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75.

THE PERSONal life of GEORGE GROTE. COMPILED FROM FAMILY DOCUMENTS, PRIVATE MEMORANDA, AND ORIGINAL LETTERS TO AND FROM VARIOUS FRIENDS. BY MRS. GROTE. London, John Murray. 1873. gr. 8.

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'Es ist ein gegenstand tiefer betrübnis für uns alle, dasz Sie sich von dem etablissement in Threadneedle Street zurückgezogen haben, eine firma mit welcher Sie so lange und so hingebend verbunden waren. die grosze güte und liebenswürdigkeit, welche Sie uns jederzeit erwiesen, hat auf unsere herzen einen eindruck gemacht, dessen erinnerung nur mit unserm leben aufhören wird. dasz Sie selbst nebst frau Grote in Ihrer zurückgezogenheit lange alles glück genieszen mögen, welches diese welt zu gewähren vermag, ist der aufrichtige wunsch von uns allen, und mit diesen gesinnungen der hochachtung zeichnen wir -.' so schrieb das comptoirpersonal an Georg Grote, den ruhmvollen verfasser des zwölfbändigen, vielmehr mit einschlusz der bücher über Platon und Aristoteles siebenzehnbändigen epoche machenden werkes der geschichte Griechenlands. dies war im j. 1843. es hatte aber Georg Grote, geboren 1794, dem banquierhause Prescott, Grote & comp. (gegründet von seinem aus Bremen nach London gekommenen groszvater) angehört zwei und dreiszig jabre lang, von seinem sechzehnten jahre an, und zwar nicht blosz in der firma, sondern als regelmäsziger arbeiter und seit 1830, da sein vater starb, als mitthätiger leiter des geschäfts. und stets hat er für einen intelligenten finanzier, dessen urteil zb. parlamentarische commissionen über die bankfrage herbeizogen, wie für einen vorzüglichen praktischen banquier gegolten, dessen masznahmen auch in schwierigen zeiten dem geschäfte heilsam sich erwiesen. also mit seinem sechzehnten jahre war er in die arbeit des geschäfts eingetreten, nachdem er bis dahin in einer niedern und dann in einer höhern schule unterricht genossen. und dennoch bereits zwei jahre nachdem er (49 jahre alt), wie oben berührt, aus dem geschäfte, sich zurückgezogen, giengen die ersten beiden bände seines werkes in druck, denen dann in den nächsten zehn jahren ununterbrochen die übrigen zehn folgten, während dazwischen auch noch die revisionen der nötig gewordenen neuen auflagen früherer bände besorgt wurden. und dabei war während der dreisziger jahre auch seine parlamentarische thätigkeit gefallen und seit 1827 eine thätige teilnahme für die stiftung und verwaltung der Londoner universität.

* [auch in deutscher bearbeitung erschienen unter dem titel: George Grote. sein leben und wirken aus familienpapieren, tagebüchern und originalbriefen zusammengestellt von Harriet Grote. autorisierte deutsche übersetzung von Leopold Seligmann. mit porträt in stahlstich und facsimile. Leipzig, F. A. Brockhaus. 1874. XXV u. 411 s. gr. 8.]

Jahrbücher für class. philol. 1874 hft. 5 u. 6.

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Wir haben es eben mit einem auszerordentlichen manne zu thun und zugleich mit einem ungewöhnlichen menschen. freilich, wer ein so auszerordentliches buch schreiben konnte, dasz der ein auszerordentlicher mann sein muste verstand sich von selbst. aber auch dasz er ein liebenswürdiger mensch war, konnte man aus dem buche ersehen und erfühlen. diese milde des urteils auch bei entgegengesetzten ansichten, diese unparteiische anerkennung ohne allen unterschied der schule oder des standes oder des lebensalters eines jeden, von dem etwas zu lernen und zu entnehmen war, sagen wir auch der nationalität, eingedenk seiner hohen schätzung und anerkennung deutscher arbeiten und vorarbeiten der durchgehende sinn, nein das herz für menschenfreiheit und menschenbildung das machte durchaus den eindruck eines liebenswürdigen, menschenfreundlichen gemütes. und ref. hat allerdings damals sogleich aus dem buche auch den menschen liebgewonnen. was vielleicht gar nicht schulgerecht ist. es ist diese freundlichkeit und menschenfreundlichkeit, welche, wie wir oben lasen, die herren aus dem comptoir erfahren hatten, und von welcher auch die hier mitgeteilten briefe und tagebücher überall zeugnis ablegen. die schätzung der geistigen begabung und der wissenschaftlichen leistungen kann nach diesen uns nun gewordenen mitteilungen über die verhältnisse nicht anders als steigen.

