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schliefsen, dafs Sil., bevor er an die Ausarbeitung seines Werkes ging, die verschiedensten einschlägigen Quellen studierte, vielleicht auch aus denselben, was seinem Zwecke dienlich war, excerpierte. Er mochte also aufser Livius, dessen berühmtes, in seiner Art unübertroffenes Nationalwerk er gar nicht bei Seite setzen durfte, die ältere Annalistik, jedenfalls auch den Polybius (cf. Wezel p. 70-80) kennen. Auf Grund eines solchen umfassenden Überblickes sei es, dafs er die Einzelnheiten lediglich im Gedächtnis behielt oder dafs er sie sich in Excerpten notiert hatte ging er an die dichterische Verarbeitung des Stoffes. Dafs ihm dabei die historische Wahrheit nicht oberstes Prinzip war, wird niemand bestreiten. Zwar war dies in der römischen Annalistik auch nicht gerade so der Fall, wie es sein sollte, doch hatte wenigstens Coelius den ersten Schritt zu einer mehr unparteilichen Darstellung gethan, indem er auch karthagische Quellen benützte; und die Spuren dieser karthagischen Tradition laufen bei Liv. neben der nationalrömischen einher. Dafs nun der Dichter in vielen Punkten, wie wir sehen werden, zur nationalrömischen Überlieferung zurückgekehrt, wird ihm niemand verargen. Ihm lag daran, Licht und Schatten recht kräftig aufzutragen; seinen Helden auf römischer Seite, die er mit besonderer Vorliebe schildert, ja dem römischen Volke überhaupt, durfte kein Mangel anhaften; wohl aber mochte er dem Erbfeinde, den Karthagern, manches andichten, was historisch nicht glaubwürdig ist. Daraus aber, aus der gröfseren Parteinahme des Dichters gegen Karthago und seine Feldherren und für Rom und seine Helden ergibt sich uns eine Reihe von Differenzen, indem Silius, wie schon gesagt, von Liv. weg zur alten römischen Auffassung zurückkehrt, oder auch denselben aus eigenem Antriebe verändert.

So schildert Sil. I. 144-1491) den Hasdrubal als einen herrschsüchtigen, grausamen und blutdürstigen Menschen, während er nach Liv. XXI. 2. 5. mehr durch Klugheit als durch Waffengewalt die Macht der Karthager in Spanien vermehrte. Die Auffassung des Sil. ist die fabische, welche Pol. III. 8 tadelt (cf. Heyn. p. 10).

Ähnlich verhält es sich mit der Schilderung Hannibals, den Sil. auch da, wo er dem Liv. folgt, überall ungünstiger beleuchtet als dieser. Beide stellen ihrem Werke seine Charakteristik voran (s. u. bei den Übereinstimmungen); welcher Unterschied findet sich hiebei? Liv. erwähnt zuerst die Lichtseiten im Charakter des Hannibal XXI. 4, 2-8, dann folgen die Schattenseiten § 9 und 10. Umgekehrt der Dichter; voran stehen I. 56 ff. die Fehler Hannibals und mit welchem Nachdruck werden sie hervorgehoben! Gelegentlich erst v. 239 ff. werden auch seine Vorzüge erwähnt, und in der Aufzählung derselben ist Sil. viel sparsamer als Livius.

Ein anderes Beispiel bietet uns die Wahl Hannibals, resp. die Bestätigung seiner Wahl in Karthago. Nach Liv. XXI. 3, 1 und Pol. III. 13 geht diese gesetzmäfsig vor sich, indem die von den Truppen vollzogene 1) Die Citate sind nach der Ausgabe von Ruperti angegeben.

Wahl vom Volk und Senat einhellig bestätigt wird, bei Sil. I. 241 durch Anwendung von Gewalt und Bestechung (cf. Heyn. p. 10).

Bezeichnend für die Stimmung des Dichters gegen Hannibal ist auch folgendes: XI. 252 im Vergleiche mit Liv. XXIII. 7, 11 und 10. Bei Liv. fordert Hannibal gleich nach seinem Einzug in Capua eine Senatssitzung zur Bestrafung des Decius, der allein es gewagt hatte, gegen den Anschlufs an Hannibal laut zu protestieren; aber da die vornehmen Capuaner bitten, Hannibal möge an diesem Tage nichts Ernsthaftes vornehmen und ihn selbst freudig begehen, so brachte er einen grofsen Teil desselben mit Besichtigung der Stadt zu und erst am folgenden Tage wird Decius verurteilt. Während also nach Liv. Hannibal sich hat erweichen lassen, ist bei Sil. gerade das Gegenteil der Fall; sofort wird Decius verhaftet und Hannibal gebärdet sich sehr wild, v. 233 tonat inde ferocibus alte incessens victor dictis. Niemand wird im Ernst glauben, dafs Sil., der, wie wir sehen werden, hier eng sich an Liv. anschliefst, diese Änderung aus einer anderen Quelle übernommen hat; er hat sie vielmehr selbst geschaffen, nur um den Punier, den wilden Barbaren, in recht ungünstiges Licht zu stellen.

