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Eine Symphonie bezaubernder Töne kündigt die Göttin an.
Götter, Eratnie, Himeros, Terphis, Pitho, Voluptas und die Gra-
zien gehn mit Gesang und Saitenspiel vor ihr her; Haibgötter und
Orpheus, Amphion und Arion, die Heroen des Gesanges sind ihre
Begleiter 35). Sie selbst schreitet zwischen dem Phöbus und der
Pallas her, starrend von Gold und bei jeder Bewegung harmonisch
tönend. Sie stimmt einen langen Gesang (egersimon ineffabile) in
mannigfaltigen Rhythmen an, nach dessen Beendigung sie die Theo-
rie ihrer Kunst vorträgt. Zuletzt geleitet sie die Jungfrau mit ei-
ner κοίμησις einem Schlummerliede in das Hochzeitgemach.
Martian sucht wieder die letzten Untersuchungen wegen ihrer
Langweiligkeit möglichst zu entschuldigen. Dieses ängstliche Stre-
ben, überall recht interessant zu sein und dann wieder der rück-
sichtslose herbe Spott, in welchem der Verfasser mehrmals sein ei-
genes Buch behandelt, sind als nicht antike Erscheinungen wohl zu
beachten 36). Um nicht langweilig zu werden, weist Capella auch
die Arzneiwissenschaft und die Baukunst als nicht in den Kreis der
Unsterblichen gehörig ab, kurz zuvor ehe die Harmonia (quae sola
Mercurialium superest) Zutritt erhält. Die im letzten Buche einge-
flochtenen Gedichte zeichnen sich vortheilhaft aus; auch in diesen
poetischen Partien ist der Stil des Verfassers einfacher oder ge-
suchter und schwülstiger, je nachdem der Stoff selbst ihn zu rei-
nern oder trübern Quellen führt. Wir schliessen diesen Ueber-
blick über den Inhalt und besonders über die Einkleidung des gan-
zen Werks mit einer Uebersetzung des den Fescenninen nach gebil-
deten Hochzeitgesangs des Hymenäus ab (902):

Jetzt da die goldene Luna die flammende Sonne besiegt hat,
Verein' ich Ros' und Lilie;

Denn auf heiligem Lager vermählt sich der Gott und die Jungfran,
Bestreut das Bett mit Zimmtgewürz.

Hatt' auch Hesperus noch unberührt das Mädchen bewahret,
Als Frau sieht sie der Morgenstern;

Mütterlich Weinen kann nicht die Umschlingungen trennen, es trennt sie
Der Nägel kräftig Drücken nicht.

Fürchte das Ehbett nicht! Du wirst ihm, was Juno dem Donn'rer, Die süsser jetzt, als Schwester, ist.

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35) Omnes modulatione quidem leni parvaque voce qualibet dulcedine murmurantes (906). Harmonia selbst wird mit folgenden Worten beschrieben: Tandem inter Phoebum Pallademque media Harmonia sublimis ingreditur; cujus sonorum caput auri coruscantis bracteis comebatur, caeso etiam tenuatoque metallo rigens vestis et omnibus ad motum gressumque rata congruentia temperatum blandis leniter crepitaculis tinniebat (909). 36) So sagt z. B. Venus (888):

Quippe scruposis, fateor, lassata salebris

Insuetis laedor moestificata modis.

Auch das durch Codd. geschützte, von Grotius vertheidigte, von Kopp dagegen verworfene,,moris" gibt einen passenden Sinn.

Hat dir die heilige Einsicht des klugen Gemahles gefallen,
Noch mehr gefällt der Liebeskuss.

Steigst du empor, Aurora, du wirst mit rosigem Blick schau'n
Gepflückter Blumen Siegespreis ;

Blass werd' selbst ich am Morgen die Jungfrau wieder erblicken,
Sich bergend vor dem Späherblick.

(903) Kränze bereitet, der Liebe bewusste und neue, ihr Nymphen Streut Krokus auf die Betten aus!

Schüttet die Veilchen, vermischt mit Muschelchen, ein in das Polster Und schmückt des hohen Lagers Pfühl!

Zieh aus dem Köcher, Cupido, die Lanze, die Haare zu scheiteln, Der du das Haar zu lösen liebst;

Du, der Vermählungen Königin, nimm ihr, was jüngferlich Schämen Verhüllt, das gelbe Feuerkleid.

Sie, die der Liebenden Schmerzen allein kennt,

Wird trösten dich mit Schmeichelwort.

Brüste, die jetzt du nicht der noch neuen Umarmung zu bieten
Verstehst, wird sie erweichen dir.

