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logien der verwandten sprachen in gröszerer fülle und sicherheit zu gebote stehen, dasz — und das eben von hrn. Jolly in höchst anerkennenswerter weise der wunderbare weiterbau auf dem alten grunde mit liebe und psychologischem geschick bis auf seine spitze verfolgt wird. Bopp hat zuerst erkannt, dasz der infinitivus casus eines nomens sei; er aber, der vollauf zu thun hatte mit der enthüllung der alten und ursprünglichen formen auf einem so umfassenden und so reichen gebiete, hat auch nach seinen neuen entdeckungen seine erkenntnis nicht selbst weiter benutzt, um dem wesen der erst allmählich sich entwickelnden infinitiv kategorie nachzugehen; wir möchten sagen, er hatte auch noch nicht den sinn für die syntaktische weiterentwicklung, in welcher schlieszlich das vergessen der form ein so wichtiger factor ist. die im engern sinne historische syntax (JGrimm) achtete umgekehrt nicht auf die quelle des infinitivus und vermochte darum bei allem reichtum des von ihr gesammelten stoffes, bei aller feinheit der beobachtung nicht die organische entfaltung desselben darzulegen, und an demselben grundfehler litt die frühere psychologische forschung (WvHumboldt). der so fortgeschrittenen vergleichenden sprachforschung, von welcher eine der gediegensten proben hier vorliegt, wird man demnach, ohne unrecht zu begehen, nicht mehr vorwerfen dürfen dasz sie für die syntax unfruchtbar sei.

Ueber den ersten hauptabschnitt treten wir nicht näher ein. von unserer kenntnis der alten grammatik aus scheint er uns, mit feiner berücksichtigung der charaktere der auf diesem felde arbeitenden nationalitäten klar durchgeführt, manche irrige ansicht zu berichtigen und lücken zu ergänzen. in ersterer beziehung machen wir nur auf das über die namen άларéμçатос, infinitivus gesagte aufmerksam. mit der richtigen deutung des namens ist natürlich auch der jeweilen herschende begriff erkannt und bestimmt. dasz, sollen wir mit der alten grammatik brechen, deren geschichtliche entwicklung auf jedem einzelnen puncte vorliegen musz, ist vernünftiger weise selbstverständlich, und auch darin hat dieser erste abschnitt für die folgenden partien des buches eine grosze bedeutung.

Schon oben haben wir darauf hingewiesen, worin die neueste vergleichende grammatik, worin namentlich hr. Jolly über deren anfänge, über die im engern sinne historische und die frühere psychologische grammatik hinausgelangt ist. der zweite abschnitt führt das in höchst instructiver und durch lebendige beispiele befruchteter weise aus. mancher leser, der über diese sache minder gedacht hat, wird fast überrascht werden, wenn er wahrnimt, wie selbst ein so eminenter forscher wie JGrimm von der alten grammatik beeinfluszt deutsche formen misversteht, weil lateinische wie ein alp auf ihm lasten. eine beschränkte vergleichung, zumal wenn sie unter dem einflusse der schulüberlieferung steht, führt, wie wir das ja ganz besonders bei der auffassung des lateinischen sehen, welches immer noch in viel zu enge verbindung mit dem griechischen ge

setzt wird, so leicht auf falsche fährte und beraubt uns der freude die einem begabten volke eigentümliche entwicklung zu belauschen. von diesem gesichtspuncte aus verwirft der vf. mit recht die in neuerer zeit einmal beliebt gewordene parallelgrammatik. dasz aber damit, dasz ein bedeutender fortschritt der grammatik angesprochen wird, die übrigens unschätzbaren verdienste eines Bopp, JGrimm und WvHumboldt, die ja alle in ihrer art grundlegend waren, nicht geziemend gewürdigt würden, wird hoffentlich den jüngern forschern niemand vorwerfen: wissen diese doch wol, dasz ihre gröszere unbefangenheit ohne die riesenmäszige arbeit und den genialen blick jener männer und anderer ihnen unmöglich sein würde.

