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ehrungen, wenn er dergleichen Leuten Audienz ertheilet so gemeiniglich zweimal die Woche geschieht, in Papier gewickelt vor sich liegen, und theilt sodann nach Befinden aus. Man zählt manchmal in einem Tage etliche zwanzig, so Audienz nehmen, worunter sich so viele Unbescheidene befinden, daß man sich über ihre Verwegenheit so sehr, als über des Kaisers Geduld verwundern müssen. Als einer für dem Kaiser fniete und einen Scharmüzel (so werden die Papiere, worin man die Ducaten wickelt, genannt) empfangen hatte, meinte er, dieses wäre seiner Bedürfniß nicht hinlänglich genug, griff also selbst auf den Tisch und holte sich noch einen und entschuldigte sich, daß man bei Gott und dem Kaiser ohne Scheu bitten dürfte. Wenn solche Leute das Empfangene verthan, kamen fie wieder und der Kaiser ward so wenig müde, seine Hand zum Almosen, als zum Gebet auszu strecken. Es wurde ihm einmal eine Liste derjenigen, so das kaiserliche Almosen übel angewendet, übergeben, worüber er aber nur diesen Bescheid ertheilte:,,Diejenigen, so diese Liste gemacht, haben ihre eignen Fehler hineinzusehen vergessen. Ich weiß schon, was ich thun soll."

,,Die andere Art von Bettlern sind die öffentlichen Gassenbettler in Wien. Diese hatten eben so viel Theil an der Liebe bei dem Kaiser, als die ersten. Niemals fuhr er aus, daß er nicht einen großen Sack mit Siebzehnern (Viertelgulden) in die Kutsche sezen ließ und einem jedweden mit eigner Hand davon austheilte. Hierbei ward er manchmal so in die Enge getrieben,

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daß die Pferde nicht fortfahren konnten, und weder Kammerherren noch Trabanten durften sich unterstehen, das Volk wegzutreiben. Sie waren einmal dergestalt importun, daß sie auch die Kristallscheiben an der kai= serlichen Kutsche entzweistießen. Als der dabei stehende Kammerherr sie wegtreiben wollte, sagte Leopold: „Er sollte die Leute in ihrem Almosen nicht hindern, er wolle die Kutsche schon wieder machen lassen.“ Es war mit unter denjenigen Sachen, welche der sterbende Kaiser Leopold dem König Joseph_an= befahl, daß er das Armuth mit östreichischem Mitleiden stetig ansehen sollte. Er hat diesen Befehl in solcher Vollkommenheit ausgeübt, daß die Bettler von allen Sorten sagen konnten, Leopoldus sei nicht gestorben. Die anti camera zu Joseph's Zeiten war fast noch voller von dergleichen Leuten als zu Leopold's Zeiten. Der Krieg machte keinen Einwurf der Ersparung, denn das östreichische Mitleiden gegen die Armen läßt sich auch in den schwersten Zeiten nicht Einhalt thun; sol= chergestalt pflegte der Kaiser öfters in einer Audienz viele Pakete mit 50, 100, 200 Ducaten auszutheilen. Wobei seine Gnade so groß, der er auch keinen Unterschied zwischen den Nationen machte, und so gar vielen Franzosen, die sonst alle Verachtung gegen Deutschland, ohne gegen dessen Geld, haben, den Unterhalt ertheilte. Die mehrsten von diesen Leuten waren Neapolitaner und Spanier, welche aber der kaiserlichen Gnade desto würdiger, je mehr sie in den feindlichen Ländern an Gütern und Glück, des Kaisers Partei wegen, verlassen müssen, und mußten

diese ehrliche Leute nicht als Bettler, sondern um das Haus Destreich verdiente Männer, welche mit Recht ihren Unterhalt fordern konnten, angesehen werden. Unter diesen befanden sich viel hergelaufene und unnüße Pfaffen.“ Rink erzählt mehrere Beispiele der größten Unverschämtheit von diesen französischen, spanischen und italienischen; Audienzbrüdern: wie der Kaiser einmal einem französischen Marquis, der immer und immer wieder vorgekommen sei, endlich zugerufen habe:,,Il faut menager!" wie ein paar italienische Pfaffen dem Kaiser ein anderesmal im Vorbeigehen zugerufen: ,,Sollen wir denn in diesem Lande verhungern? Zum wenigsten helfe Ihre Kais. Maj., daß wir wieder nach Italien kommen", worauf Joseph jedem zwölf Spe= ciesducaten gerade so viel, als der Vetturin nach Venedig kostete -, ausgezahlt habe mit den Worten: ,,Adio mai a rivederci, andatevene e pon pensate al ritorno!"

