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nung nicht der verwaltende Gesichtspunkt, denn die beiden Gedichte epischen Maasses, 62 und 64, sind durch das Gedicht galliambischer Form 63 getrennt. Es herrscht hier vielmehr eine sachliche Ordnung. Das im ersten Theile von Catull eingeschlagene Verfahren, bestimmte Cyclen zu bilden und die zu demselben Cyclus gehörenden Gedichte durch heterogene zu durchkreuzen, konnte hier nicht angewandt werden, schon weil die Zahl der hierher gehörenden Gedichte zu gering war. Hier sind kurzweg immer zwei Gedichte, welche im Inhalte sich einander nahe stehen, auch in der Sammlung neben einander gestellt worden, zuerst zwei Hochzeitsgedichte 61, 62 - dann zwei epische Erzählungen 63, 64-an letzter Stelle 68 und 68" zwei längere poetische Episteln, die unter sich im Inhalte so verwandt sind, dass man sie sogar lange Zeit für Theile eines einzigen Gedichtes angesehen hat. Vor ihnen stehen zwei isolirte längere Gedichte, zuerst die Uebersetzung eines Gedichtes von Callimachus 66 mit dem vorausgesetzten kurzen Begleitschreiben 65 an Hortensius: es folgt dasselbe wohl deshalb auf das epithalamium Pelei et Thetidos, weil sich der Dichter in beiden, wenn auch in ungleicher Weise, der Alexandrinischen Poesie anschliesst; sodann das Gedicht 67 an die Janua, welches wie die folgende Epistel 68 in Verona geschrieben ist und wie diese Veronesische Verhältnisse berührt. Das Gemeinsame dieser Gedichte ist, dass es „grössere" Gedichte sind. Blos 65 könnte seiner Ausdehnung nach auch unter den Gedichten des dritten Theiles, mit denen es das Metrum theilt, seine Stelle haben; dass es hier steht, liegt wie gesagt in seinem sachlichen und zeitlichen Zusammenhange mit der darauf folgenden coma Berenices.

Ganz anders verhält es sich mit den Gedichten des dritten Theiles, die man gewöhnlich, doch nicht ganz mit Recht, als Epigramme bezeichnet. Während wir im ersten und zweiten Theile eine sachliche Anordnung fanden, will sich diese im dritten nicht zu erkennen geben. In den ersten vier Gedichten ist sie freilich vorhanden:

69. Noli admirari quare tibi femina nulla

70. Nulli se dicit mulier mea nubere malle

71. Si quoi iure viro sacer alarum obstitit hircus

72. Dicebas quondam solum te nosse Catullun.

Das erste und dritte ist gegen den Rivalen Cälius Rufus und dessen hircus alarum gerichtet, das zweite und vierte klagt über Lesbia, die

früher gelobte, selbst den Jupiter dem Catull nicht vorziehen zu wollen und ihm nun doch untreu geworden ist: also zwei Gedichte gleichen Inhalts sind durch zwei andere Gedichte, die wieder unter sich gleichen Inhalt haben, nach dem im ersten Theil sich zeigenden Princip durchkreuzt. Dann aber hört die Ordnung auf, bis sie späterhin in den vier neben einander stehenden Gedichten auf Gallius 88-91 und sonst noch einige Mal in der Nebeneinanderstellung zweier verwandter Gedichte, in derselben Weise etwa wie im zweiten Theile wieder hervortritt. Sollen wir annehmen, dass Catull sich nicht die Mühe gegeben hat, die Gedichte zu ordnen, oder waren sie früher geordnet, sind aber durch irgend eine Veranlassung aus ihrer alten Ordnung gekommen?

Wir wissen, dass in der That in diesem dritten Theile die alte Folge der Gedichte gestört worden ist, dass früher in den Handschriften die Reihenfolge eine andere war. Lachmann hat es nachgewiesen. Wir müssen bei diesem Thema etwas länger verweilen. Es finden sich nämlich in unseren Handschriften zwei ziemlich weit von einander getrennte Gedichte, ein jedes von zwei Distichen:

87. Nulla potest mulier tantum se dicere amatam
75. Huc est mens deducta tua, mea Lesbia, culpa

welche, wie zuerst Scaliger erkannt hat, nur die Theile eines einzigen Gedichtes sind. Dabei hat Scaliger Huc (carm. 75) in Nunc verwandelt. Wenn er sich für das letztere auf den cod. Cuiacianus beruft, in welchem nicht Huc, sondern Nunc stehe, so will das freilich nicht viel besagen, denn der cod. Cuiacianus wird mit Unrecht von Scaliger für eine vorzügliche Handschrift gehalten, er ist im Gegentheil eine der schlechtesten und interpolirtesten von allen. Von den mir zu Gebote stehenden Handschriften hat der cod. Puteanus ,,Nunc" statt „Huc", aber auch dieser ist nicht viel werth. Dennoch aber liegt die Veränderung von Huc in Nunc so nahe, dass man nicht das Mindeste dagegen einwenden kann, und es darf als abgemacht gelten, dass jene Verse zu Einem Gedichte vereinigt werden müssen. Ein Bedenken bot blos der Umstand, dass die zu Einem Gedichte gehörenden Hälften in unseren Handschriften soweit auseinander stehen. Es kommen gar manche Umstellungen in den Catullschen Gedichten vor, aber es stehen dann die von einander getrennten Theile stets nahe zusammen, etwa auf derselben Seite nach oder der nächst folgenden, nie aber sind sie

wie hier mehrere Seiten von einander fern. Daher sagt Sillig von jener Umstellung Scaligers: Omnes editores mirum in modum propterea eum laudarunt et quis unquam negabit, ingeniose illud factum fuisse? Sed propter codicum consensum omnia ita reposui, ut ante Scaligerum fuerunt, praesertim quum nullus unquam nobis demonstraturus sit, quomodo fieri potuerit, ut haec epigrammata in omnibus. codd. tam longe a se disiungerentur et sine varietate in eo ipso loco ponerentur, ubi nunc sunt.

