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der Geist, wenn nicht die Vorschriften ihrer Religion, sezt Grenzen aller freien Forschung, indem man vor Kezern und kezerischen Werken Abscheu einflößt."

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Vornehme Damen gehen früh selten aus, ausgenommen in die Meffe oder wegen besonderen Veranlassungen. Wenn sie aufstehen, nehmen sie Kaffee oder Chocolade und dann bleiben sie entweder in ihren Ges mächern unsichtbar im allergrößten Negligé oder sie verbringen die Stunden bis zum Diner bei der Toilette. Wenige lassen Frühbesuche von Männern zu, der Vormittag ist dem Müßiggang geheiligt, für die Messe be= stimmt oder vorbehalten für Privatangelegenheiten häuslicher Beschaffenheit. Ein Morgen in Wien ist in der That kurz, da die allgemeine Speisezeit 1/2 2 Uhr ist, früher war ste es 1 Uhr; seit einigen Jahren ist sie nach und nach weiter hinausgerückt worden. Fürst Kaunis macht die einzige Ausnahme. Die Nachmittage sind lang und es gilt für guten Ton, wo man weiß, daß eine große Gesellschaft versammelt ist, ungefähr 1/4 Uhr Visite zu machen, eben wenn man von Tafel aufstehen will."

,,Der Abend beginnt im Allgemeinen um acht Uhr oder früher. Nächst den Häusern der Fürsten Ka uniz und Colloredo giebt es andere, in denen während des Winters einmal oder mehreremale die Woche Gesellschaft ist. Unter den vornehmsten muß man den französischen Gesandten nennen (Marquis von Breteuil), das einzige Glied des diplomatischen Corps, dessen Stellung ihn befähigt, in prächtigem Style ein Haus zu machen. In den Gesellschaften wird Eis und Li

monade herumgegeben, soupirt wird niemals, ausgenom= men bei besonderer Einladung. Allgemein wird ge= spielt. L'hombre ist unter den beliebtesten Spielen, sehr gewöhnlich ist Loo und Whist; auch Taroc, Triette, Reversé und Tric-Trac sind in häufigem Gebrauch. Damen, die nicht spielen, haben oft auf ihrem Schooß ein kleines lackirtes Kästchenz und beschäftigen fich mit Goldgarn-Aufdrehen, welches keineswegs die Unterhaltung behindert und nur die Finger beschäftigt. Das zurückgezogene Wesen der östreichischen Frauen, bei der ersten Bekanntschaft so unangenehm, vergeht unmerklich und macht ihrem natürlichen Charakter Plaz. Shre Unterhaltung, wenn sie auch nicht fördernd ist, ist selten ohne Lebhaftigkeit und Anregung. Aber eine wirklich gebildete Frau, deren es in England so viele giebt, ist eine in Wien gänzlich unbekannte Sache. Doch muß ich Gerechtig= eits halber sagen, daß es einige angenehme und glänende Ausnahmen von dieser Unwissenheits- Zurechnung jiebt, wie die beiden Gräfinnen Thun und Per= jenn."

,,Die Frauen ziehen sich gut an, mit viel Geschmack und noch größerer Pracht. Ich sah noch an teinem Hofe so eine Verschwendung von Diamanten, höchstens etwa in Lissabon, und die Wienerinnen-vertheilen ihre Juwelen mit nicht wenig Eleganz. Im Carneval entschädigen sie sich für die Entbehrungen, die ihnen die Fastenzeit auflegt, nicht blos was die Tafel, sondern auch, was die Toilette anbelangt. Nichtsdestoweniger herrscht bei ihnen die in allen Ländern Euro

pas, ausgenommen England, bräuchliche Abgeschmacktheit, sieben und achtjährige Kinder wie Mädchen von sechszehn oder achtzehn Jahren anzuziehen, mit Puder, hohem Toupet, Chignon und Reifrock, was in Wahrheit das Geheimniß in sich schließt, sie alt zu machen, bevor ste, jung sind. Es giebt in Wien eine Menge schöne Frauen, aber sie sind nicht alle Oestreicherinnen, nicht einmal alle Deutsche. Böhmen, Ungarn, Italien und Polen schmücken wetteifernd die kaiserliche Hauptstadt mit ihrem antheiligen Tribute von Schönheiten aus.

