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Einige Stellen aus Aristoteles' Methaphysik a.

Gegen diese Überschrift wird man sofort Tadel erheben; denn das zweite Buch der Metaphysik rührt gewifs nicht von Aristoteles her", sind die entschiedenen Worte Zellers (Gesch. d. gr. Phil. II, 2 p. 83 Anm. ; 3. Aufl.). Worauf sich dieses kategorische Urteil gründet, spricht Zeller meines Wissens nirgends speziell aus. Und doch trage ich umsomehr Bedenken, diesen Ausspruch des hochverdienten Gelehrten zu unterschreiben, als ich bei der „Darstellung der Lehre vom Unendlichen bei Aristoteles (eine gekrönte Preisschrift)" in dem 2. Kapitel, das ja den gröfsten Teil von a ausmacht, nichts gefunden habe, was dem in den unzweifelhaft echten Schriften Vorgetragenen widerspräche. Wollte ich aber darum schon den Aristoteles selbst für den Verfasser von a erklären, so wäre das nicht wenig unbesonnen; bleibt ja noch der Ausweg offen, den Abschnitt einem Schüler des Aristoteles, dem Pasikles von Rhodus, zuzuschreiben und so die Übereinstimmung mit den sonstigen Lehren des Aristoteles über das Unendliche zu erklären. Indes wie dem auch sei, a enthält einige Stellen, deren Schwierigkeit eine erneute Betrachtung derselben wenigstens nicht überflüssig erscheinen läfst. Dahin gehört z. B. 994 : 22: διχῶς γὰρ γίγνεται τόδε ἐκ τοῦδε, μὴ ὡς τόδε λέγεται μετὰ τόδε, οἷον ἐξ Ἰσθμίων Ολύμπια, ἢ ὡς ἐκ παιδὸς ἀνὴρ μεταβάλλοντος, ἢ ἐξ ὕδατος ap, eine Stelle, zu deren Behandlung mich aufser der Unsicherheit der Lesart (cf. Bonitz z. d. St.), auch ein neuerlich auf diese Stelle gegründeter Vorwurf veranlafst, als sei nämlich Aristoteles bei der Untersuchung über das Unendliche oberflächlich zu Werke gegangen. Indem nämlich Herr Dr. Theodor in seiner übrigens anregenden Schrift: „Der Unendlichkeitsbegriff bei Kant und Aristoteles; eine Vergleichung der Kantischen Antinomien mit der Abhandlung des Aristoteles über das лetрov (Phys. III, c. 4-8) Breslau 1877" die sachlichen Beziehungen zwischen Aristoteles und Kant ermitteln, überall das Gleichartige wie das Differierende hervorheben, dabei aber Kant nicht durch Aristoteles und Aristoteles nicht durch Kant kritisieren, sondern ihre Ansichten treu wiedergeben und in ihrem Gegensatze zu einander darlegen will, wobei natürlich kritische Reflexion nicht zu vermeiden sei (S. 4-5 a. a. O.), kommt er zu dem Urteile, dafs die Untersuchung des Aristoteles im Vergleich zu Kant auf der Oberfläche geblieben sei (S. 2), dafs sie eine Rhapsodie sei, welche mehr für einen Wink für künftige Nachforscher als für eine regelmäfsig ausgeführte Idee gelten könne (S. 38). Dieser abfälligen Beurteilung nun leiht er unter anderm auch folgenden oben beregte Stelle berührenden Grund: „Es mufs Blätter f. d. bayer. Gymnasialschulw. XVII. Jahrg.

