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Oscula cum dederis tua flentibus, adice matris:
Tota domus coepit nunc onus esse tuum.
Et siquid doliturus eris, sine testibus illis:
Cum venient, siccis oscula falle genis.
Sat tibi sint noctes, quas de me, Paulle, fatiges,
Somniaque in faciem credita saepe meam.
Atque ubi secreto nostra ad simulacra loqueris,
Ut responsurae singula verba iace.

Seu tamen adversum mutarit ianua lectum,
Sederit et nostro cauta noverca toro,
Coniugium, pueri, laudate et ferte paternum:
Capta dabit vestris moribus illa manus.
Nec matrem laudate nimis: conlata priori
Vertet in offensas libera verba suas.
Seu memor ille mea contentus manserit umbra
Et tanti cineres duxerit esse meos,
Discite venturam iam nunc sentire senectam,

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80. oscula falle] gemeint sind die Küsse der Kinder, die an der Wange nicht merken sollen, dafs der Vater eben noch geweint hat.

81. fatiges] schlaflos zubringen. 82. Traumbilder, die meiner Gestalt, die mir zu ähneln scheinen.'

83. Bei Ov. her. 18, 151 s. sagt Laodamia von der Bildsäule ihres Gemahls: illi blanditias, illi tibi debita verba dicimus. simulacra] der Plural, weil ihr Bild oft angeredet wird.

85-98. 'Sollte sich Paullus wieder verheiraten, so bringt ihr, Söhne, der neuen Mutter Liebe entgegen; bleibt er Witwer, so erleichtert ihm sein Alter; stolz bin ich darauf, dafs ihr alle mich überlebt habt.'

85. Das Ehebett (lectus genialis), Iwelches im Atrium der Thür des

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Hauses gegenüber (adversus) stand, wird verändert, d. h. der Wit wer heiratet wieder. — mutare] die Thür verändert es, indem sie die neue Frau einziehen läfst.

86. cauta] Jede Stiefmutter ist naturgemäfs anfangs vorsichtig und zurückhaltend gegen die Kinder des Gatten, weil sie diese noch nicht kennt; das offene und treuherzige Entgegenkommen der Kinder sei

das beste Mittel sich ihre Liebe zu erwerben (v. 88).

87. laudate] gutheilsen.

88. manus dare] die Hände zum Fesseln hinhalten, sich für besiegt erklären.

89 s. 'Lobt ihr mich zu sehr, so wird jene glauben, dafs ihr sie damit indirekt tadeln wollt.'

90. libera v.] 'euer offenherziges

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Caelibis ad curas nec vacet ulla via.

Quod mihi detractum est, vestros accedat ad annos:
Prole mea Paullum sic iuvet esse senem.
Et bene habet, numquam mater lugubria sumpsi:
Venit in exequias tota caterva meas.
Causa perorata est. flentes me surgite, testes,
Dum pretium vitae grata rependit humus.
Moribus et caelum patuit: sim digna merendo,
Cuius honoratis ossa vehantur avis.

den Verwaisten die Last der Sorgen zu erleichtern'.

nec

94. ad curas caelibis] um Sorge zu tragen für den Witwer. vacet ulla v.] nullum officium praetermittite, 'unterlasset keinen Weg'.

95. Tib. I 6, 63 s.; Ov. met. 7, 167 s.; Hor. c. II 5, 13 ss.

95 ss. C. wünscht, dem Gatten und den Kindern möge an Jahren zugelegt werden, was ihr versagt war. Und sie sieht voraus, dafs ihre Hoffnung keine vergebliche sein wird: ist ihr doch nie, wie sie dankbar anerkennt, eines der Ihrigen entrissen worden.

96. iuvet] 'das Alter, welches sonst den Menschen lästig, möge dem P. durch euch angenehm gemacht werden'. sic] wenn ihr meinen Mahnungen folgt.

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97. 'Keiner aus meiner Familie ist vor mir gestorben'.

99-102. Schlufs der Rede: 'ich gehe in die Unsterblichkeit ein'.

99. causa per.] die Sache ist

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durchgesprochen d. h. ich bin fertig mit Reden. testes] die Schatten der Unterwelt, die ihren Worten lauschen.

100. 'Gebt mir gern den Lohn für mein sittenreines Leben, ihr unterirdischen Richter'. grata] scil. erga bonos. humus] das Totenreich.

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OVID.

Nr. I (trist. IV 10).

SELBSTBIOGRAPHIE DES DICHTERS.

