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Wir wissen nunmehr, dass Catull nicht blos dem Neffen, sondern auch dem Oheim Gellius feindlich gesinnt ist, den letztern verspottet er carm. 74 damit, dass er ruhig seine Frau durch den Neffen verführen, ja dass er sich ruhig als naudinά von ihm gebrauchen liesse und in carm. 80 führt er den zweiten dieser Vorwürfe noch weiter aus. Wir besitzen noch ein drittes an einen Gellius gerichtetes Gedicht

116. Saepe tibi studioso animo venante requirens carmina uti possem mittere Battiadae,

5

qui te lenirem nobis, neu conarere

telis infestum mittere in usque caput,

hunc video mihi nunc frustra sumptum esse laborem,
Gelli, nec nostras hic valuisse preces.

Contra nos tela ista tua evitamus amictu:

at fixus nostris tu dabi supplicium.

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Catull kündet auch hier eine Fehde an: Gellius soll durch die scharfen Pfeile seiner Spottgedichte tief verwundet werden. Der Grund dafür aber ist ein ganz anderer als der, wo er dem jungen Gellius, seinem Rivalen, die Feindschaft ansagt (c. 91). „Ich habe vielfach versucht" so sagt Catull dich zu versöhnen, ich habe dir eine Uebersetzung des Callimachus dediciren wollen, damit du aufhörest, mich mit verletzenden Schmähgedichten zu überschütten (denn die tela in v. 4 u. 7 müssen ebenso verstanden werden, wie die nostra tela in v. 8). Aber ich sehe" fährt Catull fort dass alle meine Arbeit umsonst ist, und so will ich denn auch meinerseits mit Schmähgedichten zum offenen Kampfe wider dich heraustreten." Dies ist ein Defensivkrieg, kein Offensivkrieg, wie gegen den Rivalen Gellius es ist kein Zweifel, dass wir es hier mit einer ganz anderen Situation und einer ganz anderen Persönlichkeit als in den Gedichten 88-91 zu thun haben.

Catull erklärt, dass er den Gellius, der ihn angegriffen habe, durch Schmähgedichte verfolgen wolle. Wo sind diese Schmähgedichte? Finden wir in unserer Sammlung zwei Gedichte wider einen Gellius, der nicht der Rivale Catulls, sondern dessen Oheim ist, so sind wir genöthigt, in diesen Gedichten jene tela zu sehen, die er gegen den Gellius des 116. Gedichtes schleudern will. Mithin ist der Gellius des 116.. Ge

dichtes kein anderer als Gellius der Oheim, und das Gedicht geht selber chronologisch dem 74. und 80. voraus.

Wir kennen auch diesen Oheim Gellius genauer. Es ist der eifrige Clodianer Gellius Poplicola, in welchem bereits Drumann (3, 67) den Bruder des Gellius, Consul vom Jahre 72, also den Oheim von Catulls Rivalen Gellius erkannt hat. Von diesem seinem Bruder wurde er früh getrennt, die Mutter verheirathete sich mit Philippus und in dessen Hause wurde er zusammen mit seinem Stiefbruder L. Philippus erzogen. Er war des Bruders wie des Stiefbruders gleich unwürdig und fast ebenso nichtswürdig wie sein Neffe, der nach 89, 3 und 80, 3. 4 zu schliessen mit ihm in demselben Hause wohnte. Cicero, der auch in Vatin. § 4 (nutricula seditionum omnium), de haruspicum responsis § 59, ad Attic. 4, 3 gegen ihn als einen der wildesten Clodianer in sehr erbitterter Weise loszieht, entwirft pro Sestio § 110 von ihm folgende Schilderung: „In seinen früheren Jahren war er ausschweifend und lasterhaft. Später strebte er nach dem Ruhme eines gebildeten Griechen und eines der Muse ergebenen Mannes, sein väterliches Erbe wollte er nicht wie der Laie sein Vermögen verwenden, sondern es sollte nach dem Systeme der Philosophen durchgebracht werden. So warf er sich plötzlich der Wissenschaft und literärischen Beschäftigung in die Arme, schrieb Lustspiele wie Atta, aber seine Werke brachten ihm nichts ein; erst wurden die Sklaven, die er zum Vorlesen hielt, dann seine Bibliothek dem Weinwirth verpfändet. Sein Hab und Gut verliess ihn, nur der unersättliche Bauch blieb ihm treu. Daher trachtete er immer nach Revolutionen: wenn Ruhe und Ordnung herrschte, dann wurde er zusehends alt und schwach. Haben wir denn irgend einen Aufruhr gehabt, wo er nicht an der Spitze stand? Gab es je einen Aufwiegler, dem er nicht zugethan war? Ist es je in einer Volksversammlung tumultuarisch zugegangen, ohne dass er hier nicht die Menge aufgeregt hat? Hat er je einem Menschen etwas Gutes nachgesagt? O nein, wo ist vielmehr ein wackerer und braver Bürger, den er nicht in der schmutzigsten Weise geschmäht hat? Auch die Freigelassene, die jetzt seine Frau ist, hat er nicht aus Liebe und ihrer sinnlichen Reize wegen genommen, sondern um wie es sein Name sagt, als Poplicola, als Freund und Genosse der Plebs und des Gesindels zu erscheinen."

