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des

ATBEY OF

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allgemeinen katholischen Kirchenrechts.

Mit steter genauer Berücksichtigung der Besonderheiten in
Oesterreich, Preussen, Bayern, der oberrheinischen Kirchenprovinz,
Sachsen, Hannover und Oldenburg.

Von

DR. Joh. Friedrich Schulte,

ordentlichem Professor des Kirchenrechts und der deutschen Reichs- und Rechtsgeschichte an der Karl-
Ferdinands-Universität zu Prag.

Giessen, 1856.

Verlag der Ferber'schen Universitätsbuchhandlung.

(Emil Roth.)

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Druck von C. W. Leske in Darmstadt.

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Die nachfolgenden Worte sind hauptsächlich dazu bestimmt, Zweck,

Plan und Ausarbeitung darzulegen.

Bei dem Studium des kanonischen Rechtes leitete mich stets der ernstliche Wille, die Wissenschaft desselben, soweit es in meinen Kräften stehe, weiterzuführen. Trotz aller Anerkennung der Leistungen vieler um das kanonische Recht verdienter Männer fühlte ich mich von Anfang an, anstatt angezogen, vielmehr zurückgestossen durch die Art der Behandlung, deren Fehler ein wiederholtes Nachdenken und Prüfen in greller Weise offenbarte. Es ist die Wissenschaft des Kirchenrechtes hinter der des römischen und des deutschen unbedingt zurückgeblieben; diese Wahrnehmung ist geeignet, bei dem grossen Aufschwunge der Rechtswissenschaft in unserem Jahrhundert, den Gedanken zu erzeugen, der Grund liege entweder darin, dass das Kirchenrecht juristisch uninteressant und trocken, oder der gleichen Bildungsfähigkeit ermangele. Erwog ich jedoch, wie unser Recht das Produkt einer achtzehnhundertjährigen stetigen Entwickelung sei, zum grossen Theile und in den wichtigsten Materien in einer Zeit (bis auf Constantin) entwickelt, wo die Macht eines Weltreiches in fortwährendem Kampfe gegen die Kirche anstürmte, alle Kräfte des Fanatismus und der Tyrannei gegen sie aufgeboten wurden; dass ungeachtet der grössten, mit den weltlichen Waffen unterstützten Neuerungen der kirchliche Rechtsbau desto kräftiger hervorgetreten seie; dass dieses Recht nicht blos Völker umgeschaffen, Staaten gebildet habe, sondern heute noch das innere und äussere Rechstsleben der Kirche in den Ländern der verschiedensten Kultur und Rechtsverfassung, der mannigfaltigsten politischen Institutionen leite: so musste sich nothwendig die Ueberzeugung festsetzen, der Rechtsbau der Kirche müsse ein organischer, einheitlicher, im Grunde auf allgemeinen ewig wahren Principien beruhend, in der äusseren Entfaltung sich an die verschiedenen Verhältnisse anschmiegender sein, dessen einzelne Sätze und Institute müssten einen Charakter angenommen haben, welcher sie befähige, auf dem verschiedensten Boden im Wesentlichen gleiche Resultate zu erzielen, das Recht der Kirche könne somit an Bildungsfähigkeit keinem anderen nachstehen, vielmehr jedes andere übertreffen, der letzte Grund jener traurigen Erscheinung könne also nicht in dem Rechtsstoffe, sondern in der Art seiner Behandlung liegen. Diese Ueberzeugung wurde zur Gewissheit, sobald ich den Blick richtete auf die Entwickelung des Rechtslebens der christlichen besonders der germanischen Völker, namentlich, was mir zunächst lag, des deutschen Volkes. 156

Aber das blosse Erkennen der Mängel genügte nicht; es bedurfte auch der Heilmittel und des Willens, dieselben anzuwenden, der Kraft und Befähigung, dies zu können. Ob ich den Grund des Uebels eingesehen, die richtigen Heilmittel besitze und anzuwenden versucht habe, bleibt dem Urtheile der Sachverständigen überlassen; dass ich mit redlichem, unverdrossenem Willen und festem Entschlusse an's Werk gegangen bin, keine Mühe und Arbeit gescheut, jede Stunde, welche eine angestrengte Berufsthätigkeit freiliess, meinem Ziele gewidmet habe, das kann und darf ich offen versichern. Ob, insoweit dies bereits möglich ist, das vorgesteckte Ziel erreicht wurde, muss das Werk selbst, auf welche Art ich es erreichen zu können glaube, soll die folgende Ausführung lehren.

