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Ausnahme der oben bemerklich gemachten, durch ein Spatium von einer Zeile von einander trennte. Nur wenn es sich traf, dass der Schlussvers eines Gedichtes mit der letzten Linie einer Seite zusammenfiel, konnte kein derartiger Zwischenraum gelassen werden, der leere untere Rand der Seite vertrat ihn.

Bergk a. a. O. hat nun ausser der Lachmannschen Theorie der Verszahlen und Seiten noch zwei andere Möglichkeiten hingestellt. Die eine schliesst sich an Lachmanns Princip an, dass jene 98 Verse auf drei Seiten gestanden hätten. Wir haben dieselbe bereits oben neben der Lachmannschen angedeutet. s. S. 15.

Bergk denkt sich, dass der Abschreiber, nachdem er pag. 67 copirt, nicht zwei, sondern nur Eine Seite, nämlich pag. 68 überschlug und statt deren gleich pag. 69 und darauf pag. 70 copirte, dass er dann erst die übersehene pag. 68 nachgeholt hätte. Dies ist freilich ebenso gut möglich, als das, was Lachmann angenommen, doch wird im Wesentlichen nichts damit geändert.

Die zweite Annahme Bergks nimmt Rücksicht auf die Ueberschriften, oder was dasselbe ist, auf die in der Urhandschrift zwischen den Gedichten befindlichen Spatien. „Rechnen wir dies sind seine Worte in dem uns vorliegenden Falle die Ueberschriften mit, so steigt die Zeilenzahl von 98 auf 110, und diese Zeilenzahl konnte sich auf vier Seiten von je 27 bis 28 Zeilen vertheilen, so dass der Abschreiber immer je zwei Blätter mit einander vertauschte. Dann würde sich folgende Anordnung der Gedichte ergeben:

....74. 80-87. 75-79. 88..."

Ich freue mich, von dem verehrten Kritiker eine Ansicht ausgesprochen zu sehen, die in ihrem Resultate wesentlich mit der meinigen übereinstimmt. Die Zeilenzahl einer jeden Seite des alten Codex betrug genau siebenundzwanzig. Wo zwei Gedichte an einander grenzten, war eine Linie leer gelassen, ausgenommen, wenn, wie oben bemerkt, der letzte Vers eines Gedichtes mit der letzten Zeile einer Seite übereintraf. Unter dieser Voraussetzung fing ein Blatt der alten Catullhandschrift (wir wollen es Fol. a nennen) mit Carm. 68, 164 Huc addent divi quam plurima quae Themis olim an, das folgende Blatt, Fol. b, begann mit Carm. 80, 1 Quid dicam Gelli und endete auf der Rückseite mit den vier Versen Carm. 87 Nulla potest mulier tantum se dicere amatam u. s. w. Das dritte Blatt, Fol. c, begann mit den vier Schluss

versen dieses Gedichtes: Nunc est mens deducta tua mea Lesbia culpa u. s. w., und endete auf der Rückseite mit den Versen: Lesbius est pulcher u. s. w. Der Abschreiber, auf dessen Copie die uns vorliegenden Handschriften zurück gehen, beging den Fehler, fol. c vor fol. b abzuschreiben. Wir können dabei annehmen, dass diese beiden Blätter aus dem Einbande losgegangen waren und ihre Reihenfolge mit einander vertauscht hatten. Auf S. 25 sind die vier Blätter in der angegebenen Weise abgedruckt: eine jede Seite enthält einschliesslich der zwischen je zwei Gedichten leer gelassenen Zeile genau 27 Zeilen. Denkt man sich fol. c vor fol. b, so hat man die in den uns vorliegenden Handschriften eingehaltene verkehrte Reihenfolge der Gedichte. So erklärt sich Alles viel einfacher als bei Lachmanns nur durch die sehr unwahrscheinliche Hypothese von Randglossen zu stützende und zugleich viel complicirtere Annahme, dass der Librarius, nachdem er eine Vorderseite abgeschrieben, die folgende Rück- und Vorderseite überschlagen und statt deren zunächst die auf die letztere folgende Rückseite abgeschrieben, dass er dann seinen Irrthum eingesehen und die zwei überschlagenen Seiten nachgeholt habe.

Ich habe, wie gesagt, die in Rede stehenden Blätter nach der alten Ordnung des Codex abdrucken lassen Seite 25-32. Sowie der Leser Fol. c vor Fol. b legt, hat er die Reihenfolge der Gedichte, wie sie jetzt in unseren Handschriften ist er hat denselben Fehler mit dem Librarius des Codex begangen, aus welchem unsere Handschriften geflossen sind. Sehen wir schliesslich, worin der Unterschied dieser Reihenfolge besteht.