Wollen wir danach den mann aus einflüssen erklären, so wird uns das schwer, und wir sehen uns doch vorzugsweise auf eine starke, auch durch hemmende elemente nicht zu unterdrückende naturanlage hingewiesen, einer gründlichen natur, einer nach kenntnissen und zwar nach rationellen, kenntnissen, dh. erkenntnissen strebenden natur, und eines charakters. 'vom vater hab' ich — vom mütterchen hab' ich' wird uns hier sehr verleidet. der vater war ein mann des geschäfts und ein lebemann, ohne alle ideale richtung und ohne alle neigung den studienrichtungen des sohnes irgend förderlich zu sein. er nahm an den comptoirgeschäften den notwendigen anteil, liesz aber gern andere für sich arbeiten: er hielt sich viel und gern auf seinen landsitzen auf. in der stadt gab er gern männergesellschaften, wo es heiter hergieng 'over the bottle', in denen der sohn sich langweilte, der sie fade und nichtig fand und sich nach seinen büchern sehnte. denn nach belieben fernhalten durfte der sohn sich nicht. die mutter, von französischer abkunft, war eine strenge Calvinistin, die gesellschaftlichem umgang, namentlich mit personen die ihre strengen religionsbegriffe nicht teilten, abhold war. dergleichen wir denn wieder bei dem sohne gar nicht finden. doch eines hat er vielleicht von der mutter, who was a fair musician', seine liebe zur musik und sein talent für musik. denn dasz er auch das letztere hatte, beweist dasz er in seinem einundzwanzigsten jahre begann das cello zu erlernen und noch mit erfolg erlernte. er spielte mit seiner mutter Händel, und noch eine reihe von jahren nach seiner verheiratung zusammen mit seiner frau.

"up to this period he and his wife used to play duets on two violoncellos, as well as pianoforte duets with his accompaniment' (s. 41). lesen wir hierbei etwas in dem tagebuche das er als bräutigam führte 1818. 1819.

.. nach tisch las einiges in Schillers Don Carlos: dann spielte auf dem basz von halb 8 bis 9.' oder: 'played some of Bach's concertos in the evening.' oder: 'in the evening played Mozart's La ci darem la mano and other pieces.' oder: aufgestanden ein wenig vor 9. frühstückte und las noch etwas weiter im Edinburgh review, war aber wenig aufgelegt zu irgend etwas, da mir so miserabel ums herz war. diese niedergeschlagenheit dauerte, bis ich den brief von meiner lieben Henriette erhielt um 1 uhr, der mich ganz wiederherstellte und tröstete. ich konnte nicht umhin ihr eine antwort zu schreiben und ihr das zu sagen. zwischen 4 und 5 las etwas weiter in Schillers Wallenstein. dann spielte auf dem basz bis zum thee. trank thee und schlosz ab [das comptoir] gegen 8. las Kants anthropology zwei stunden, dann beschäftigte ich mich einige reflexionen niederzuschreiben über coexistenz von freiheit und sklaverei in Amerika. gieng zu bett um 12.'

Diese musikalischen neigungen brachten ihn in bekanntschaft und freundschaft mit musikalischen gröszen, zb. mit Jenny Lind, die in dem hause sehr befreundet war, und, was uns besonders interessiert, mit Felix Mendelssohn. Grote, damals auch in der Schweiz, wiewol zu andern zwecken, machte einen abstecher, um Mendelssohn, der damals eben (1847) mit seiner familie in Interlaken zur erholung lebte, zu besuchen, was uns darüber in Grotes brief an seine frau erzählt wird ist reizend.