Bei der Pflege des Kirchenrechtes wird allgemein zu wenig Rücksicht genommen auf die Ausbildung der Rechtswissenschaft überhaupt; man ignorirt die gänzlich neuen Begriffe und Konstruktionen, welche für ganze Gebiete von Rechtssätzen und Instituten zu Tage gefördert sind, hält sich an die traditionellen Lehren [so z. B. im Gewohnheitsrechte redet man nicht blos von einer Verjährung der Gewohnheit, sondern noch weit mehr in buntem Durcheinander von expressus und tacitus legislatoris consensus u. dgl. ohne alles Eingehen auf den Grund und Kern dieser Anschauung; in Betreff der Publikation der Gesetze, der Art und Weise ihrer Verbindlichkeit; im Eherechte; in den einzelnen Theilen des öffentlichen Rechtes, wo man, anstatt juristisch zu verfahren, apologetisirt, dogmatisirt und katechesirt] und schafft so ein Recht, dem nur das Nothwendigste fehlt, die juristische Durchbildung. Auf solche Art ist eine Richtung entstanden, welche blos den Wortlaut des Gesetzes kennt, in rein exegetischer und paraphrasirender Weise sich ergeht, begründet und konstruirt zu haben glaubt, wenn aus ihrem Repertorium in bunter Mischung analoge Citate gemacht, Sätze der Dogmatik und der Moral zusammengetragen und daran einzelne Aussprüche, Sätze und Folgerungen gereiht werden. Formell haben in neuerer Zeit Viele diese Richtung verlassen, halten indessen materiell daran fest, indem sie nichts bieten, als eine Zusammenstellung zum und mit deutschem Texte anstatt des lateinischen der Quellen. Als nothwendige Folge ergibt sich hier, anstatt juristischer Konstruktion, Entwickelung der Rechtsverhältnisse, Scheidung dessen, was nur einem einzelnen zukommt, von dem, was einer Gattung von Rechtsverhältnissen angemessen ist, Ableitung der Rechtssätze aus diesen und Gestaltung der letzteren zu Rechtsinstituten, zu Körpern, in denen das Recht als der äusseren Form sich bewegt, eine Sammlung von blossen Fällen, eine Casuistik, die nicht den Rechtssatz, das entscheidende Prinzip lehrt, sondern nur angibt, was für einen Fall entschieden oder von einem Gesetze festgestellt sei. Den Grundfehler dieser Richtung darin erblickend: dass man nur das praktische Bedürfniss im Auge hatte und glaubte, durch eine Entwickelung der Rechtsvorschriften und ihrer Anwendung auf einzelne Verhältnisse habe man Kenner des Kirchenrechtes gemacht, den Theologen befähigt, die heterogenen wie homogenen Fälle zu entscheiden, ging, angeregt durch das Studium des römischen und deutschen Rechtes, aus einem gleichen inneren Grunde, obwohl unbewusst1), eine andere darauf hinaus, das Recht rein geschichtlich zu

1) Dieser liegt meines Erachtens in Folgendem: Das deutsche und römische Privatrecht, seitdem beide als solche allmählig von 1794 bis 1811 im grössten Theile Deutschlands ihre Geltung verloren hatten, konnten nur dadurch eine erneuertere und bei Weitem intensivere erlangen, dass man die bisherige lediglich auf die Praxis sich einschränkende und abzweckende Methode verlies und zu zeigen versuchte: was diese Rechte vermögen, welches ihr Organimus ist, welche Institute und Sätze allgemein wahre sind und deshalb An