Auf carm. 74 Gellius audierat patruum obiurgare solere folgte ursprünglich carm. 80 Quid dicam, Gelli, quare rosea ista labella. Beide Gedichte gehören auch sachlich unmittelbar zusammen, behandeln dasselbe Thema, den patruus irrumatus nicht den Rivalen Catulls, sondern dessen gleichnamigen Oheim, wie wir darthun werden. Die Gedichte an die Rivalen fangen mit carm. 77 an, es sind ihrer sieben, welche unmittelbar neben einander stehen: 77 wider Rufus, 78 wider Gallus, 79 wider Lesbius und daruf folgend die vier Gedichte wider den jüngeren Gellius; ihnen unmittelbar voraus geht das Entsagungsgedicht 76: Si qua recordanti. Ist dies zufällig? Gewiss nicht. Es hat sich oben herausgestellt, dass von den drei Theilen, in welche die sämmtlichen Gedichte Catulls zerfallen (kleinere Gedichte in melischen

Maassen grössere Gedichte kleinere Gedichte in elegischem Metrum), die Gedichte des ersten und zweiten Theiles nach sachlichen Kategorien geordnet sind, und zwar von Catull selber. Im dritten Theile liess sich blos in den ersten Gedichten desselben, von 69-73, eine dem ersten Theile entsprechende Anordnung entdecken. Warum nicht weiterhin? Die Verlegung eines Blattes, welche durch alle unsere Handschriften hindurch geht und hier die alte Ordnung gestört hat, war der Grund davon. Sowie dies Blatt an seinen Platz gelegt und damit die alte Ordnung hergestellt wird, beginnt sofort auch weiterhin von carm. 74 an (unmittelbar nach diesem war das Blatt ausgefallen) die Anordnung nach dem Inhalte sich zu zeigen. Zuerst zwei Schmähgedichte auf den Oheim Gellius (dies ist nicht Catulls Rival) — dann zwei Gedichte unglücklicher Liebe, 81 Nemone in tanto, 82 Quinti si tibi vis: in jenem hat ihm Furius, in diesem Quintius den Gegenstand seiner Liebe entrissen. Es folgen zwei Spottgedichte auf Metellus und Arrius, die sich darin einander gleich stehen, dass die sonst bei Catull so sehr vorwaltende grimmige Bitterkeit des Spottes zurück tritt

dann von 85 bis 92 zwölf Lesbialieder, ohne durch irgend ein dazwischen tretendes Gedicht von heterogenem Inhalte unterbrochen zu sein, darunter jene bereits namhaft gemachten Spottgedichte auf die Nebenbuhler und unter diesen wieder die vier Gedichte auf den Rivalen Gellius in continuirlicher Folge. Die Ordnung, die sich hierdurch ergiebt, kann keine zufällige sein; sie ist ein schöner Beweis dafür, dass wenn einmal wegen der beiden Gedichthälften Nulla potest mulier und nunc est mens deducta umgestellt werden muss (und das ist doch nicht anders möglich) durch die Umstellung des einen Blattes-ohnehin die einfachste von allen, die überhaupt möglich sind die alte Reihenfolge der Gedichte, wie sie ursprünglich in der Handschrift gestanden, wiedergefunden ist.

Fol. a Vorderseite.

Huc addent divi quam plurima, quae Themis olim
Antiquis solita est munera ferre piis,

Sitis felices et tu simul et tua vita

Et domus ipsa, in qua lusimus et domina,
Et qui principio terram nobis dedit aufert,
A quo sunt primo omnia nata bono,

Et longe ante omnes mihi quae me carior ipso est,
Lux mea, qua viva vivere dulce mihi est.

69. Noli admirari, quare tibi femina nulla,
Rufe, velit tenerum supposuisse femur,
Non si illam rarae labefactes munere vestis
Aut perluciduli deliciis lapidis.

Laedit te quaedam mala fabula, qua tibi fertur
Valle sub alarum trux habitare caper.

Hunc metuunt omnes, neque mirum: nam mala valde
Bestia, nec quicum bella puella cubet.

Quare aut crudelem nasorum interfice pestem,
Aut admirari desine cur fugiunt.

70. Nulli

se dicit mulier mea nubere malle Quam mihi, non si se Iuppiter ipse petat. Dicit: sed mulier cupido quod dicit amanti,

In vento et rapida scribere oportet aqua.

71. Si quoi iure bono sacer alarum obstitit hircus, Aut si quem merito tarda podagra secat,

24 Verse 3 leere Zeilen = 27 Zeilen.

Fol. a Rückseite.

Aemulus iste tuus, qui vestrum exercet amorem,
Mirifico est fato nactus utrunque malum.
Nam quotiens futuit, totiens ulciscitur ambos:
Illam affligit odore, ipse perit podagra.

72. Dicebas quondam solum te nosse Catullum,
Lesbia, nec prae me velle tenere lovem.
Dilexi tum te non tantum ut vulgus amicam,
Sed pater ut gnatos diligit et generos.
Nunc te cognovi: quare etsi impensius uror,
Multo mi tamen es vilior et levior.

Qui potis est? inquis. quod amantem iniuria talis
Cogit amare magis, sed bene velle minus.

73. Desine de quoquam quicquam bene velle mereri
Aut aliquem fieri posse putare pium.
Omnia sunt ingrata; nihil fecisse benigne,

Immo etiam taedet, obestque magis

Ut mihi, quem nemo gravius nec acerbius urget,
Quam modo qui me unum atque unicum amicum habuit.

74. Gellius audierat patruum obiurgare solere,
Siquis delicias diceret aut faceret.

Hoc ne ipsi accideret, patrui perdepsuit ipsam
Uxorem et patruum reddidit Harpocratem.
Quod voluit fecit: nam, quamvis inrumet ipsum
Nunc patruum, verbum non faciet patruus.

24 Verse 3 leere Zeilen 27 Zeilen.

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