Sehen wir uns ferner nach einwirkungen um, so wollen wir dem tüchtigen rector der schule in Charterhouse das verdienst nicht entziehen, bei dem Grote einen guten grund 'in Latin an Greek' gelegt.

Jetzt nennen wir Niebuhr. es steht eigentlich nicht geschrieben. aber man kann gar nicht bezweifeln einen eindruck von Niebuhrs tiefsinniger und durchschlagender, die herkömmlichen oberflächen aufwühlender kritik, geübt an alter geschichte. was wir lesen ist, dasz Grote einige jahre nachdem er die vorbereitungen zu seiner griechischen geschichte begonnen (im j. 1827) den wunsch hegte auf den continent zu reisen und Niebuhr persönlich kennen zu lernen, welcher nach Grotes recension über Mitfords griechische geschichte (1826) sogleich die grösten erwartungen gefaszt hatte. Grote fragte bei ihm über die zeit an, da er ihn würde treffen können. Niebuhrs interessanter antwortbrief ist mitgeteilt (s. 52). äuszere umstände von beiden seiten vereitelten es: von Grotes seite dasz 'the monetary world became terribly unsettled about this period, and George Grote found it inconsistent with his obligations to his partners to absent himself from England.'

Wie ausgebreitet des jungen Grote studien waren, davon konnten uns schon die obigen stellen aus dem tagebuch eine probe geben. neben den classischen studien finden wir zunächst eine besonders ausgebreitete und intensive beschäftigung mit nationalökonomie nun, für einen historiker fürwahr kein übles vorstudium, wie nebenbei gesagt auch die praktische kenntnis in geldgeschäften

einigen darlegungen über geldverhältnisse in der griechischen geschichte offenbar gar trefflich zu statten gekommen ist. jene studien waren damals in England durch Ricarde, durch Bentham, durch den ältern Mill (den vater des John Stuart) in schwung gebracht, und es hatte sich, wie uns frau Grote berichtet, in der jüngern handelswelt ein groszer zug dazu kund gegeben. unser Grote ward als junger mann persönlich mit den genannten bekannt und bei ihnen beliebt und empfieng von ihnen persönliche einwirkungen, die stärksten von dem eben genannten James Mill zur befestigung seiner demokratischen richtung und überzeugung. die schilderung dieses merkwürdigen mannes, eines unerbittlichen charakters im denken und im leben, und seiner macht of kindling in his auditors the generous impulses towards the popular side' usw., welche uns s. 22 und 23 gegeben wird, ist ein meisterstück und würde auch jeder männlichen feder zur ehre gereichen. eine doch wol recht sonderbare beschäftigung, die wir bei der bildung bedeutenderer englischer schriftsteller so oft antreffen, und auch bei Grote, ist die beschäftigung mit philosophie, dh. hauptsächlich mit der 'mental philosophy', mit dem sagen wir Sokratischen teile der philosophie: wir wollen diesen ausdruck um so mehr gebrauchen, da uns dabei zunächst eben das wunderschöne capitel der griechischen geschichte über Sokrates einfällt, welches gewis die einwirkung solcher beschäftigungen an sich trägt. es wird uns erzählt (s. 60): im winter 1829 nahm ein kleiner kreis lernbegieriger männer (es finden sich darunter zb. John Stuart Mill und Roebuck) die gewohnheit wieder auf, die sie zwei jahre vorher begonnen, in Grotes hause zweimal wöchentlich morgens zusammenzukommen, um halb 9 uhr früh. sie lasen dann zusammen eine oder eine und eine halbe stunde Mills letztes werk analysis of the phenomena of the human mind, Hartley on mind, Dutrieux's logic' usw.

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Was Kant bei Grote bedeutet ist den kennern seiner schriften bewust. er studierte ihn nach dem tagebuche gründlich und gelangte allmählich mehr in das verständnis (... 'began to acquire a better view of his doctrines than I had before' heiszt es einmal) 1819, in täglichem fortschreiten in den ersten morgenstunden und in abendstunden und unter stetem niederschreiben seiner gedanken darüber: was überhaupt bei den studien seine gewohnheit war.