Ille ego qui fuerim, tenerorum lusor amorum,
Quem legis, ut noris, accipe posteritas.
Sulmo mihi patria est, gelidis uberrimus undis,
Milia qui novies distat ab urbe decem.
Editus hic ego sum; nec non ut tempora noris,
Cum cecidit fato consul uterque pari.

I. Selbstbiographie Ovids, die er dem viertem Buch seiner Tristien als letztes Gedicht hinzugefügt hat. So haben vielfach römische Dichter ihr Werk mit einem Nachwort an den Leser in die Welt hinausgesandt, in welchem sie gern einige Mitteilungen über ihre Lebensschicksale machten; vgl. Horaz am Ende des 2. u. 3. Buches der Oden, in der letzten Satire des 1. Buches und im letzten Brief des 1. Buches; Ovid auch sonst: am. 1, 15 (Nr. IV); 3, 15 (Nr. VII); tr. 1, 11; 3, 14; ex P. 4, 16. Vgl. Prop. Nr. I.

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Die Elegie ist im Frühling des J. 11 n. Chr. in Tomi gedichtet. 1. Ille] selbstbewufst dem ego hinzugefügt. qui qualis; quis würde nur nach der Person fragen. lusor] ein Dichter, der gleichsam spielend (ludere: z. Cat. Nr. VII 2) kleine scherzhafte Lieder singt; vgl. παίζειν, παίγνια vom Dichten und von Dichtungen. Hor. c. IV 9, 9. amorum] hier Liebeselegieen. Ovid hat drei Bücher amores verfafst. Ein anderes Jugendwerk des

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Dichters sind seine heroides, poetische Briefe von bekannten Frauen der Heroenzeit an ihre Geliebten.

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2. Konstruiere: ut noris, qui fuerim ego ille t. 1. a., quem legis, accipe. accipe] vern imm.' Das Gegenteil ist da: 'sag an'; vgl. angeben.

3. Sulmo] im Lande der Päligner, östlich von Rom gelegen; jetzt Solmona.- gelidis ub. und.] das Gebiet der Stadt war von Gebirgsbächen durchströmt; daher Sulmo aquosus (Nr. VII 11) oder gelidus (f. 4, 81, wo der Dichter zugleich eine Sage erwähnt, nach der die Stadt von Solymus, einem Gefährten des Aneas, gegründet sein soll). Die Einwohner hielsen Sulmonenses. Übrigens war das ganze Pälignerland von vielen Bächen durchzogen (f. 4, 685 ss.; Nr. VII 2ss.). Paeligna frigora Hor. c. III 19, 8 Kiefsl. 5. Zu nec non ut — noris ergänze scito, editus sum.

6. Ovid ward also 43 v. Chr. geboren, in welchem Jahr die Konsuln A. Hirtius und C. Vibius Pansa

Siquid id est, usque a proavis vetus ordinis heres,
Non modo fortunae munere factus eques.
Nec stirps prima fui; genito sum fratre creatus,
Qui tribus ante quater mensibus ortus erat.
Lucifer amborum natalibus adfuit idem;
Una celebrata est per duo liba dies:
Haec est armiferae festis de quinque Minervae,

im mutinensischen Kriege fielen;
Vell. Pat. 2, 61 alter enim Hirtius
in ipsa acie, alter post paucos
dies ex vulnere mortem obit. Tac.
ann. 1, 10; Suet. Aug. 11 hoc bello
cum Hirtius in acie, Pansa paullo
post ex vulnere periissent (Hirtius

27. April in der Schlacht bei Mutina, Pansa am 28. zu Bononia in Folge einer am 15. erhaltenen Wunde). Mit denselben Worten bezeichnet Lygdamus, ein Nachahmer des Tibull, sein Geburtsjahr (5, 18). Ov. hat ihm diesen Vers entlehnt. Dergleichen Entlehnungen fanden die Alten nicht unerlaubt; der nachahmende Dichter wollte vielmehr sein Vorbild dadurch ehren.

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7. Nr. VII 5. Ovid stammte aus einem Geschlecht, das schon lange dem Ritterstande angehörte, nicht erst neuerdings (modo) in denselben eingetreten war. siquid id est] wenn dies einigen Wert hat; Nr. IX 53. Die Worte entsprechen dem est aliquid es ist von besonderem Wert. usque a] vgl. usque ad. ordinis] equestris, was eques (v. 8) lehrt. Tac. ann. 13, 11. 'Auf alle, die sich durch Gunst oder militärische Verdienste aus niedriger Stellung emporgearbeitet hatten, sah der Ritter geringschätzig herab, der sich einer langen Reihe ritterlicher Ahnen oder mindestens eines ritterlichen Vaters rühmen konnte.' So war auch 'Ovid stolz darauf, den Stand als Erbe einer langen Ahnenreihe überkommen und nicht im Wirbel des Krieges oder durch die Gunst des Glückes erlangt zu haben'.