Mögst du die Augen verschämt tiefsenkend, im Herzen
Wohl wahren dieses mein Geheiss:

Gib, mit zärtlichem Arm umfassend den Gott, den beredten,
Uns Pfänder deiner Fruchtbarkeit !

Martian's Quellen.

Fassen wir nun, nachdem die Disposition des ganzen Sammelwerkes in Umrissen gegeben ist, den wissenschaftlichen Stoff desselben näher ins Auge, so vermissen wir von vorn herein ein selbstständiges Arbeiten und Weiterentwickeln des Ueberlieferten fast ganz 37) und die Aufsuchung und kritische Beurtheilung der Quellen tritt demnach bei einem solchen Autor als ganz besonders wichtig in den Vordergrund. Da sich diese Abhängigkeit von den Quellen sogar auf den Stil erstreckt, so wird es um so eher erklärlich, dass einzelne Stellen der Satura andern geradezu widersprechen können 38). Selbst viele griechische Namen behält Martian aus seinen Quellen bei, obgleich andere Schriftsteller fast aus derselben Zeit sie durch lateinische ersetzt haben. In der Angabe der Gewährsmänner, deren Benutzung gewiss oder wahrscheinlich ist, ist die Koppsche Ausgabe

37) Es würde uns z. B. nicht schwer fallen, nachzuweisen, dass Martian weder in der Geometrie, noch in der Arithmetik ebenso wenig wie St. Augustinus, Macrobius, Boëthius (dessen Auffassung der Systemzahlen etwa ausgenommen), Cassiodorus und Isidorus von Sevilla trotz aller Liebe zur Wissenschaft und des offenbar auf dieselbe verwandten Fleisses, irgend eine neue originelle Entdeckung gemacht und überhaupt selbstständige Forschungen angestellt hat, vgl. Chasles Gesch. d. Geom. übers. von Dr. Sohnike p. 523.

38) Man vergleiche z. B. §. 18, wo Saturn als ein unglückbringender Planet bezeichnet wird, mit §. 886, wo Martian jede astrologische Bemerkung absichtlich fern hält.

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in den meisten Fällen vollständig. Wir stellen hier nur einige Notizen zusammen, welche namentlich auf die Mathematik Bezug haben. In dem Buche von der Geometrie befindet sich (§. 593 u. ff.) ein Excerpt aus dem Plinius, welches uns ein bestimmtes Urtheil über das flüchtige Verfahren des Compilators gewinnen lässt. Beide stützen sich wieder auf Artemidoros von Ephesus, welcher die Küsten des Mittelmeeres genau beschrieben hatte. Andere Angaben, namentlich über die Längenausdehnung der Erde sind dem Isidoros Characenus, einem Zeitgenossen des August, entlehnt39). Die ganze letzte Hälfte des 6. Buches enthält reichhaltige geographische ColJectaneen, namentlich verschiedene Angaben über Erdumschiffungen. Bei der Angabe der Längen- und Breitenausdehnung Spaniens wird Agrippa erwähnt 40). Solche Stellen, wo der Autor selbst geradezu angibt, wen er ausgeschrieben hat, können noch nicht von dem Interesse sein, als andere, wo eine versteckte Benutzung oder was noch erwünschter wäre, eine Verarbeitung des vorgefundenen Materials nachgewiesen werden könnte. Von einer solchen kann indess fast nicht die Rede sein, da der Verfasser nach keinem innern durch ein Prinzip gegebenen Zusammenhang strebt. Von den erwähnten geographischen Excerpten aus dem Plinius über die einzelnen römischen Provinzen springt er z. B. zu den Städtegründungen über (642), wozu er den Solinus benutzt hat. Eine Reihe von Notizen über diesen Gegenstand wird mit den Worten: Sed nil mea interest origines urbium perscrutari, kurz abgebrochen 41). Solcher plötzlichen Uebergänge kann man mehr nachweisen. In den eigentlich geometrischen Theilen des 6. Buches ersieht man schon aus den griechischen Wortformen, aus welchen Quellen Martian geschöpft hat. Euklid bildet die Grundlage; doch auch mit Plato, der besonders die Lehre von den geometrischen Oertern und überhaupt die transcendente Geometrie ausbildete, ist Capella sehr wohl bekannt. Die pracktischen Anwendungen der Geometrie, zu denen die Agrimensoren 42) wohl hätten benutzt werden können, fehlen lei

39) Frontin. de col. p. 364 erwähnt diesen Isidorus, vgl. Kopp zu S. 611.

