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III.

Shakespeare.

Bei dem fast gänzlichen Mangel an Notizen über sein Leben, suchte man sich Shakespeare's Bild aus seinen Werken zu gestalten, indem man nach Aeusserungen forschte, die einestheils einen Schluss auf seinen Charakter gestatten, anderntheils durch Rückstrahlung einiges Licht auf sein Leben werfen mochten. Wie schwierig und unzuverlässig ist aber diese Art des Suchens nach Thatsachen, wie abhängig von der Individualität des Suchenden! Doppelt schwierig bei einem Dichter, wie Shakespeare, der überall hinter seinen Werken zurücktritt, der, die verkörperte Selbstlosigkeit, nie sich selbst, seine eigenen Gefühle und Schmerzen zum Thema macht, sondern gleichsam wie ein Spiegel, dessen Stoffliches unter dem Bilde verschwindet, die ganze Menschheit mit ihren verborgensten Empfindungen, Leidenschaften und Eigenheiten in sich auffängt und concentrirt zurückwirft. Aus der Art der Reflektirung lässt sich aber auf den Spiegel schliessen und so kommen wir wenigstens Shakespeare's Charakter näher. Dieser tritt aus seinen Werken gross, edel, weise und gerecht hervor, unberührbar für das gemein Menschliche. Es

ist, als schwebe der Dichter hoch über der Erde und blicke mit ruhigem Auge in das Gewimmel und Getriebe der Menschen, in die Kämpfe der Herzen, in die geheimen Werkstätten des Geistes; wie er nun das schildert, was er da erblickt, das schildert auch ihn.

„Coleridge sagt richtig, es gebe im ganzen Shakespeare nicht eine wirklich verdorbene, lasterhafte Stelle. Es kommen Rohheiten vor, denn die Sitten und die Sprache der Zeit waren roh" (und der Geschmack der Zuhörer verlangte jene vielfach eingestreuten Witzeleien und gemeinen Scherze, die unser Ohr beleidigen), „aber es giebt nichts in der Wurzel Verdorbenes, keine hinterlistige Hinweisung auf das Schlechte. Das Laster schreitet nie im Zwielicht der Seele im Gewande der Tugend einher. Man hört die Stimme des Unrechtes und des Rechtes, der Wahrheit und des Irrens, aber es giebt keine Verwirrung der Zungen zur Verwirrung des Urtheils. Er hat keine Milde für sentimentale Sünder, lässt nicht im letzten Augenblick eine Zugbrücke nieder, um ihnen über den schwarzen Schlund hinweg zu helfen. Seine Linien sind so scharf gezogen, wie der Satz der Schrift, dass der Baum da liegen wird, wohin er fällt.“*) So gestaltet sich Shakespeare's Charakter aus seinen dramatischen Werken; aber ganz entgegengesetzt erscheint er in seinen Sonetten wenn wir alle von ihm selbst gesprochen sein lassen. Da haben wir die Bekenntnisse einer durch und durch verkommenen Seele, nicht etwa aus Reue und Zerknirschung geschrieben, nein! ohne eine Spur von Selbstachtung, ohne das geringste Bewusstsein von der Schmach, die sie sich

*) Massey 1. c. p. 549,

selbst zufügt

geschrieben zum Amüsement einiger gleich edelgesinnter Genossen! Diesen Charakter Shakespeare's hat man hingenommen neben jenem andern, den man in seinen dramatischen Werken fand!

Aehnliche zweifelhafte Resultate, wie bei der Bestimmung von des Dichters Charakter ergeben sich bei dem Suchen nach Thatsachen aus seinem Leben, für welche gerade wieder die Sonette die ergiebigste Fundgrube zu sein schienen. So sind zwei Hauptpunkte stets hervorgehoben und theils mit Hülfe der Sonette bewiesen, theils umgekehrt zu ihrer Erklärung verwandt worden: Shakespeare's unglückliche Ehe und seine tiefe Abneigung gegen seinen Stand. Diese zwei Punkte sind einer näheren Prüfung werth. Letzteren!

Beginnen wir mit dem

Ich kann hier nicht eine Biographie Shakespeare's geben wollen, setze vielmehr voraus, dass die wenigen uns mit einiger Sicherheit überlieferten Daten aus seinem Leben meinen Lesern bekaunt sind.*) Ich beschränke mich deshalb darauf, nur dasjenige anzuführen, was für die Untersuchung besagter zwei Punkte von Wichtigkeit ist.