Im dritten abschnitt macht hr. Jolly den versuch einer entwicklungsgeschichte der infinitivbildung im indogermanischen und geht zunächst auf die ersten anfänge des infinitivus in der grundsprache der indogermanischen dialekte zurück und bespricht näher zeit und modalität seiner entstehung. wir möchten nur wünschen, dasz die consequenz und klarheit der darstellung, welche, wie wir schon bemerkt haben, blosz da und dort durch druckfehler getrübt ist, auch solche leser gewinne und bei einer sorgfältigen und anhaltenden lectüre festhalte, welche des Vedadialektes, des sanskrits, der idiome des Avesta und der persischen keilinschriften, des slavischen, altgermanischen und des keltischen nicht kundig sind: denn wirklich nur durch berücksichtigung und erwägung möglichst umfassender analogien läszt sich das ursprüngliche wesen oder die lautere quelle des infinitivus, lassen sich die reichen sonderentwicklungen, wie sie zumal im griechischen, lateinischen und germanischen hervortreten, vollständig erkennen. in der chronologischen bestimmung des infinitivus geht der vf. in den hauptpuncten mit den wolerwogenen sätzen von GCurtius (chronologie) einig, welcher nur ansätze zum wirklichen infinitivus schon in der indogermanischen ursprache findet, und er begründet das durch eine genauere vergleichung der infinitivbildungen oder infinitivartigen formen der indogermanischen hauptdialekte, wobei er nur das germanische zunächst auszer betracht läszt. hier schon müssen zum teil charakter und casus der infinitivformen in berücksichtigung fallen; hier schon musz der unterschied zb. zwischen den lateinischen sog. supina auf -tum, tu und dem sanskritischen inf. auf -tum hervorgehoben werden. rücksichtlich des suffixes skr. -dhyai, gr. -c0aι, -0αi bestreitet der vf. die herkunft seines dh, -- aus der verbalwurzel dha, e und sieht auch hier durchaus pronominale bildung. vergleichsweise deutet er darauf hin, wie es ja heute auch aufgegeben sei das comparativsuffix -tara der verbalwurzel tar überschreiten' zuzuweisen. mit diesem vergleich ist eine principienfrage der indogermanischen wortbildungslehre berührt, welche allerdings hier abzuthun nicht am platze gewesen wäre. unsers bedünkens ändert es, ob man sich im gegenwärtigen falle dahin oder dorthin entscheide, nichts an dem von J. gefundenen satze. verstehen wir unsern vf.,

so weicht seine ansicht von derjenigen Kuhns (zs. f. vergl. sprachf. XV s. 307) darin ab, dasz er das skr. dhyāi als für sich bestehend faszt, das vor -0a im griechischen erscheinende c übrigens auch der wurzel as zuspricht, aber als ursprünglich temporal nimt. da wäre es doch sehr erwünscht gewesen eine begründung des demonstrativen dh, zu erhalten: das lakonische -CTαι hat kaum irgend welche beweiskraft. ist übrigens, was auch wir annehmen, das griechische -coat, -eat identisch mit skr. dhyai, einer der ältesten infinitiv formungen, so ist das fast unversehrte herübernehmen des alten dativus jedenfalls sehr bemerkenswert und legt doch wol einiges gewicht in die wagschale derjenigen, welche auch in den suffixen -μeval, -eval nicht locative sondern dative sehen, wenn auch der locativus, wie wir sehr wol wissen, dem infinitivus zu grunde liegen kann. so viel ist sicher, es stellen sich als ansätze für den künftigen infinitivus drei zur erstarrung sich neigende und geeignete casus heraus, verhältnismäszig selten der allgemeine accusativus, der locativus und der dativus. es musten schon in der vorperiode nomina agentis und actionis geschieden sein, es musten und dafür haben wir der beweise genug mindestens mit gewissen suffixen gebildete nomina actionis verbalrection haben. zur entstehung einer infinitiv kategorie war es notwendig, dasz allmählich mit gewissen suffixen von jedem verbum ein nomen actionis gebildet werden könne. zur verflechtung mit der conjugation trug es mächtig bei, wenn in einer sprache auch tempusstämme die infinitiv form annahmen oder verschiedene suffixe selbst auf die genera verteilt wurden. bei der einzelbehandlung der sanskritischen (welchen namen ich hier überall in weiterem sinne fasse) infinitive kommt der vf., da er diese gewis einzig richtig nach den casus, nicht nach den suffixen einteilt, auf die casustheorie, und wir werden ihm dankbar dafür sein, dasz er hier die älteren und neuesten ansichten über entstehung und wesen der casussysteme in ihrer organischen entwicklung aufgeführt hat. er nimt selbst mit Curtius zunächst eine alte und eine neue schicht von casus an, und wer wollte leugnen dasz nominativus und accusativus einen besondern charakter an sich tragen, dasz der ausdruck des persönlich angeschauten subjects und eines allgemeinen objects die ersten schöpfungen des indogermanischen geistes auf diesem gebiete sind? während aber nominativ und accusativ zugleich entsprungen sind, finde sich in der zweiten schicht ein nacheinander, so dasz sich zunächst der genitiv, dann dativ, locativ, ablativ, instrumentalis oder besser sociativus entwickelt hätten. darauf weise der bedeutungsumfang der einzelnen casus. den localismus im crassen sinne der früheren verwirft natürlich auch hr. Jolly, berührt sich aber in der annahme einer localen grundanschauung mit Lange. dasz der von den Römern und uns unglücklich genetivus genannte casus auch seiner form nach attributivus sei, hat unsers wissens zuerst AHöfer, nicht MMüller ausgesprochen. wie nahe sich dativus und locativus berühren, beweisen form und Vedagebrauch; wie umfassend der

