Abbildungen der Seite
PDF
EPUB

Einleitung.

I. Ovids Leben und Dichtung.

1. Publius Ovidius Naso wurde am 20. März (am 2. Tage des Minervafestes Quinquatrus) des Jahres 43 v. Chr. unter dem Konsulate des Hirtius und Pansa zu Sulmo (jetzt Sulmona) im Lande der Päligner geboren. Sein älterer Bruder war ein Jahr früher an demselben Tage geboren, so dafs dieser Tag, wie Ovid selbst erzählt, durch zwei Geburtstagskuchen gefeiert wurde. Sein Vater, welcher einer wohlhabenden Ritter familie angehörte, war bemüht, seinen Söhnen durch sorgfältige Erziehung und Ausbildung den Zutritt zu den höchsten Ehrenstellen im Staate anzubahnen. Um die Anlagen der Knaben in entsprechender Weise zu entwickeln, siedelte er mit ihnen nach Rom über und übergab sie den besten Lehrern. Der ältere Bruder widmete sich mit grofsem Eifer der Beredsamkeit. (Trist. IV 10, 17:,,Frater ad eloquium viridi tendebat ab aevo, Fortia verbosi natus ad arma fori.") Auch Publius beteiligte sich, dem Wunsche des Vaters entgegenkommend, fleifsig an den Übungen berühmter Rhetoren. Doch zog ihn die Dichtkunst, die er schon als Knabe liebgewonnen hatte, mächtiger an, als die Beredsamkeit. (Trist. IV 10, 19:,,At mihi iam puero caelestia sacra placebant, Inque suum furtim Musa trahebat opus.") Dem Vater mifsfiel diese Neigung. Wozu befassest du dich mit dieser unnützen Beschäftigung, von welcher du keinen Gewinn haben wirst? Selbst Homer hat kein Vermögen hinterlassen." Solche Ermahnungen des Vaters bewogen den Jüngling, der Dichtkunst zu entsagen und sich der Beredsamkeit zu widmen. Aber ohne sein Zuthun geriet seine Rede in Rhythmus, so dafs er selbst von sich sagt: „Alles ward mir zum Vers, was ich zu sagen begann." Daher folgte er auch ferner seiner Lieblingsneigung. Aber der Tod seines 20jährigen Bruders führte ihn nach dem Willen des Vaters abermals dem Studium der Beredsamkeit Ovid. Metam. 4. Aufl.

1

zu. Er besuchte die Schulen der berühmten Rhetoren Porcius Latro und Arellius Fuscus.

Der Rhetor M. Annaeus Seneca, ein vertrauter Freund des Latro, der Ovid deklamieren gehört hatte, nennt seine Reden carmina soluta und tadelt den Mangel an sicherer Ordnung. „In seinen Reden bediente er sich der Worte keineswegs zügellos, in seinen Gedichten aber verkannte er diesen Fehler selbst nicht, sondern liebte ihn, weil er meinte, ein Mal mache das Angesicht liebenswürdiger." Einst baten ihn seine Freunde, er möchte drei Verse, die ihnen missfielen, aus seinen Gedichten tilgen. Er willigte ein unter der Bedingung, dass drei von ihm gewählte Verse unangetastet blieben. Als nun beide Parteien ihre Verse heimlich aufgeschrieben hatten, enthielten beide Briefchen dieselben Verse. Der erste von diesen war: Semibovemque virum semivirumque bovem (Minotaurus); der andere: Et gelidum Borean egelidumque Notum. Nach Vollendung seiner Studien betrat Ovid wirklich die amtliche Laufbahn. Aber bald ward er der lästigen Geschäfte überdrüssig. Als er auf dem Punkte stand, in den Senat einzutreten, zog er sich plötzlich von dem öffentlichen Leben zurück und widmete sich gauz der Muse. Wie ein bisher unter der Asche verborgener Funke wurde jetzt die Liebe zur Poesie von neuem in ihm angefacht und glühte mächtig empor. Seine äufseren Verhältnisse und der dauernde Friede unter der Herrschaft des Augustus vergönnten ihm, behaglich ganz seiner dichterischen Neigung zu leben. Seine Freundschaft mit Aemilius Macer, Propertius und Cornelius Bassus wirkten wohlthätig auf ihn ein. „Auch der volltönende Horaz hat unsere Ohren gefesselt," sagt er. Den Vergil, der 27 Jahre älter war, hat er nur gesehen. Vom Tibull hat ihn sein Mifsgeschick fern gehalten. Eine Reise nach Athen, der Mutterstadt aller klassischen Bildung, und sein Aufenthalt in den hervorragendsten Städten Kleinasiens und in Sicilien läuterten seine Kunst. Unter der Huld des Fürsten selbst entstand nun eine Reihe von poetischen Erzeugnissen auf dem Gebiete der didaktischen Lyrik, der Epik und selbst der Tragödie. Ein feiner Beobachter des menschlichen Herzens, mit allen Vorzügen und Schwächen desselben vertraut, selbst ein Mann von feiner Bildung und Sitte und im Vollgenusse aller Annehmlichkeiten, die ihm die „ewige" Stadt und der Kreis seiner Vertrauten gewährten, schuf er Erzeugnisse, denen unverkennbar die heiterste, selbst bis zur Sinnlichkeit gesteigerte Lebensanschauung aufgeprägt war. Seine

