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Samund Sigfusson
VAULU-SPÁ.

Das älteste

Denkmal germanisch-nordischer Sprache,

nebst

einigen Gedanken über Nordens Wissen und Glauben

und

nordische Dichtkunst

von

Ludwig Ettmüller.

Leipzig, 1830.

Weidmannsche Buchhandlung.

1857. Sept. 10.

Wales Bequest.

Einleitung.

So lange der Mensch noch etwas hofft, oder noch etwas fürchtet, trachtet er auch dahin, dafs er die Zukunft kennen lerne, dafs er erforsche den nothwendigen Zusammenhang der Dinge, so geschehen werden, mit denen, so geschahen. So lange aber dies stattet, so lange wird es auch Menschen geben, die sichs zum eigenen Geschäfte machen, jenes Dunkel zu enthüllen. Von jeher gab es Dergleichen, nur dafs die Mittel je nach der Zeit verschieden waren, deren sie sich zu ihres Zweckes Erreichung bedienten; und die Ältesten suchten gewifs nur durch tiefes scharfsinniges Nachdenken über das Geschehene das Folgende zu entdecken. Als man aber anfing mit dem Einfachen und Nächsten nicht mehr zufrieden zu sein, als man immer weiter und weiter sehen wollte, als sich die Menschen fortan immer mehr als dem Schicksale dahingegebene, des eignen Willens baare Wesen betrachteten: da entstanden Orakel, Auguren, Sibyllen, Vaulur, Alrunur. Im Anbeginn hielten auch diese sich würdig, und manche scheinen auch von dem ihnen inwohnenden Göttlichen selbst überzeugt gewesen zu sein; aber, als der Zudrang der Sorgetragenden immer wuchs, als daher der Anstalten, wo man die Geschicke erfahren konnte, immer mehre wurden: da entstand zwischen diesen selbst Eifersucht und Neid, des Ruhmes sowohl als des Gewinstes wegen, und jetzt gab man vieldeutige Antworten, um seinen Gott jedenfalls bei Ehren zu erhalten, die Begebenheiten mochten nun fallen, wie sie wollten. Beispiele oder Belege hierzu anzuführen, thuț nicht Noth; sie liegen Jedem vor, dem das Alterthum nicht gänzlich fremd blieb.

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Als aber das Christenthum eintrat, und sich immer weiter und weiter verbreitete, da mufste freilich dies Geschäft im Grofsen sein Ende erreichen, aber im Kleinen dauerte es fort, heimlich zwar, und vor der Welt verachtet, nichts destoweniger jedoch dennoch gesucht und mit Zutrauen beschenkt. Statt des Gottes, der hingewürgten Feinde, der geschlachteten Thiere, der Vögel, gebrauchte man jetzt Zahlen, Kaffeesatz, Spielkarten, Zauberspiegel. Nur die Sterne waren bei ihrem alten Ansehn geblieben; ja dies scheint sich sogar noch, und nicht unbedeutend, vermehrt zu haben; allein nur reiche Leute, Könige und Herren, konnten sie befragen, denn reichlich liefsen sich jene Männer bezahlen, welche diese erhabene Schrift lesen konnten. Endlich aber wurden auch die Sterne verdrängt aus der Reihe der kundegebenden Dinge; Spielkarten jedoch, Kaffeesatz, und was dergleichen mehr war, blieben bei Ansehn; denn wie jedes einzelnen Menschen Zukunft kleiner und erbärmlicher ward, so wurden auch die Mittel, diese zu erforschen geringfügiger und lächerlich. Aber wir haben

es hier zunächst mit dem germanischen Norden zu thun. Betrachten wir demnach die Vaulur, Alrunur, und was für Namen sonst noch diese weisen Frauen geführt haben mögen, etwas genauer.

Unter Vaulur, Alrunur verstanden die Skandinavier Seherinnen der Zukunft, kluge Frauen, aber im edlen Sinne. Von jeher glaubten ja die Germanen, dass die Frauen von den Göttern besonders begünstiget seien, (Tacit. Germ. VIII. Historiar. IV. 6. Sueton. in Vitellio XIV). Daher ihre vorzügliche Verehrung dieser; daher auch bei den Deutschen die erste ächte Ausbildung des Mariendienstes.

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Zuerst etwas über den Namen Vala, Völva, Vaulva. Über die Herkunft dieses Namens giebt es verschiedene Meinungen. Gudmundur Andreae, Resenius, Bartholin betrachten ihn als entsprossen von dem gr. ẞovin, indem sie die Vavlur mit den Sibyllen (διος, [æol. σιος] und βουλη, wollen sie) zusammenstellen; ja sie sehen sogar in unsrer Vala die Sibylla Erythræa.

Die Dämisaga giebt über des Wortes Herkunft keine

nähere Auskunft, sie sagt blofs: Vaulur heita, þær er vél - spá skápa. d. h. Vaulur heifsen die, so Rathschläge (Rathspähung) geben. Daher heifsen sie auch anderorts Ræphildar.

Die Herausgeber der Sämund. Edda sagen im Glossario: ,,Vala (genit. völu, vaulu; in nominat. plur. vaulur. Origo et vis vocis ambigua est, nam potest esse 1) a volvo (?) unde völvi in composita voce Brún-völvi; et völva sane est variata et probata scriptio pro vala. Sic: volvere Parcas dixit Virgilius Æn. I. v. 26. Foret ergo vala s. völva dicta a volvendis filis fatalibus: quadam enim tenus valæ s. völvæ Parcarum vices obibant, in puerorum recens natorum genesi constituenda. Vide Helga-qvitham I. v. 11. vel 2) ab at velia, quod crederentur arbitrium habere sortis eligendæ et tribuendæ cuique. Val" autem et ,,vala" ita formantur ab ,,at velia" sicut,,8 al" et,,sala" ab,,at selia“; „tal, tala“ ab „attelia". Vel 3) ab germ. vet.,,wallen“ ire; cf. gall. aller; ut vala dicta sit quasi Vagula, quod hoc genus feminarum ut plurimum vagabundum esset, uti ex Orms-þætti et Norna-gestz-þætti constat."

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Gegen die Ableitungen habe ich nun einiges einzuwenden. Was die Ableitung von ,,volvere" anbelangt, so lasse ich diese ganz dahin gestellt sein. Richtiger ist die zweite Ableitung von ,,at velia“. Die Verfasser des Glossars verwechseln jedoch die Vaulur mit den Nornir, was aber das Alterthum selbst niemals that. In der Stelle, die sie anzogen, werden nicht die Vaulur, sondern offenbar die Nornir erwähnt. Die Worte lauten: Ar var alda, þat er árar gullo,

hnigo heilog votn af himin - fiöllom,
þá hafdi Helga inn hugom-stóra
Borghildr borit í Brálundi.

Nótt varp í bö, Nornir qvomo,
þær er auplíngi aldr um skópo:
þann bapo fylki frögstan verpa
ok buðlúnga beztan þiccia.
Snero þær af afli aurlaug-þátto,
þá er borgir-braut í Brálundi.

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