entwickeln. Die meisten Werke dieser Gattung fassen Alles zusammen, Abgestorbenes und Lebendes, durch blosse Zeitverhältnisse Getragenes oder von inneren Gründen Bedingtes, und liefern so eine Fülle rechtsgeschichtlichen Materials. Hierbei aber wird nur das Eine übersehen, dass nämlich das Leben ein Anderes verlangt, dass blosses Aufspeichern historischer Erörterungen nicht genügt, dass die historische Darstellung als solche (denn die kann auch ein blosser Historiker, Philolog u. s. f. liefern) durchaus nicht Aufgabe der Jurisprudenz ist, geschweige denn etwa ein grosses Verdienst bildet, sondern dass die historische Entwickelung nur dazu diene, den Grundgedanken eines Institutes u. s. f. aufzufinden, ihn genetisch in seinen verschiedenen Phasen zu verfolgen, unter den vielerlei Verhältnissen sich entwickeln zu lassen bis auf unsere Zeit, um so zu zeigen, wie das geltende Recht sich gebildet, warum es so und nicht anders sich entwickelt habe; hieraus geht dann hervor, welches das Wesentliche eines Institutes sei und inwiefern dasselbe unter den jetzigen Verhältnissen noch Lebenskraft habe oder nicht, m. a. W. ob es sich mit denselben entwickelt habe oder nur äusserlich gegen dieselben, im Widerspruche mit ihnen, erhalten habe. Dies aber lässt sich erst durch Anwendung der eigentlichsten Thätigkeit des Juristen, durch Construktion der Rechtsverhältnisse und Rechtssätze erkennen, indem nur auf diese Art der Begriff und das Wesen der einzelnen Rechtsganzen aufgesucht, das Allgemeine von dem Individuellen, das Bleibende von dem Flüchtigen geschieden werden kann. Betrachtet man aber jene Werke näher, so hat in ihnen bald die Geschichte nur den Zweck, zu zeigen, dass ein Rechtssatz sich so und nicht anders entwickelt habe, bald füllt sie nur einen herkömmlichen Platz aus, bald endlich bildet sie den Rahmen zu dem stark aufgetragenen Gemälde der früheren Schönheit der Kirche, vor welchem die Wirklichkeit verbleichen soll. Man entwickelt die Rechtssätze, soviel oder sowenig Raum dieselben eben einnehmen, unbekümmert darum, ob ein Rechtsinstitut u. s. f. als Quelle und Grund vieler dasteht, somit im Rechtssysteme und Leben bedeutender hervortritt, oder ob seine Bedeutung nur untergeordnet ist. So widmet man z. B. dem Patronatrechte 3 bis 4 Seiten, ebensoviel und noch mehr dem für die Dogmatik des Rechts ganz unnützen Kapitel über Anfänge der Kirche u. dgl.; den wichtigsten Fragen des Güterrechtes einige Seiten, der Lehre von den Sakramenten, die als solche im Rechte nichts zu thun haben, Bogen. Dadurch sind einige nur historische Thatsachen gebende Werke zwar als Beispielssammlungen ganz brauchbar, für das Leben aber unbrauchbar, und führen die Wissenschaft um keinen Schritt weiter. Zu diesen Fehlern gesellt sich der noch bei Weitem grössere, dass eine ziemlich allgemeine Unklarheit darüber herrscht, was Kirchenrecht sei, mit welchem Stoffe die Jurisprudenz es hier zu thun habe. Offenbar verstehen die Einen unter Kirchenrecht den Inbegriff dessen, was zufolge dogmatischer Grundlage oder historischer Bildung irgendwie zu dem Leben der Kirche gehört; die Anderen halten das Kirchenrecht für das Aggregat dessen, was einem Geistlichen als solchem zu wissen nützlich und nothwendig sei ausser den Disciplinen, welche man unter besonderen Namen der Theologie zu überweisen pflegt. Jene rechnen dahin nicht blos den wirklichen Rechtsstoff, sondern noch ganz andere Dinge. Einige Beispiele werden

erkennung finden müssen, wie also die Legislation der Zukunft sich darauf stützen solle. Ein solcher durch die Verhältnisse nothwendig gesetzter Zweck wird stets seine Beförderer finden. Und auch das kanonische Recht hatte anscheinend durch die Umstürzung der Kirchenverfassung, der Territorial legislation u. s. f. seine nächste praktische Bedeutung verloDem ist nun seitdem freilich anders geworden.

ren,

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