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Geliebten als heimliches Geschenk gesandte Apfel aus dem unentweihten Busen der Jungfrau hervorrollt, welcher obwohl verhüllt unter dem zarten Gewande dennoch der Armen, die seiner beim Eintritte der Mutter vergessen hatte, entfällt und nun im jähen Falle zur Erde stürzt, während verrätherische Röthe der Tochter Wange bedeckt."

Wahrhaftig, hat Catull mit diesem Vergleiche seine Trauerepistel an Hortensius geschlossen, dann erkennen wir ihn nicht wieder als den genialen, leichten, geschmackvollen, immer wahren und einfachen Dichter wieder, als der er in seiner gesammten übrigen Poesie uns gegenübertritt, dann bleibt uns nichts als die Annahme übrig, dass Catulls Verstand durch den Schmerz um den Tod des Bruders gelitten hat.

Aber eine andere Annahme liegt ja eben so nahe, nämlich die, dass Catull, der ja mehrere carmina des Callimachus an Hortensius mit jener Trauerepistel abgesandt, in der Sammlung seiner Gedichte auf die Epistel nicht bloss die coma Berenices, sondern auch das andere carmen folgen liess, und dass jener Vergleichungssatz: Ut missum sponsi der Anfang dieses anderen Callimacheischen Gedichtes ist. Er ist nicht bloss in Verbindung mit der vorausgehenden Klage um den Bruder des Catull durchaus unwürdig, sondern an sich betrachtet macht er den Anschein, als ob er viel eher ein Stück Callimacheischer, als origineller Catullischer Poesie sei.

Wenn man fragt, weshalb Catull und die Dichter seiner Zeit sich mit solcher Vorliebe dem Callimachus und überhaupt den Alexandrinischen Dichtern zugewandt haben, so kann die Antwort wohl keine andere als diese sein, dass jene Dichter der Zeit nach den damaligen Römern zunächst lagen es waren eben die neuesten griechischen Dichter, und auf diese war man zunächst hingewiesen. Catulls Geistesrichtung und dichterische Anlage steht den Alexandrinern so fern wie möglich und die Beschäftigung mit ihnen, der er sich nach dem Vorgange seiner Zeitgenossen nicht entziehen konnte, ist für seine poetischen Leistungen keineswegs von vortheilhaftem Einflusse gewesen. Noch in der Zeit der Periode seiner Rivalen - Lieder (zweite Hälfte 59 und 58) beschäftigt sich Catull mit den Alexandrinern, denn er sagt carm. 116 dem Oheim seines Rivalen Gellius, dass er ihn durch „car

mina Battiadae" versöhnlich zu stimmen gesucht hätte, vgl. S. 125127. Dieser Zeit scheint auch das Gedicht von der Hochzeit des Peleus und der Thetis (carm. 61) anzugehören, welches zwar keineswegs die Uebersetzung von dem Werke eines Alexandrinischen Dichters ist, aber ganz entschieden unter dem unmittelbaren Einflusse des Studiums Alexandrinischer Poesie entstanden ist. Sagen wir es gleich im Voraus, dass Dasjenige, was wahrhaft gut und schön in diesem Gedichte ist, dem Catull selber angehört, dass uns dagegen Dasjenige, was uns darin nicht gefallen will und unmöglich gefallen kann, auf Rechnung der Alexandriner zu setzen ist. Wir haben bei Gelegenheit des carm. 68 die auf Terpander zurückzuführende mesodische Gliederung des Inhaltes besprochen, welche in der höheren Lyrik der Griechen üblich ist, und schon dort (S. 78) darauf aufmerksam gemacht, dass auch im 64. Gedichte die mesodische Gruppirung angewandt sei, doch lange nicht in einer so befriedigenden und kunstgerechten Weise, wie in dem Enkomion an Allius. Es ist diese Gliederung eigentlich nur da möglich, wo in einem Gedichte lyrische Partieen mit epischen abwechseln, sei es, dass die lyrischen Theile durch einen epischen Mittelpunkt unterbrochen werden, sei es, dass in die Mitte einer epischen Erzählung eine lyrische Partie eingeschoben wird. So war es in den Chorgesängen des Pindar und Aeschylus und ebenso auch in dem Catullischen Enkomion. Hier aber in carm. 64 haben wir es der Hauptsache nach lediglich mit epischen Elementen zu thun. Das eine ist die Hochzeitsfeier des Peleus mit der Thetis. Diese wird in der Mitte durch eine etwa 210 Verse enthaltende Erzählung von der auf der Insel Dia von ihrem Entführer Theseus verlassenen Ariadne und von den Strafen, die deshalb den Theseus ereilten, unterbrochen. Beide Erzählungen haben absolut gar nichts mit einander gemeinsam und so kann auch die Verbindung derselben nur eine durchaus äusserliche sein. Am Morgen des Hochzeitstages, so heisst es, kommen die umwohnenden Sterblichen in grossen Schaaren zum Schauplatze des Festes, zum Palaste des Peleus, um dessen Herrlichkeiten in Augenschein zu nehmen. Sie bewundern hier vor Allem den Teppich des Hochzeitsbettes, auf welchem ein kunstvolles Gemälde eingewirkt ist. Es enthält nämlich die Darstellung der verlassenen klagenden Ariadne. Hier unterbricht nun der Dichter die Schilderung des Hochzeitsfestes, indem er die Geschichte von der verlassenen Ariadne erzählt, bis er dann endlich fortfahren kann: „Das ist es, was auf jenem Teppich

