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denn wer überhaupt irgend eine interpolation im Horatius zugibt, wird, wie längst geschehen, gerade hier den pferdefusz erkennen. man sehe die bemerkungen SHeynemanns in der sorgfältigen arbeit 'de interpolationibus in Horatii carminibus certa ratione diiudicandis' (Bonn 1871) s. 29 f.

Ohne anstosz wird ferner taeter gelesen sat. I 4, 60 ff.
non ut si solvas 'postquam discordia taetra

belli ferratos postes portasque refregit,

invenias etiam disiecti membra poetae.

denn hier liegt ja ein vers des Ennius vor, dem stil der satire wird der epische stil gegenübergestellt, und taeter wie ferratus dienen gerade als belege für diesen: man sehe s. 293 meines Lucilius. desto weniger ist es glaublich dasz Horatius selbst in den satiren ohne besondere veranlassung taeter gebraucht haben sollte. dasselbe steht in der vulgata sat. I 3, 107 ff.

nam fuit ante Helenam cunnus taeterrima belli
causa, sed ignotis perierunt mortibus illi,

quos Venerem incertam rapientes more ferarum
viribus editior caedebat ut in grege taurus;

und ebd. I 2, 33 ff.

nam simul ac venas inflavit taetra libido,

huc iuvenes aequumst descendere, non alienas
permolere uxores.

huc dh. in fornicem. an der ersten stelle nun gibt der Monacensis des Porphyrio, ein höchst beachtenswerter zeuge, deterrima. ebenso findet sich deterrima in dem fünften Monacensis bei Kirchner, sowie von erster hand in dem ersten (beide aus dem zwölften jh.) und in der ersten hs. d'Orvilles (aus dem zehnten jh.). was aber besonders wichtig ist, auch der Blandinius antiquissimus bot aller wahrscheinlichkeit nach dieselbe lesart. Cruquius, der im text deterrima gibt, bemerkt zwar nichts über seine hss., aber deterrima steht im Gothanus secundus, der bekanntlich gerade für die satiren die engste verwandtschaft mit dem Blandinius antiquissimus zeigt. für den der die zeugnisse nicht zählt sondern wägt ergibt sich nach dem gesagten leicht, dasz deterrima an unserer stelle mindestens ebenso gut bezeugt ist wie taeterrima.

Hinsichtlich des zweiten beispiels für taeter hat Cruquius gleichfalls nichts aus seinen hss. vermeldet. dagegen bietet eine sehr beachtenswerte variante der älteste codex des Horatius, der erste Bernensis, der, obwol keineswegs unfehlbar, vielmehr manche starke versehen enthaltend, doch für die kritik des Horatius noch nicht genügend verwertet ist. dieser also hat von erster hand tecta statt taetra, von zweiter (wenn die von Holder benutzte collation genau gemacht ist) taeta (vermutlich taetra).

Fassen wir nun den sinn beider vorliegenden stellen genauer ins auge, so ergibt sich für die erste ganz von selbst dasz deterrima mindestens ebenso gut ist wie taeterrima; später werden wir sehen Jahrbücher für class. philol. 1874 hft. 1.

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dasz es vielmehr besser ist. ebenso passt an der zweiten vortrefflich tecta, wenngleich es, um dies zu erkennen, etwas gröszerer aufmerksamkeit bedarf. Horatius sagt, oder läszt vielmehr den alten Cato sagen, wenn einmal in den jünglingen der geschlechtstrieb sich unwiderstehlich rege, so sollten sie in einen fornix gehen, aber nicht ehebruch treiben. was will hierbei tecta? es bezeichnet (= occulta) eben das dunkle, unbewuste gefühl, das um die besagte zeit, aufgeweckt von jenem triebe, den ganzen körper durchläuft und einen ausweg sucht. tecta steht also im gegensatz zu descendere. es bedarf hier nur dieser andeutung; das übrige wird jedem, der sich dafür näher interessiert, um mit Serenus Sammonicus zu sprechen, magni quartus memorare Lucreti, nemlich am schlusse. so wie Horatius jenen geheimen drang als tecta libido bezeichnet, sagt Lucretius IV 1057 von derselben erscheinung: namque voluptatem praesagit muta cupido. überhaupt ist es durchaus notwendig die verse von 1037 bis 1057 zur vergleichung unserer stelle heranzuziehen.

So viel zur vertheidigung der neu eingeführten lesarten; es läszt sich aber auch leicht nachweisen, dasz taeterrima und taetra der anschauung des Horatius wenig entsprechen. Horatius sieht bekanntlich an sich in dem von der natur eingepflanzten geschlechtstriebe und in einer befriedigung desselben ohne ehebruch oder ähnliche extravaganzen durchaus nichts 'scheuszliches'. der schlusz der zweiten satire des ersten buches und andere stellen, wie zb. I 4, 113 f. beweisen dies unwidersprechlich. sonach ist taetra libido nicht seinen sonstigen anschauungen entsprechend, und ebenso wenig lag ein grund für ihn vor, die rohe befriedigung des naturtriebes, wie sie nach seiner darstellung bestand, ehe gesetz und cultur die heiligkeit des ehestandes begründeten, als taeterrima belli causa zu bezeichnen. vortrefflich dagegen entspricht seinen sonst bewährten anschauungen deterrima.