Die Stelle Cicero's giebt zu unseren drei Gedichten einen fast vollständigen Commentar.

Catull schreibt an Gellius 116: Saepe tibi requirens carmina uti possem mittere Battiadae qui te lenirem nobis. Cicero sagt von Gellius Graeculum se atque otiosum putari voluit, studio litterarum se dedidit; wir wissen von ihm, dass er anagnostae und libelli hatte.

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war,

Catull sagt ferner: „Neu conarere telis infestum mittere in usque nos tela ista tua evitamus amictu", was wir wie gesagt von caput; Schmähgedichten zu verstehen haben, welche Gellius gegen Catull zu schreiben gedroht hatte und dem letzten Verse zufolge auch wirklich geschrieben hat. Aus Cicero wissen wir, dass Gellius nicht blos Freund der griechischen Literatur, sondern auch Dichter er hatte Komödien geschrieben, nihil sane Attae iuvabant. Die Schmähgedichte des Gellius waren allerdings zu fürchten, denn boshaft genug müssen sie nach Cicero gewesen sein: Cui bene dixit unquam bono? bene dixit? immo quem fortem et bonum civem non petulantissime est insectatus? Gemeines und schmutziges Schmähen war ihm zur anderen Natur geworden.

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Weiter heisst es carm. 74 von Gellius dem Oheim: „obiurgare solere siquis delicias diceret aut faceret". Gellius Poplicola hatte in früheren Jahren ein nichts weniger als ascetisches Leben geführt, er war ein impurus adolescens et petulans gewesen", dann aber strebte er nach dem Ruhme eines Philosophen, eines Weltweisen, der über das Treiben der idiotae hinaus sei; höhnend bemerkt Cicero sogar: rem paternam ab idiotarum divitiis ad philosophorum regulam perduxit. --Aber es war mit dieser sittenrichterlichen Strenge des philosophirenden Gellius nicht weit her, er verfiel in die sinnliche Lust der früheren Jahre zurück, oder wurde ihr nie ganz untreu: Anagnostae, libelli etiam pro vino oppignorabantur, manebat insaturabile abdomen. Sein Neffe kannte ihn, er wusste es, was es mit des Oheims Moralität, mit seinem Keifen gegen das Treiben der Jugend, von welchem Andere erzählten (audierat obiurgare solere), auf sich habe, und bewies dies durch ein eclatantes Beispiel. Nicht nur war der Oheim still, als der Neffe ihm die Frau verführte, sondern er liess es sich auch gefallen, dass der Neffe ihn selber noch ärger missbrauchte er diente der Lust wie ehemals als impurus adolescens.

Die uxor patrui ist, wie Cicero sagt, eine libertina: non libidinis causa, sed ut poplicola videretur, libertinam duxit uxorem. Weil er sich aus seiner Frau ganz und gar nichts machte, konnte er um so

leichter der patruus bonus sein (89, 3), quem non sinit esse maritum (88, 3), und um so eher als Harpokrates der Sache ruhig mit zusehen.

An Gallus.