Gewöhnlich behalten die Frauen die eigenthümliche Färbung des Provinzial- oder Nationalcharakters bei und man unterscheidet sie leicht. Die Frauen von Stande sind edel in ihrer Haltung und haben einen Anstrich von Würde. Ich halte dafür, daß im Algemeinen sie von einem längeren Schlage sind, als di Engländerinnen, und daß es bei ihnen mehr schön Formen als schöne Gestalten giebt. Ihr Haar uw ihre Zähne sind gewöhnlich gut, besonders die lezterer, wozu die Trockenheit ihrer Luft und ihres Climas bei trägt. Sollte man sie in etwas critisiren, so wäre es die Büste."

Mädchen und Frauen vom Stande schminken fich allgemein, aber meist mäßig und mit Geschmack, Mädchen von funfzehn Jahren eben so wie Personen von dreißig. Nur die Erzherzoginnen allein nehmen nie Roth, da die Kaiserin es ihnen bei keiner Gelegenheit erlaubt. Nach dem Tode des Kaisers Franz ward die Schminke bei Strafe ihres Mißfallens gänzlich verboten, niemand wagte sich ihrer zu bedienen,

selbst nicht in Brivatgesellschaften bei den erlesensten Zirkeln. Nur die Fürstin Auersperg, die Favorite des Kaisers, wagte es diesem Befehle sich zu widersezen, kam, als die Kaiserin ́wieder empfing, in tiefster Trauer in die Burg, aber höchst elegant gekleidet und mit einer Verschwendung von Roth. Maria Theresia verhehlte ihre Empfindlichkeit bei dieser Aufführung nicht und als die Fürstin sich ihr zum Handfuß näherte, zog sie sich mit einem Gesicht voll Erstaunen und Unwillen zurück, das alle Anwesende erschütterte. Man muß aber gestehen, daß die Auctorität sehr grenzenlos ist, die einer ganzen Hauptstadt durch eine ansehnlich lange Zeit hindurch einen solchen 3wang aufer= legen kann. Peter der Große, despotisch, wie er war, fand doch bei verschiedenen Gelegenheiten, wenn er Kleider und Sitten unter seinen Unterthanen åndern wollte, unübersteigbare Hindernisse. Nach und nach und unmerklich sing man sich wieder zu schminken an, als die höchste Trauer bei der Kaiserin vorüber war und damit ihr Widerwillen gegen Freuden und Festlichkeitsbezeigungen.“

,,Könnte es durch Strenge sowie durch Beispiel durchgesezt werden, aus einer Stadt das, was wir gewöhnlich Galanterie nennen, zu verbannen und auszurotten, so würde es in Wien vollständig ausgetilgt worden sein. Die Kaiserin, streng tugendhaft in ihrer Aufführung, getreu ihrem Chebett und niemals nur in Verdacht einer weiblichen Schwäche, macht für die Indiscretionen Anderer sehr wenig Zugeständnisse. Sie

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tritt jeden Grad von Libertinage mit dem Gewicht ihres Mißfallens nieder. Wenn es bekannt wird, daß eine Frau von Stande schwach ist, wenn nicht ihre Schwäche sich auf einen Liebhaber bes schränkt und nicht die äußerste Rücksicht auf Heimlichkeit und Wohlanständigkeit beobachtet wird kann diese Dame darauf sicher rechnen, einen Befehl zu erhalten, Wien zu verlassen; vielleicht ist sie gezwungen ihr Leben in einer dunkeln Provinzialstadt Ungarns, Destreichs oder eines andern Landes der kaiserlichen Staaten verkümmern zu müssen. Es ist schwer möglich zu begreifen, was für geringfügige und umständliche Einzelnheiten ihre Erkundigungseinziehungen umfassen, die sich auf die Privataufführung ihrer Unterthanen beider Geschlechter beziehen: es werden ihr fortwährend ihre Handlungen, Vergnügungen und Belustigungen und zwar selbst die allergeheimsten hinterbracht. Sie gebraucht dazu Spione, die nichts unterlassen, sie vollständig zu unterrichten. Ich könnte aus meiner eigenen persönlichen Bekanntschaft einige curiöse und unterhaltende Beispiele ans führen von der Aufsicht, die fle über die Aufführung ihrer Hofdamen führt, aber der Gegenstand ist zu delicat für einzelne Details. Weit mehr ein unfreier Aberglaube, als eine vernünftige Mißbilligung der Galanterie in Beziehung auf die Privat- und politi= schen Nachtheile, die sie herbeiführt, bestimmen sie zu dieser strengen Verbannung derselben."

In keiner europäischen Hauptstadt wird so viel Anstand, Vorsicht und Achtung für das äußere Wohl=

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