genitiv von anfang an gewesen sein musz, wird uns klar, wenn wir nach und nach den ablativus, ja in vielen volksdialekten auch den dativus mit ihm zusammen rinnen sehen. mit groszem geschick werden dann die vedischen sog. infinitive gesichtet und schlieszlich der satz gefunden, dasz in dieser periode höchstens der dativus auf -dhyai und der locativus auf -sani anspruch darauf machen können infinitive zu sein. s. 131 anm. ist des griechischen doûvai gedacht und die zusammenstellung desselben mit ved. dāvanē um zu geben' gutgeheiszen. für die annahme einer erweiterten wurzel dof konnte füglich das altlateinische du in du-im, umbrisch tu (tuv) angeführt werden. von den übrigen einzelbesprechungen heben wir die über die germanischen infinitive hervor, wo wir aber der von Jolly und Lexer aufgestellten meinung, der gotische infinitiv auf -an sei aus einem dativus auf -anya entstanden, gerade aus gründen des gotischen auslautgesetzes nicht beitreten können, während Scherers darstellung von diesem gesetze ungefährdet bleibt. und warum sollte nicht, als sich mehr und mehr ein substantivierter infinitivus geltend machte, im deutschen und lateinischen ein weiter formiertes verbalsubstantivum dafür verwendet worden sein? über die lautliche entstehung der formen auf annes usw. sind wir natürlich mit dem vf. einverstanden, da wir dieselbe längst mündlich und schriftlich ebenso dargestellt haben. knüpfen wir hier gleich das lateinische sog. gerundium und gerundivum an, so wird es auch uns immer wahrscheinlicher, dasz dieselben, wie zuerst Curtius aufgestellt hat, in ihrer bildung mit dem deutschen -annes usw. zusammenfallen, also aus -anya hervorgegangen seien. lautlich spricht dafür die umbrische und oskische form, deren nn, n nicht als aus nd hervorgegangen erwiesen werden kann, wenn auch anderseits für das lateinische kein von allen forschern anerkanntes beispiel für nd gleich nj vorliegt. den vorschlägen für die schulmäszige behandlung des infinitivus, wie sie am ende dieses abschnittes stehen, wünschen wir herzlich geneigtes gehör. das besonnene maszhalten eines jungen gelehrten, welcher mit liebender begeisterung einem neuen ziele zusteuert, ist gewis aller anerkennung wert.