Die lesarten taetra libido und taeterrima belli causa danken einzig den mönchen des mittelalters ihre entstehung, die bekanntlich in den werken der alten classiker, zumal in den schulbüchern, wie die während jener epoche mehr als die oden verbreiteten satiren es waren, die schilderungen von obscenitäten zu beseitigen oder doch den lehren der christlichen moral thunlichst anzupassen beflissen

waren.

So ist denn aus der eleganten ausgabe des Horatius, die gegenwärtig gedruckt wird, das adjectivum taeter mit ausnahme der stelle aus Ennius verschwunden. es steht zu hoffen, dasz die unbefangenen kritiker, die freilich im Horatius selten sind, diesem beispiel folgen werden. LUCIAN MÜLLER.

ST. PETERSBUrg.

13.

POLITISCHE UND SITTLICHE IDEALE IM NEUEN REICHE DES AUGUSTUS.

So feierlich beginnt Horatius das erste lied des dritten buches, so vielverheiszend leitet er die sechs groszen staatsoden mit den worten ein: 'alles schweige! jeder neige sein ohr den nie vernommenen liedern, welche ich, der Musen priester, jünglingen und jungfrauen singe.' aber mit diesen früher nie vernommenen liedern stimmen recht schlecht die sehr gewöhnlichen gedanken, welche man in diesen gedichten meistens entdeckt hat. genügsamkeit, mannestugend, festigkeit im guten, milde weisheit, vaterlandsliebe und gottesfurcht, das sind gewis lauter wahrhaft schöne dinge, aber nicht eben neu. ich glaube, manche erklärer haben über dem buchstaben den geist, über der moralischen phrase die edle sittliche that des dichters vergessen, die mutige antwort auf die brennenden fragen seiner zeit.

Politische macht kann niemals frei und glücklich machen. die fürsten und gewaltigen der erde sind ja einem gewaltigeren, dem Gigantensieger Jupiter unterworfen, und dem republicaner, was hilft es ihm, wenn er seinen angesehenen reichtum oder seinen alten adel, seinen wolberufenen lebenswandel oder seine grosze clientel in der politischen rennbahn um das amt rennen läszt? wird er durch das glänzende amt etwa weniger abhängig vom schicksal als der in unbekannter stille lebende? freilich, die politische macht gewährt ja auch die fülle des sinnengenusses; aber über dem schwelgenden tyrannen hängt das schwert des Damokles, die hohe stellung verscheucht so oft den seelenfrieden, der gerade in der niedrigkeit und abgeschiedenheit so gerne weilt. doch wie die politische macht, so machen auch reichtum und genusz für sich allein kein menschenherz glücklich. gerade der genügsame ist ganz von selber, von vorn herein gesichert gegen eine menge äuszerlicher sorgen, der blasierte genuszmensch aber kann mit den raffiniertesten kunstmitteln sich die sorgen nicht abwehren, sich einen schmerz nicht lindern: darum, wozu einen palast sich bauen im modischen stile, warum das stilleben auf bescheidenem landgut vertauschen mit einer mühseligen schaustellung von macht und reichtum in der hauptstadt?'

Es musz sich, beiläufig gesagt, durch sich selber empfehlen, wenn ich die worte von Jupiters herschaft über die fürsten eng verbinde mit dem folgenden gedanken von der nichtigkeit republicanischer ehren - wenn ich in jenen ersten worten also nicht das thema zu einer verherlichung Jupiters finden kann, von welcher im ganzen liede sonst auch nicht eine klare silbe verlautet. auch meine ich: wenn wirklich logik und ordnung an stelle des chaos herschen sollen, so ist die drohende spitze des Damoklesschwertes

noch gegen das haupt eines politisch gewaltigen, eines fürstlichen oder republicanischen tyrannen gerichtet, es ist noch nicht von den fürsten des bloszen besitzes und genusses die rede. diese kommen ja, mit ihren groszartigen anstrengungen die leere ihres innern auszufüllen und vor dem alleinsein zu entfliehen, erst weiter unten an die reihe.

Es ist somit nicht blosz die alte weisheit vom glücke der genügsamkeit, es ist ein neues lied und ein kräftiges lied gegen den herkömmlichen politischen und gesellschaftlichen sport der römischen republik, ein lied von der wilden jagd des republicanischen staatsmannes nach ämtern und prunkvollen würden, von der mühseligen jagd des republicanischen philisters nach raffinierten genüssen. gerade das leben in der hauptstadt Rom war damals ein wilder strudel, in den sich von überallher alles hineinstürzte, was irgend bedeuten, gewinnen, genieszen wollte.' in der monarchie hofft der sänger nicht blosz den weltfrieden, sondern auch, für künftige geschlechter wenigstens, den seelenfrieden zu finden.

