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Freunde sagen, wie nützlich es sei, in der Liebe auszuplaudern, hinlänglich motivirt.

Also auch jetzt hat sich Catull wieder in ein Liebesverhältniss eingelassen. Der Schauplatz desselben ist Rom, wie wir aus dem Anfange von carm. 55 ersehen. Voran ging die lange dauernde Liebe zu Lesbia, dann nach der Bithynischen Reise die bald abgebrochene Liebe zu Aufilena in Verona, darauf im Anfange unseres Jahres das durch Mamurra gestörte Verhältniss zu Ameana, dann die Liebe zu Juventius, worin er den Furius zum glücklichen Rivalen hatte. Es sind alle diese Verhältnisse für Catull unglücklich ausgelaufen, überall muss er glücklicheren Concurrenten weichen, was er mit Ausnahme seiner Liebe zu Lesbia leicht verschmerzen kann; er schimpft und damit hat er es vergessen. Sehen wir von Lesbia ab, so waren alle diese Neigungen wohl nur sehr oberflächlicher Art; er hatte sich an Lesbia ausgeliebt.

Ipsitilla.

Den Namen des neuen Liebchens nennt er nicht. Da wir bei der Erklärung der Catullischen Gedichte zugleich zum Biographen des Dichters geworden sind, so erheischt es unsere Pflicht, dass wir den Namen zu ermitteln suchen. Lesbia kann es nicht sein, die Veroneserin Aufilena auch nicht, die Veroneserin Ameana auch nicht, Juventius auch nicht. Wir haben alle erotischen Gedichte Catulls bis auf eines erörtert. Dies ist an eine Ipsitilla gerichtet. Es bleibt kaum etwas anderes übrig, als dass es diese Ipsitilla ist, von der er dem Camerius erzählen möchte. Sehr ideal war die Liebe zu ihr gerade nicht; er bittet, sie gleich nach Mittag mit einem Besuche beehren zu dürfen. Für den Fall, dass sie es ihm zusagt, glaubt er noch ausdrücklich die weitere Mahnung hinzufügen zu müssen, dass sie ihm, wenn er komme, nicht die Thür verriegele, und dass sie ferner sich nicht vor seiner Ankunft auf und davon machen möge. Man erkennt deutlich, wessen er sich hier versieht und welcher Art von Liebchen Ipsitilla gewesen sein muss. Sie gehört in die Klasse der Tibullischen Geliebten. Dass die Gunstbezeugung, die er sich bei ihr holen will, auf gleiche Weise wie bei Aufilena erkauft werden musste, ist zwar von Catull nicht gesagt, doch versteht sich dies von selber. Und doch ist das an sie gerichtete

Westphal, Catulls Gedichte.

15

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Meine süsse Ipsitilla, meine liebste, meine beste,

lass mich, bitt' ich, dich besuchen um die Stunde der Sieste, und wenn du's erlaubst, so sorge auch gewissenhaft dafür, dass mir Niemand mit dem Riegel schliesse deines Zimmers Thür; doch verlass nicht deine Wohnung, holdes Liebchen, bleibe da, möchte neunmal dich umarmen,

aber schnell, denn bei dem warmen
Mittagsfieber wird's mir Armen
eng in meiner Tunica.

Der frivole Ton passt ganz zu den vertraulichen Beziehungen, in denen er nach 55, 7-12 zu der demi-monde Roms steht. Die Schattenseiten dieser Vertraulichkeit zeigt ein anderes Gedicht, von dem wir zwar nicht nachweisen können, dass die darin mit so edlen Prädicaten gefeierte Hetäre mit Ipsitilla identisch ist, das aber, seiner Form nach zu urtheilen, sich den Gedichten dieser Zeit anreiht (vergl. unten) und auf Niemand so gut wie gerade auf Ipsitilla passt. Schwer zu begreifen ist es, weshalb neuere Erklärer dabei an Lesbia-Clodia haben denken können.