Weiter können wir hieher rechnen Sil. XVI. a. A. und Liv. XXVIII. 12. Liv. schildert die Lage Hannibals, nachdem er sich infolge der Niederlage Hasdrubals am Metaurus nach Bruttium zurückgezogen hatte; die Römer lassen ihn in Ruhe, weil sie ihn immer noch fürchten; wunderbar scheint es, dafs Hannibal noch im stande ist, sein aus allen möglichen Bestandteilen zusammengewürfeltes Heer im Zaume zu halten; dies erfüllt den Liv. mit Bewunderung, so dafs er c. 12. 2 ausruft: ac nescio an mirabilior adversis quam secundis rebus fuerit, quippe qui etc. Sil. schliefst sich in der Erwähnung der Thatsachen eng, fast wörtlich an Liv. an, die Bewunderung aber läfst er weg.

Endlich kann hier noch verglichen werden, wie Hannibal auf der Überfahrt nach Afrika, sowie in der Schlacht bei Zama in der Darstellung des Liv. XXX. 20 und 32--35 und Sil. XVII. 184 ff. und 606 ff. erscheint; auch hier bemerken wir das Bestreben des letzteren, den Punier als echten, wilden, trotzigen Barbaren darzustellen.

Eine gröfsere Reihe von Differenzen zwischen dem Dichter und dem Historiker finden wir in den Schilderungen der Thaten der römischen Feldherren. Silius rückt nämlich in seinem Werk und das mufste er als epischer Dichter thun - einzelne Helden besonders in den Vordergrund, sagt mehr zu ihrem Lobe als Liv. und verschweigt dagegen Einzelnes, was weniger für ihre Glorifizierung geeignet erschien. Die drei Helden sind Fabius und Scipio, resp. das fabische und scipionische Geschlecht, zwischen ihnen Marcellus.

Was zunächst den Fabius Cunctator anlangt, so finden wir sein und seiner Gens Lob an verschiedenen Punkten der Dichtung, wo sich nur

Gelegenheil fand, eingeflochten; so I. 679; II. 3; VI. 613-640; VII. 1—750, bes. 29-68 und 147, wo Hannibal selbst ausruft, an der Trebia und am trasimenischen See wären die Römer nicht geschlagen worden, wäre Fabius zur Stelle gewesen. Als wirkliche Differenzen mit Liv. sind folgende hervorzuheben: Als sich infolge der zögernden Kriegführung des Fabius grofse Unzufriedenheit im römischen Lager erhebt, tritt bei Liv. XXII. 14. 4 Minucius auf mit einer Ansprache an die Soldaten, infolge deren es § 15 heifst: si militaris suffragii res esset, haud dubie ferebant Minucium Fabio ducem praelaturos. Fabius erwidert bei Liv. auf die Rede des Minucius nicht, dagegen hält er bei Sil. VII. 219-252 eine glänzende Rede, durch welche er die erregten Gemüter beruhigt; wir werden weiter unten sehen, dafs Sil. oft da eine Rede hat, wo eine solche bei Liv. fehlt und umgekehrt; so auch hier; werden wir da wohl glauben müssen, dafs Sil. die Rede aus fabischer Quelle geschöpft hat? gewifs nicht; er hat sie selbst eingefügt zur Hervorhebung des grofsen Feldherrn. Aus demselben Grunde hat Silius von den beiden Gefechten bei Gereonium, in denen Minucius dem Hannibal unterliegt, nur eines berichtet. Nach Liv. XXII. 24 lässt sich Minucius in einen Kampf mit Hannibal ein und wird gerettet durch den Samniten Numerius Decimius; cap. 28 in einen zweiten Kampf, aus dem ihn c. 29 Fabius befreit. Keller, der 2. punische Krieg und seine Quellen, Marburg 1875, p. 203 ff. weist mit Sicherheit nach, dafs der zweite Bericht des Liv. nichts anderes ist als eine fabische Doublette zum ersten, erfunden in maiorem gloriam Fabii. Dafs Silius nur die zweite Schlacht erwähnt, erklärt sich nach dem bisher Gesagten von selbst; aufserdem hat er auch die ganze Geschichte noch viel grofsartiger gemacht, als wir sie bei Liv. lesen (cf. Ruperti zu VII. 567).

