden Versöhnungsgedichte mit Lesbia sind durch den Fluch auf den greisen Cominius von einander getrennt:

107. Si quicquam cupido optantique obtigit unquam

108. Si Comini populi arbitrio tua cana senectas

109. Iucundum mea vita mihi proponis amorem.

Diese Beispiele mögen einstweilen genügen (die Zahl derselben wird sich alsbald noch sehr vermehren ---) um auf die nicht wegzuleugnende und durch keine Umstellung, die irgendwie gut geheissen werden könnte, zu entfernende Thatsache aufmerksam zu machen, dass Gedichte, die entschieden zusammen gehören, in der uns vorliegenden Sammlung nicht zusammen stehen, sondern durch ein heterogenes Gedicht von einander getrennt sind. Sehen wir uns nun zunächst die zwölf ersten*) auf die Dedication folgenden Gedichte an:

2a. Passer deliciae meae puellae

2b.... tam gratum est mihi quam ferunt

3. Lugete o Veneres Cupidinesque

4. Phaselus ille quem videtis hospites
5. Vivamus mea Lesbia atque amemus
6. Flavi delicias tuas Catullo

7. Quaeris quot mihi basiationes
8. Miser Catulle desinas ineptire

9. Veranni omnibus e meis amicis

10. Varus me meus ad suos amores

*) Ich sage zwölf, denn ich halte die drei Verse 2b für das Fragment eines eigenen Gedichtes. Dass eine Lücke davor statt findet, darin stimmen wohl Alle überein. Auf die Angabe de Itali, dass hier in ihrem Codices eine leere Stelle wäre, ist freilich nicht viel zu bauen, denn ein Codex, den sie antiquissimus nennen, ist nicht selten eine interpolirte und emendirte Handschrift von keineswegs vorzüglicher Güte. In keiner der uns vorliegenden Handschriften findet eine solche Lücke statt, vielmehr sind die Verse unmittelbar an die vorausgehenden gereiht, aber hierin liegt freilich kein Grund für die Annahme der Zusammengehörigkeit, denn carm. 3 schliesst sich hier in gleicher Weise continuirlich an das Vorausgehende an, als ob es dazu gehörte. Eine Lücke vor 2b findet jedenfalls statt, eine Meinungsverschiedenheit kann nur darin stattfinden, ob die drei Verse der Schlussbestandtheil des vorigen Gedichtes oder eines eigenen Gedichtes ist. Ich bin der letzteren Ansicht und werde diese weiter begründen.

11. Furi et Aureli comites Catulli

12. Marrucine Asini manu sinistra.

Die hier durch Einrückung nach links hervorgehobenen Gedichte sind sechs Gedichte, die sich auf Catulls Liebe zu Lesbia beziehen, und zwar in chronologischer Reihenfolge. Die zwei ersten

von dem zweiten derselben

2a. Passer deliciae meae puellae 3. Lugete o Veneris Cupidinesque gehören dem ersten Beginn der Liebe an wissen wir es zwar nicht genau, aber es steht dasselbe in einer entschiedenen Beziehung zu dem ersten, und sichtlich weist der sentimentale Ton, der darin herrscht, in eine frühere Zeit als cam. 5 und 7. Dann folgen die Gedichte, welche die glücklichste Liebesepoche verherrlichen:

5. Vivamus mea Lesbia atque amemus

7. Quaeris quot mihi basiationes

und endlich wiederum zwei Gedichte aus der Periode des Zwistes und des völligen Verfalles jenes Verhältnisses, das erste wiederum sichtlich früher als das zweite denn das eine enthält in einem mehr launigen Tone die Ankündigung der Feindschaft, mit der es dem Dichter noch kein rechter Ernst ist, das andere zeigt die vollste Verachtung der nun völlig unwürdig gewordenen Lesbia:

8. Miser Catulle desinas ineptire

11. Furi et Aureli comites Catulli.

In diesen sechs Gedichten führt der Dichter die Stadien seiner Liebe zu Lesbia von Anfang bis zu Ende vor, es ist eine die Geschichte des ganzen Verhältnisses darlegende Auswahl seiner Lesbialieder: sie bezeichnen die Momente seines Lebens, die ihn am meisten bewegt haben und machen in dieser ihrer historischen Reihenfolge einen in sich abgeschlossenen Cyclus aus.

Aber die Gedichte dieses Cyclus folgen nicht unmittelbar aufeinander, sondern sind mit heterogenen Gedichten durchflochten, und zwar, so weit sie vollständig erhalten sind, sind dies sämmtlich Gedichte an liebe Freunde und Genossen von mildem warmen Tone, denn auch carm. 12 auf Asinius, den er mit einem ellenlangen Schmähgedichte bedroht, weil ihm dieser die sudaria Saetaba, die Geschenke seiner

lieben Freunde Verannius und Fabullus gestohlen hat, ist im Grunde nur ein Lobgedicht auf diese seine beiden Freunde. Durchflochten aber sind die sechs Lesbialieder mit diesen sechs heterogenen Gedichten in der Weise, dass entweder auf je Ein Lesbialied Ein heterogenes, oder auf je zwei Lesbialieder zwei heterogene folgen. Dies eigenthümliche Princip der Anordnung herrscht in derselben Weise nun auch für die weiteren Gedichte; Catull hat sich die Mühe gegeben, die kleineren in melischen oder jambischen Metren gehaltenen Gedichte (denn von diesen Gedichten des ersten Theiles sprechen wir zunächst) nach bestimmten Cyclen zu ordnen es sind ihrer fünf : die zu einem jeden Cyclus gehörenden Gedichte sind derselben Situation entsprungen oder gehören historisch oder dem Inhalte nach zusammen, aber jedem dieser Gedichte ist ein heterogenes zur Seite gestellt, und zwar wie gesagt entweder so, dass auf Ein Gedicht Ein heterogenes, oder auf zwei Gedichte zwei heterogene folgen. Dass es Catull selber gewesen sein muss, der die Gedichte in dieser wunderlichen Weise, die lediglich einen picanten Gegensatz bewirkt, geordnet hat, leidet wohl keinen Zweifel. Wie hätte auch ein späterer Abschreiber oder Ordner dazu kommen können, das Zusammengehörige so gleichmässig von einander zu trennen? Das kann nur die Laune, ja wenn wir wollen die Marotte des Verfassers gethan haben, der bei diesen ihm so sehr ans Herz gewachsenen kleinen Lieblingen, diesen nugae, wie er sie in der Dedication an Cornelius bezeichnet, auch da wo er sie in Gesammtheit dem Publicum zusammenstellt, das nugari nicht lassen kann.

Ich sagte, in unserem ersten Theile seien fünf mit heterogenen Gedichten durchflochtene Cyclen zu unterscheiden. Der zweite reicht von 14a bis 29 (denn die Stellung des 13. Gedichtes kann ich erst weiter unten besprechen).

14. Ni te plus oculis meis amarem

14. Si qui forte mearum ineptiarum

15. Commendo tibi me ac meos amores

16. Paedicabo ego vos et irrumabo

17. O colonia quae cupis ponte ludere magno

18. Aureli pater essuritionum

22. Suffenus iste Vare quem probe nosti 23. Furi cui neque servus est neque arca

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