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Non assis facis? o lutum, lupanar,
aut si perditius potest quid esse.
15 Sed non est tamen hoc satis putandum.
Conclamate iterum altiore voce:
'moecha putida, redde codicillos,
redde, putida moecha, codicillos,'

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Die beiden Verse, welche ich zum vorvorletzten und vorletzten gemacht habe, stehen in den Handschriften hinter v. 15 und lauten hier:

quod si non aliud potest, ruborem
ferreo canis exprimamus ore.

Da würde es nach der bisherigen Interpunction heissen: „Du machst dir nichts daraus, Scheusal? Die einmalige Schmähung ist noch nicht

genug. Wenn nichts anderes es vermag, wollen wir die Schamröthe auf ihrem eisernen Hundsgesicht hervorrufen. Wiederholt die Schimpfrede mit lauterer Stimme." Und dann folgt dieselbe Schimpfrede noch einmal. Wir haben hier quod si der bisherigen Interpunction zufolge mit wenn übersetzt. Man wird sich überzeugen, dass der mit quodsi anfangende Satz den Zusammenhang stört. Es wird das erste Schimpfwort mit lauterer Stimme wiederholt, aber ohne alle Gradation; was soll da jener Zwischensatz, der offenbar eine Verstärkung ankündigt, ja noch mehr, der geradezu den letzten Trumpf ankündigt, der ausgespielt werden soll? Aber dieser Trumpf erfolgt erst am Schlusse. Der Dichter sagt den Handschriften zufolge, dass die Worte, die jetzt kommen sollen, die stärksten sein werden, sie werden zum Ziele führen, si non aliud potest. Und doch kommt nur die lautere Wiederholung der zuerst gebrauchten Worte. Für die an dritter Stelle gebrauchten Worte v. 24 würde jene Ankündigung am Platze sein: hört sie sich moecha putida schelten, dann wird sie nicht roth, aber wenn man sie pudica et proba nennt, da muss sie roth werden. Dazu kommt noch, dass sich jene beiden Verse quod si ... auch grammatisch nicht an das vorausgehende und nachfolgende anschliessen. Und will man das quod in quod si als Relativum fassen, so kommen wir noch viel mehr in die Enge. So habe ich denn die beiden Verse mit Veränderung von quod si in quo si hinter siquid proficere amplius potestis gestellt. Dem amplius entspricht passend si non aliud potest, und die Bedeutung, welche die Worte pudica et proba für die schamlose Dirne haben müssen, wird jetzt energisch hervorgehoben.

Einen Beweis für die Richtigkeit der Umstellung liefert das nunmehr für die Form des Gedichtes sich ergebende Resultat. Das Gedicht besteht nämlich nunmehr aus vier hexastichischen Strophen. Und zwar nicht bloss Strophen, die durch die gemeinsame Anzahl von 6 Versen bestimmt sind, sondern auch dreimal durch den Refrain sich scharf von einander absondern. Gerade der Refrain ist es, der, wenn wir die sonstige Manier Catulls berücksichtigen, auch hier die Annahme einer strophischen Gliederung erfordert.

Dass die putida moecha dieses Gedichtes mit der Hetäre Ipsitilla identisch ist, lässt sich nicht nachweisen. Freilich würde nicht dagegen sprechen, dass er die Ipsitilla vorher als mea dulcis Ipsitilla, meae deliciae, mei amores bezeichnet hat; wir haben es an dem Beispiele der Aufilena gesehen, wie wenig Catull es für angemessen hält,

in solchen Dingen consequent zu sein. Aber jedenfalls hat die Dame, in deren Händen er sein Taschenbuch gelassen, vor der Abfassung dieses Schmähgedichtes zu ihm in einer Beziehung gestanden, welche das Alterthum ohne Scheu als Liebe bezeichnet. So bleibt denn

wohl Niemand als Ipsitilla für unser Gedicht übrig. Der Zeit nach würde das ganz gut passen. Denn gerade in den Gedichten dieses Jahres wendet Catull die früher nicht bei ihm vorkommende strophischisometrische Form an, in carm. 29, carm. 55 und in dem gleichfalls in dies Jahr gehörenden carm. 45, welches die treue Liebe des Septimius und der Acme verherrlicht.

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