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8. Viele Leute niedriger Herkunft hatten sich während der Bürgerkriege ein Vermögen von über 400000 Sesterzien erworben und waren dadurch (fortunae munere) zu Rittern geworden. Augustus nannte diejenigen, welche aus altem Geschlecht stammten und den senatorischen Census hatten (800000, später 1000000 S.), equites illustres oder splendidi. Z. Nr. VII 6.

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11. Lucifer] z. Tib. Nr. III 94; Ov. am. I 11, 55 s. (= dies). Beide waren an demselben Tage des Monats (am 20. März) geboren.

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12. liba] z. Tib. Nr. VI 8. Am Geburtstag bekränzte man seinen Genius und brachte ihm Kuchen (aus Milch, Mehlteig und Honig) und Wein dar. Ov. schildert die Geburtstagsfeier tr. III 13, 13 ss.

13 s. P. Ovidius Naso wurde am 20. März, dem zweiten Tag der Quinquatrus oder Quinquatria (19. bis 23. März) geboren. Dieses der Minerva als der Göttin der Künste und Wissenschaften geweihte Fest wurde ursprünglich nur am 5. Tage nach den Idus (daher der Name) gefeiert. Später dehnte man die Feier nach einer irrtümlichen Erklärung des Wortes auf fünf Tage aus (f. 3, 809 s.). Am zweiten und den folgenden Tagen des Festes wurden seit Augustus Gladiatorenspiele aufgeführt (f. 3, 811 s. sanguine prima vacat nec fas concurrere ferro: causa, quod est illa nata Minerva die).

13. armiferae] f. 3, 681; auch bellica dea nennt sie der Dichter (f. 3, 814). Minerva führt wie die Pallas als kriegliebende Göttin Helm,

Quae fieri pugna prima cruenta solet.
Protinus excolimur teneri, curaque parentis
Imus ad insignes urbis ab arte viros.
Frater ad eloquium viridi tendebat ab aevo,
Fortia verbosi natus ad arma fori.

At mihi iam puero caelestia sacra placebant,
Inque suum furtim Musa trahebat opus.

Saepe pater dixit: 'studium quid inutile temptas?
Maeonides nullas ipse reliquit opes.'

Motus eram dictis, totoque Helicone relicto
Scribere temptabam verba soluta modis.
Sponte sua carmen numeros veniebat ad aptos,
Et quod temptabam scribere, versus erat.
Interea, tacito passu labentibus annis,
Liberior fratri sumpta mihique toga est,

Lanze und Schild; gewappnet war sie aus dem Haupte ihres Vaters herausgesprungen. Vgl. лоóuaxos, λαοσσόος, ἀτρυτώνη, Epitheta, die ihr als der Städteschirmerin zukom. men. Der kriegerischen Göttin galten die blutigen Gladiatorenspiele. - festis] diebus.

16. insignes ab arte viros] die berühmten Lehrer der Hauptstadt. Horaz (sat. I 6, 70 ss.) berichtet, wie auch er von seinem Vater aus der Provinz früh nach Rom geschickt wurde, um dort besseren Unterricht zu geniessen. Ovids Lehrer der Rhetorik waren M. Porcius Latro und Arellius Fuscus. Während der ältere Bruder sich eifrig dem Studium der Beredsamkeit widmete, heifst es von unserem Dichter (Seneca contr. II 10, 12): declamabat autem Naso raro controversias et non nisi ethicas; libentius dicebat suasorias; molesta illi erat omnis argumentatio. ab] limitativ; ex P. II 9, 49; Cic. Brut. 161 a philosophia instructior; 233.

17. eloquium]= eloquentia, wie öfter bei Ov. viridis] von der Jugend wie Verg. A. 5, 295; Ov. ex P. IV 12, 29; Val. Fl. 1, 77

u. o.

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27. tacito passu] tr. III 7, 35 s. senectus, quae strepitum passu non faciente venit.

28. Nach vollendetem 16. Lebensjahre legte der junge Römer die toga praetexta ab (ponere) und erhielt die toga virilis oder libera (weil er nunmehr von der patria potestas befreit war). Die feierliche Bekleidung mit derselben fand meist am Tage der Liberalia (17. März) statt. Zugleich wurde er als iuvenis in die Bürgerlisten eingetragen. Zu seiner weiteren Ausbildung reiste Ov. in Begleitung seines Freundes, des Dichters Ma

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