Nun, Lachmann hat eine völlig befriedigende Erklärung dafür gegeben, wie es möglich war, dass die beiden Hälften des Gedichtes so weit aus einander versprengt werden konnten. Der Librarius der Handschrift, aus welcher die uns erhaltenen Codices stammen, ist es, der den Fehler begangen hat. In dem ihm vorliegenden Exemplare, aus welchem er die Gedichte abschrieb, bildeten jene vier Distichen noch Ein Gedicht, aber so, dass die zwei ersten Distichen Nulla potest am Ende einer Seite standen, die beiden letzten Nunc est mens am Anfange der folgenden. Wir wollen diese beiden Seiten vorläufig mit Lachmann pag. 69 und 70 des alten Codex nennen, und erst weiter unten darauf eingehen, weshalb und mit welchem Recht er sie so bezeichnet hat:

pag. 69 schliesst unten:

Nulla potest mulier tantum se dicere amatam
vere quantum a me Lesbia amata mea es,
nulla fides nullo fuit unquam in foedere tanta,
quanta in amore tuo ex parte reperta mea est.

pag. 70 fängt an oben:

nunc est mens deducta tua, mea Lesbia, culpa
atque ita se officio perdidit ipsa suo,

ut iam nec bene velle queat tibi, si optima fias,
nec desistere amare omnia si facias.

Der Abschreiber beging bei seiner Arbeit den Fehler, nachdem er pag. 68 abgeschrieben, die folgende (mit Nulla potest endende) Seite 69 zu übersehen, schrieb vielmehr erst die hierauf folgende (mit nunc est mens anfangende) Seite 70 ab und hat dann erst weiterhin die vergessene Seite 69 abgeschrieben, so dass nunmehr in der von ihm ge

fertigten Abschrift die beiden letzten Distichen nunc est mens ziemlich weit vor den beiden ersten Distichen Nulla potest stehen.

Die Verszahl von Anfang carm. 75 bis Ende carm. 87 beläuft sich auf 98, carm. 75 bildete wie gesagt den Anfang, carm. 87 das Ende einer Seite. Diese 98 Verse müssen combinirt Lachmann weiter eine bestimmte Anzahl von Seiten des Codex völlig ausgefüllt haben. Wollen wir annehmen, dass sie 2 Seiten des alten Codex angefüllt hätten, je 49 Verse auf der Seite, so würde das ein Codex sein, dessen einzelne Seiten ungewöhnlich viel Verse enthalten hätten. Deshalb nimmt Lachmann an, es hätten jene 98 Verse drei Seiten des alten Codex ausgefüllt, und zwar in folgender Weise:

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Die pagina-Zahl zur linken Hand der Gedichte bezeichnet die Lachmannsche Annahme, die pagina-Zahl zur rechten Hand bezeichnet eine etwas modificirte Annahme Bergks, auf die wir weiter unten einzugehen haben. Nach Lachmann also war die Seitenordnung des Originals folgende:

pag. 67 (Vorderseite),

pag. 68 (Rückseite),

pag. 69 (Vorderseite) endet: Nulla potest,

pag. 70 (Rückseite) beginnt: nunc es mens deducta.

Der Librarius hat sie in folgender Ordnung abgeschrieben: pag. 67 (Vorderseite),

darauf schreibt er mit Ueberschlagung von pag. 68 und 69 zuerst ab pag. 70 (Rückseite) beginnt: nunc est mens deducta,

dann die beiden überschlagenen

pag. 68 (Rückseite) und

pag. 69 (Vorderseite)

und geht darauf weiter zu pag. 71.

In jener von ihm vorausgesetzten Reihenfolge des alten Originals hat Lachmann diese Gedichte in seiner Ausgabe abdrucken lassen. pag. 70 enthält 30 Verse, pag. 68 enthält 36, pag. 69 enthält 32 Verse. Nichts desto weniger, sagt Lachmann, war in dem alten Codex die Verszahl oder vielmehr die Zeilenzahl einer jeden Seite dieselbe: eine jede enthielt 30 Zeilen wie pag. 70; von den 34 Versen der pag. 68 standen 4 am Rande, und ebenso standen von den 32 Versen der pag. 69 zwei am Rande. Dies motivirt er auf folgende Weise:

Auf pag. 69 haben die Distichen des carm. 84 folgende Reihenfolge:

84. Chommoda dicebat, si quando commoda vellet

dicere et insidias Arrius hinsidias.

credo, sic mater, sic Liber avunculus eius,
sic maternus avus dixerat atque avia.
Hoe misso in Syriam requierant omnibus aures,
audibant eadem haec leniter et leviter,
nec sibi postilla metuebant talia verba
cum subito affertur nuntius horribilis,

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