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auffallen, bemerkt er S. 35, dafs im 3. Buche der Physik die Frage nach der Endlichkeit oder Unendlichkeit der Kausalität ganz mit Stillschweigen übergangen wird und das umsomehr, als der Begriff der Bewegung ein solches Eingehen auf die Kausalität durchaus erforderte. Die Bewegung nämlich, deren zeitliche Unendlichkeit doch Aristoteles behauptet, soll in Beziehung auf Kausalität begrenzt sein müssen, da nach Aristoteles eine unendliche Reihe von Ursachen ebensowenig bei den bewegenden als bei den formalen, stofflichen und Zweckursachen denkbar ist. Mit einer leichten Wendung geht hier Aristoteles der Schwierigkeit im 2. Buch der Methaphysik aus dem Wege, indem er daselbst bemerkt, dafs die zeitliche Aufeinander folge nicht zu den verschiedenen Arten des Extevos rirveodat gehöre, welche in ihrer kausalen Abfolge, wie Aristoteles zu beweisen unternimmt, nicht unendlich sein können. Hier wäre eine Auseinandersetzung über das Verhältnis zwischen unbegrenzter Zeitlichkeit und begrenzter Ursächlichkeit sehr am Platze gewesen. Aber die Schwierigkeit wird nicht einmal angedeutet u. s. w." Ich will nichts davon sagen, dafs Herr Theodor den Standpunkt der ganzen Untersuchung sich dadurch verrückt hat, dafs er dem Aristoteles eine antinomische Fassung des Unendlichkeitsbegriffes aufdrängte, nur das will ich bemerken, dafs Herr Theodor, da er den von Trendelenburg mit Recht so sehr betonten Grundsatz Aristotelem ex Aristotele intelligere vernachlässigt, Schwierigkeiten sucht, wo für Aristoteles keine sind. Denn, um es nur nebenbei zu erwähnen, Aristoteles läfst sich mit der Zumutung, weil ihm die Welt ewig sei, darum sei auch der Wechsel ihrer Zustände d. i. eine Reihe ihrer Veränderungen jederzeit gewesen" (Anm. Kants zur Antithesis der 3. Antinomie) nicht abfertigen. Tadelt er nicht den Demokritus, welcher statt, einen Grund anzugeben, sagen zu dürfen glaubte, es sei immer so gewesen? Behauptet er nicht demselben gegenüber, dafs auch vom Ewigen sich ein Grund angeben lasse? (Phys. 252 a 32-35). Um es kurz zu sagen: Der Dualismus des Aristoteles überhebt ihn der Antwort auf die Kantische Bemerkung: „Wenn man kein mathematisch Erstes der Zeit nach annimmt, so hat man nicht nötig, ein dynamisch Erstes der Kausalität anzunehmen." Die Bewegung hat in der Zeit für Aristoteles so wenig einen Anfang als der erste Beweger d. h. Gott. Doch abgesehen davon, ist es denn wirklich wahr, dafs Aristoteles die zeitliche Aufeinanderfolge nach Theodors Behauptung ausschliefst? Ich hoffe, dafs nicht ein neuer Emendationsversuch die vermifste zeitliche Aufeinanderfolge hineininterpretieren, sondern dafs eine neue aus dem Aristoteles selbst geschöpfte Erklärung die Emendation ergeben wird. Ein zeitliches Werden wird nun allerdings ausgeschlossen, aber nur jenes, das aufeinanderfolgend ist; denn das will das Beispiel 994 a 23: οἷον ἐξ Ἰσθμίων Ολύμπια besagen, dem ganz genau entspricht Met. 1023 b 10-11: èx Atovocímv Oaprýjica, ὅτι μετὰ τὰ Διονύσια als ein Beispiel des zeitlichen blofs das Nacheinander

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bezeichnenden Werdens (Met. 1023b 8-9: τά δὲ τῷ κατὰ τὸν χρόνον ἐφεξῆς μóvov). Wenn nun 994 b 1-2 als Beispiel des zeitlichen Werdens: μépa ix to aрwi angeführt wird, was den Erklärern Schwierigkeiten bereitete und Schwegler sogar zur Konjektur τριχῶς γὰρ γίγνεται κτλ. führte, so darf man nicht mit Bonitz p. 132 kurzweg sagen, das zeitliche Werden falle als nicht zur Frage gehörig weg. Aber was dann thun? Das Bedenken, welches 994 b 1-2: μέpa èx toυ pot veranlafst, ist gehoben, sobald gezeigt wird, dafs eben dieses Beispiel und das obige: èx maιòòç àvýp identisch sind, dafs beide ein zeitliches Werden bezeichnen. Hiefür aber bietet einen schlagenden Beweis de gener. animal. 724 a 20-23: ènel dè noddayŵç γίγνεται ἄλλο ἐξ ἄλλου· ἕτερον γὰρ τρόπον ὡς ἐξ ἡμέρας φαμὲν νὺξ γίγνεται καί ἐκ παιδὸς ἀνήρ' ὅτι τόδε μετὰ τόδε. Denn hier erscheinen offenbar ἐξ ἡμέρας νύξ (auf einer Stufe mit: ἡμέρα ἐκ τοῦ πρωί, ὅτι μετὰ τοῦτο) und ἐκ παιδὸς ἀνὴρ parallel. Denn Aristoteles fährt weiter; άλλον δὲ τρόπον ὡς ἐκ χαλκοῦ ἀνδρὰς καὶ ἐκ ξύλου κλίνη. So wäre also das zeitliche Werden nicht ganz von Aristoteles ignoriert, sondern nur die Art desselben, welche das blofse Nacheinander bezeichnet, während der successiven Entwicklung (Schwegler z. d. St. p. 109) Rechnung getragen wird. Demnach gestaltet sich Text und Übersetzung der Stelle also: διχῶς γὰρ γίγνεται τόδε ἐκ τοῦδε μὴ ὡς τόδε λέγεται μετὰ τόδε οἷον ἐξ Ἰσθμίων Ολύμπια ἀλλ' ὡς ἐκ maidos àvip μstaßákhovtos (1. Glied negativ-positiv) † §§ õdatos àýp (2. Glied): zweifach wird etwas aus etwas 1) nicht wie man sagt das eine nach dem andern, wie beispielsweise nach den Isthmien die Olympien sondern wie man das eine nach dem andern" sagt, wenn aus einem Knaben ein Mann wird oder 2) aus Wasser Luft.