78. Gallus habet fratres, quorum est lepidissima coniunx alterius, lepidus filius alterius.

10

Gallus homo est bellus: nam dulces iungit amores,
cum puero ut bello bella puella cubet.

5 Gallus homo est stultus nec se videt esse maritum,
qui patruus patrui monstret adulterium.

Sed nunc id doleo, quod purae pura puellae

savia conminxit spurca saliva tua.

Verum id non impune feres: nam te omnia saecla
noscent, et qui sis fama loquetur anus.

Gallus hat der Brüder zweie; von den beiden hat der eine einen feinen Sohn, der andre eine Frau auch eine feine. Gallus ist galant: er einte eng zusammen süsse Liebe, dass dem Neffen nicht der Tante holder Reiz verborgen bliebe. Gallus ist ein Dummkopf: denkt nicht, dass er selbst ein Weib gefreit hat,

der ins Heiligthum des Oheims seinen Neffen eingeweiht hat. Und jetzt müssen noch den reinen Mund der heissgeliebten, hehren

hohen Frau die schmutzgen Küsse deines Mundes frech entehren! Doch der Frechheit folgt die Strafe, denn von dir und deinen Sünden

wird nunmehr für alle Zeiten noch die spätste Fama künden.

Von den zwei letzten Disticha, die in den Handschriften die angegebene Stelle haben, glaubt Statius, dass sie nicht hierher gehören, und Scaliger hat sie dann dem vorausgehenden Gedichte 77, worin Catull seinem Rivalen Caelius die Feindschaft ansagt, als Schluss hinzugefügt. Die meisten Herausgeber sind ihm gefolgt und so schliesst in den

neueren Ausgaben das Gedicht mit dem dritten Distichon ab, das Gedicht an Caelius aber lautet:

Rufe mihi frustra ac nequicquam credite amico
(frustra? immo magno cum pretio atque malo)
siccine subrepsti mei atque intestina perurens
sic misero eripuisti omnia nostra bona!
eripuisti heu heu nostrae crudele venenum
vitae heu heu nostrae pestis amicitiae.
Sed nunc id doleo, quod purae pura puellae
savia conminxit spurca saliva tua.

Verum id non impune feres, nam omnia saecla
noscent, et qui sis fama loquetur anus.

Aber Scaliger hat mit dieser Conjectur sicherlich weniger Glück gehabt als mit der S. 13 besprochenen, wo er carm. 77 u. 78 der Handschriften mit einander verbunden hat. Bergk (Rh. Mus. 15. S. 507) sagt: „Jenes Gedicht an Caelius Rufus, wie es in den Handschriften überliefert wird (aus 3 Distichen bestehend) ist durchaus in sich abgeschlossen, Alles, was der Dichter einem treulosen Freunde vorwerfen konnte, ist in wenig Worten zusammengefasst, jeder neue Zusatz kann nur die Wirkung schwächen; am wenigsten passt zu der leidenschaftlichen Erregtheit dieses Gedichtes der Tadel, den jene Verse Sed nunc id doleo aussprechen." Ich theile diese Ansicht ganz und gar, ja ich gestehe, dass es mir schwer wird einzusehen, wie man dazu kommen konnte, den beiden Distichen jenen Platz am Ende des gegen Caelius gerichteten Gedichtes zu geben, wo sie so unpassend wie möglich sind. Denn in den drei Distichen dieses Gedichtes, auf welche es nach den Handschriften beschränkt ist, hat Catull seine schmerzliche Klage, dass Rufus ihm die Lesbia entrissen, völlig klar und zugleich in sehr leidenschaftlicher Weise ausgesprochen, namentlich in den Worten: intestina perurens sic misero eripuisti omnia nostra bona! Der Zusatz intestina perurens zeigt ganz bestimmt, dass ,,omnia nostra bona" Lesbia ist. Kommt nun noch mit Sed nunc id doleo ein fernerer Zusatz hinzu, so kann dieser nur dann Sinn haben, wenn der Dichter noch ein weiteres Motiv beibringt, noch irgend eine Thatsache anführt, der zufolge sein Schmerz noch ganz besonders gross ist, so gross, dass das früher Gesagte davor

Westphal, Catulls Gedichte.

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