Gedichte sind ein buntfarbiges Gemälde seiner Zeit, die auf schlüpfriger Bahn dem unvermeidlichen Untergange zustürzte. Durch diese dem Zeitgeiste huldigende Richtung war er der Lieblingsdichter des römischen Volkes geworden, als ihn plötzlich im Jahre 8 n. Chr. wie ein Blitz aus heiterem Himmel die Ungnade des Kaisers traf und aus seiner behaglichen Ruhe herausrifs. Es erging an ihn der Befehl des Kaisers Augustus, sofort Rom zu verlassen und sein Leben in der Verbannung in dem unwirtlichen Tomi (in der Nähe des heutigen Köstendsche) am schwarzen Meere zu verbringen. Wodurch er die Huld seines Fürsten verwirkt, ist mit Sicherheit nicht nachzuweisen. Er selbst giebt ,,carmen et error" (ein Gedicht und eine Verirrung) als die Ursache an, drückt sich aber, ohne gerade eine Schuld zu leugnen, nur mit der grössten Zurückhaltung darüber aus (Trist. II 207). Diese plötzliche Trennung von dem heimatlichen Boden, dem milden Himmel Italiens, von der weltbeherrschenden Stadt mit allen ihren Annehmlichkeiten, von der Familie und den Männern, die er lieb gewonnen und die seine poetische Thätigkeit angeregt und geläutert hatten, ferner eine beschwerliche Reise mitten im Winter, voll von Entbehrungen und Gefahren, endlich der Aufenthalt unter dem unfreundlichen, rauhen Himmel und der Verkehr mit barbarisch redenden Nomadenvölkern mufsten den für alle Eindrücke so empfänglichen Mann tief danieder beugen, seine Kraft brechen und seine poetische Ader, wenn auch nicht unterbinden, so doch bedeutend trüben. Dies beweist der gedrückte, klagende Ton seiner Briefe und Gedichte, die er aus dem Barbarenlande an seine Freunde richtete. Aber vergeblich waren Bitten und Klagen, niemals kam der Tag der Rückkehr, nie wurde seine Sehnsucht nach der Heimat und dem Kreise seiner Lieben gestillt. Er starb in Tomi (17 n. Chr.) im 60. Jahre seines freudvollen und leidvollen Lebens. Die Einwohner begruben seine Gebeine auf scythischem Boden und ehrten sein Andenken wie das eines Mitbürgers.

2. Ovid ist ein äusserst fruchtbarer Dichter. Von seinen Gedichten seien hier erwähnt:

1. Metamorphoses (libri XV).

2. Fasti (libri VI), ein Festkalender in Distichen, enthält die Erklärung und Beschreibung der römischen Feste während der sechs ersten Monate des Jahres.

3. Tristia (libri V), klagende Briefe an Freunde und Angehörige über die Reise nach Tomi und den dortigen Aufenthalt.

4. Epistulae ex Ponto (libri IV), Briefe ähnlichen Inhaltes, nur durch Angabe der Namen, an die sie gerichtet sind, strenger an die Briefform gebunden.

5. Halieutica, ein Gedicht von den Fischen des schwarzen Meeres. 6. Ibis, ein Spottgedicht gegen einen Beleidiger in Rom. 7. Von seiner dramatischen Dichtung kennen wir nur den Namen einer Tragödie Medea, die von den Alten sehr gerühmt wird. (Tac. Dial. 12; Quint. inst. orat. X. 1, 98:,,Ovidii Medea videtur mihi ostendere, quantum ille vir praestare potuerit, si ingenio suo temperare quam indulgere maluisset".)

Über keinen römischen Dichter hat die Muse die Gabe der Dichtung reichlicher ausgegossen, als über Ovid. Der Trieb zur Poesie beherrschte sein ganzes Wesen. Wie im Frühlinge der frischquellende Lebenssaft aus dem üppigen Baume reichliche Knospen und Blüten treibt, die unter der wohlthätigen Wirkung der Sommerwärme zu Früchten reifen, so sprudelte aus dem inneren Drange unseres Dichters gleichsam notgedrungen und unbewusst eine Poesie, die Studium und Kunst läuterten, ohne ihr das Geringste von der individuellen Eigentümlichkeit zu rauben. Seine Poesie ist fern von der nüchternen Reflexion des alexandrinischen Lehrgedichtes. Seine dichterische Ader flofs so mächtig, dafs sich ihm gleichsam unbewusst jeder Stoff poetisch gestaltete und die Form dazu von selber einstellte.

Ohne Selbstüberhebung konnte er daher von sich sagen:

Sponte sua carmen numeros veniebat ad aptos,

Et quod temptabam dicere, versus erat.

Trist. IV 10, 25 f.

Zu dieser reichlichen Begabung gesellte sich die feine Bildung, die er sich durch Studium und den Umgang mit der feinen Gesellschaft des römischen Hofes erworben. Das Studium der Rhetorik gab seiner Poesie die Färbung und den Sinn für das Anziehende. Sein Ton klingt deutlich an die feine Gesellschaft Roms und die weltmännische Bildung seiner Zeit an. Anmut weht in allen seinen Erzeugnissen und macht sie zu einer eigentlichen Gesellschaftspoesie.

« ZurückWeiter »