War es bei der eben behandelten Stelle die von verschiedenen Seiten verschieden gegebene Erklärung, welche zu näherer Untersuchung einladen konnte, so ist dies durchaus nicht der Fall bei der folgenden. Ja, wäre es richtig, dafs die Übereinstimmung der Erklärer ein Beweis für die richtige Auffassung einer Stelle ist, so dürfte ich es nicht wagen, an der Erklärung eines Bonitz und Schwegler zu rütteln. Denn sie erklären, der erstere p. 134, der letztere p. 167 in ihren Kommentaren 994 b 16-20: ἀλλὰ μὴν οὐδὲ τὸ τί ἦν εἶναι ἐνδέχεται ἀνάγεσθαι εἰς ἄλλον ὁρισμὸν πλεονά ζοντα τῷ λόγῳ . ἀεί τε γάρ ἐστιν ὁ ἔμπροσθεν μᾶλλον, ὁ δ ̓ ὕστερος οὐκ ἔστιν· οὗ δὲ τὸ πρῶτον μὴ ἔστι, οὐδὲ τὸ ἐχόμενόν ἔστιν folgendermafsen: Was den Wesensbegriff anlangt, der durch die Definition erkannt wird, so kann es mit demselben nicht ins Unendliche gehen, so dafs man eine immer wortreichere Definition geben kann. Denn die erste Definition wird immer mehr Definition sein, als jede folgende; ist aber die erste nicht richtig, so ist es auch die folgende nicht." Dabei haben sie die Autorität des Scholiasten Alexander z. d. St. 994 b 16 für sich. Dieser führt jedoch auch an, dafs einige das heováčovta tỷ λóye auch so verstehen, dafs die zweite Definition einen Begriff mehr als die erste habe z. B. wenn man

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sage: der Mensch ist ein zweifüfsiges Tier, eine zweite Definition einen neuen Begriff bringe z. B. der Mensch ist ein vernünftiges zweifüfsiges Tier u. s. f. ins Unendliche. Und trotz dieser Übereinstimmung zweier so bedeutender Aristoteliker glaube ich nicht, dafs die Stelle richtig gefafst sei. Mit der erstern Erklärung des rheová(ovta tậλóyw, wornach der Sinn dieser Worte wäre: die folgende Definition ist immer wortreicher, wird kaum jemand zufrieden sein. Hätte Aristoteles nicht, wenn seine Worte diesen Sinn haben sollten, πλεονάζοντα τοῖς λόγοις sagen müssen? Nehmen wir dazu noch den äufseren Grund, dafs an den Stellen, an welchen ti εἶναι, ὁρισμός und λόγος mit einander verbunden sind und das ist ja auch hier der Fallλóyos immer den ausgesprochenen Begriff bedeutet (cf. die Stellen bei Prantl: Gesch. d. Logik I, 262 Anm. 535), so wird man die Erklärung der in Frage stehenden Worte mit explicationis forma et dictione aucta bei Bonitz p. 134 zum mindesten auffällig finden. Wie steht es nun mit der andern Auffassung, der zufolge bei jeder folgenden Definition eine neue differentia specifica eintritt und so ins Unendliche? Auch dieser Versuch kann nicht genügen; denn einmal ist er nicht im Sinne des Aristoteles (cf. Met. 1038 a 15-35), der es für überflüssig erklärt, alle artmachenden Unterschiede zusammen aufzuzählen, da der letzte alle vorausgehenden in sich schliefse; dann aber ist es auch unmöglich, dafs einem unendlich Vieles zukomme, ein Gedanke, den wir öfter bei Aristoteles treffen. Da also keine Erklärung der Worte λsováζοντα τῷ λόγῳ befriedigt, da ferner die Worte οὗ δὲ τὸ πρῶτον μὴ ἐστίν, οὐδὲ τὸ ἐχόμενόν ἐστιν gewifs nicht richtig übersetzt sind in der obigen Übertragung, so wage ich es einen anderen Versuch zu machen, bei welchem ich man erschrecke nicht Thomas v. Aquin folge, einem nicht zu unterschätzenden Kommentator des Aristoteles. Darnach lautet die Erklärung also: Auch mit dem Wesensbegriff kann man nicht ins Unendliche gehen, so dafs eine Definition immer auf eine andere zurückgeführt wird, welche dem Begriff nach mehr ist als, ergänzen wir, die vorhergehende, so dafs also immer, mit Thomas v. Aquin 1) zu reden, das Definiens vermehrt wird, aber nicht bei einem. Z. B. wird die Definition:

1) Thomas v. Aquin lectio IV. ... idem ergo est quod in infinitum procedatur in formis et quod in infinitum procedatur in partibus definitionis (cf. Analyt. post 83 b 1-8 und ibid. 82 b 37-39). Et ideo volens ostendere, quod non sit procedere in infinitum in causis formalibus, proponit non esse infinitum in partibus definitionis. Et ideo dicit, quod non convenit hoc quod est quod quid erat esse in infinitum reduci ad aliam definitionem, ut sic semper multiplicetur ratio. Puta qui definit hominem, in definitione eius ponit animal. Unde definitio hominis reducitur ad definitionem animalis, quae ulterius reducitur ad definitionem alicuius alterius, et sic multiplicatur ratio definitiva. Sed hoc non contingit in infinitum procedere. Non autem hoc dicimus, quasi in uno et eodem individuo multiplicentur formae secundum numerum generum et differentiarum ut sc. in homine sit alia forma, a qua est animal et sic de aliis....

Der Mensch ist ein Tier. auf die Definition von Tier zurückgeführt, nämlich Tier ist ein beseeltes empfindendes Wesen, und diese Definition wird wieder durch einen anderen neuen Begriff vermittelt werden. Ins Unendliche aber darf es nicht gehen, es mufs Stillstand eintreten. Und dazu ist die frühere Definition, z. B. der Mensch ist ein sinnliches Vernunftwesen, immer mehr1) Definition als die spätere: der Mensch ist Tier. Träte aber kein Stillstand ein, gäbe es keine letzte, oberste Gattung unter welche das zu Definierende subsumiert werden kann, so könnten wir auch nichts Folgendes bestimmen; denn wovon es kein Erstes gibt, da existiert kein Folgendes. Das ist also der Sinn besagter Worte, und sie bedeuten nicht im entferntesten, was hineingelegt wurde, nämlich: Ist die erste Definition nicht richtig, so ist es auch die folgende nicht. Was sollte auch diese triviale Bemerkung hier an dieser Stelle? Aristoteles handelt vom unendlichen Fortgang nach oben (Gattung), was bisher bei der ersten Ursache, dem Stoffe, dann bei der Bewegung und dem Zwecke betrachtet wurde und nun auch hier beim Wesensbegriff behandelt wird. Und da ist denn der bei unserem Philosophen auch sonst oft sich findende Ausspruch ganz am Platze: Wovon es kein Erstes gibt (und das wäre ja beim Unendlichen der Fall), gibt es auch kein Folgendes. Schliesslich möchte ich noch einen Punkt für diese neue Auffassung des ɛováľovta To λór geltend machen; ich glaube nämlich, dafs Aristoteles damit nichts anderes sagen will, als was er sonst mit ènì nλéov óñápɣεtv (Analyt. post. 96 a 24-35) bezeichnet. Doch ich will mich deutlicher erklären. Aristoteles gibt nämlich die Regel, dafs man bei der Definition immer einen höheren Begriff weiteren Umfangs zunächst nehmen solle, dabei jedoch nicht über die Gattung hinausgehen dürfe, so dafs man z. B., wenn man die Dreiheit definieren wolle, nicht sagen könne, die Dreiheit sei ein Seiendes, sondern eine Zahl. Und dabei müsse man solange fortfahren, bis man so viele Merkmale habe, welche einzeln genommen jedes von weiterem Umfange seien als das zu Definierende, welche aber zusammengenommen nicht mehr weiteren Umfang haben, sondern mit dem zu definierenden Begriffe sich decken. Diese Regel nun scheinen diejenigen, welche einen unendlichen Fortgang der Definition verlangen, nicht anzuerkénnen, da ja die Definition immer auf eine dem Begriff nach weitere zurückgeführt werden soll. Wollte man deren Begehren einfach zurückweisen, so könnte man das mit dem. Hinweise darauf thun, dass, wie

1) ibid. in multitudine formarum vel rationum semper est illa, quae est prius, magis". Quod non intetligendum est quasi sit completior (sc. definitio); quia formae specificae sunt completae. Sed dicitur esse magis, quia est in plus quam illa, quae est posterior, quae non est ubicumque est prior. Non enim ubicumque est ratio animalis, est ratio hominis. Ex quo argumentatur, quod, si primum non est, nec habitum id est consequens est. Sed si in infinitum procedatur in rationibus et formis, non erit prima ratio vel forma definitiva; ergo excludentur omnes consequentes,

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