40) Vgl. A. Forbiger Handbuch der alten Geogr. I, p. 369. 374. 41) Freilich immer noch besser, als das Verfahren anderer Autoren, welche sich in langgedehnten Worten zum Voraus über das verbreiten, worüber sie nicht sprechen wollen.

42) Obgleich wir die Schriften der römischen Agrimensoren nicht überschätzen, so bedauern wir doch sehr, dass Martian uns über dieselben nicht mehr, wenn auch nur indirekten Aufschluss gibt. Auf der Agrimensorenlehre beruht die Gestaltung der Geometrie in Rom; die Frag mente, welche wir noch besitzen, sind von höchst verschiedenem Werth und immer noch nicht geordnet. Schon durch den Stil unterscheiden sie sich wesentlich; einige wenige, welche sich durch einen reinen und einfachen Stil auszeichnen, können wol mit Gewissheit einem Frontinus zugeschrieben werden, welcher aber mit dem gewandten Techniker, der über die Wasserleitungen Roms geschrieben hat, wahrscheinlich nicht dieselbe Person ist.

der ganz, ebenso wie eigentliche Logistik 48). Das folgende 7. Buch
enthält nämlich fast nur eine philosophische Theorie der Zahlen
und ihrer Eigenschaften dagegen sehr wenig von ihren Verbin-
dungen. Es ist gelehrter als das Buch der Geometrie und gibt
ein Abbild der platonischen und pythagoreischen Theorien 44). Zum
grossen Theil ist es geradezu aus des Nikomachos' Werk von den
Eigenschaften der Zahlen und ihrer Eintheilung in verschiedene
Klassen übersetzt und zeigt einen ziemlich einfachen Stil 45). Znm
Schluss sagt Martian selbst, dass er nur Griechen ausgeschrieben
habe und verweist die, welche mehr verlangen sollten, an die Ce-
cropischen Lehrstühle.

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Dass der Darstellung der Astronomie welche zugleich die
Hauptlehren der mathematischen Geographie umfasst - griechische
und zwar Alexandrinische Werke zu Grunde liegen, ist nicht anders
zu erwarten. Eratosthenes, Ptolemäus und Hipparch 46), Gemi-
nos 47), Hygin und Arat, Manilius und Eudoxus sind excerpirt,
doch auch Pythagoras, Aristoteles und Plato, namentlich der
Timaeus desselben benutzt. Auf Varro scheint M. an einer

Stelle hinzudeuten 48).

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43) Der bei allen praktischen Ausrechnungen benutzte Abacus wird nur
nebenbei erwähnt. Die Hauptschnur desselben hatte vier, die Nebenschnur
nur eine Kugel, welche so viel galt, als fünf der ersten; statt zweier
Kugeln dieser Nebenschnur konnte man aber eine der folgenden Haupt-
schnur anwenden u. s. f., vgl. hiermit Chasles p. 531.

44) Eigentlich nicht dieser Theorien selbst, sondern der zu Martian's
Zeit entwickelten Form derselben. Vgl. hierzu Plato Rep. VIII. p. 546
St., wo eine physikalische Zahlensymbolik gegeben wird und den Boëthius,
welcher die Zeichen der Pythagoreer apices oder characteres nennt. Die
2 Bücher des Boëthius enthalten das Werk des Nikomachos, von dem
gleich die Rede sein wird, mit Abkürzungen, vielleicht auch mit Verbes-
serungen, vgl. Chasles 526 ff.

45) Erst als Nikomachos um 100 n Chr. seine Arithmetik verfasst
hatte, nahm die mathematische Literatur der Griechen, welche bis da
durch den Einfluss der grossen Geometer eines Archimedes, Apollonius
u. a. einseitig sich auf Geometrie und Astronomie concentrict hatte, eine
neue und nur bis in die spätern Zeiten des Griechenthums fortdauernde
arithmethische Richtung. Ueber Nikomachos vergl. Nesselmann, d. Algebra
d. Griech. p. 188 ff.

