Aber nach Catull war auch der Prätor Memmius, dem er selber nach Bithynien gefolgt war und auf den er die gleiche Verwünschung ausdehnt, um nichts besser als Piso. Wir wissen, dass auch er ein Epicuräer war, der sich längst practisch zu dieser Doctrin bekannte, ehe Lucretius ihm die Theorie derselben vorführte - über seinen Umgang mit Epicuräern vergleiche man den ersten der drei Briefe, welche Cicero auf seiner Reise nach Cilicien an ihn geschrieben. Er ist ein Feind des Clodius, Caesars und später auch des Pompejus, auf dessen Seite er Anfangs gestanden, und deshalb Cicero's Freund. Cicero schreibt im J. 58 an seinen Bruder Quintus 1, 2: Praetores habemus amicissimos et acerrimos cives, Domitium, Nigidium, Memmium, Lentulum, bonos etiam alios, sed hos singulares, und hat immer mit ihm in gutem Vernehmen gelebt, aber gelegentlich verräth auch er eine Anecdote aus seinem liederlichen Leben, ad Attic. 1, 18 (Anfang 60, wo Memmius aedilis curulis war): Anni initium eiusmodi fuit ut anniversaria sacra Juventatis non committerentur, nam M. Luculli uxorem Memmius suis sacris initiavit. Menelaus aegre id passus divortium fecit. Quamquam ille pastor Idaeus Menelaum solum contemserat, hic noster Paris tam Menelaum quam Agamemnonem liberum non putavit. Der hier als Agamemnon bezeichnete ist Pompeius; auch gegen dessen Frau hatte Memmius sein Paris-Talent geltend gemacht, wie aus Sueton. de ill. gramm. 14 hervorgeht: Curtius Nicia haesit Cn. Pompeio et C. Memmio, sed cum codicillos Memmii ad Pompeii uxorem de stupro pertulisset, proditus ab ea, Pompeium offendit. Und während Memmius in der donnernden Rede, die er als Prätor im Senat über die Amtsführung des abgetretenen Consuls Caesar hielt (Suet. Jul. 23, 73), das berüchtigte Verhältniss Caesars zu Nicomedes durch namhaft gemachte Augenzeugen constatirte (ib. 49), liess er selber sich, wie Catull erzählt, schon im folgenden Jahre dasselbe Verbrechen gegen Mitglieder seiner Cohorte zu Schulden kommen. Hier müssen wir in der That das irrumare nicht wie sonst bei Catull im figürlichen, sondern im eigentlichen Sinne fassen; „, der Prätor bezahlt damit die Dienste seiner Gefolgschaft", wenn es auch wohl übertrieben ist, dass Catull auf gleiche Weise bezahlt sei. Doch wie dem auch sei, Catull hatte es mit sammt den übrigen Mitgliedern der Cohorte (10, 12, praesertim quibus esset irrumator praetor, non faciens pili cohortem) so schlecht als möglich getroffen, zudem war Bithynien eine arme Provinz, wo nicht einmal der Statthalter sich bereichern konnte, nicht einmal ein paar Senftenträger, die doch vorzugsweise von Bithynien bezogen wurden, hat sich dort Catull zu erwerben vermocht (10, 29). In seinem Rechnungsbuche war die Rubrik „Einnahme" leer geblieben. Was nun die Abfassungszeit der beiden vom Verhältniss des Verannius-Fabullus zu Piso handelnden Gedichte betrifft, so ergibt sich aus der hier gegebenen Erörterung wohl mit Gewissheit, dass Catull dieselben nicht während seines Aufenthaltes in Bithynien, sondern erst nach seiner Ankunft in Italien, als auch Verannius und Fabullus mit ihrem Statthalter Piso aus Macedonien dahin zurückgekehrt waren. Die Abfassungszeit fällt also etwa in den Nachsommer oder Herbst des Jahres 55; wir haben sie schon hier behandeln müssen, weil die dort berührten persönlichen Verhältnisse Catulls der Zeit seines Aufenthaltes in Bithynien angehören. Abschied von Bithynien. Es ist natürlich, dass Catull mit Freuden aus Nicäa der bithynischen Hauptstadt und aus der Gefolgschaft des Memmius scheidet. Mit Beginn des Jahres 56 ist dessen bithynische Proprätur beendet. Sowie der strenge Winter aufhört und die schönen Tage des Frühlings die Reise begünstigen, verlässt Catull die bithynische Hauptstadt und den Kreis seiner Comites, unter denen ihm vor Allen Helvius Cinna sehr befreundet war. Catull will nicht mit ihnen die Rückreise über das schwarze Meer unternehmen, er trennt sich von der übrigen Cohorte, um zu Fuss die berühmten und sehenswürdigen Städte an der Küste Kleinasiens zu durchwandern. Unmittelbar vor seinem Aufbruche sendet er den zurückgelassenen Freunden ein Abschiedsgedicht, in welchem die Frühlings- und Wanderlust und die Voraussicht freudiger Reise-Eindrücke den Unmuth über das unter Memmius erlittene Ungemach zurückdrängt. Die Phrygii campi, die er hier zu verlassen sich anschickt, ist eben die Landschaft Bithynien, welches damals zu Phrygia mojor gerechnet wurde. 