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dargestellt war", womit er dann die Feier von Peleus' Hochzeit weiter fortführen kann. Die Episode von der verlassenen Ariadne ist hier jedenfalls die Hauptsache, sie ist als ein selbstständiges Gedicht in den Rahmen eines anderen Gedichtes gestellt und der hohen poetischen Schönheit dieses hochkünstlerischen Gemäldes wegen möchten wir gern der Betrachtung des Rahmens überhoben sein.

Zunächst möge ein Schema die Uebersicht über das Ganze gewähren. Die den Omphalos B umschliessenden Theile A und C stehen durch die Responsion ihrer einzelnen Glieder wieder unter sich in einem nahen Zusammenhange, den wir durch drei die Theile A und C verbindende Bogen bezeichnen. An das Ende des Ganzen tritt ein kurzer Epilogus.

A.

Die in der Hochzeit des Peleus und der Thetis sich kundgebende Verbindung der
Götterwelt mit der Welt der Sterblichen.

Am Morgen des Hochzeitstages kommen die umwohnenden Sterblichen, um die Herrlichkeiten des Festpalastes zu schauen,

darunter insbesondere den Teppich des Hochzeitsbettes, auf welchem dargestellt ist

B.

Die verlassene Ariadne:

I. 52-131: Theseus' Verrath an der verlassenen Ariadne.

II. 132-201: Ariadne's Klagen.

III. 202-264: Theseus' Bestrafung (202-250), während für
Ariadne durch Dionysos die Rettung herbeinaht (251-264).

C.

Dies war die auf dem Hochzeitsteppiche enthaltene Darstellung 265. 266.
Nachdem ihn die umwohnenden Sterblichen betrachtet, verlassen sie den
Festpalast.

Dann nahen sich die Götter zur Mitfeier des Festes mit ihren Hochzeitsgaben, und
die Parcen singen als Hochzeitslied den zukünftigen Ruhm des Achilles.

Epilogus: So verkehrten in der alten Zeit die Götter mit den Menschen. Jetzt aber nicht mehr, da die Welt so ruchlos geworden ist.

Catull hat selber den Verrath in der Liebe durch Lesbia's Treulosigkeit aufs Schmerzlichste empfinden müssen und die Gedichte, in denen er seinen Jammer darüber ausspricht (S. 112 u. 113), gehören mit zu den schönsten Kleinodien und zu den kostbarsten Perlen der Catullischen Poesie. Jetzt stellt er den Schmerz, den er selber erlitten, in einer historischen Erzählung dar, die gleichsam das Ebenbild seiner eigenen Erlebnisse ist, in dem Verrathe, der an der liebenden Ariadne durch Theseus verübt ist. Dass diese ihm parallel stehende Persönlichkeit der Sage nicht wie er selber ein Mann, sondern ein Weib ist, kann Westphal, Catulls Gedichte.

