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sondern immer nur das Wort mentula zur Bezeichnung einer Persönlichkeit angewandt, auf welche, wie sie hier von Catull dargestellt wird, ganz genau dasselbe passt, was wir sonst von Mamurra, sei es durch Catull selber, sei es durch anderweitige Nachrichten, erfahren, und welche man daher schon längst in ihrer Identität mit Mamurra erkannt hat. Schwierigkeit macht nur dies, wie das Wort mentula hier aufzufassen ist. Dort in dem Mahnrufe an Caesar kann man es immerhin als eine verächtlich-obscöne Appellativ-Bezeichnung fassen, die Catull dem Mamurra mit Recht ertheilen zu können glaubt; in den jetzt vorliegenden vier Gedichten aber, wo immer lediglich der Name mentula gebraucht wird, scheint dieser nur an Stelle eines dem Mamurra etwa in der Weise eines agnomen zukommenden Eigennamens gebraucht zu sein. *) Sollen wir annehmen, dass Mamurra ein solches agnomen von Haus aus ausgeführt habe? Dies ist kaum nöthig. Gab doch das Soldatenleben Gelegenheit genug, um irgend einem bekannten Anführer oder Offizier durch den hier ziemlich schrankenlosen Witz der untergebenen Krieger einen treffenden, wenn auch noch so schimpflichen Beinamen zukommen zu lassen, der sich in fortwährendem Gebrauche erhielt. So mag auch Mamurra zu seinem sicherlich nicht unverdienten Beinamen mentula gekommen sein, der von Catull begierig genug herbeigezogen wird. Eine eigenthümliche Ansicht hierüber hat Jungclaussen aufgestellt. Anfänglich, meint derselbe, hätte Catull den berüchtigten Günstling Caesars unter dessen wirklichem Namen angegriffen; als er aber sich mit dem hierdurch beleidigten Caesar nach Suetons Angabe wieder ausgesöhnt, habe er statt Mamurra in den auf diesen sich beziehenden Spottgedichten den pseudonymen von ihm selber gebildeten Namen mentula gebraucht; es sei diese Verschweigung des wirklichen Namens gleichsam ein Artikel des zwischen Caesar und Catull abgeschlossenen Friedens-Tractates gewesen. Ich kann dieser Vermuthung nicht beistimmen. Musste nicht der Günstling Caesars und mithin dieser selber noch weit mehr gereizt werden, wenn Catull statt Mamurra den so überaus anstössigen Namen mentula gebrauchte? Wir lassen die vier Gedichte in folgender Reihe aufeinander folgen:

*) Dies geht besonders aus dem vorletzten Verse des ersten Gedichtes hervor: Mentula moechatur, moechatur mentula, certe, der dem Vorwurfe einer lästigen Wiederholung wohl nur dann entgehen wird, wenn wir annehmen, dass das Wort mentula hier ein nomen proprium, das eine Mal ein appellativum ist.

1.

93. Nil nimium studeo, Caesar, tibi velle placere,

nec scire utram sis albus an ater homo: Mentula moechatur, moechatur mentula, certe;

hoc est, quod dicunt, ipsa olera olla legit.

Mich kümmert wenig was du denkst, gar wenig, ob ich dir gefalle,

ob hell und licht dein Antlitz strahlt, ob schwarz dich färbt die Zornesgalle.

Denn wahr bleibt wahr: der Phallus geht den Frauen nach, Phallus den Frauen,

wer das nicht weiss, der weiss den Wald vor lauter Bäumen

nicht zu schauen.

2.

115. Mentula habetne instar triginta millia prati, quadraginta arvi? cetera sunt maria.

5

Cur non divitiis Croesum superare potis sit,

uno qui in saltu totmoda possideat,

prata, arva, ingentes silvas latasque paludes

usque ad Hyperboreos et mare ad Oceanum?

omnia magna haec sunt, tamen ipse est maximus ultro,
non homo, sed vero mentula magna minax.

An dreissigtausend Morgen fasst Herrn Phallus' grosser Wiesenplan,

das Feldland vierzigtausend gar und weite Seen reihn sich daran.

Darf Phallus nicht mit Crösus selbst kühn um die Palme streiten, er der in einem Grundbesitz so reich an Herrlichkeiten, an Wiesen, Feldern, weiten Seen und Wäldern ohne gleichen, die zum Hyperboreerland und bis zum Weltmeer reichen? Ja gross ist Alles, und er selbst, er ist der Grösste unter Allen, zwar nicht der grösste Mensch, jedoch der allgewaltigste der

Phallen.

3.

114. Firmamus: saltus non falso Mentula dives

5

fertur qui tot res in se habet egregias,
aucupium, omne genus piscis, prata, arva ferasque.
Nequicquam fructus sumptibus exuperat.
Quare concedo sit dives, dum omnia desint.

Saltum laudemus, dum modo ipse egeat.

Bekräftigen wir's: an Grundbesitz wird Phallus reich mit Recht

genannt,

auf einem Plane sind vereint die schönsten Sachen von der Welt, Wild, Vögel, Fische jeder Art und Wiesenland und Ackerfeld. Doch hilfts ihm nichts, denn den Ertrag verschwendet er mit Unverstand.

Darum sei reich er immerhin, bis endlich Alles er verliert, lasst loben uns das schöne Gut, bis dass der Herr ein Bettler wird.

4.