46) Hipparch wird 867 als Gewährsmann genannt,

47) Ueber Geminos Zeitalter hat H. Brandes im 13. Bande des Ar-
chivs, im 2. Hefte p. 203 ff. scharfsinnige Untersuchungen veröffentlicht.
48) Lib. VIII. 817. Hoc igitur praemonito illud insinuo, quod qui-
dam Romanorum, non per omnia ignarus mei, stellas a stando, sidera a
considendo, astra ab Astraeo dicta fuisse commemorat. Dass Varro auch
an vielen andern Stellen benutzt ist, unterliegt keinem Zweifel. vgl. 335.
578. 817. 891. Man ersieht dies auch daraus, dass die von Varro behan-
delte Medicin und Architektur am Ende des Mart. Werkes von dem An-
blick der Götter förmlich entfernt wird. Es ist sehr zu bedauern, dass
Varro's Schriften über Arithmetik, Geometrie, Astronomie und Musik
nicht auf uns gekommen sind. Wir würden in der Darstellung, welche
dieser gelehrte Römer den genannten Disciplinen gegeben hatte, gewiss

Wenn Plinius auch hier mehrmals benutzt ist (vgl. 884), so ist
dies auch eine Benutzung griechischer Quellen zu nennen nur
eine mittelbare. In der Darstellung seiner Harmonielehre folgt Ca-
pella dem Theophrast, Aristoxenos und an einzelnen Stellen auch dem
Pythagoras, besonders, wo er die Seele als dieμòv kavrov x-
vovvta bezeichnet. Interessant sind die Excerpte aus dem Theo-
phrast über die verschiedenen bedeutenden Wirkungen der Musik.
Zur Theorie derselben ist auch Aristides: Quintilianus benutzt.

Ehe wir nunmehr zu einzelnen Stellen unseres Autors Con-
jekturen zu geben versuchen, wird es, um Wiederholungen zu ver-
meiden, passend sein, die wichtigern Manuscripte und Aus-
gaben desselben in einer Uebersicht zusammenstellen.

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Die Anzahl der Codices ist, da Martian im Mittelalter sehr
viel gelesen wurde, bedeutend49). Aus dem 11. Jahrh. stammt der
Bodlejanus in Fol., der kleinere Bodlejanus, in 4. ist um 1300 ge-
schrieben. Ebenso der Mertonianus in Fol. Der Codex des
britischen Museums um 1000. Die Leidener Codices, vielleicht 5,
sind ebenfalls sehr alt. Die Codices, welche Salmasius benutzte,
sind wahrscheinlich Mediceer. Auch Wesseling erwähnt in den
Itinerariis libr. manuscriptos. Die Codices Vulcanii benutzte Gro-
tius, welcher selbst einen Codex besass. Ferner der Codex Lin-
denbrogii oder, wie Grotius sagt, Tiliobrogae Bongarsii Codex,
dessen Lesarten für die beiden ersten Bücher Walthard (s. u.) ge-
geben hat.
Die Exemplare des Barth und das Vossesche nebst
den Excerpten des Bondamus. Der Codex Canchianus, der von
Burmann und ein anderer, den Tinzerling erwähnt. Die 2 Scri-
veriani. Die 3 Codices: Wassii, von denen der älteste sich im
Collegium Corporis Christi zu Cambridge befindet 50). Der Darm-

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nicht blos den fleissigen Sammler und Bearbeiter des griechischen Stoffs,
sondern auch den selbstständigen Forscher erkennen. Cassiodor sagt von
ihm, dass er die Abplattung der Erde vermuthet habe. Auch ist wohl
zu beachten, dass die Form des Martianischen Werkes den Satirae Me-
nippeae des Varro ähnelt, sowie sie sich auch mit dem Satiricon des
Petron und der Consolatio Philosophiae des Boëthius vergleichen lässt.

49) Dass Martian im Mittelalter in höchsten Ehren stand, folgt schon
daraus, weil seine Darstellungsweise dem Geiste des Mittelalters sich nä-
hert und weil er fast allein ein ovvτayua der freien Künste geschrieben
hat, das noch überdies in den Schulen benutzt wurde. Speciellere An-
gaben über die Codd. d. Capella findet man in C. F. Hermann's Vor-
worte zu der Koppschen Ausgabe.

50) Ueber die Cambridger Handschriften vgl. Ger. Io. Voss de Hist.
Lat. L. II Pars II. Opp. Tom. IV. 221. Nach ihm befindet sich eine
ebenfalls sehr alte Handschrift in der Bibl. des Collegii S. Benedicti..
Ueber die Verdorbenheit der Martianischen Codices klagt schon Bapt.
Quarinus in einem Brief an Pico di Mirandula. ,,Qui apud nos", sagt
er,,,opera Sibyllae indigent." H. Grotius klagt in der Dedikation an
Heinrich Prinz v. Condé über denselben Uebelstand und erklärt ihn:
... Martianus cum solus ferme ovvtayua de septem hisce disciplinis cons
scripserit, tanto in honore tantaque in aestimatione paucis retroactis sae
culis habitus fuit, ut solus pro omnibus aliis legeretur. Haec fuit occa

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