46. Iam ver egelidos refert tepores, 10 ad claras Asiae volemus urbes. longe quos simul a domo profectos Schon kehrt zurück die laue Frühlingsluft, und seiner Städte Herrlichkeit zu schauen; unwiderstehlich treibt die Wanderlust, es will vor froher Hast der Fuss nicht länger weilen. Am Grabe des Bruders in Troas. und dort war Aber es waren nicht bloss heitere Reise-Abenteuer, denen Catull auf seiner Wanderschaft durch die Provinz Asia entgegenging, denn in der Landschaft Troas harrte seiner eine gar schmerzliche Pflicht. Dort war vor einem Zeitraume von mehreren Jahren (sicherlich schon vor dem Jahre 59) Catulls geliebter Bruder gestorben auch die Todtenurne mit des Bruders Asche am Vorgebirge Rhoeteum beigesetzt. Wir wissen, wie tief damals Catull diesen harten Schlag betrauert hat, nicht in Gedichten, die wie es Brauch war bei den Römern die Verdienste und Tugenden des Hingeschiedenen erhoben, sondern in ungeschminkten, aller Rhetorik fern stehenden Ergüssen seines Schmerzes, die fast gegen seinen Willen aus seinem Herzen flossen. Nach altrömischem Glauben lebte der Hingeschiedene auch nach seinem Tode noch unter der Zahl der seligen Manen fort, ja er war als solcher ein fast göttliches Wesen und daher auch mit dem Namen Deus oder Divus genannt, aber er wurde unter die Manen nur dann aufgenommen, wenn der Leichnam bei der Verbrennung feierlich consecrirt war. Dazu gehörte, wie die römische Religion es lehrte, die genaue Beobachtung bestimmter Riten, insbesondere Todtenopfer am Grabe verbunden mit solenner Namensanrufung des Verstorbenen. Und diesen heiligen Act hatte Catulls Familie am Grabe des in Troas Verschiedenen nicht darbringen können: so streng sie auch an den Namenstagen und anderen im Laufe des Jahres wiederkehrenden festlichen Zeiten die nach alter Sacral-Satzung gebührenden Spenden beobachtet haben mochte, so hatte doch noch Keiner der Angehörigen das eigentliche Grabesopfer dargebracht. Deshalb auch hat es Catull 68, 97 so schmerzlich beklagt, dass seines Bruders Asche nicht bei den Seinen, sondern fern von ihnen im fremden Lande beigesetzt sei: Quem nunc tam longe non inter nota sepulcra nec prope cognatos, compositum, cineres, sed Troia obscena, Troia infelice sepultum detinet extremo terra aliena solo. Erst jetzt (etwa drei oder vier Jahre später nach Abfassung dieser Verse) hat Catull Gelegenheit zur Grabesstätte des Bruders zu wandern und dort unter Anrufung des Dahingeschiedenen die Todtenspenden darzubringen. Diesen feierlichen Act verewigt ein kleines an den Geist des Dahingeschiedenen gerichtetes Gedicht, welches wir am richtigsten als eine auf den Grabhügel von Catull gesetzte Inschrift auffassen. Obwohl es im Uebrigen leicht verständlich ist, so hat doch v. 7 desselben zu manchen Bedenken Anlass gegeben. Es schwinden dieselben, wenn wir hier den Text nach dem Codex Datanus constituiren, der ja oftmals für Catull den Fingerzeig des Richtigen gibt und auch für den folgenden v. 8 unseres Gedichtes die richtige Lesart munera statt des munere der übrigen Handschriften darbietet. 101. Multas per gentes et multa per aequora vectus 5 quandoquidem fortuna mihi tete abstulit ipsum, accipe fraterno multum manantia fletu, Durch viele Länder, über viele Meere Vergebens muss ich mich zur stummen Asche wenden, denn Bruder, ach, dich selbst hat ewig meinen Händen entrafft des ungerechten Schicksals Macht; und doch sind unterdess noch keine Opferspenden Ankunft auf Sirmio. Catull kehrt abgemattet und müde von seiner Reise auf sein Landgut auf der Halbinsel Sirmio am Gardasee zurück, welches er mit folgendem Gedichte begrüsst: 31. Paeninsularum, Sirmio, insularumque ocelle, quascunque in liquentibus stagnis o quid solutis est beatius curis, 10 desideratoque acquiescimus lecto. Hoc est, quod unum est pro laboribus tantis. |