In überzeugender weise wird der accusativus in dem acc. c. inf. als ursprünglich von einem verbum abhängiges object, der infinitivus als eigentlich epexegetisch erklärt und dann im einzelnen nachgewiesen, wie allmählich auch hier durch das vergessen des ursprungs eine selbständigkeit dieser construction eintrat, und nicht minder klar ist die entwicklung des dativus c. inf. dargelegt.

Wir gehen nicht blosz über die beilage hinweg, wir haben von vielem, vielem schönen und interessanten des buches nicht gesprochen, wie von der hübschen auffassung des infinitivs im inf. historicus, in der aufforderung, im unwilligen ausruf udgl., wir haben auch nicht alle unsere zweifel an einzelnem dargelegt, weil das unendlich wichtigere ganze uns innig erfreut hat.

ZÜRICH.

HEINRICH SCHWEIZER-SIDLER.

2.

GRIECHISCHE SCHULGRAMMATIK VON DR. GEORG CURTIUS, ORd. PROFESSOR DER CLASSISCHEN PHILOLOGIE AN DER UNIV. LEIPZIG. ZEHNTE, UNTER MITWIRKUNG VON DR. BERNHARD GERTH, OBERLEHRER AM NICOLAIGYMN. IN LEIPZIG, ERWEITERTE UND VERBESSERTE AUFLAGE. Prag, 1873, verlag von F. Tempsky. XII u. 392 s. gr. 8.

Die Curtiussche schulgrammatik tritt das einundzwanzigste jahr ihres bestehens mit einer zehnten auflage an. was also sonst der zweck einer recension zu sein pflegt, einen fremdling in die litterarische welt einzuführen, das trifft hier nicht zu; wir haben es mit einem altbewährten bekannten zu thun, der nach mehrjähriger pause sich wieder uns vorstellt, in dieser und jener hinsicht vielleicht verändert, im wesentlichen und ganzen aber derselbe wie früher. indes, um bei dem bilde zu bleiben, begegnen wir jetzt nicht dem rühmlichst bekannten verfasser allein, sondern zugleich einem mitarbeiter desselben, der, wie die vorrede besagt, die syntax der schulgrammatik genau durchgesehen und, unter steter rücksprache mit dem vf., teils erweitert, teils geradezu umgearbeitet hat. also diese neue bearbeitung der syntax wird es sein, mit welcher die nachfolgende recension sich zu beschäftigen hat, während die besprechung einiger puncte der formenlehre von einem collegen des unterz. übernommen worden ist (s. die zweite abteilung dieser jahrb. s. 44 ff.).

wenn

Ref. erinnert sich noch gern der zeit, wo hr. Gerth bei ihm an dem griechischen unterricht in den oberen gymnasialclassen teil nahm, und so hatte er allen anlasz sich zu freuen, als er beim durchlesen der neuen auflage fand, wie mancher gesichtspunct, den er damals zur beurteilung einiger syntaktischen verhältnisse gegeben hatte, mancher wink zur vereinfachung dieser oder jener gruppe schwieriger regeln, manche an sich vielleicht unbedeutende einzelheit, wie sie das praktische bedürfnis des unterrichts ergab, hrn. Gerth unvergessen geblieben und für ihn bei abfassung seiner regeln, die übrigens durchaus auf eigenen studien und eigenem urteil beruhen, nebenbei von einigem nutzen gewesen ist. schon hierdurch, wie ich ja gar nicht in abrede stellen mag, meine beurteilung als nicht ganz parteilos nach der seite des wolwollens hin erscheinen dürfte, so kommt noch hinzu dasz wir beide auch nach jener zeit fortdauernd in freundschaftlichem verkehr gestanden haben. also kann ich den lesern dieser zeitschrift, die vielleicht auch den nachfolgenden zeilen eine freundliche beachtung schenken werden, die fernere aufgabe kaum ersparen, dasz sie das von mir angeführte selbst nachprüfen und meine beurteilung controlieren. wie auch dann das endurteil ausfallen möge, ich werde vollkommen zufrieden damit sein, die aufmerksamkeit auf die treffliche bearbeitung gelenkt zu haben.

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