105. Mentula conatur Pipleum scandere montem, musae furcillis praecipitem eiiciunt.

Herr Phallus klimmt den Musenberg empor beherzt und munter : da greifen die Musen zum Besenstiel und werfen ihn jäh hinunter.

Drittes Capitel.

Aurelius, Furius und Juventius.

In Rom oder Verona (denn wo? ist nicht gesagt) wohnen zwei treue Cameraden, Furius und Aurelius. Der erstere lebt zusammen mit seinem Vater und seiner Stiefmutter (23, 5. 6) in sehr dürftigen Verhältnissen sie haben vortrefflichen Appetit, Zähne um Kieselsteine zu zerbeissen, aber wenig zu essen; die Stiefmutter ist dürr wie Holz, der Sohn bleicher als eine Statue. Als hospes hält sich bei ihm der

:

junge Juventius auf, aus angesehener, wenn auch nicht patricischer Familie (Cic. pro Planc. § 58). Die beiden Cameraden sind verliebt in den Knaben, und dieser lässt schliesslich seinem Gastfreunde, der trotz seiner Armuth und seiner Blässe ein bellus homo, ein liebenswürdiger eleganter Mensch ist, seine Gegenliebe zu Theil werden (carm. 81 und 24).*)

Catull verkehrt mit Furius und Aurelius ohne gerade ihr Freund zu sein; es war ein Umgang etwa wie mit Gellius (carm. 91). Dass er mit ihnen zusammen die Bithynische Reise gemacht, lässt sich aus carm. 11, 1 nicht mit Sicherheit folgern. Was den Dichter in das Haus des Furius zieht, ist eben der anmuthige Juventius, von dem er ohne zu ahnen, dass er Rivalen hat, nicht minder wie diese entzückt ist. Furius verbirgt seine Liebe (vergl. 21, 5), aber Catull tritt. offen damit hervor. Er fällt fast in den Ton seiner frühesten Lesbia-Lieder 5 u. 7 zurück, an denen er gewissermaassen ein Plagiat begeht, wenn er an Juventius schreibt:

48. Mellitos oculos tuos, Iuventi,

siquis me sinat usque basiare,
usque ad milia basiem trecenta,
nec unquam videar satur futurus,

5 non si densior aridis aristis

sit nostrae seges osculationis.

Dem Furius und Aurelius kommt diese Huldigung höchst ungelegen. Dass sie selber Absichten auf Juventius haben und sich eines Concurrenten entledigen wollen, davon schweigen sie; sie legen die Maske der Moralisten an und nennen den Dichter „parum pudicum“, der durch seine unanständigen Verse Knaben verführen wolle. In diesem Zusammenhange haben wir carm. 16 zu fassen, mit welchem Catull jenen Vorwürfen entgegentritt. Er kennt sie besser, den pathicus Aurelius, den cinaedus Furius, und gibt ihnen ohne die verborgen gehaltenen Motive ihres Tadels zu kennen eine derbe Antwort, wie sie sich für die scheinheiligen Tugendheuchler gehört.

*) Dass die in diesen beiden Gedichten bezeichnete Persönlichkeit Furius ist, wird sich unten ergeben.

Liebeserklärung an Juventius und ihre Kritik durch die Freunde.

16. Paedicabo ego vos et irrumabo,

5

10

Aureli pathice et cinaede Furi,
qui me ex versiculis meis putastis,
quod sunt molliculi, parum pudicum.

Nam castum esse decet pium poetam
ipsum, versiculos nihil necesse est,

qui tum denique habent salem ac leporem,
'si sunt molliculi ac parum pudici
et quod pruriat incitare possunt,
non dico pueris, sed his pilosis,
qui duros nequeunt movere lumbos.
Vos, quei milia multa basiorum

legistis, male me marem putatis ?
paedicabo ego vos et irrumabo.

199

Kein Gedicht ist wohl so sehr wie dieses dem Catull zum Vorwurf gemacht worden. Man hat darin eine Art von einem wenn auch scherzhaft ausgesprochenen Glaubensbekenntniss gefunden, welches der Dichter über seine Gedichte im Allgemeinen gegenüber ihren Tadlern ausspricht. Daran ist nicht im mindesten zu denken. So viele obscöne Gedichte auch Catull gemacht hat, man kann doch von seinen Versen niemals sagen: quod pruriat incitare possunt; ein Martial ist er nicht. Das vorliegende Gedicht muss vielmehr im engsten Anschluss an jene dem Juventius gewidmeten Zeilen gefasst werden. Quod milia basiorum legistis bezieht sich nicht etwa auf die basia mille, deinde centum des c. 5, sondern auf die Verse si quis me sinat usque basiare, usque ad milia basiem trecenta u. s. w. des carm. 48: es sind die Verse, die Catull dem jungen Juventius ins Haus des Furius geschickt und die dieser mit Aurelius bei dieser Gelegenheit gelesen hatte (legistis). Dieser Zusammenhang ist einmal schon aus dem ganzen Verhältnisse klar, in welchem Catull zu Furius und Aurelius steht, denn soweit uns dieses durch Catulls Gedichte bekannt ist, bildet hier fast überall Juventius den Mittelpunkt; sodann aber ergibt sich derselbe aus den Worten non dico pueris, sed his pilosis: die Erwähnung der pueri, die noch dazu durch ein dico nachdrücklich hervorgehoben werden, würde völlig unmotivirt sein, wenn wir nicht an eine individuelle Situation denken wollten. Der puer Juventius (vgl. 15, 5; 106, 1) erklärt Alles.

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