Ebenso hebt der Dichter X. 283 den Fabius hervor, indem er den in der Schlacht bei Cannä gefallenen Consul Paullus dem fliehenden Lentulus zurufen läfst, er solle in Rom ausrichten, man möge dem Fabius die Zügel des Staates in die Hand geben; nach Liv. XXII. 49. 10 sagt Paullus nur, er möge nach Rom eilen und in seinem Auftrage befehlen, die Thore der Stadt zu schliefsen; ferner möge er dem Fabius sagen, er sei eingedenk seiner Befehle gewesen u. s. w. (cf. Heyn. p. 38). Ähnlich ist es X. 605 im Vgl. mit Liv. XXII. 61. 14 bei der Heimkehr des Varro. Nach Liv. empfängt die Bürgerschaft aus eigenem Antrieb den schuldbeladenen Feldherrn noch dankend, nach Sil. stimmt erst Fabius das Volk zu solch grofsartiger Gesinnung (cf. Heyn. p. 44). Ein weiteres Beispiel bietet uns Sil. XI. 55 ff. und Liv. XXIII. 6. 6. Dieser sagt bei Gelegenheit des Abfalls der Stadt Capua zu Hannibal: quo priusquam iretur certumque defectionis consilium esset, Romam legatos missos a Campanis in quibusdam annalibus invenio postulantes, ut alter consul Campanus fieret, si rem Romanam adiuvari vellent und weiter § 8 quia nimis compar Latinorum quondam postulatio erat Coeliusque et alii id haud sine causa praeter

miserant scriptores, ponere pro certo sum veritus. Diese Gesandtschaft nun mit der Forderung eines campanischen Konsuls, die Liv. zurückweist, berichtet Sil. als wirklich geschickt, und warum? weil sie ihm Gelegenheit gibt, den Fabius Cunctator in zürnender Rede voll patriotischer Entrüstung v. 90 ff. auftreten zu lassen (cf. Heyn. p. 45).

Endlich gehört noch hieher Sil. XV. 320—333 zu Liv. XXVII. 16, 1—8. Silius erzählt hier die Einnahme Tarents durch Fabius übereinstimmend mit Liv. Heyn. p. 59 hebt zwei Differenzen hervor: a) Sil. sage, dies sei die letzte That des Fabius gewesen, eine Bemerkung, welche für eine fabische Quelle spreche und welche Liv. nicht habe. b) Sil. verschweige die Grausamkeit des Fabius und seines Heeres, die Liv. a. a. O. erwähne. Ich erkläre mir diese Differenzen so: Die Grausamkeit des Fabius verschwieg der Dichter, um seinem Helden, dessen letzte That er hiemit berichtet, keinen Makel anzukleben; und wenn er sagt, es war seine letzte That, so heifst dies soviel als: mit diesem Helden bin ich zu Ende; es folgen die Thaten anderer. Es hiefse dem Dichter jede freie Bewegung abschneiden, wollte man ihn auch solche Einzelheiten erst aus irgend einer Quelle hervorholen lassen.

Ich komme zu dem Geschlechte der Scipionen. Hier ist das Verhältnis dasselbe, wie bei den Fabiern; der Dichter benützt jede Gelegenheit, den Glanz und den Ruhm der Scipionenfamilie zu preisen.

In der Schlacht am Ticinus wird der Konsul P. Cornelius Scipio verwundet, aber aus dem Schlachtgewühle gerettet, und zwar nach Coelius cf. Liv. XXI. 46. 10, von einem ligurischen Sklaven; Liv. fügt hinzu, er möchte lieber glauben, dafs es von dem Sohne des Scipio wahr sei. Sil. IV. 417-479 erwähnt natürlich nur diesen und findet hiedurch eine passende Gelegenheit, die erste Heldenthat des feurigen Jünglings, des späteren Scipio Africanus, in glänzenden Farben zu schildern. Wie einst Äneas seinen Vater Anchises aus den Flammen Troias, so trägt der 17jährige Scipio seinen verwundeten Vater auf den Schultern aus dem Kampfe, so dafs ob solchen Schauspiels den Kämpfenden die Geschosse entsinken und die Kindesliebe des Jünglings das Schlachtfeld in bewunderungswürdiges Schweigen senkte (cf. V. 465--471); und der Kriegsgott ruft von hohem Wagen herab: Karthagos Burgen wird er einst zerstören, doch kein schönerer Tag im Leben werde ihm strahlen, denn dieser (V. 474). Ebenso, wie hier der Kriegsgott auf die grofse Zukunft des jungen Mannes hinweist, thut es der Dichter auch durch ein Omen vor der Schlacht IV. 105-130: Hoch am Himmel verfolgt ein Habicht Tauben; schon hat er fünf derselben dem Tode geopfert und jagte nun die letzte, die auch schon matten Flügels hinabsank; da kommt plötzlich Juppiters Vogel, der Adler, einhergerauscht und vertreibt den Habicht; alsdann traf er zwei- bis dreimal aufkreischend mit des Schnabels Spitze den Helm des jungen Scipio und schwang sich wieder zu den Sternen empor. Die Deutung liegt auf der Hand.

