Abbildungen der Seite
PDF
EPUB
[graphic]

Candida Franck, der Initiatorin,

und Kurt Brüggemann,

dem unermüdlichen Sammler und Helfer, dankbar zugeeignet

K75

1965 MAIN

Europas Lieder

Ein dem Gegenstand angemessenes und daher

gereimtes Vorwort, das notfalls

auch gesungen werden kann

Das, was man Volkslied nennt, verehrte Leser,
Ist buntes Allerlei und sehr gemischt.
Schafgarbe, Thymian, Rosen und Gräser
Werden Euch miteinander aufgetischt.
Die Tages-, Jahres- oder Lebenszeiten.
Sind hier versammelt, doch mit Unterschied:
Die Strophen schreiten, gleiten oder reiten
Als Bauers, Fischers oder Jägers Lied.
Einer singt so, doch anders singt der andre.
Die Menschheit, Leser, ist so angelegt.
Man folge allen, schreite, hüpfe, wandre
Und bleibe, wenn es geht, gut aufgelegt.
Denn schließlich: Was dem einen seine Eule,
Das ist dem andern seine Nachtigall.
Ob einer lache, seufze oder heule:
Gönnt seinen Vogel ihm auf jeden Fall.

Ich hab versucht, sie alle zu begreifen.
Ich übte mich, auch einen fremden Ton
Auf meiner eignen Pfeife nachzupfeifen.
Nun pfeif ich, wie der Star, sehr vieles schon.
Man muß die Feste, wie sie fallen, feiern.

Zwölf Jahre lang hab ich mich hingesetzt
Und für den Kinderfunk im Lande Bayern
Europas Lieder langsam übersetzt.

Candida Franck, so heißt die kluge Dame,
Die mir den Auftrag gab von Mal zu Mal.
Und der Chorleiter, Brüggemann sein Name,
Beschaffte mühevoll Material.

Hier sind die Lieder, Eurer Gunst empfohlen.
Ich übertrug sie nach dem Notenton.

Doch ich verkürzte, das sei nicht verhohlen,
Und ich erweiterte zuweilen schon.
Denn so ein Volkslied ist wie wir lebendig,
Nicht stets untadelig und regelgut,
Ist nicht ein Denkmal, steinern und beständig,
Sondern fast so wie wir: aus Fleisch und Blut.

Es mögen kluge Herren uns belehren, Was Volkslied heißt, bedeutet oder will. Es mögen kluge Herren es erklären. Ich sage nichts dazu. Ich schweige still. Denn meine Absicht, hochverehrte Leser, War viel bescheidener, war nicht gelehrt. Mich haben keine scharfen Augengläser, Auch keine Theorien mich beschwert. Ich aẞ so gern und heiter, immer wieder, Die Beeren, die ich von den Büschen las. Ich hab mir einverleibt die fremden Lieder, Euch, liebe Leser, und mir selbst zum Spaß. Europas Lieder, Leser, viel geschätzte Und viel verkannte, sang ich vor mich hin. Und immer wieder, wenn ich übersetzte, Kam mir das alte Sprichwort in den Sinn: Da, wo man singt, läßt man sich gerne nieder. (Denn wo man singt, versteht man jedermann.) Drum, werte Leser, hört Europas Lieder, Auch wenn die Noten fehlen, freundlich an.

Enger zusammen. Es hat keine Wahl. Von Island bis nach Griechenland hinunter. Und vom Atlantik bis an den Ural. Singt seine Lieder! Singt sie immer wieder! Glaubt an das Lied, das uns zusammenhält! Und, Leser, glaubt es mir: Europas Lieder Sind alle, recht besehn, aus einer Welt. Denn es sind überall die gleichen Nöte. Und auch die Heiterkeit ist einerlei. Horcht auf den Ton der alten Hirtenflöte, Trägt sie auch vor die jüngere Schalmei. Das gute Alte soll der Mensch erhalten. Es lebt und klingt, solange es gefällt. Die neuen Lieder sind ja oft die alten, Weil alles wiederkehrt auf dieser Welt. Oft kommt ein neuer Text zu alten Weisen, Oft kommt zum alten Text ein neuer Klang. Laßt uns durch Länder und durch Zeiten reisen, Und laßt uns Grenzen sprengen durch Gesang. Da, wo man singt, läßt man sich gerne nieder. Gesang macht friedlich, und Gesang macht frei. Verehrte Leser, singt Europas Lieder, Daß, was getrennt ist, singend einig sei!

[graphic]
[graphic][subsumed]
« ZurückWeiter »