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diesen Parallelismus nicht aufheben. Es ist so, als ob sich Catull in den Gedichten über Lesbia's Untreue nicht satt geklagt hätte; aber sein Schmerz ist ruhiger und objectiver geworden. Er substituirt an seine Stelle den festen Typus einer mythologischen, oder wenn wir wollen geschichtlichen Persönlichkeit, die vor Allen als der Träger des Herzeleides in der Liebe galt. Aber der verlassenen Ariadne erblüht sogleich nach ihrem Jammer ein grosses Glück, denn neben Dionysos lernt sie bald des Theseus' und ihres Kummers um ihn vergessen. Dieses spätere Glück der Ariadne ist von Catull nur in wenig Versen angedeutet; im Hintergrunde des Gemäldes, so heisst es, naht sich schon das dionysische Gefolge, in dessen Mitte Ariadne ihr Glück und ihren Frieden wiederfinden wird. Auch dieser Zug der Sage entspricht der eigenen Stimmung Catulls; wissen wir doch, wie Catull in dem letzten der Gedichte, in welchem er den Schmerz über den Verrath Lesbia's ausspricht, sich fort und fort an die Götter wendet, die ihm Beistand in seinem Unglück leisten sollen und auf deren Hilfe er, da er nie einer Untreue sich schuldig gemacht, sicher vertraut. carm. 76,

5:

multa parata manent in longa aetate, Catulle,

ex hoc ingrato gaudia amore tibi.

So ist dies epische Gemälde von der verrathenen Ariadne, der endlich die Götterwelt Rettung bringt, das Spiegelbild seines eigenen Leidens und seiner Hoffnungen auf dereinstigen Frieden. Aber auch dem Rahmen, der dies Gemälde mit der Darstellung von Peleus' Hochzeit umgibt, hat Catull bestimmte Züge seines eigenen Seelenlebens eingegrenzt. Das Motto nämlich, welches durch diese ganze Darstellung hindurchgeht, ist Folgendes: Als noch Treue und Tugend unter den Menschen war, da waren sie glücklich und selbst die Götter verschmähten die Gemeinschaft mit den Menschen nicht. Jetzt aber ist die Erde der Ruchlosigkeit und Bosheit voll, die Gerechtigkeit ist längst dem Herzen der Menschen entflohen und der gerechte Sinn der Götter muss es verschmähen, mit einer solchen Welt Gemeinschaft zu haben. Diese Erbitterung, die Catulls Herz durchdrungen hat, ist hauptsächlich durch Lesbia und durch die früheren Freunde, die ihn in der Liebe zu Lesbia verrathen, hervorgerufen, wie vor Allem die Gedichte an Gellius und Caelius Rufus zeigen. Besondere Beachtung verdient hierbei, dass Catull im Epiloge des Epithalamiums unter den Zügen der jetzt herr

schenden Ruchlosigkeit des Menschengeschlechtes zuletzt noch folgenden hervorhebt, v. 404:

Ignaro mater substernens se impia nato

impia non verita est divos scelerare parentes.

Den Commentar dazu geben die Gedichte an den treulosen Freund Gellius, der ihm das Herz der Lesbia entrissen (S. 120). Man vergl. carm. 90:

Nascatur Magus ex Gelli matrisque nefando

conjugio et discat Persicum aruspicium:
nam Magus ex matre et gnato gignatur oportet,

si vera est Persarum impia relligio.

Die in allen diesen Zügen deutlich sich kundgebende Beziehung des Epithalamiums auf Catulls individuelle Verhältnisse wird wohl kaum noch einen Zweifel daran lassen, dass dies Gedicht derselben Periode, wie seine Lieder über die ungetreue Lesbia und seine Rivalenpoesie, angehört, also in die Zeit von Metellus' Tode (im Jahre 59) bis zu Catulls Abreise nach Bithynien (Beginn des Jahres 57), und zwar werden wir dasselbe der oben gegebenen Ausführung gemäss nicht an den ersten Anfang, sondern an das Ende dieser Periode, etwa in die letzte Hälfte des Jahres 58 zu verlegen haben, wo Catull dem Bilde der ungetreuen Lesbia schon ruhig und objectiv gegenüber zu treten beginnt, dieselbe Zeit, wo er es mit Egnatius und seinen Genossen, mit Sextus Clodius, mit Ravidus zu thun hat. Es sei erlaubt, die beiden ersten Theile der Episode aus dem Epithalamium herauszureissen und in einer Uebersetzung hier einzufügen.

Die verlassene Ariadne.

Es blickt von Dia's fluthumrauschtem Strande

dem flücht'gen Theseus Ariadne nach,
glaubt kaum dem Auge, dass die Liebesbande

zerrissen sind, sie, die im Schlummer lag

und nun erwacht am öden Uferrande

und sich verlassen sieht in Noth und Schmach.

Sie sieht den falschen Mann die See mit Rudern schlagen,

die Schwüre hat der Hauch des Windes fortgetragen.

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