Zum Ruhme des in der Schlacht verwundeten Cornelius Scipio dient die Notiz IV. 622, dafs er trotz seiner Verwundung auch tapfer in der Schlacht an der Trebia eingreift, eine Bemerkung, die bei Liv. fehlt und die wir überhaupt nur bei Nep. Hann. c. 4 und App. Hann. c. 7 finden; jedenfalls ist dieselbe auf eine scipionisch gesinnte Quelle zurückzuführen, nicht aber auf eine fabische, auch nicht auf Valerius Antias.

Weiter schildert Sil. VIII. 546-558 vor der Schlacht bei Cannae genau die Thätigkeit des Scipio Africanus aus Liv. XXII. 53. 2 wissen wir blofs, dafs er die zweite Legion als tribunus militum befehligte und entwirft auch ein Bild von ihm, wie er sichs in seiner dichterischen Phantasie ausmalte (v. 559 ff.) In der Schlacht bei Cannae selbst, wo seiner weder von Liv. noch von Polyb. Erwähnung geschieht, läfst der Dichter ihn IX. 424-485 einen Zweikampf mit Hannibal bestehen, resp. an Stelle des Konsuls Varro übernehmen; diese erste Gegenüberstellung der beiden Helden begleitet der Dichter mit den Worten: „Männer, wie noch zu andrem Gefecht nie schreiten der Erdkreis sah; an tapfrer Faust sich gleich; sonst ragte der Feldherr Roms hervor an Liebe zum Vaterland und an Treue (v. 435 ff.). Beim Kampfe tritt Mars dem Scipio helfend zur Seite, dem Punier Pallas, die diesen auch schliefslich in einer Wolke entfernt. Kurz darauf v. 545 weist Juppiter selbst auf die künftigen Thaten des Scipio hin. Aus demselben Grunde malt Sil. X. 426-448 die Thatsache weiter aus, wie Scipio die Feiglinge unter Metellus Anführung, welche nach dem Unglücke von Cannae ihr Vaterland verlassen wollen, durch seine feurige und energische Rede zurückhält. Liv. XXII. 53. 4-13 ist etwas kürzer. Die Schilderung seines Ganges in die Unterwelt, welche das XIII. Buch zum gröfsten Teile ausfüllt (v. 397--895), gibt dem Dichter teils Gelegenheit, die berühmtesten Namen der Geschichte in sein Werk einzuflechten, teils den Ruhm der Scipionen aufs neue zu singen.

Dafs endlich auch die übrigen Thaten des Scipio bis zur Schlacht bei Zama und sein Triumphzug in Rom aufs glänzendste ausgeschmückt werden im XV.-XVII. Buch, bedarf keiner weiteren Hervorhebung.

Der dritte Held, den der Dichter mit besonderer Vorliebe zeichnet, ist M. Claudius Marcellus; auch auf ihn wird schon I. 133 hingewiesen; er wird hier genannt als einer, der dreimal triumphierend fallen sollte: iacet ore truci super arma virosque Tertia qui tulerat sublimis opima Tonanti. Seine Thaten schildert der Dichter in folgenden Büchern: XII. 161-294 seinen Sieg bei Nola; XIV. 110 ff. die Eroberung von Syracus und XIV. 665 und 680–689 die göttliche Verehrung, die er in Sizilien genofs, deren Liv. keine Erwähnung thut; bei letzterer Stelle bemerkt Ruperti wohl richtig, der Dichter habe wahrscheinlich an Cic. Verr. I. 51. 55. II. 21 sq. und IV. 54 gedacht, wo dem Verres öfter Marcellus als der Wohlthäter Siziliens entgegengestellt wird, dem zu Ehren die Siculer die Marcellea

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