Daneben will ich nun aus dem tagebuche von 1822 einiges ausschreiben, wo wir ihn im studium von Wolfs prolegomena und andern philologischen arbeiten finden.

5n decbr. 1822. aufgestanden etwas vor 8. las Goguets dissertation über Sanchoniathon. ich denke nicht dasz seine räsonnements über die echtheit oder unechtheit dieses autors die richtigen sind. las auch seine dissertation über Hiob: die mich ärmlich dünkt. abends las ich 60 seiten von Wolfs prolegomena zu Homer, die mir sehr gut erscheinen.

6n, aufgestanden um 6 uhr, da der anfang mit der glocke in meinem schlafzimmer gemacht ist. fuhr fort mit der lectüre von Wolfs prolegomena, die sehr viel unterrichtendes für litteratur und manu

scripte des altertums enthalten. abends las einige ausgezeichnete artikel in Voltaires dict. philosophique, besonders die artikel conséquent und démocratie. Wolf gelesen bis zum schlafengehen.

70. aufgestanden um 6. las Wolf. meine meinung über ihn nicht verringert. nach einigen stellen denke ich er ist ein freidenker, besonders in beziehung auf das alte testament. schrieb einen brief an Arthur Gregory, in dem ich die eindrücke darlegte und bestätigte, welche Mills artikel government' auf mich gemacht. fuhr fort mit Wolf bis zum schlafengehen. ich komme langsam vorwärts mit ihm, da ich fortwährend noten niederschreibe.

8n. aufgestanden um 6. beendete Wolfs prolegomena und meine noten darüber. nach dem frühstück setzte ich mich an Diodorus Siculus, nachdem ich vorläufig einen blick auf Heynes vorgesetzte dissertation über die quellen seiner geschichte geworfen. ich spare dies auf bis ich den geschichtschreiber selbst beendet. las Diodor bis 2 uhr ungefähr 35 seiten, da ich es nötig fand noten niederzuschreiben von beträchtlicher länge.

9n. aufgestanden um 6. verwendete an diesem tage alle meine lesezeit auf Diodor, und kam durch 80 seiten, unter niederschreiben von noten. er scheint ein vernünftigerer schriftsteller als ich erwartet hatte. einige artikel im dict. philos. füllten unwirsche momente aus. der artikel wunder' (miracles) ist bewundernswürdig.

Die gewohnheit seine gedanken bei der lectüre weitläufig niederzuschreiben hatte er durchaus. es ist, wie uns frau Grote verräth, durch ihre fürsorge der gröste teil dieser studien- und vorstudienpapiere erhalten worden. wie viel interessantes müssen sie enthalten für jeden, den es erfreut und belehrt einem so vielseitigen und wahrheitsuchenden geiste bei seinem fortstreben gewissermaszen in die karten zu sehen!

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Aber sehen wir aus der studierstube wieder ins leben. die reisen auch im comptoir hatten die partner abwechselnd anspruch auf holi-days führen wegen der leidenden frau einigemal in bäder, auch in deutsche, oder in die Schweiz, nach dem beliebten und auch durch freunde heimatlichen Paris, nach Italien vom herbst 1841 bis in den märz des nächsten jahres, bis Pästum. 'we obtained admittance into the great temple of Neptune (or Poseidon, as Grote always respectfully called that ancient divinity) this visit to the temples of Paestum was one which afforded the deepest interest to George Grote. the remote past of Poseidonia rose to his mind, long familiar with the circumstances of its origin and with the reverential objects of these grand edifices: the sight of these awakening the solemn memories of the people whose early history had formed the favourite subject of his studies through life. he strolled through the temple of Neptune rapt in thought, speaking but little, and moved to wonder and admiration by the beauty and grandeur of the architecture, the imposing size of the columns and the harmonious colours of the marble mellowed by the effect of two thousand years of time.' éine reise war im eigentlichen sinne eine studienreise, wenn auch nicht in bibliotheken. 'jene groszen, zum kriege führenden zerwürfnisse der Schweizer cantone im j. 1847 erschienen ihm so auffallend ähnlich denjenigen, die in der alten griechischen welt im gange waren

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