Die beiden hauptgedanken dieses ersten gedichtes von der nichtigkeit der politischen macht und des sinnengenusses, wie sie logisch geschlossen und gleich bedeutsam sich gegenüber stehen, so bilden sie auch in der form einen scharfen und symmetrischen gegensatz. jeder hauptgedanke umfaszt fünf strophen, von der zweiten bis zur sechsten und von der siebenten bis zur elften strophe. jeder dieser hauptteile zerfällt wieder in zwei strophengruppen: es wird die abhängigkeit der politisch ehrgeizigen vom schicksal in drei, ihre ruhelosigkeit mit dem gegensatz politischen stillebens in zwei strophen geschildert; chiastisch dazu gestellt steht die ruhe des bescheiden genieszenden in zwei, die abhängigkeit des genuszsüchtigen von sorge und schmerz wieder in drei strophen gegenüber. eingerahmt werden nun diese beiden symmetrischen gruppen von je einer strophe zu anfang und zu ende. zwar hängt grammatisch die letzte strophe enger mit der vorletzten zusammen: 'wenn nun den schmerz kein sinnengenusz zu stillen vermag, wozu einen palast sich bauen? wozu die mühselige ambition in der hauptstadt?' aber logisch bildet die letzte strophe den schlusz für das ganze, die vorletzte strophe dagegen den abschlusz und zugleich eine erweiterung des zweiten hauptgedankens: 'nicht blosz den dunkeln sorgen entrinnt der genuszmensch nicht, auch den schmerz kann er nicht lindern; nicht allein die beschäftigung seines geistes mit colossalen anlagen oder die zerstreuung seines gemütes auf reisen vermag ihn nicht zu retten, sondern auch, was auge oder gaumen sättigen kann, läszt ihn den schmerz nicht vergessen.' also wenn die anfangsworte verheiszen haben, dasz nie vernommene lieder jetzt sollen vernommen werden, so ruft zum schlusz der sänger den zeitgenossen zu:

das

vgl. Friedländers darstellungen aus der sittengeschichte Roms I 18 ff. 206 ff. 211 f. 222 ff. 325. II 166 ua.

'eure höchsten güter, politische ehre und materieller lebensgenusz, sie sind beide eitel.'

So das erste lied. das zweite, so viel ist klar, schlieszt sich eng daran. dort hat der dichter ein stilleben fern von dem genuszund ehrsüchtigen leben der hauptstadt gepriesen; hier zeigt er, wie mindestens das neu heranwachsende geschlecht, dem ja seine lieder gewidmet sind, es lernen soll die nervenerregungen des bisherigen höheren lebens zu entbehren und in bescheidener stellung zu leben. nicht das selbstgefühl des besitzes, sondern gerade der entbehrungsfähigkeit die aufregung nicht von seinen mitbürgern und nebenbuhlern, sondern vom reichsfeinde gefürchtet zu sein der erbebende gedanke nicht den staat für sich und die eigene macht, sondern das eigne dasein für das vaterland aufzuopfern kurz, die wahre kriegerehre soll das ideal sein einer neuen, kerngesunden jugend. die allgemeine wehrpflicht ist ja längst vergessen.

So weit, bis nach der vierten strophe des zweiten gedichtes, können wir den weg der erklärung nicht verfehlen: es ist derselbe weg den wir schon im vorigen gedichte eingeschlagen haben. jetzt aber laufen die fährten auseinander. der eine sagt, im folgenden wolle der dichter das ideal eines vollkommenen bürgers abschildern, und zu diesem bilde habe ihm Cato von Utica gesessen (EWunder in diesen jahrb. 1869 s. 136 ff.). oder man sieht in der virtus, wie sie Horatius hier preist, das wesen der wahren weisheit und erkennt in dem bilde die züge Laelius des weisen (JJeep ebd. 1872 s. 140 ff.). diese erklärungen freilich lassen alle beide im ganzen gedichte reichlich von dem matten, lauen wasser gewöhnlicher moral mit unterlaufen, und dann flieszt dieses wasser hier nicht einmal logisch klar; beide erklärer rühren mit textveränderungen den unsichern grund auf. es soll nemlich der gedanke hergestellt werden: selbst die widerwärtigkeiten des staatsdienstes können die ehre und unabhängigkeit des vollkommenen bürgers oder des weisen nicht berühren, seiner tugend den glanz nicht rauben. also werden die worte virtus repulsae nescia sordidae intaminatis fulget honoribus

einfach geändert, indem Jeep statt des überlieferten intaminatis vielmehr contaminatis, Wunder inominatis schreibt: dh. die tugend des weisen oder wahren bürgers glänzt auch in einem befleckten, von unsaubern händen angetasteten amte, oder in einem amte das unter schlimmen vorzeichen, mislichen umständen übernommen ist. also der process, aus welchem dieser gedanke hervorgeht, ist folgender: man hat das richtige, aber unklare bedürfnis bei den merkwürdigen worten über die virtus an ein bestimmtes motiv zu denken; der eine hört nun anklänge an Cicerostellen über Cato, der andere mit demselben rechte anklänge an Cicerostellen über Laelius, jeder horcht dem fernen klange weiter nach, er hört allmählich eine ganze melodie heraus sie stimmt blosz nicht mehr recht mit der

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