Unser Dichter ging aus bescheidenen Verhältnissen hervor. Sein Vater, John Shakespeare, hatte sich durch „,ländlichen und städtischen Wirthschaftsbetrieb **) zu welch' letzterem auch Handschuhmacherei, Wollhandel und Metzgerei gehört zu haben scheint, in Stratford zu einem hübschen Wohlstande und Ansehen aufgeschwungen,

*) Karl Elze hat in seinem „William Shakespeare" die neueste, erschöpfendste Darstellung von des Dichters Leben und Schaffen gegeben.

**) Elze p. 25.

hatte die Stelle eines Bailiff (Amtmanns) und Alderman (Rathsherrn) bekleidet, war dann aber aus noch unermittelten Gründen in seinen Verhältnissen zurückgekommen, so sehr, dass er 1587 in's Schuldgefängniss gerieth. Unser 1564 geborner William Shakespeare nun soll Metzger, Schulmeister, Schreiber bei einem Advokaten gewesen sein, bis er Stratford verliess. Elze's auf Malone, Lord Campell u. A. gestützte Ausführungen (p. 98 u.f.) machen es sehr wahrscheinlich, dass Shakespeare als Advokatenschreiber (d. h. nach englischem Gebrauch als angehender Advokat) seinen Unterhalt suchte, nachdem er sich 1582 mit Anna Hathaway verheirathet hatte. Anna Hathaway's Vater war ein „substantial yeoman", wir wissen aber nicht, was er seiner Tochter mitgegeben hat. Anzunehmen ist, dass die schnell anwachsende Familie (1583 ward das erste Kind Susannah geboren und 1585 folgten die Zwillinge Hamnet und Judith) dem Vater, wie man zu sagen pflegt, zu rathen aufgab, und er mochte wohl schon lange die Frage, wie er seine Lage verbessern könnte, im Kopfe herumgewälzt haben, als der Conflikt mit Sir Thomas Lucy ihn zu raschem Entschlusse, d. h. zur Flucht nach London trieb. Die Geschichte von unseres Dichters à la Robin Hood in Lucy's Park befriedigter Weidmannslust und den Spottversen, mit welchen er den erbosten Ritter und Friedensrichter höhnte, ist bekannt.

Als Shakespeare 1585 oder 1586 (Andere setzen sogar 1587) nach London übersiedelte, hatte er jedenfalls schon einige Fäden angeknüpft, die ihn zu seinem späteren Berufe leiteten. Elze meint (p. 130), sich hierin Knight anschliessend, dass wahrscheinlich der Schauspieler aus dem Dichter hervorgegangen, dass

Shakespeare, der wohl schon in seiner Heimath den Musen gehuldigt, mit dem Gedichte „Venus und Adonis" und vielleicht mit dem einen oder anderen in Stratford geschriebenen Drama in der Tasche nach London gegangen sei, um „dort seine Geisteskinder in die Oeffentlichkeit zu bringen".

Jedenfalls aber hatte Shakespeare längst auch schon von dem einträglichen Berufe der Schauspielkunst gehört und war schon in Stratford in Berührung mit Schauspielern gekommen. Von 1569 bis 1587 hatte man in Stratford nicht weniger als 24 Besuche wandernder Truppen gezählt; 1587 traten dort 5 Schauspielertruppen auf, worunter auch die vom Blackfriars-Theater in London, deren Mitglied Shakespeare später wurde. Es lag also für Shakespeare, der, wie Aubray in seinen um 1680 gesammelten Notizen bemerkt, „von Natur aus Neigung zur Poesie und zur Bühne“ hatte, nahe, diese anziehende und einträgliche Profession zu ergreifen, als er sich veranlasst sah, Stratford zu verlassen.

„Es ist sehr möglich, dass die Bekanntschaft mit künstlerisch ausgezeichneten und ihn vielleicht ermunternden Landsleuten nicht ohne Einfluss auf seinen Entschluss war. Der damals blühende Grammatiker Greene war in Stratford daheim, ebenso der Schauspieler Heminge, welcher später die erste Ausgabe von Shakespeare's Werken besorgt hat. Shakespeare's Freund, der berühmte Schauspieler Burbage, stammte aus der unmittelbaren Nähe von Stratford. Er leitete damals bereits das Blackfriars-Theater, bei welchem Shakespeare eintrat, und schon dadurch würden die bekannten Geschichten unwahrscheinlich werden, welche Shakespeare als Ruferjungen oder als Beaufsichtiger der vor dem

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