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‚Es wird, fährt Rink fort, vom Kaiser des Jahrs auf diese Leute verwendet, daß es eine unsägliche Summe austrägt: daher auch einige Minister dem Kaiser gerathen, er möchte lieber diese Almosen in Pensionen verwandeln, da denn einer, der 2-300 Gulden des Jahres bekäme, sein Leben darnach einrichten könne; andern verdienteren könnte man sodann mit Mehrerem unter die Arme greifen; der Kaiser selbst auch würde von so vielen unnüşen Audienzen verschont bleiben. Allein das Haus Destreich will selbst Arme sehen und mit ihnen reden, damit es über deren Elend desto mehr

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Empfindlichkeit haben möchte und hat sich weder Kaiser Joseph noch Kaiser Leopold; wollen dazu bereden lassen, so groß ist die Liebe des Erzhauses gegen die Armuth."

So blieb es noch unter Carl ́VI., unter Maria Theresia bis auf die Zeiten Joseph's II.

Der preußische Großkanzler Fürst, der 1754 in Wien war, berechnete die Einkünfte Oestreichs auf mehr als 40 Millionen. Es war sehr schwer, vielleicht unmöglich, das Budget, das bis auf Maria Theresia stets in Confusion war, genau anzugeben. Seit Maria Theresta fstiegen die Einkünfte ums Dop= pelte. Schlözer berechnete sie zu seiner Zeit unter Maria Theresta nach ihren Kriegen auf 82 und Büfching (1770) auf 90 Millionen Kaisergulden. So viel war gewiß: es war jederzeit kein Geld da, wenn es gerade am nöthigsten war.

Durch die Verschwendungen und Betrügereien, durch die Unzahl von Sinecuren, durch den Schwarm von Glücksrittern, Abentheurern und vornehmen und gemeinen Bettlern, der in Wien sich herumtrieb, durch die Masse von hohen und niedern Lakeien, die am Hofe sich behaglichst servil-jovial nährten, kam in Wien ein wahres Schlaraffen- und Phäakenleben auf und in den Strudel desselben wurde das ganze Volk hineingezogen. Effen und Trinken, Theater, Tanz, Musik und freie Hand im Vergnügen in und außer der Che wurden die Elemente, aus denen sich dieses leichtsinnig= gutmüthige, fast burleske Wiener Leben zusammenseßte,

in welches sich Hof und Adel in ihrer und die Bürger wieder in ihrer Weise theilten.

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Ich habe schon oben angeführt, wie höchst ehrbar- gravitätisch der Kaiserhof sich seinen getreuen Unterthanen präsentirt habe. Unter allen deutschen Höfen hielt sich, um der Würde des allerhöchsten Reichsoberhaupts nichts zu vergeben, der Kaiserhof zu Wien äußerlich am längsten fern von dem Eindringen des französischen Wesens. Das spanisch - italienische Wesen blieb hier, äußerlich, sichtbar, in Sprache und Kleidung, fortwährend vorschlagend. Es do= minirte den Wiener Hof unabänderlich fort und fort die von den Tagen Carl's V. her datirende gravitätisch steife spanische Grandezza in Ceremoniel und EtiAeußerlich, sichtbar, ward erst dann manches anders, als die französisch redenden Lothringer famen und Kaunig, der mehr Franzose als Deutscher war, wenigstens es sein wollte.

fette.

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Man darf aber gar nicht glauben, daß nicht längst, längst schon vorher die französischen Galanterieen am Hofe zu Wien eingedrungen seien und die alte deutsche Ehrbarkeit verdrängt hätten. Das geschah schon zu derselben Zeit, wo es an anderen deutschen Höfen geschah, nur nahmen die galanten französischen Sitten am Kaiserhofe einen weit verhüllteren Auftritt als anderswo in Deutschland. Unter dem spanischen Mantel der Bigotterie ward schon unter der stattlichen Eleonore Gonzaga, der Wittwe Ferdinand's III. und Stiefmutter Leopold's, die noch die große Türkenbelagerung Wiens erlebte, in der Hof

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